Guatemala | Nummer 318 - Dezember 2000

Schnapsnasen in der Legislative

Die Unzufriedenheit mit der Regierung wächst. Der Ex-Diktator verbilligt in Eigenregie den Alkohol

Die Campesinos in Guatemala machen mobil. Im Oktober gingen 40.000 Menschen für die Lösung von Landkonflikten und die Vergabe von Krediten für den Kauf von Ländereien auf die Straßen. Zu oft macht Portillo Versprechungen, die er später nicht einhält. Er hat aber auch wegen der anhaltenden Straflosigkeit und der wachsenden Gewalt im Land an Rückhalt in der Bevölkerung eingebüßt. Genauso wie der starke Mann der FRG, Ex-Diktator Ríos Montt, der in Bedrängnis geraten ist, nachdem er als Parlamentspräsident mit anderen Abgeordneten ein Gesetz gefälscht hat. Nun droht ihm deswegen eine Anklage, die seine politische Karriere beenden könnte.

Ligia Lemus, LN

Der 10. Oktober war in Guatemala ein besonderer Tag. Rund 40.000 campesinos beteiligten sich an einem landesweiten Aktionstag, zogen durch Guatemala-Stadt und legten den Verkehr in weiten Teilen des Landes lahm. Die „Nationale Koordination der Bauernverbände“ (CNOC) hatte zu dem Protesttag aufgerufen, bei dem 22 wichtige Straßen und Verkehrsknotenpunkte im ganzen Land für sechs Stunden blockiert wurden.
Ihre Forderungen: Die Umsetzung der im Friedensabkommen vereinbarten Reformen im Agrarsektor, die Lösung von 390 bei der Schlichtungsstelle für Landfragen (CONTIERRA) anhängigen Landkonflikte und die Genehmigung von 620 Krediten für den Kauf von Ländereien durch den „Landfonds“ (FONTIERRA). Sowohl CONTIERRA als auch FONTIERRA wurden im Rahmen des Friedensabkommens gegründet, sind mit ihren Aufgaben jedoch restlos überfordert.
Die Regierung reagierte auf die Proteste und erklärte sich nach Verhandlungen mit einer Delegation des CNOC zur Gründung einer hochrangigen Kommission bereit, die sich der Probleme im Agrarsektor annehmen soll.
Für CNOC-Sprecher Daniel Pascual war der Protesttag trotz der Ermordung eines campesinos an einer Straßensperre ein erster Erfolg. Er machte aber auch klar: „Der Kampf um Mutter Erde hat gerade erst angefangen.“
Dass dieser Kampf noch lange dauern wird, zeigte sich bereits beim ersten Treffen der Kommission, der neben CNOC-Mitgliedern die Leiter von CONTIERRA und FONTIERRA, Vertreter der für die Umsetzung der Friedensabkommen zuständigen Regierungskommission sowie der Arbeits- und der Landwirtschaftsminister angehören sollen: „Respektlos und unzuverlässig“ nannte Daniel Pascual das Verhalten der Regierung, da lediglich der Arbeitsminister zu diesem Treffen erschien. Er kündigte weitere Proteste der Bauernbewegung an, falls es innerhalb von zwei Monaten zu keiner Lösung der bestehenden Konflikte komme.
Dazu gehören auch die annähernde Verdoppelung des Mindestlohnes für LandarbeiterInnen auf 50 Quetzales (umgerechnet rund 15 DM) und die Erstellung eines Landkatasters, das auch die traditionellen Landrechte der Indígena-Gemeinden berücksichtigt.
Die Ankündigung der Regierung, FONTIERRA 100 Millionen für den Kauf von Ländereien zur Verfügung zu stellen, beinhaltet weiteren Konflikstoff. So wird befürchtet, dass es sich um einem Deal zwischen Regierung und Militär handelt und die Gelder dazu verwendet werden sollen, um der finanziell angeschlagenen Banco del Ejército Ländereien abzukaufen. Pascual fordert, dass die Regierung die Ländereien dieser Bank im Besitz der Streitkräfte ohne Bezahlung übernimmt, da sich die Banco del Ejército während des Krieges ebenfalls Ländereien angeeignet habe, ohne für diese zu bezahlen.

Guatemala im guarogate

Doch die Regierung sieht sich nicht nur den wachsenden Protesten der Campesino-Bewegung gegenüber. Die Unzufriedenheit der guatemaltekischen Bevölkerung mit Präsident Alfonso Portillo nimmt stetig zu. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage sind fast 54 Prozent der Befragten mit seiner Amtsführung unzufrieden. Noch größer ist der Unmut über die Regierungspartei „Republikanische Front Guatemalas“ (FRG). Vor allem Parteigründer Efraín Ríos Montt, Anfang der 80er Jahre Militärdiktator und für eine Vielzahl schwerster Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, steht als Parlamentspräsident in der Kritik.
Was in den USA das Watergate war, könnte für Ríos Montt das guarogate (guaro = billiger Schnaps) werden. Gemeinsam mit weiteren 21 Abgeordneten der Regierungspartei hatte Ríos Montt Ende Juli vor der Veröffentlichung ein neues Gesetz gefälscht, das zuvor mit großer Mehrheit im Parlament verabschiedet worden war. Eigenmächtig setzte er den Steuersatz für Schnaps und Bier von 20 auf 10 Prozent herunter, ganz im Sinne einer Gruppe befreundeter Unternehmer. Die FRG-Abgeordneten hatten sowohl das Tonbandprotokoll der Parlamentssitzung als auch Videoaufnahmen gelöscht. Pech für sie, dass JournalistInnen der Tageszeitung Prensa Libre die Parlamentssitzung ihrerseits auf Band aufgenommen hatten. Die Veröffentlichung ließ nicht lange auf sich warten.
Was sich zunächst wie eine typische Geschichte fürs Sommerloch anließ, hat sich zum handfesten Skandal und zu einer schweren Bedrohung für die Regierung und Parlamentspräsident Ríos Montt entwickelt. Zwar konnten sie mit verschiedenen Tricks bislang eine Anklageerhebung verhindern. Das muss ihnen aber nicht auch weiterhin gelingen, denn mittlerweile hat sich eine regelrechte Volksbewegung gegen die Verantwortlichen des guarogates gebildet. Seit Monaten tritt sie mit öffentlichen Aktionen für die Bestrafung der 22 FRG-Abgeordneten ein. Aus Protest gegen die Verzögerung des Prozesses und die anhaltende Straflosigkeit für die Politiker haben mehrere Organisationen unterdessen ein öffentliches Tribunal angekündigt, um eine symbolische Verurteilung von Ríos Montt und Co. zu erreichen.

Anhaltende Straflosigkeit

Deutlich beunruhigender als die Fälschung von Getränkesteuergesetzen ist allerdings die wachsende politische Gewalt im Land. In den letzten Monaten wurden mehrere campesino-Aktivisten, GewerkschafterInnen und Mitglieder anderer sozialer Organisationen ermordet, in keinem einzigen Fall wurden die Täter bislang gefasst. Auch die Drohungen gegen JournalistInnen, Menschenrechtler und Zeugen in Gerichtsverfahren, in denen Militärs auf der Anklagebank sitzen, haben zugenommen. In einem Bericht hatte MINUGUA, die UN-Kommission für den Friedensprozess in Guatemala, die nach dem Friedensabkommen neu gegründete Zivile Nationalpolizei PNC für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und insbesondere für so genannte ‘soziale Säuberungen’ verantwortlich gemacht.
Auch die Ernennung von Byron Barrientos zum neuen Innenminister im vergangenen August wird die Menschenrechtslage keinesfalls verbessern. Der FRG-Abgeordnete hat eine lange Geheimdienstkarriere hinter sich und diente bereits unter Diktator Ríos Montt. Zudem war er an einem versuchten Staatsstreich gegen den 1986 gewählten christdemokratsichen Präsidenten Vinicio Cerezo beteiligt. Seit 1997 befehligte er die „Mobile Militärpolizei“ (PMA), die ebenfalls für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird. Barrientos’ Ernennung war ein Sieg für Ríos Montt im parteiinternen Machtkampf mit Präsident Portillo, der Ricardo Marroquín Rosada, ein früheres Mitglied der URNG-Guerilla, ins Amt befördern wollte. Kaum war er eingesetzt, erklärte Barrientos der Kriminalität den „Krieg“ und berief Militärs aus der Zeit der Diktatur in wichtige Ämter – Militärs, die bis heute nicht für ihre Menschenrechtsverletzungen belangt wurden.
Eine Straffreiheit, die nach wie vor auch die Mörder von Bischof Juan Gerardi genießen (siehe u.a. LN 288). Präsident Portillo hatte zu seinem Amtsantritt noch versprochen, diesen Mord schnellstens aufzuklären, doch die Verhandlung gegen drei angeklagte Militärs und zwei weitere Beschuldigte wird immer wieder verzögert. „Das Problem mit Präsident Alfonso Portillo ist, dass er ständig lügt“, sagt Mynor Melgar vom Erzbischöflichen Menschenrechtsbüro ODHA, das als Nebenkläger auftritt. Er ist sich sicher, dass wichtige Informationen über den Mord an Bischof Gerardi immer noch zurückgehalten werden. Auch mehr als 30 Monate nach dem Mord ist eine Verurteilung der Täter und ihrer Hintermänner nicht abzusehen. Mehrere Zeugen in diesem Mordfall haben zwischenzeitlich das Land verlassen, nachdem ihre Häuser überfallen oder sie telefonisch bedroht wurden.

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