Film | Nummer 285 - März 1998

„Midnight in Cuba“ – die Nacht des Grauens

Plakative Oberflächlichkeit und aufdringliche Intimität? Ein zweiter US-Film zu Kuba auf der Berlinale

Kathleen Newill

Wer nach „Cuba 15“ auf eine weitere lebendige Dokumentation über Jugendliche auf Kuba hoffte, wird enttäuscht. Der Dokumentarfilm des US-Amerikanischen Regisseurs Dimitri Falk pikiert bereits am Anfang: Amerikanische Revue-girls heben im US-TV die Nylonbeine, Auftakt für einen kurzen Geschichtsrückblick. Man fragt sich, warum ein Film über Kuba mit Nordamerika beginnen muß. Szenenwechsel, Kuba: Der Kommentator erklärt, was die KubanerInnen für ein fröhliches Völkchen sind, dann der O-Ton einer älteren Frau: „Sehen Sie meine Hände?! Ich habe einen Truckfahrer geheiratet. Vor Fidel lebten wir wie die Hunde, er hat uns da rausgeholt!“ Aha, vielleicht ein Aufhänger, um auf etwaige Widersprüche zu den Ansichten der Jugendlichen zu kommen. Aber nein, die Dame schließt banal: „Ich glaube an die Jugend, die Jugend lügt nie,“ und weiter geht es mit einem jungen Boxer, der sich freikämpfen will – und nichts zu Fidel sagt.
Stattdessen führt uns der Filmemacher seine Protagonisten vor: Der Boxer Orsiel ist 17 Jahre alt, er trainiert bis zum Umfallen, da er ins olympische Team aufgenommen werden will. Wendy, eine 20jährige Tänzerin, hofft, in Spanien auftreten zu können, Yaricel, die 16jährige Prostituierte, floh vor ihrem Stiefvater. Und dann gibt es noch Equis – Rockstar.
Jede/r erzählt ein wenig von seinem Leben auf Kuba, bleibt für die Zuschauer jedoch ein Fremder, der Film stellt keine Nähe zu den vier Jugendlichen her. Trotz aller verzweifelten Intimität bleibt es jedoch bei einseitigen Klischees. Es scheint, als ob die Gefragten den Film nur als Sprachrohr benutzten, um endlich all das zu sagen, was immer schon mal raus sollte. Einen tieferen Einblick in ihr Wesen wird einem jedoch verwehrt.

Welche Drogen nehmen sie?

Erklärte der Film am Anfang, die KubanerInnen seien lebendig, leidenschaftlich und froh, so belegen die Interviews das Gegenteil: alle sind frustriert, verzweifelt, da es in Kuba an allem mangelt: Essen, Redefreiheit, der Möglichkeit, künstlerisch erfolgreich zu sein. Diese Diskrepanz zwischen der Anfangsthese und der weiteren Entwicklung des Films erklärt der Regisseur mit gesellschaftlichen Prozessen während der Dreharbeiten. Innerhalb dieser Zeit hätten sich die Bedingungen auf Kuba so gewandelt, daß die Leute bei Beendigung der Dreharbeiten nicht mehr so froh gewesen wären. Ja, hätte er dann nicht den Anfang des Films ändern müssen?!
Hoffnungsschimmer in all dem Trübsal ist die Musik. Aber nicht die Musik, die der Film verwendet, sondern die Rolle der Musik auf Kuba. „Es gibt Leute, die haben nichts zu essen, kaufen aber eine CD. Das ist eine sehr musikalische Kultur hier auf Kuba“, erklärt Equis. Doch welche Musik die kubanische Jugend tatsächlich hört (gibt es eine Technoszene?), was sich hinter dem traditionellen Tanz vor der Schule verbirgt, welche Drogen die Jugendlichen nehmen (Equis=X=Synonym für Extasy), woran sie Spaß haben, was sie beschäftigt, das kommt nicht zur Sprache.
Einen engagierten Dokumentarfilm über die kubanische Jugend wollte Falk wohl drehen, denn „die US-Amerikaner wissen NICHTS von Kuba.“. Daß dieses Erstlingswerk des Autors vornehmlich heimlich gedreht wurde und der erste unzensierte Film über Kuba ist, tröstet nicht darüber hinweg, daß Falk aneinanderreiht, anstatt zu dokumentieren. Einziger roter Faden scheint der Zufall. „Alles hier ist Politik. Doch wir sind fähig, uns darüber zu erheben, das ist es, was die Leute an Kuba nicht verstehen“, gibt Equis zu bedenken. Auch Falk scheint das nicht zu verstehen. Krampfhaft versucht er, direkte politische Fragen zu vermeiden, kommentiert dann aber doch, wo er es besser lassen sollte, und kommentiert nicht, wo es angebracht wäre.

US-Amerikanische Betulichkeit

Mit dem unangenehmen Blick des wohlmeinenden, allwissenden Touristen will Falk uns die elende Welt der KubanerInnen erklären. Der laute Kommentarton des Filmenden übertönt dabei die Aussagen der Befragten. Genauso ungeschickt und plump ist die Kameraführung: Aufdringlich verweilt sie in den Momenten größter Intimität auf den Gefilmten. Wendy, wenn sie weint, wird immer näher ins Bild gerückt, vor Scham möchte man am liebsten die Augen schließen. Yaricel, wenn sie sich nackt mit Körperlotion einschmiert, vielleicht ganz nett anzusehen, aber man fragt sich doch, was soll das jetzt. Statt einfühlsam die Gefühlswelten der Menschen zu veranschaulichen, beharrt Falk auf einem voyeuristischen, aufdringlichen Blick. Im Berlinale-Gespräch nach dem Grund seines Mangels an Diskretion befragt, mußte Falk erst einmal überlegen, bis ihm dann aufging: „Es ist einfach passiert, sie wollten es so.“ Später jedoch, in einem anderen Gespräch, routinierter geworden, ließ er verlauten: „Ich wollte es so.“
Yaricel kehrt irgendwann zu ihrer Mutter zurück. Sie will ihr gestehen, daß sie Prostituierte ist und nicht, wie sie vorgab, Zigarrenverkäuferin. Zu diesem intimen Mutter-Tochter Gespräch werden die Geschwister aus dem Zimmer geschickt, „Ich will mit Mama alleine sein“ – doch wer bleibt? Natürlich das Filmteam. Hat Falk gar keine Hemmungen? Auch drängt sich die Vermutung auf, daß Yaricel sich selbst inszeniert und den Film benutzt, um der Welt zu sagen, wieviele Opfer sie wegen der miserablen Lage auf Kuba für ihre Familie bringt. Ganz am Schluß jedoch tanzt sie ausgelassen auf der Straße, hat wohl doch auch Spaß am Leben und ihrem Körper. Diskrepanzen wie diese wirft Falk nur zufällig auf, sie sind nicht konzipiert, einfach passiert, zeigen dem Zuschauer nicht die Vielschichtigkeit der Charaktere, sondern lassen ihn im Unklaren über seine Absichten.
Genauso unklar bleibt die Verwendung der verschiedenen Filmformate. Es scheint fast so, als wollte Falk nur „in“ sein und mitschwimmen auf der Welle des Experimentierens mit vielen Formaten. Doch was bei anderen neu und aussagekräftig war, verkommt bei ihm zum schieren Modeeffekt.

Mode zählt mehr als Konzept

Wenn Yaricel nachts auf der Suche nach Freiern durch die Straßen geht, liegt eine unwirkliche, verfremdete Stimmung in den Bildern, schemenhaft, verwackelt sehen wir sie. Melodramatisch und effekthascherisch wird ihre Lebenswelt dargestellt, ohne glaubhaft zu zeigen, daß sie diese wirklich als so bedrohlich empfindet. Und ist die Welt, mit der sie ihr Geld verdient – und von der sie ausschließlich berichtet – so wenig real, so unfaßbar? Wohl nur für den Filmemacher. Ist das, was Yaricel verspürt, in dieser „Mitternacht in Kuba“, das grundlegende Lebensgefühl der KubanerInnen – oder warum hat der Film diesen Titel?
Ewigkeiten lang wird das Ende eingeleitet, vor dem Boxer, der nun schon zum fünften Mal dasselbe erzählt, ist einfach kein Entkommen. Man erfährt, daß Yaricel verschwunden ist, und „es gibt Gerüchte, daß sie im Gefängnis sei.“ Daß dies etwas mit dem Film zu tun haben könnte, scheint dem Filmemacher erst aufzugehen, als er danach gefragt wird. Ja, sie hätten sich schon ein wenig umgehört, ob jemand etwas von ihr gehört hätte, doch sie haben nichts herausbekommen. Na, dann eben nicht, auch egal, so klingt es fast.
Endlich, am Schluß, sehen wir dann in rührenden Lettern als Nachsatz geschrieben: „Equis und seine Freunde träumen noch immer auf Kuba“ – und spielen derweil Nirvana, weil sie ja die US-Kultur so toll finden.

Epilog

Eine Kubanerin meldet sich zu Wort und dankt dem Filmemacher für diesen schönen Film, er zeige so wahr das Leben auf Kuba. Den englischen Kommentar hat sie nicht verstanden, aber der Rest hat ihr gefallen. Falk ist ganz gerührt, erleichtert bedankt er sich für das große Kompliment, nachdem er sich schon so viel verteidigen mußte.
Und jetzt? Jetzt bin ich noch genervter als vorher und sehne mich nach „Cuba 15“ zurück.

„Midnight in Cuba“. Regie: Dimitri Falk. USA 1998, 90 Minuten

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