Kuba | Nummer 453 - März 2012

Wettbewerb für die Revolution

Die Möglichkeiten für Selbständige in Kuba sind größer geworden. Betriebe wie der Computerreparaturservice von Raúl Mendoza profitieren davon

Kein Zweifel, das Stadtbild auf Kuba hat sich in den letzten anderthalb Jahren erheblich verändert. Die neuen Marktfreiheiten und die damit verbundene Ausweitung des Privatsektors machen es möglich, dass an fast jeder Ecke etwas verkauft wird: Kleidung, Getränke, Snacks, Pizza, komplette Gerichte oder selbst gebrannte DVDs. Aber auch weniger sichtbar und durchaus legal spielen sich neue wirtschaftliche Aktivitäten abseits des Staatssektors ab. Ein Beispiel aus der Stadt Santa Clara.

Ralf Ohm

Das imposante Panorama würde jede Postkarte schmücken. Ein strahlend blauer Himmel, die Dachlandschaft von Santa Clara im postkolonialen Stil und ganz im Osten der Hügel von Capiro. Von dort hatte Che Guevara mit seiner Rebellenarmee Ende 1958 den Truppen von Diktator Fulgencio Batista den entscheidenden Schlag versetzt, um die Stadt im geographischen Zentrum Kubas zu befreien.
„Ein Ausblick, der mich jedes Mal inspiriert“, sagt Raúl Mendoza. Genießen kann er ihn in seiner lichtdurchfluteten geräumigen Dachwohnung im Zentrum Santa Claras, wo der 47-Jährige mit seiner Familie lebt – und arbeitet. Das zur Werkstatt umfunktionierte Wohnzimmer ist sein Firmensitz. „Reparaciones Modelo“, wie er seinen ersten eigenen Betrieb genannt hat, widmet sich der Reparatur und Wartung von Computern und elektronischen Geräten. Um dorthin zu gelangen, müssen die Kund_innen den Umweg über die vier Stockwerke des benachbarten Hotels Modelo machen. Das gehörte einst seinem Großvater und wurde konfisziert, als Mendoza drei Monate alt war, wie der Enkel ohne Groll erzählt.
Mendoza war stets ein Anhänger der Revolution. Die gelte es weiterzuentwickeln, etwa durch die bisher noch recht vorsichtige wirtschaftliche Öffnung. Der verdanke er die Möglichkeit seiner Selbständigkeit: „Wettbewerb ist wichtig für das Land, nur so kann die Qualität der Dienstleistungen verbessert werden.“ Mendoza selbst hat noch recht wenig Konkurrenz, weil es außer der staatlichen Firma Copextel, für die er selbst sechs Jahre arbeitete, keinen weiteren Anbieter für derlei Dienstleistungen gibt. Bei hoher Nachfrage. Computer müssen in einem Land, wo neue Geräte zu fast unerschwinglichen Preisen zu kaufen sind, mindestens 15 Jahre halten. Aufgrund des Mangels an Ersatzteilen ist also ein gut durchdachtes Recycling angesagt.
Es war eine Marktlücke, in die Mendoza stoßen konnte. Das Patent bekam er fast problemlos. Hilfreich dabei waren die veränderten Rahmenbedingungen für Kleinunternehmer_innen, sein Titel („Ingeniéro en Control Automático“), seine Erfahrung und sein guter Ruf. Zunächst arbeitete er allein, im letzten Sommer kam dann ein ehemaliger Copextel-Kollege hinzu. Beide sind Computer-Spezialisten, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten, was eine gute Arbeitsteilung ermöglicht.
Mittlerweile zählen auch zwei Lehrlinge zur Belegschaft. Einer von beiden, Carlos Enrique Cao García, brach sein Elektronik-Studium ab. „Ich wollte einfach nur arbeiten“, begründet der 22-Jährige diesen Schritt, den das Auseinandernehmen, Wiederzusammensetzen und Reparieren von Lampen, Radios oder Fahrrädern schon immer fasziniert hat. Am Anfang habe der Tüftler dabei noch viel kaputt gemacht, doch sei er ganz schnell zum Reparaturexperten der Familie aufgestiegen. Sein ganzer Stolz ist ein aus gebrauchten Ersatzteilen zusammengebauter Verstärker, der über zwei auch selbst kreierte Boxen durchaus passabel klingt.
Trotz aller Eigeninitiative: Mendoza ist der Chef. Er sorgt für die Aufträge, schickt seine Leute zu Kund_innen schickt und legt die Preise fest. Seinen Auszubildenden zahlt er einen für kubanische Verhältnisse respektablen Lohn von 500 Peso im Monat – minus 80 Peso Sozialabgaben. Sein eigenes Einkommen schwankt zwischen 2.000 und 3.000 Peso (zwischen 65 und 97 Euro). Damit kann er seine siebenköpfige Familie besser als zu Copextel-Zeiten versorgen. Und er genießt es, sein „eigener Boss“ zu sein. Die Gehälter machen etwa die Hälfte des monatlichen Umsatzes von rund 10.000 Peso aus, wovon zehn Prozent nebst einer Fixsumme von 90 Peso als Steuer an den Staat gehen. „Das ist okay“, sagt Mendoza.
Für die Zukunft ist eine Geschäftsexpansion nicht ausgeschlossen. Bisher hat der Ingenieur nur zwei staatliche Kunden, will diesen Zweig aber unbedingt ausbauen. „Viele haben noch Angst, sich für uns zu entscheiden, auch wenn unsere Dienstleistungen preiswerter und besser sind“, erklärt er. Sobald wie möglich wolle er ein Lager und mittelfristig auch einen Raum für eine Werkstatt in der Stadt anmieten. Damit aus dem aktuellen Arbeits- wieder das ursprüngliche Wohnzimmer der Familie wird. Den traumhaften Ausblick könnte der Kleinunternehmer dann allerdings erst wieder nach Feierabend genießen.

Kasten:

Wirtschaftsreformen in Kuba
Hintergrund des Umbaus der kubanischen Wirtschaft ist die größte ökonomische Krise seit der Sonderperiode, die 1991 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe eingeführt wurde. Die Krise wurde durch einen massiven Rückgang der Wirtschaftsleistung seit 2008 ausgelöst, die Kuba an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gegenüber seinen internationalen Gläubigern brachte. Dies veranlasste die Regierung unter Präsident Raúl Castro zu Reformen.
Ihr Ziel: Ausweitung der selbständigen Arbeit als Alternative zur staatlichen Beschäftigung, das heißt Aufwertung der Privatinitiative vom notwendigen Übel (wie zuvor) zum Hebel für Produktivität und Effizienz. Es handelt sich dabei laut Raúl Castro trotz der Liberalisierung des Arbeitsmarktes und folgenreicher Strukturanpassungsmaßnahmen um keine „Privatisierung“, sondern um eine „ökonomische Dezentralisierung“, bei der sich der Staat in vielen „nicht-strategischen“ Bereichen vom Verwalter zum Regulierer wandelt. Die wichtigen Produktionsmittel bleiben staatlich, am Gesundheitssystem, Bildung und weiteren Errungenschaften wird nicht gerüttelt.
Nach der Freigabe von 180 Berufen für die Selbständigkeit (im Oktober 2010), bei 83 mit der Möglichkeit der Gewerbetreibenden, eine begrenzte Anzahl von Arbeitskräften einzustellen, ist die Zahl der Selbständigen bis heute von 144.000 auf mehr als 357.000 gestiegen. Viele davon aus dem Staatssektor, in dem von 2011 bis 2015 1,8 Millionen Stellen (bei insgesamt 5 Millionen Beschäftigten auf Kuba) abgebaut werden sollen. Bis 2015 soll der Privatsektor auf mehr als 35 Prozent der Beschäftigten sowie 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgeweitet werden. Mit weiteren, zuvor in der gesamten Bevölkerung diskutierten Maßnahmen wie Kreditprogramme für die Privaten sowie die Freigabe des Kaufs- und Verkaufs von Autos und Immobilien wurden auf dem VI. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas im April 2011 der wirtschaftliche Reformwille unterstrichen.

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