Sieg der revolutionären Prinzipien
Durchmarsch des Ortega-Flügels auf dem zweiten Parteitag der FSLN
Die FSLN hat in den letzten vier Jahren nicht nur in der öffentlichen Meinung Federn lassen müssen. Meinungsumfragen sehen die Frente derzeit bei etwa 27 Prozent. Auch die eigenen Mitglieder sind ihr Scharenweise weggelaufen – nicht zum politischen Gegner, aber in die politische Apathie. Viele zeigten sich frustriert über Korruption und autoritäres Führungsdenken in den eigenen Reihen, andere über Konzeptionslosigkeit in der nationalen Politik. Und fast alle waren unzufrieden, daß die FSLN keinen klaren Weg fand, um ihrer neuen Rolle als Oppositionspartei gerecht zu werden. Vom zweiten Parteitag, der vom 20. bis 22. Mai in Managua stattfand, wurden Weichenstellungen erwartet.
Eine klare Konfrontation zwischen zwei unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Sandinistischen Befreiungsfront bestimmte den Parteitag. Auf der einen Seite stand der Ex-Vizepräsident Sergio Ramirez, der die Parlamentsfraktion der FSLN anführt. Er stand vor allem für eine innerparteiliche Demokratisierung der Frente, kritisierte den autoritären Führungsstil Daniel Ortegas und setzte sich für eine moderate Oppositionslinie ein, die für die nächsten Wahlen 1996 ein Bündnis mit den gemäßigten Teilen des Bürgertums ermöglichen soll, wie es durch den jetzigen starken Mann der Regierung Chamorro, Antonio Lacayo, symbolisiert wird.
Auf der anderen Seite stand Ex-Präsident Daniel Ortega, der seit der Wahlniederlage 1990 seine Rolle mehrmals gewechselt hat. Er steht den sandinistischen Gewerkschaften nahe, die in der Nationalen ArbeiterInnenfront (FNT) zusammengeschlossen sind und einen kämpferischen Kurs gegen die neoliberale Politik der Regierung eingeschlagen haben. War Ortega zunächst bei den ersten großen Streiks, als die Gewerkschaften die Hauptstadt mit Barrikaden lahmlegten, noch als geschickter Vermittler aufgetreten, dessen oberste Maxime die Stabilität des Landes zu sein schien, so hat sich seine Rhetorik mittlerweile radikalisiert. Er hat sich an die Spitze derjenigen gesetzt, die die alten Grundprinzipien sandinistischer Politik als Leitlinie des parteilichen Handelns umgesetzt sehen wollen. Und das heißt: Radikale Opposition nicht nur auf parlamentarischem Wege, aber auch: ein guter Schuß linker Dogmatismus.
Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteiflügeln hatten sich in den letzten Monaten zugespitzt. Da ging es zum Beispiel um Gesetzesentwürfe zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, die von der Parlamentsfraktion eingebracht worden waren. Motto: Wir können die Privatisierung nicht verhindern, also müssen wir sie steuern. Gewerkschaften und Parteilinke reagierten empört, es kam zu öffentlichen Schreiereien zwischen Daniel Ortega und Sergio Ramirez. Immer öfter, so ein Vorwurf, koppele sich die Parlamentsfraktion von der Partei ab, mißachte Beschlüsse der Sandinistischen Versammlung – des höchsten Gremiums zwischen den Parteitagen – und vertrete mithin nur noch sich selbst, nicht aber die Partei.
Showdown in Managua
Der Parteitag lud zum Showdown. Auf der Tagesordnung standen die Neuwahl der Leitungsgremien und die Neuverhandlung von Programm und Statuten. Die zwei Strömungen, mittlerweile auch mit Namen ausgestattet – “Demokratische Linke” für die Ortega-Fraktion und “Zurück zu den Mehrheiten” für Ramirez – hielten sich mit gegenseitiger Kritik schon im Vorfeld nicht mehr zurück. Hatte die FSLN immer versucht, ihre internen Konflikte so lautlos wie möglich auszutragen und nach außen hin als homogener, monolithischer Block aufzutreten, nutzten nun beide Strömungen die Medien, um sich kräftig zu beharken. Insbesondere das Ortega-hörige “Radio Ya” schimpfte tüchtig auf die bourgeoisen Vertreter der Ramirez-Linie.
Beide Fraktionen hatten Kandidatenlisten aufgestellt, die sich nur zum Teil überschnitten. Selbst für den Posten des Generalsekretärs ließ sich ein Gegenkandidat gegen Ortega finden. Der Alt-Comandante Henry Ruiz, Kampfname “Modesto”, fungierte als Kompromiß-Kandidat der “Strömungslosen”. Auf der Liste Ramirez’ standen auch der ehemalige Erziehungsminister Fernando Cardenal, die Abgeordnete Comandante Doris Tijerino, der – mittlerweile strikt marktwirtschaftlich orientierte – ehemalige Planungsminister Alejandro Martinez Cuenca, der Vorsitzende der sandinistischen Bauernvereinigung UNAG, Daniel Nuñez und der Vertreter der Landarbeitergewerkschaft ATC, Edgardo García. FSLN-Schatzmeister Bayardo Arce war auf dieser Liste nicht mehr vertreten, und Traditionsführer Victor Tirado tauchte gar zunächst auf beiden Listen nicht auf, ebensowenig wie Noch-Armeechef Humberto Ortega und Ex-Landwirtschaftsminister Jaime Wheelock, der zur Zeit in Harvard studiert.
Auf der Liste Ortegas fand sich unter anderem auch der Sohn des FSLN-Gründers Carlos Fonseca, Carlos Fonseca Terán.
Die neue Nationalleitung:
Daniel Ortega (Generalsekretär), Tomas Borge (Stellvertreter), Bayardo Arce, Monica Baltodano, René Nuñez, Victor Hugo Tinoco, Dora Maria Tellez, Dorotea Wilson, Henry Ruiz, Luis Carrión, Lumberto Campbell, René Vivas, Benigna Mendiola, Mirna Cunningham, Victor Tirado
Nachdem der Parteitag eine Frauenquote von 30 Prozent für alle Leitungsgremien der Partei beschlossen und die Nationalleitung von bislang zehn auf fünfzehn Mitglieder erweitert hatte, mußten fünf Frauen in die neue Nationalleitung gewählt werden. Zunächst gab es noch Streit, ob die Führung überhaupt weiter so heißen solle, denn, so meinten einige Delegierte, der alte Spruch “Nationalleitung befiehl!” sei doch vielen NicaraguanerInnen noch so unangenehm in Erinnerung, daß man jetzt besser von einem “Nationalrat”, “Parteirat” oder ähnlichem sprechen sollte. Der Vorschlag wurde mit Mehrheit abgelehnt.
Die Zusammensetzung der neuen Nationalleitung dokumentiert den Durchmarsch der Ortega-Fraktion. Nicht nur Sergio Ramirez selbst wurde nicht wieder in die Führung gewählt, auch der Großteil seiner KandidatInnen fiel durch. Lediglich die ehemalige Erziehungsministerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dora Maria Tellez schaffte als Ramirez-Kandidatin den Sprung in die Nationalleitung, obwohl sie klar für die Ramirez-Fraktion steht. Ex-Polizeichef René Vivas war Kandidat beider Seiten, ebenso wie Lumberto Campbell und die Comandante Monica Baltodano, die sich als Stadträtin in Managua durch einen stetigen Konflikt mit dem Rechtsaußen-Bürgermeister Arnoldo Aleman ausgezeichnet hat.
Zum ersten Mal gab es auf nationaler Ebene Kampfabstimmungen um Personen, zum ersten Mal sind Frauen in der Nationalleitung, zum ersten Mal auch sind SandinistInnen von der Atlantikküste in die Führung eingebunden. Für die Sandinistische Versammlung wurde neu festgelegt, daß die meisten ihrer Mitglieder nunmehr in den Regionen direkt gewählt werden, und nicht mehr vom Parteitag. Doch sowohl diese Führung als auch die Zusammensetzung der neuen Asamblea Sandinista lassen kaum erwarten, daß dem autoritären Führungsstil Daniel Ortegas Einhalt geboten würde. Immerhin hatte Ortega es vor dem Parteitag zu verhindern gewußt, daß die Delegierten neu gewählt würden. Sie repräsentieren das Meinungsspektrum von 1991, als sie in den Regionen bestimmt worden waren. Da dieser Parteitag ein außerordentlicher war, wurden sie nicht neu gewählt. Ergebnis: Starke Mehrheiten für Ortega und vor allem: JedeR fünfte gewählte Delegierte nahm gar nicht erst teil. So nimmt es nicht Wunder, daß Ramirez nach seiner Niederlage nur noch kommentierte, die Zusammensetzung des Parteitags sei nicht repräsentativ für die Basis, sondern im Gegenteil von Ortega selbst ausgewählt.
Und jetzt wohin?
Der Parteitag hat entschieden. Gesiegt hat das archaische Nicaragua, das den rechtsradikalen Bürgermeister Managuas auf der einen und die linksradikal auftretende FNT auf der anderen Seite kennt. Das entspricht der verzweifelten Situation vieler NicaraguanerInnen, die verarmt und von der Regierungsmauschelei enttäuscht radikalen Lösungen den Vorzug geben. Verloren hat mit Sergio Ramirez die aussöhnende, Bündnisse suchende Linie, die die politische Auseinandersetzung im polarisierten Nicaragua zu zivilisieren sucht. Aber wo, außerhalb der hauptstädtischen Mittel- und Oberschicht, gibt es diese Position eigentlich sonst als aktiven Part?
Die FSLN wird, sollte sich die mit diesen Parteiwahlen eingeschlagene Linie in radikalerem Auftreten durchsetzen, Schwierigkeiten haben, irgendeinen Bündnispartner für die 1996 anstehenden Wahlen zu finden. Alleine aber ist sie kaum mehrheitsfähig. Wenn Daniel Ortega nun, nachdem Sergio Ramirez auch als möglicher Spitzenkandidat gescheitert ist, wiederum die Präsidentschaft anstrebt, wenn sich in der Führung mit Ausnahme von Jaime Wheelock und Humberto Ortega alle alten Comandantes wiederfinden, die bei den nicht ohnehin sandinistischen Stammwählern doch ziemlich diskreditiert sind, dann präsentiert sich die Frente als Partei des alten, des schon einmal gescheiterten traditionellen sandinistischen Konzeptes. War im letzten Wahlkampf das Frente-Motto: “Todo será mejor” (Alles wird besser!) so könnte es jetzt lauten “Todo era mejor!” (Alles war besser!). Das löst Ängste aus bei vielen, die sich noch an Hyperinflation und Krieg, an Allmacht und Willkür mancher lokaler sandinistischer CDS-Vorsitzender, an Schwarzmarkt und leere Regale in Supermärkten erinnern können. Rückwärtsgewandt ist ein Wahlkampf kaum zu gewinnen, es sei denn für die Somozisten. Die Erinnerung an das somozistische Regime hat sich bei vielen längst verklärt, die sozialen Errungenschaften der sandinistischen Revolution sind ohnehin schon Geschichte, und immerhin waren die letzten Jahre Somozas trotz Bürgerkrieg Jahre wirtschaftlicher Blüte.
Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Daniel Ortega, der zu Kampfzeiten als Führer der “Terceristas” die Frente zum Bündnis mit dem fortschrittlichen Bürgertum drängte, steht jetzt für den Bruch. Ausgerechnet Ortega, der damals den Kontakt zum Schriftsteller Sergio Ramirez aufbaute und dem den Auftrag gab, die intellektuelle “Gruppe der Zwölf” auf sandinistischen Kurs zu bringen, sorgt jetzt für den Rauswurf Ramirez’ aus der Nationalleitung, in die der “Doktor” gerade erst auf dem ersten Parteitag gewählt worden war.
Obwohl die meisten Kommentare davon ausgehen, die Gefahr der Spaltung der FSLN sei zunächst wieder gebannt, erscheint es doch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß die Gruppe um Sergio Ramirez die Partei noch rechtzeitig vor Beginn des Wahlkampfes verlassen und etwas eigenes aufbauen könnte. Immerhin bleibt Ramirez Fraktionsführer, und es steht zu erwarten, daß sich die Kritik der Parteigremien, die Fraktion entferne sich von den Parteibeschlüssen und agiere autonom, in der neuen Konstellation noch verschärfen wird.
Das archaische Nicaragua
Das Szenario, das sich für die nächsten Wahlen abzeichnet, ist düster. Auf der Rechten scheint sich eine Kandidatur des somozistischen Arnoldo Aleman abzuzeichnen. Dessen “liberale” PLC, eine Art Nachfolgepartei der somozistischen PLN, konnte bei den Wahlen an der Atlantikküste im Februar größere Erfolge verzeichnen, die der Popularität des Hauptstadt-Bürgermeisters nur zugute kamen. Steht gegen ihn eine radikaler auftretende Frente, die vom dogmatischen Gewerkschaftsflügel getragen wird, dann sind das zwei sich ausschlißende Gesellschaftsentwürfe. Eine moderate Mitte, die den Weg von Polarisation und Bürgerkrieg zu verhindern sucht, wird aufgerieben. Nun schien diese technokratische – und überaus bürgerliche – Mitte beider Seiten, verkörpert durch Sergio Ramirez und Antonio Lacayo, ohnehin nicht so recht zur brutalen sozialen Realität des Landes zu passen. Insofern mag die Wahl des auf Volkstümlichkeit bedachten Daniel Ortega emotional befriedigen. Aber es gibt zu denken, daß praktisch die gesamte Führung der sandinistischen Bauernvereinigung UNAG auf dem Parteitag Ramirez unterstützte. Auf dem Land hat man Erfahrung mit Konfrontation.