Professionalität statt Politisierung
Alberto Fujimori vor Antritt der Präsidentschaft
Die Präsidentschaft Perus ist gegenwärtig wohl eines der denkbar undankbarsten politischen Ämter überhaupt. Alberto Fujimori übernimmt von seinem Vorgänger Alan García ein Land, das sich in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte befindet. Allein im Mai lag die Inflation bei 32,8%. Die jährliche Inflationsrate erreicht 3000%. Nachdem García zu Anfang seiner Regierungszeit auf Konfrontationskurs zu IWF und Weltbank gegangen war, ist die Kreditwürdigkeit des Landes auf den Nullpunkt gesunken. Währungsreserven sind fast nicht mehr vorhanden. Neben einer Strategie gegen die Wirtschaftskrise muß der neue Präsident außerdem eine Politik zum Umgang mit Sendero Luminoso entwickeln.
Gegen die Arroganz der weißen Oberschicht
Erste Wahlanalysen zeigen, daß Fujimori seinen Sieg zu einem großen Teil der Radikalität seines Gegenkandidaten zu verdanken hat. Mario Vargas Llosa hatte in seinem Wahlkampf Schockmaßnahmen angekündigt. Die Wirtschaftskrise sollte mit einem Programm à la Collor beigelegt werden, und gegen Sendero stand der totale Krieg im Programm des Schriftstellers. Gegenüber dem super-neoliberalen Vargas Llosa konnte Fujimori sich als Kandidat der Mitte profilieren, der den Menschen einen Ausweg mit geringeren Opfern versprach. Die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen wurde nie von ihm bestritten, aber Fujimoris Diskurs war moderater: nicht alle Staatsbetriebe sollten privatisiert werden. Die Reallöhne sollten nicht weiter sinken. Ein “mittlerer Weg” der Anpassung an die ökonomischen Notwendigkeiten sei möglich. Darüberhinaus zeigt das Wahlergebnis aber auch die wachsende Polarisierung in der peruanischen Bevölkerung. Vargas Llosa war der Kandidat der städtischen weißen Oberschicht, für den die Welt der Mestizen und der indianischen Bevölkerung Perus völlig fremd ist. Die Wahl wurde so auch zu einer Protestwahl der Nicht-Weißen und damit vor allem der sozial Benachteiligten gegen die Arroganz der hauptstädtischen Oberschicht. Auch wenn Fujimori als Sohn von japanischen Einwanderern und Professor an einer Landwirtschaftsuniversität in Lima nicht viel mehr mit ihnen gemeinsam hat, blieb doch die Tatsache des Nicht-Weißseins, die ihn für sehr viele Menschen zum kleineren Übel machte. Nicht zufällig hat Vargas Llosa die Wahl vor allem auf dem Land verloren, nur in den Städten und vor allem in Lima konnte er relativ besser abschneiden.
Wo bleibt Fujimoris Programm?
Durch sein Programm hat Fujimori kaum die Wahl gewinnen können, denn dieses zeichnet sich durch Nebulosität aus. Schwerpunkt seiner Wirtschaftspolitik, soweit sie bisher bekannt ist, bildet die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit Perus. Das Land soll wieder Teil des internationalen Finanzsystems werden. Das heißt nichts anderes, als daß eine Übereinkunft mit den Washingtoner Weltwirtschaftswächtern in IWF und Weltbank gefunden werden muß, um ein Finanzierungsmodell für die peruanischen Auslandsschulden in Höhe von rund 20 Mrd. US-$ zu finden. Darauf aufbauend braucht Fujimori den guten Willen potentieller Geldgeber für neue Kredite. Für die geplante “Unterstützergruppe” sind – welche Überraschung – die USA, Japan und die EG als Mitglieder vorgesehen. Noch vor der für den 28. Juli vorgesehenen Übergabe der Präsidentschaft von García, versuchte Fujimori in den vergangenen Wochen bei einer Reise in die USA und nach Japan, die Perspektiven für eine Wiederaufnahme von Kreditzahlungen an Peru auszuloten. Der Plan zur Stabilisierung der peruanischen Wirtschaft, den er den IWF und Weltbank-Managern vorstellte, sieht u.a. eine 300%ige Erhöhung der Staatseinkünfte aus Steuern, Gebühren für öffentliche Leistungen und Zolleinnahmen vor. Außerdem soll eine neue Währung eingeführt werden mit einem einheitlichen Umtauschkurs. Etwa 250 Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Die zur Sicherung grundlegender öffentlicher Leistungen nötigen Staatsbetriebe sollen von der Privatisierung ausgenommen werden, allerdings sollen die Preise dieser Leistungen solange steigen, bis die Betriebe rentabel arbeiten. Fujimori will damit einen ersten Überbrückungskredit erreichen, um die akkumulierten Zahlungsrückstände bei multilateralen Geldgebern zu begleichen, die etwa bei 1,5 Mrd. US-$ liegen. Er braucht das IWF/Weltbank-Gütesiegel, ohne das er die wichtigsten Industrieländer nicht zum Engagement in einer wie auch immer gearteten Unterstützungsgruppe wird bewegen können. Bisher halten sich die anvisierten Geldgeber allerdings bedeckt. Nachdem in Peru viel über die besonderen Beziehungen Fujimoris zu Japan spekuliert worden war, wurde dort eilig klargestellt, daß ein japanischstämmiger peruanischer Präsident noch keinen Anlaß für ein verstärktes finanzielles Engagement Japans darstelle.
Es wird vorläufig Fujimoris Geheimnis bleiben, wie er die Bedingungen der Washingtoner Institutionen mit dem Anspruch vereinbaren will, die Schuldenzahlungen an der realen Zahlungsfähigkeit Perus zu orientieren und keine rezessive Tendenz zuzulassen, die seinen Plan zur Schaffung beständigen Wirtschaftswachstums beeinträchtigen könnte. So jedenfalls beschreibt sein Berater Santiago Roca, der als kommender Wirtschaftsminister gehandelt wird, die Leitlinien der zukünftigen Politik. Die Vermutung liegt nahe, daß das “bolivianische Modell” beim Design der wirtschaftspolitischen Strategie Pate steht. In einer ähnlichen durch Hyperinflation und drohendem Zusammenbruch der Wirtschaft gekennzeichneten Situation hatte seit 1985 die Regierung Paz Estenssoro durch ein radikales Liberalisierungsprogramm eine relative Stabilisierung der bolivianischen Wirtschaft erreicht. In Bolivien war dies allerdings mit erheblichen sozialen Kosten verbunden. Massenentlassungen und die Stabilisierung der Preise auf einem hohen Niveau waren die für die BolivianerInnen schmerzhaft spürbaren Folgen. Fujimori ist mit dem Versprechen angetreten, gerade diese sozialen Folgen in Grenzen zu halten, die von seinem Gegenspieler Vargas Llosa als unvermeidlich vorausgesetzt worden waren. Wird ein Mittelweg unter den Konditionen von IWF und Weltbank möglich sein?
Der Präsident ohne Mehrheit
Ein weiteres Problem für Fujimori wird sein, sich die notwendigen Mehrheiten für seine Politik im Parlament zu beschaffen. Seine “Partei” Cambio 90, eigentlich mehr ein eigens für seine Kandidatur gegründeter Wahlverein, ist hinter der FREDEMO Vargas Llosas und der bisherigen Regierungspartei APRA nur die drittstärkste politische Kraft. Er wird Koalitionspartner suchen müssen.
Nach seinem Wahlerfolg proklamierte er eine “Regierung der nationalen Einheit”, eine aus anderen lateinamerikanischen Ländern nicht unbekannte Forderung von gerade gewählten Präsidenten, denen die notwendige parlamentarische Mehrheit fehlt. Fujimori wird möglicherweise vom Zerfall der FREDEMO profitieren. Das “Movimiento Libertad” Vargas Llosas hat das Bündnis bereits aufgekündigt und will als “Liberale Partei” zur selbstständigen politischen Kraft in enger Allianz mit den Unternehmerverbänden werden. Diese ihrerseits verhalten sich abwartend. Unternehmerpräsident Jorge Camet: “Wir müssen erst einmal Fujimoris Regierungsprogramm kennenlernen”. Von den bis jetzt in der FREDEMO organisierten traditionellen, konservativen Parteien macht die AP (Alianza Popular) Fujimori bereits Avancen. Auch die APRA, die den Sieg Fujimoris als “Niederlage der Rechten und Ablehnung monetaristischer Wirtschaftsstrategien” feierte, würde gerne einen Teil ihrer Macht über ein Bündnis mit Cambio 90 behalten. Hier aber bewegt sich Fujimori auf Glatteis, denn im Wahlkampf war einer der beherrschenden Vorwürfe gegen ihn, versteckter Aprist zu sein. Angesichts der Diskreditierung der APRA in der öffentlichen Meinung nach dem Scheitern ihres Präsidenten García könnte er ein Zusammengehen mit der gescheiterten Ex-Regierungspartei nur schwer rechtfertigen.
Sogar der Führer der Guerillabewegung MRTA, Victor Polay, bot Fujimori aus dem Gefängnis einen Waffenstillstand an, um, verknüpft mit Bedingungen, einer anderen Politik eine Chance zu geben. Auf die Reaktion Fujimoris darf man gespannt sein, denn Polay ist vor kurzem zusammen mit mindestens 40 Militanten des MRTA aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Lima ausgebrochen und kann wieder aus dem Untergrund politisch aktiv werden, wenn er nicht wieder aufgegriffen wird.
Wie immer ein zukünftiges parlamentarisches Bündnis aussehen mag, die soziale Basis der Macht Fujimoris besteht in den WählerInnen, die ein Ende des rapiden Verfalls der Reallöhne und eine allgemeine Stabilisierung erwarten. Diese Erwartungen nicht zu enttäuschen, wird ihm schwerfallen.
Der Krieg wird ausgeblendet
Für die Auseinandersetzung mit Sendero Luminoso scheint Fujimori bislang nicht die Spur eines Konzeptes zu haben. Es ist nicht ersichtlich, daß er der ungebremsten und doch in der Bekämpfung Senderos weitgehend erfolglosen Repression durch das Militär ein anderes Konzept entgegenzusetzen hat, das den Ursachen für die Existenz und Stärke Senderos Rechnung tragen würde. Seine bisherigen Äußerungen lassen nicht darauf schließen. Befragt nach seiner Haltung zu den Streitkräften und nach der Gefahr eines Putsches antwortete er, die Vorstellung eines Putsches sei ein psychologischer Trick seiner Gegner im Wahlkampf gewesen, und: “Unsere Streitkräfte haben genügend Reife erlangt und sind die besten Verteidiger unserer Verfassung!” Bei Fortsetzung der vom Militär praktizierten Form der “Verteidigung der Verfassung” werden die Gründe für die Existenz Sendero Luminosos und für die in bestimmten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Sympathien für Sendero nicht an Stichhaltigkeit verlieren.
Nur minimale Chancen auf Erfolg
Der Erfolg der Regierung Fujimori wird von Faktoren abhängen, die weitgehend außerhalb seiner politischen Entscheidungsmöglichkeiten liegen. Fujimori kann nur auf ein Einsehen der potentiellen Kreditgeber in die mehr als schwierige ökonomische Lage Perus hoffen, aber IWF, Weltbank und die führenden Industrieländer haben keinen Grund, Peru Sonderkonditionen einzuräumen, die über die in so vielen Ländern der Peripherie angewandten Strukturanpassungsmaßnahmen mit allen sozialen Folgekosten hinausgehen. Die Hoffnung der PeruanerInnen auf eine bessere wirtschaftliche Situation werden enttäuscht werden müssen, denn ohne ein Abwälzen der Kosten solcher Programme auf den Lebensstandard der Bevölkerung ist unter den gegebenen internationalen Rahmenbedingungen Stabilisierung nicht zu haben. Es ist eine offene Frage, in welcher Form sich der Protest der Bevölkerung äußern wird, ob es zu einem Anwachsen der Unterstützung für die verschiedenen Guerillas kommen wird, ob Gewerkschaften und soziale Bewegungen zu einer neuen Stärke finden können, oder ob, wie in Bolivien, mangels politischer Alternative eine relative politische Stabilität erreicht werden kann. Da ein Ende des Krieges zwischen Militär und Guerillas nicht abzusehen ist, scheint Letzteres unwahrscheinlich. Eher zu erwarten ist vielmehr eine verschärfte Polarisierung, die das Militär tatsächlich zum Putsch bewegen könnte, sobald das Scheitern Fujmoris offensichtlich wird. Eine “Regierung der nationalen Einheit”, selbst wenn Fujimori ihre Formierung aus verschiedenen politischen Kräften gelingen sollte, wird eine Einheit nur auf Regierungsebene darstellen. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien verlaufen anders, sie haben im Parteienspektrum schon lang keine adäquate Entsprechung mehr. Technokratisches Wirtschaftsmanagement à la Fujimori ohne Angehen der Probleme extremer Ungleichheit und rassisch bedingter Unterdrückung wird in Peru nicht den Ausweg aus der Krise weisen können.