Nummer 347 - Mai 2003 | Venezuela

Medienputsch und Erdölsabotage

Hunderttausende VenezolanerInnen feiern die Niederschlagung des Putschversuchs vom 13. April 2002

Auf dem Weltsolidaritätsforum mit der bolivarianischen Revolution trafen sich im Aprilinternationale Gäste mit vielen TeinehmerInnenn aus der Unterschicht. Die Debatten drehten sich vor allem um die Rolle der Medien und die Erdölindustrie, die gerade wieder auf die Beine kommt.

Raul Zelik

Venezuela ist das Beste, was uns seit 20 Jahren passiert ist.“ Mit diesen Worten beschrieb der britisch-pakistanische Schriftsteller Tarik Ali auf dem Weltsolidaritätsforum mit der Bolivarianischen Revolution in Caracas seine Haltung zum venezolanischen Transformationsprozess. Tatsächlich hat das zum ersten Jahrestag des rechten Putschs abgehaltene Forum bewiesen, dass in Venezuela Bemerkenswertes im Gang ist. Der häufig zu hörende Vergleich mit Chile unter Salvador Allende ist nicht nur wegen der Parallelen bei der Durchführung der Staatsstreiche 1973 und 2002 gerechtfertigt. Auch die Sozialreformen in Venezuela gehen immer deutlicher in eine Richtung, wie sie sich Anfang der 70er Jahre auch in Chile ausmachen ließ: der Ausbau des Schulwesens, Landreformen, von der sowohl städtische Barrio-BewohnerInnen als auch landlose Bauern profitieren, die Stärkung von Kooperativen und Kleinbetrieben sowie eine Renationalisierung des staatlichen Erdölunternehmens PDVSA. Zudem verfolgt die Regierung Chávez bereits seit 1998 eine Politik der nationalen Souveränität, die in den USA, aber auch in Spanien zu Verstimmungen geführt hat. Mit der Stärkung der OPEC, der Ablehnung der Militärintervention in Kolumbien sowie dem Ausbau der Beziehungen zu Kuba sind klare Akzente gesetzt worden.

Kritik an den Medien

Auf dem Forum, zu dem Dutzende von Bewegungen und Basisgruppen (darunter ATTAC-Frankreich, die bolivianische Indígena-Bewegung von Evo Morales und das Kleinbauernnetzwerk Vía Campesina) aufgerufen hatten, wurde vier Tage lang noch einmal das Programm der venezolanischen Regierung intensiv debatiert. Unter Beteiligung von 10.000 einheimischen und mehreren Hundert internationalen Gästen gab es Veranstaltungen, unter anderem mit Ignacio Ramonet, Chefredakteur der Le Monde Diplomatique, dem französischen Aktivisten José Bové, der chilenischen Bewegungstheoretikerin Marta Harnecker und den RedakteurInnen Perry Anderson und Robin Blackburn von der englischsprachigen New Left Review. Besonderes Interesse galt dabei den Massenmedien, die in der innenpolitischen Eskalation Venezuelas eine Schlüsselrolle spielen. Blanca Eekhout vom alternativen Stadtteilfernsehen Catia Tve und andere ReferentInnen wiesen darauf hin, dass man den Putschversuch im April 2002 als Medieninszenierung lesen müsse. So hätten die privaten Fernsehsender Bilder von toten DemonstrantInnen als Rechtfertigung für die Machtübernahme eines Bündnisses von Unternehmerverband, rechten Militärs und der Gewerkschaftsbürokratie des Dachverbands CTV präsentiert. Nicht gesagt worden sei hingegen, dass die Mehrzahl der Toten RegierungsanhängerInnen waren, die sich in der Nähe des Präsidentenpalastes versammelt hatten. In den privaten Medien sei auch kein Hinweis darauf zu finden gewesen, dass die tödlichen Schüsse von auf Hochhausdächern postierten Scharfschützen abgegeben worden waren, die zunächst zwar festgenommen, während des Putsches jedoch auf mysteriöse Weise wieder freigelassen wurden. Die Demonstrationen von Hunderttausenden gegen die Regierung des Unternehmer-Chefs Pedro Carmona am 12. und 13. April seien völlig unterschlagen worden.
Und seltsam sei schließlich auch, dass CNN die Rede der putschenden Militärs nach Angaben eines CNN-Journalisten bereits am Vormittag des 11. April, also vor den tödlichen Schüssen, aufgenommen habe.

Sabotage der Ölförderung

Ein weiterer Schwerpunkt galt der Debatte um die staatliche Erdölpolitik. Seitdem die Regierung Chávez eine grundlegende Umstrukturierung des Sektors angekündigt hat, konzentrieren sich die Aktionen der Opposition auf das Staatsunternehmen PDVSA. Während des so genannten „Bürgerstreiks“ vom vergangenen Dezember sabotierten leitende PDVSA-Angestellte die Ölförderung und -verarbeitung im ganzen Land. Zudem weigerten sich die Schiffe der transnationalen Erdölkonzerne, das in den venezolanischen Tanks lagernde Öl abzuholen, was zu der paradoxen Situation führte, dass die Ölproduktion auf magere 150.000 Barrel sank (die venezolanische OPEC-Quote liegt bei drei Millionen Barrel), gleichzeitig aber keine Lagerkapazitäten mehr vorhanden waren.
Der Energieminister Rafael Ramírez wies in seiner Rede darauf hin, dass es nur den einfachen ArbeiterInnen und einigen wenigen TechnikerInnen zu verdanken sei, dass die Ölanlagen nicht dauerhaft geschädigt worden seien. Mittlerweile liege die Ölproduktion wieder bei 3,2 Millionen Barrel, was insofern erstaunlich ist, als mehr als 10.000 an den Protesten beteiligte Angestellte nicht mehr für das Unternehmen arbeiten.

Busfahrer und Hausfrauen regieren

Das Bemerkenswerteste an dem Solidaritätsforum waren allerdings nicht die Referate an sich, sondern das Interesse von VenezolanerInnen aus der Unterschicht an den Debatten.
Die Opposition beklagt sich gern darüber, dass mit Chávez jetzt „Busfahrer und Hausfrauen das Land regieren“. Tatsächlich ist das Politisierungsniveau in den Armenvierteln mittlerweile höher als das der Mittelschichten, die in den vergangenen Tagen erneut zu Demonstrationen „gegen die Diktatur“ mobilisierten. Auf den Veranstaltungen des Solidaritätsforums war es keine Seltenheit, dass 1500 ZuhörerInnen in einem Saal konzentriert einem medientheoretischen Vortrag über die „Repräsentation von Massen und Zivilgesellschaft“ lauschten. Dieses Interesse und die Beteiligung von einer halben Million Menschen während der Feiern zur Niederschlagung des Putsches am 13. April deuten darauf hin, dass der Reformprozess in Venezuela trotz eines fast kompletten Medien-Boykotts noch nicht an sein Ende gelangt ist.


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