Kolumbien | Nummer 296 - Februar 1999

Wenn Polizisten mit Bäumen reden

Interview über ein Ausbildungsprojekt mit kolumbianischen Polizisten

Kolumbien ist seit Jahrzehnten von den bürgerkriegsähnlichen Zuständen derart zerrüttet, daß Mord, Folter und Repression fast täglich in irgendeiner Form auftauchen. Ein Bewußtsein für Menschenrechte steckt somit historisch bedingt noch in den Kinderschuhen, besonders in staatlichen Institutionen wie der Polizei. Diese fungiert eher als zweite Armee gegen Guerilla und Drogenhandel und reagiert auf soziale Konflikte oft mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen. Seit vier Jahren gibt es Projekte, welche die Art und Weise der Polizeiarbeit zu beeinflussen versuchen. Der Politologe und Künstler Miguel Gallardo ist für die Ausbildung und das Verständnis von Menschenrechten bei den Polizisten tätig gewesen.

Tommy Ramm

Daß die kolumbianische Polizei ihrer Freund- und Helfer-Funktion nicht gerecht wird, ist allgemein bekannt. Man hört oft genug von Menschenrechtsverletzungen und Gesetzesüberschreitungen. Mit welchen Haltungen gehen die PolizistInnen in den Dienst?

Für sie existiert ein ganz klares Bild von guten und schlechten Menschen. Sie haben nie gelernt, daß Bettler, Homosexuelle oder politisch andersdenkende Personen die gleichen Rechte besitzen wie alle Menschen. Menschenrechte dienen ihrer Auffassung nach nur zum Schutz vor Verbrechern oder Guerilleros und wirken gegen die Polizei. Sie selber fühlen sich aber in ihrer Welt als Kämpfer gegen das Böse. Es ist für die PolizistInnen ein offenes Geheimnis, daß eine Rehabilitation von Verbrechern, wenn sie denn Erfolg hat, womöglich das zigtausendfache einer Pistolenkugel kostet. Nach diesem Schema wird gehandelt, und daher kommt es eben zu sozialen Säuberungen, Erschießungen oder Mißhandlungen.

Woher kommen denn diese Einstellungen?

Diese Anschauungen, das Unverständnis für Menschenrechte und für ihre Aufgabe als Poli-zistInnen resultieren nicht etwa daraus, daß sie schlechtere Menschen sind. Sie sind genauso wie alle anderen KolumbianerInnen, nur eben mit einer Aufgabe als Exekutivorgan in einer von extremer Gewalt geprägten Gesellschaft.
Einerseits hängt es mit der Herkunft der Poli-zistInnen zusammen. Die meisten von ihnen kommen aus den untersten Bevölkerungsschichten und bringen nur eine schlechte schulische Ausbildung und noch schlechtere Lebenserfahrungen mit. Bis 1991 war eine Schulausbildung überhaupt nicht notwendig.
Die Polizeischule kann diese Mängel andererseits auch nicht wettmachen.
Für die meisten ist außerdem die Polizei als einziger möglicher Geldverdienst und Stabilitätsfaktor entscheidend für ihre Berufswahl gewesen, nicht die Arbeit an sich. Als ich eine Frau gefragt habe, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hat, sagte sie, daß für sie nur drei Möglichkeiten in Frage gekommen sind: Armee, Polizei oder Guerilla.

Wie haben sie denn in Ihrem Kurs für Menschenrechte versucht, den Polizisten dieses Thema zu vermitteln?

Die Idee war, über praktische und spielbetonte Tätigkeiten mit den PolizistInnen zu arbeiten, um ihnen erstmal zu zeigen, was Menschsein bedeutet. Menschenrechte kann man nicht über die Theorie begreifen, sondern nur im Umgang mit anderen Personen. Deswegen habe ich mit den Poli-zistInnen mit Hilfe von Spielen, Kunst und Filmen in Gruppen gearbeitet.
Über Filme sollten sie beispielsweise ein Gefühl für Recht und Unrecht entwickeln, und sich ihrer Rolle darin bewußt werden. In dem Kinderfilm „Pocahontas“ ging es darum, sich mit den Unterschieden der Kulturen auseinanderzusetzen: Die der Indígenas als friedfertige und harmonische Form und die der Weißen als kriegerische Eroberer.
Eine anderes Mittel war die Arbeit mit Farben. Die PolizistInnen sollten damit ihren Beruf verdeutlichen und erkennen. Ein Ergebnis war, daß Stadtpolizisten viele Grautöne benutzten und diejenigen, die mit Kindern gearbeitet haben viele Grün- und Gelbtöne.
In Anknüpfung an den Film haben wir übrigens auch mit der Weltbetrachtung der Indígenas gearbeitet, damit die PolizistInnen versuchen konnten, sie zu verstehen oder wenigstens zu akzeptieren. Eine besondere Form war dabei, im Park mit einem Baum zu reden.

Ich kann mir vorstellen, daß diese Idee mit dem Baum nicht so gut ankam…

Ja, das stimmt. Es war schwierig für die Poli-zistInnen, sich zu überwinden. Anfangs fanden sie das ziemlich lächerlich, wie auch andere Arbeitsformen in dem Kurs. Aber es gab sehr interessante Fälle: Einer umarmte einen Baum eine ganze Stunde lang im Park. Als er später seine Eindrücke erzählen sollte, mußte er weinen. Er hatte seine Kindheit in Erinnerung gebracht und leidete darunter, daß seine Mutter vor kurzem gestorben war.
Oder als wir gemalt haben, sollte einer sein Bild, daß nur aus Schwarz mit roten Punkten bestand, interpretieren. Auch er hat geweint und wollte nicht darüber reden. Später erzählte er mir dann, daß er innerhalb der Polizei für „soziale Säuberungen“ mitverantwortlich ist, also Menschen erschießt.

Der Polizeidienst erfordert doch eigentlich, daß das Menschenrechtsbewußtsein eine wichtige Rolle spielt. Wie kann es erst soweit kommen, daß Extrakurse bei der Polizei aushelfen müssen. Was läuft in der normalen Ausbildung falsch?

Das Thema Menschenrechte wird nur kurz vom Ausbilder, der meistens ein Offizier ist, angesprochen und dann verschwindet es für den Rest des Unterrichts. Das, was die PolizistInnen zu lernen haben, ist Ja-Sagen, Kloputzen und die Handhabung von Waffen. Ihre Ausbildung ähnelt der in Militärkasernen. Das liegt ganz einfach daran, daß die Polizei in dem Konflikt mit der Guerilla und dem Drogenhandel genauso agieren muß wie die Armee und dadurch die eigentliche Funktion völlig verzerrt wird – ganz klar ein Widerspruch in der Aufgabe dieser Institution. Mit ihrer Grundlage sind die PolizistInnen kaum in der Lage, auf soziale Probleme human zu reagieren. Da diese Zustände schon lange so existieren, sieht die Bevölkerung die Polizei eher als weiteren Gewalt- und Gefahrenfaktor an, denn als Sicherheitsorgan.

Warum hat man dann erst vor vier Jahren mit den Projekten begonnen?

Ausschlaggebend war die neue Verfassung von 1991. Damals wurde festgelegt, daß die Aufgabenfelder der Polizei verändert und Menschenrechtsverletzungen sowie Gesetzesüberschreitungen bekämpft werden sollen. Also gab es seitens der Polizei eine Ausschreibung an verschiedene Institute.
Um diese Veränderungen umzusetzen, besteht das Ziel einiger Projekte darin, die Polizei mit der Gemeinde zur Zusammenarbeit zu bewegen und Formen eines kommunalen Sicherheitsnetzes zu entwickeln. Es soll erreicht werden, daß nicht nur die Polizei, sondern auch die Bevölkerung für die Sicherheit verantwortlich ist und daß die Arbeit der Polizei einen präventiven Charakter bekommt.
Die Vorgehensweise der Polizei ist bisher immer äußerst repressiv gewesen, wodurch sich nie ein Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung aufbauen konnte. Das soll sich mit dieser Zusammenarbeit ändern, da die PolizistInnen beginnen müssen, die Bevölkerung als Mitmenschen zu betrachten, egal welcher sozialen Gruppe sie angehören.

Was für einen Eindruck haben sie dabei von den PolizistInnen als Menschen gewonnen?

Mein erstes Problem war, daß ich die PolizistInnen anfangs als Menschen mißachtet habe. Ich wußte, daß sie für willkürliche Morde verantwortlich sind. Das habe ich sie im ersten Projekt spüren lassen, welches daraufhin ein Mißerfolg wurde. Da sie sich persönlich angegriffen fühlten, war eine intime Arbeit nicht mehr möglich.
Als die Arbeit später funktionierte und einige sehr emotional reagiert haben, ist mir klar geworden, daß viele Opfer ihrer eigenen Umstände sind. Sei es aus ihrer Vorgeschichte heraus oder durch den Zustand in der Polizei. Es geht manchmal soweit, daß sie von ihren Vorgesetzten physisch mißhandelt werden. Deswegen fehlt ihnen jeglicher Raum für Selbstbewußtsein, um nach eigenen Entscheidungen und Gefühlen handeln zu können, was ihnen in der Polizeihierarchie und unter den herrschenden Verhältnissen in diesem Land untersagt bleibt.
Ich will aber nicht den Eindruck erwecken, daß alle diesem Schema entsprechen. Es gibt auch PolizistInnen, die die Gefahr von Gesetzesüberschreitungen eingehen, um Gutes zu erreichen. Einer erzählte mir, wie er jemanden, der als Ver-gewaltiger bekannt war, hinter Gitter brachte, obwohl er nichts gegen ihn in der Hand hatte. Er nahm ihn auf offener Straße wegen Beamtenbeleidigung fest, die er selber provoziert hatte, so daß dieser erstmal 24 Stunden ins Gefängnis gehen mußte. Währenddessen sammelte der Polizist auf eigene Faust Aussagen und Beweise und beantragte einen Haftbefehl. Als der Vergewaltiger wieder vor das Polizeigebäude trat, erwartete ihn der Polizist an der nächsten Straßenecke und verhaftete ihn wiederum wegen Vergewaltigung.

Welche Wirkung hatten nun die Projekte bisher auf die Polizei, kann man von irgendeiner Änderung reden?

Auf die Institution der Polizei hatten die Projekte bisher keinerlei Auswirkung. Deshalb haben sich auch alle die Sinnfrage gestellt. Das Problem ist, daß die Polizei traditionell vertikal aufgebaut ist, und jegliche Veränderungen vom Willen der Vorgesetzten abhängen. Eine Reform kann aber wiederum nicht von außen erzwungen werden, dafür muß die Polizei selber bereit sein. Zudem haben zum Beispiel in Bogotá nur ungefähr 2.000 PolizistInnen an dem Projekt teilgenommen – von über 10.000. Immerhin gab es positiven Anklang bei der Polizeispitze, so daß die Projekte weitergeführt werden. Seit kurzem gibt es erstmals innerhalb der Polizei ein Projekt zur Zusammenarbeit mit Gemeinden, an dem immerhin schon 600 PolizistInnen teilnehmen.
In den Projekten der letzten vier Jahre ging es auch nicht darum, die Institutionen zu verändern, sondern die PolizistInnen zur Anerkennung von verschiedenartigen Menschen zu bewegen, ihr zwischenmenschliches Verhältnis zu ändern und daß sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können, aus ihrem eigenen Bewußtsein heraus. Einige PolizistInnen wechselten nach dem Projekt ihre Arbeit in der Polizei. Der, der vorher „soziale Säuberungen“ betrieben hat, arbeitet jetzt in der Gemeindepolizei im Barrio Aguablanca in Cali, einem der schwierigsten Viertel dieser Stadt. Ein anderer, der bei der Sonderpolizei tätig und als Schlägertyp bekannt war, arbeitet nun mit Kindern. Und es gibt PolizistInnen, die aus eigenem Interesse die Polizeistruktur kritisieren und sie verändern wollen. In dieser Hinsicht gibt es Erfolge – wenn auch nur kleine -, die für mich aber am wichtigsten sind.

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