Nummer 194/195 - Juli/August 1990 | Peru

Professionalität statt Politisierung

Alberto Fujimori vor Antritt der Präsidentschaft

Das Unglaubliche ist geschehen: Statt des seit Monaten als sicherer Sieger gehan­delten Mario Vargas Llosa ist Alberto Fujimori mit großer Mehrheit zum Präsi­denten Perus gewählt worden. Während das Rechtsbündnis Vargas Llosas sich nach der Niederlage in Auflösung befindet, herrscht allgemeines Rätselraten über die zukünftige Politik Fujimoris. Bis heute liegt kein Regierungsprogramm vor, und die Stück für Stück bekannt werdenden Elemente seiner Politik zeigen Kon­zeptlosigkeit gegenüber den sozialen Problemen Perus und klare Orientierung am IWF auf der Suche nach Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit des Landes. Professionelles Management statt ideologischer Grabenkämpfe verspricht Fuji­mori – wie er damit die Probleme des Landes wirklich lösen will, sagt er noch nicht.

Ulrich Goedeking

Die Präsidentschaft Perus ist gegenwärtig wohl eines der denkbar undankbarsten politischen Ämter überhaupt. Alberto Fujimori übernimmt von seinem Vorgän­ger Alan García ein Land, das sich in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Ge­schichte befindet. Allein im Mai lag die Inflation bei 32,8%. Die jährliche Inflati­onsrate erreicht 3000%. Nachdem García zu Anfang seiner Regierungszeit auf Konfrontationskurs zu IWF und Weltbank gegangen war, ist die Kreditwürdig­keit des Landes auf den Nullpunkt gesunken. Währungsreserven sind fast nicht mehr vorhanden. Neben einer Strategie gegen die Wirtschaftskrise muß der neue Präsident außerdem eine Politik zum Umgang mit Sendero Luminoso entwic­keln.

Gegen die Arroganz der weißen Oberschicht

Erste Wahlanalysen zeigen, daß Fujimori seinen Sieg zu einem großen Teil der Radikalität seines Gegenkandidaten zu verdanken hat. Mario Vargas Llosa hatte in seinem Wahlkampf Schockmaßnahmen angekündigt. Die Wirtschaftskrise sollte mit einem Programm à la Collor beigelegt werden, und gegen Sendero stand der totale Krieg im Programm des Schriftstellers. Gegenüber dem super-neoliberalen Vargas Llosa konnte Fujimori sich als Kandidat der Mitte profilie­ren, der den Menschen einen Ausweg mit geringeren Opfern versprach. Die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen wurde nie von ihm bestritten, aber Fujimoris Diskurs war moderater: nicht alle Staatsbetriebe sollten privatisiert werden. Die Reallöhne sollten nicht weiter sinken. Ein “mittlerer Weg” der Anpassung an die ökonomischen Notwendigkeiten sei mög­lich. Darüberhinaus zeigt das Wahlergebnis aber auch die wachsende Polarisie­rung in der peruanischen Bevölkerung. Vargas Llosa war der Kandidat der städ­tischen weißen Oberschicht, für den die Welt der Mestizen und der indianischen Bevölkerung Perus völlig fremd ist. Die Wahl wurde so auch zu einer Protest­wahl der Nicht-Weißen und damit vor allem der sozial Benachteiligten gegen die Arroganz der hauptstädtischen Oberschicht. Auch wenn Fujimori als Sohn von japanischen Einwanderern und Professor an einer Landwirt­schafts­uni­ver­si­tät in Lima nicht viel mehr mit ihnen gemeinsam hat, blieb doch die Tatsache des Nicht-Weißseins, die ihn für sehr viele Menschen zum kleineren Übel machte. Nicht zufällig hat Vargas Llosa die Wahl vor allem auf dem Land verloren, nur in den Städten und vor allem in Lima konnte er rela­tiv besser abschneiden.

Wo bleibt Fujimoris Programm?

Durch sein Programm hat Fujimori kaum die Wahl gewinnen können, denn die­ses zeichnet sich durch Nebulosität aus. Schwerpunkt seiner Wirtschaftspolitik, soweit sie bisher bekannt ist, bildet die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit Perus. Das Land soll wieder Teil des internationalen Finanzsystems werden. Das heißt nichts anderes, als daß eine Übereinkunft mit den Washingtoner Weltwirt­schaftswächtern in IWF und Weltbank gefunden werden muß, um ein Finanzie­rungsmodell für die peruanischen Auslandsschulden in Höhe von rund 20 Mrd. US-$ zu finden. Darauf aufbauend braucht Fujimori den guten Willen potentiel­ler Geldgeber für neue Kredite. Für die geplante “Unterstützergruppe” sind – welche Überraschung – die USA, Japan und die EG als Mitglieder vorgesehen. Noch vor der für den 28. Juli vorgesehenen Übergabe der Präsidentschaft von García, versuchte Fujimori in den vergangenen Wochen bei einer Reise in die USA und nach Japan, die Perspektiven für eine Wiederaufnahme von Kredit­zahlungen an Peru auszuloten. Der Plan zur Stabilisierung der peruanischen Wirtschaft, den er den IWF und Weltbank-Managern vorstellte, sieht u.a. eine 300%ige Erhöhung der Staatseinkünfte aus Steuern, Gebühren für öffentliche Leistungen und Zolleinnahmen vor. Außerdem soll eine neue Währung einge­führt werden mit einem einheitlichen Umtauschkurs. Etwa 250 Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Die zur Sicherung grundlegender öffentlicher Lei­stungen nötigen Staatsbetriebe sollen von der Privatisierung ausgenommen wer­den, allerdings sollen die Preise dieser Leistungen solange steigen, bis die Be­triebe rentabel arbeiten. Fujimori will damit einen ersten Überbrückungskredit erreichen, um die akkumulierten Zahlungsrückstände bei multilateralen Geldge­bern zu begleichen, die etwa bei 1,5 Mrd. US-$ liegen. Er braucht das IWF/Weltbank-Gütesiegel, ohne das er die wichtigsten Industrieländer nicht zum Engagement in einer wie auch immer gearteten Unterstützungsgruppe wird bewegen können. Bisher halten sich die anvisierten Geldgeber allerdings bedeckt. Nachdem in Peru viel über die besonderen Beziehungen Fujimoris zu Japan spe­kuliert worden war, wurde dort eilig klargestellt, daß ein japanischstämmiger peruanischer Präsident noch keinen Anlaß für ein verstärktes finanzielles Enga­gement Japans darstelle.
Es wird vorläufig Fujimoris Geheimnis bleiben, wie er die Bedingungen der Washingtoner Institutionen mit dem Anspruch vereinbaren will, die Schulden­zahlungen an der realen Zahlungsfähigkeit Perus zu orientieren und keine rezes­sive Tendenz zuzulassen, die seinen Plan zur Schaffung beständigen Wirt­schaftswachstums beeinträchtigen könnte. So jedenfalls beschreibt sein Berater Santiago Roca, der als kommender Wirtschaftsminister gehandelt wird, die Leit­linien der zukünftigen Politik. Die Vermutung liegt nahe, daß das “bolivianische Modell” beim Design der wirtschaftspolitischen Strategie Pate steht. In einer ähnlichen durch Hyperinflation und drohendem Zusammenbruch der Wirtschaft gekennzeichneten Situation hatte seit 1985 die Regierung Paz Estenssoro durch ein radikales Liberalisierungsprogramm eine relative Stabilisierung der bolivia­nischen Wirtschaft erreicht. In Bolivien war dies allerdings mit erheblichen so­zialen Kosten verbunden. Massenentlassungen und die Stabilisierung der Preise auf einem hohen Niveau waren die für die BolivianerInnen schmerzhaft spürba­ren Folgen. Fujimori ist mit dem Versprechen angetreten, gerade diese sozialen Folgen in Grenzen zu halten, die von seinem Gegenspieler Vargas Llosa als un­vermeidlich vorausgesetzt worden waren. Wird ein Mittelweg unter den Kondi­tionen von IWF und Weltbank möglich sein?

Der Präsident ohne Mehrheit

Ein weiteres Problem für Fujimori wird sein, sich die notwendigen Mehrheiten für seine Politik im Parlament zu beschaffen. Seine “Partei” Cambio 90, eigentlich mehr ein eigens für seine Kandidatur gegründeter Wahlverein, ist hinter der FREDEMO Vargas Llosas und der bisherigen Regierungspartei APRA nur die drittstärkste politische Kraft. Er wird Koalitionspartner suchen müssen.
Nach seinem Wahlerfolg proklamierte er eine “Regierung der nationalen Einheit”, eine aus anderen lateinamerikanischen Ländern nicht unbekannte Forderung von gerade gewählten Präsidenten, denen die notwendige parlamentarische Mehrheit fehlt. Fujimori wird möglicherweise vom Zerfall der FREDEMO profitieren. Das “Movimiento Libertad” Vargas Llosas hat das Bündnis bereits aufgekündigt und will als “Liberale Partei” zur selbstständigen politischen Kraft in enger Allianz mit den Unternehmerverbänden werden. Diese ihrerseits verhalten sich abwar­tend. Unternehmerpräsident Jorge Camet: “Wir müssen erst einmal Fujimoris Regierungsprogramm kennenlernen”. Von den bis jetzt in der FREDEMO organi­sierten traditionellen, konservativen Parteien macht die AP (Alianza Popular) Fujimori bereits Avancen. Auch die APRA, die den Sieg Fujimoris als “Niederlage der Rechten und Ablehnung monetaristischer Wirtschaftsstrategien” feierte, würde gerne einen Teil ihrer Macht über ein Bündnis mit Cambio 90 be­halten. Hier aber bewegt sich Fujimori auf Glatteis, denn im Wahlkampf war ei­ner der beherrschenden Vorwürfe gegen ihn, versteckter Aprist zu sein. Ange­sichts der Diskreditierung der APRA in der öffentlichen Meinung nach dem Scheitern ihres Präsidenten García könnte er ein Zusammengehen mit der ge­scheiterten Ex-Regierungspartei nur schwer rechtfertigen.
Sogar der Führer der Guerillabewegung MRTA, Victor Polay, bot Fujimori aus dem Gefängnis einen Waffenstillstand an, um, verknüpft mit Bedingungen, einer anderen Politik eine Chance zu geben. Auf die Reaktion Fujimoris darf man ge­spannt sein, denn Polay ist vor kurzem zusammen mit mindestens 40 Militanten des MRTA aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Lima ausgebrochen und kann wieder aus dem Untergrund politisch aktiv werden, wenn er nicht wieder aufge­griffen wird.
Wie immer ein zukünftiges parlamentarisches Bündnis aussehen mag, die soziale Basis der Macht Fujimoris besteht in den WählerInnen, die ein Ende des rapiden Verfalls der Reallöhne und eine allgemeine Stabilisierung erwarten. Diese Er­wartungen nicht zu enttäuschen, wird ihm schwerfallen.

Der Krieg wird ausgeblendet

Für die Auseinandersetzung mit Sendero Luminoso scheint Fujimori bislang nicht die Spur eines Konzeptes zu haben. Es ist nicht ersichtlich, daß er der unge­bremsten und doch in der Bekämpfung Senderos weitgehend erfolglosen Repres­sion durch das Militär ein anderes Konzept entgegenzusetzen hat, das den Ursa­chen für die Existenz und Stärke Senderos Rechnung tragen würde. Seine bishe­rigen Äußerungen lassen nicht darauf schließen. Befragt nach seiner Haltung zu den Streitkräften und nach der Gefahr eines Putsches antwortete er, die Vorstel­lung eines Putsches sei ein psychologischer Trick seiner Gegner im Wahlkampf gewesen, und: “Unsere Streitkräfte haben genügend Reife erlangt und sind die besten Verteidiger unserer Verfassung!” Bei Fortsetzung der vom Militär prakti­zierten Form der “Verteidigung der Verfassung” werden die Gründe für die Exi­stenz Sendero Luminosos und für die in bestimmten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Sympathien für Sendero nicht an Stichhaltigkeit verlieren.

Nur minimale Chancen auf Erfolg

Der Erfolg der Regierung Fujimori wird von Faktoren abhängen, die weitgehend außerhalb seiner politischen Entscheidungsmöglichkeiten liegen. Fujimori kann nur auf ein Einsehen der potentiellen Kreditgeber in die mehr als schwierige ökonomische Lage Perus hoffen, aber IWF, Weltbank und die führenden Indu­strieländer haben keinen Grund, Peru Sonderkonditionen einzuräumen, die über die in so vielen Ländern der Peripherie angewandten Strukturanpassungsmaß­nahmen mit allen sozialen Folgekosten hinausgehen. Die Hoffnung der Peruane­rInnen auf eine bessere wirtschaftliche Situation werden enttäuscht werden müs­sen, denn ohne ein Abwälzen der Kosten solcher Programme auf den Lebens­standard der Bevölkerung ist unter den gegebenen internationalen Rahmenbe­dingungen Stabilisierung nicht zu haben. Es ist eine offene Frage, in welcher Form sich der Protest der Bevölkerung äußern wird, ob es zu einem Anwachsen der Unterstützung für die verschiedenen Guerillas kommen wird, ob Gewerk­schaften und soziale Bewegungen zu einer neuen Stärke finden können, oder ob, wie in Bolivien, mangels politischer Alternative eine relative politische Stabilität erreicht werden kann. Da ein Ende des Krieges zwischen Militär und Guerillas nicht abzusehen ist, scheint Letzteres unwahrscheinlich. Eher zu erwarten ist vielmehr eine verschärfte Polarisierung, die das Militär tatsächlich zum Putsch bewegen könnte, sobald das Scheitern Fujmoris offensichtlich wird. Eine “Regierung der nationalen Einheit”, selbst wenn Fujimori ihre Formierung aus verschiedenen politischen Kräften gelingen sollte, wird eine Einheit nur auf Re­gierungsebene darstellen. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien verlaufen anders, sie haben im Parteienspektrum schon lang keine adäquate Entsprechung mehr. Technokratisches Wirtschaftsmanagement à la Fujimori ohne Angehen der Pro­bleme extremer Ungleichheit und rassisch bedingter Unterdrückung wird in Peru nicht den Ausweg aus der Krise weisen können.

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