Literatur | Nummer 315/316 - Sept./Okt. 2000

Mein Name ist Luz

Ein Roman über die entführten Kinder der argentinischen Diktatur

Jürgen Vogt

Luz, ich hieß immer Luz. Und mein Name gefällt mir. Nicht alles war schlecht, mein Name zum Beispiel. Luz, Licht. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Licht in dieses Dunkel zu bringen, mir Klarheit zu verschaffen, zu suchen, ohne zu bedenken, welches Risiko für meine Gefühle ich damit einging.“
Mit dem Roman Mein Name ist Luz bringt die Schriftstellerin Elsa Osorio Licht in eines der finstersten Kapitel der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Über 400 Kinder „verschwanden“ in dieser Zeit. Schwangere Mütter wurden entführt, Kinder wurden in Gefangenschaft geboren, andere wurden als Baby zusammen mit ihren Eltern verschleppt. Später wurden sie illegal adoptiert oder angeeignet, meistens von Angehörigen der Streitkräfte oder der Polizei. Ein Verbrechen, das auch heute noch in Argentinien unter Strafe steht, denn Kindesentführung ist vom Schlusspunktgesetz und vom Gesetz über den Befehlsnotstand ausgenommen (vgl. LN 295).
„Die Handlung des Romans ist erdacht, aber sie verläuft ganz nah an der Realität. Die realen Fälle bilden die Grundlage der Geschichte.“ Sagt Elsa Osorio in einem Interview. Der Roman ist nicht autobiografisch. Elsa Osorio selbst wurde 1952 in Buenos Aires geboren und lebt seit 1994 in Madrid. Mit ihrem literarischen Schaffen hat sie bereits den argentinischen „Premio Nacional de Literatura“ erhalten. Mein Name ist Luz ist ihr sechster Roman: „Mich interessierte die menschliche Geschichte, in der Schrecken und Liebe zusammenleben. Ich glaube, dass ich einen politischen Roman geschrieben habe, weil ich in ihm deutlich sage, was ich denke.“
Dass sie mit dem Thema auf der Höhe der Zeit ist, zeigen die bereits gegen argentinische Militärs eingeleiteten Verfahren wegen Kindesentführung und die Prozesse in Spanien gegen argentinische Militärs, die auch im Roman wiederholt erwähnt werden.
Im Mittelpunkt steht Luz. Unruhe und Alpträume treiben sie um. Als sie selbst ein Kind zur Welt bringt, überfällt sie eine große Traurigkeit, die sie an ihre eigene Geburt erinnert: „Und diese Erinnerung hatte tatsächlich etwas mit meiner Mutter zu tun, mit dem Tag, an dem man mich meiner Mutter entriss. Meiner wirklichen Mutter, nicht der, die ich dafür hielt.“ Von nun an gibt es für Luz kein Halten mehr auf der Suche nach ihrer wahren Geschichte.
Und jetzt, mit 22 Jahren, trifft Luz 1998 in einem Café in Madrid zum ersten Mal ihren leiblichen Vater. Noch weiß der Mann nicht, wer da vor ihm sitzt, aber die Ahnung wächst und wird zur Gewissheit. Luz ist das Kind, mit dem vor 22 Jahren seine schwangere Lebensgefährtin fortging, als sie von den Militärs in Argentinien verhaftet wurde. Sie ist die Tochter einer politisch Verfolgten, einer „Verschwundenen“. Er konnte sich damals nach Spanien retten.
Der Dialog zwischen ihr und ihm bildet den Anfang, den Rahmen und die Gegenwart des Romans. In Rückblenden erzählt Luz ihre Geschichte. Indem die beteiligten Personen nicht nur als Kategorie Täter oder Opfer dargestellt werden sondern mit all ihren Stärken und Schwächen, Grausamkeiten und Gefühlen, wird deutlich wie die ganze ungeheuerliche Geschichte überhaupt funktionieren konnte. Das letztlich die Fassade aus Lügen und Schweigen von Luz eingerissen wird, ist wie die Geschichte selbst der Realität entlehnt, und daher kein frommer Wunsch der Autorin. Der Weg dahin ist mitunter so spannungsgeladen wie ein Kriminalroman. Wie sich die Autorin überhaupt mehrere Genres zu Nutze macht: Mal Krimi, mal Liebesgeschichte, mal szenenhafte Auftritte wie in einem Theaterstück und als Klammer der Dialog mit dem Vater, der die hoffnungsvolle Gewissheit vermittelt, dass sie es schaffen wird, ihre wirkliche Identität zu finden.

Elsa Osorio: Mein Name ist Luz. Insel Verlag, Frankfurt a.M. 2000, 432 S., 49,80 DM (Neuauflage 2007 bei Suhrkamp, broschiert, ca. 10 Euro)

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