El Salvador | Nummer 331 - Januar 2002

„Wir Frauen konnten die Veränderungen nach dem Krieg am besten nutzen“

Interview mit Deysi Cheyne, Direktorin des Fraueninstituts IMU und Mitglied der Koordinationsgruppe der Feministischen Konzertation Prudencia Ayala

In den zehn Jahren seit Abschluss der Friedensverträge haben zentrale Themen der Frauenbewegung einen festen Platz in der öffentlichen Diskussion erlangt, die Akteurinnen scheinen jedoch momentan in den Hintergrund gedrängt. Im Gespräch mit Deysi Cheyne, früher FMLN-Mitglied und Verantwortliche des Frauensekretariats der Kommunistischen Partei, werden die verschiedenen Etappen der Geschichte der Frauenbewegung El Salvadors beleuchtet. Dabei spielt auf der einen Seite das Verhältnis zur FMLN eine Rolle: vom Kampf für Frauenbelange innerhalb der Guerilla bis zur Abnabelung von der FMLN zu Friedenszeiten. Auf der anderen Seite geht es um die Frage nach Einflussmöglichkeiten auf parlamentarische Politik, sei es durch Lobbyarbeit oder durch das Ziel, den Anteil von Frauen mit politischen Ämtern zu erhöhen.

Interview: Birte Weiß

Viele Organisationen der Frauenbewegung sind innerhalb der FMLN zu Kriegszeiten entstanden. Wo siehst Du den Ursprung der Frauenbewegung und wie hat sie sich zu Kriegszeiten entwickelt?

Für mich ist ein wichtiger Bezugspunkt die dritte internationale Frauenkonferenz 1985 in Kenia, an der viele Kämpferinnen und Comandantes der FMLN teilnahmen. Hier wurde über die Notwendigkeit diskutiert, spezifische Fraueninteressen in die stattfindenden Kämpfe einzubeziehen. In der Folge wurden Frauenorganisationen mit eigenen Büros gegründet. Denn bis dahin gab es innerhalb der FMLN vor allen Dingen Frauenorganisationen, die primär für Solidarität und Geld für den Krieg geworben haben oder Menschenrechtsorganisationen. Ab 1986 sind also verschiedene Organisationen entstanden, die eine frauenspezifischere Arbeit machten und mit internationalen Geldern Projekte durchführten. Es begann eine Zeit, in der die Frauen weiter aktiv an den Kämpfen für Frieden und soziale Gerechtigkeit teilgenommen haben, dabei aber einen anderen Schwerpunkt hatten. Mit dem Abschluss der Friedensverträge ging diese Phase zu Ende. Der Einfluss der Frauen in der FMLN war nicht sehr groß. Bei den Friedensverhandlungen gab es keinen Kampf um Fraueninteressen, es wurde lediglich ein sozial-ökonomisches Forum vereinbart, innerhalb dessen eine Arbeitsgruppe zur Situation der Frauen eingerichtet wurde. Aber das Forum existierte nur vier Monate und damit starb auch der Frauentisch.

Wie entwickelte sich die Frauenbewegung nach den Friedensverträgen weiter?

Im Jahr 1994 fanden die ersten Wahlen mit Beteiligung der Linken statt. Wir Frauen der Organisation „Mujeres 94“ haben in den zwei Jahre davor einen Forderungkatalog erarbeitet und diskutiert, der uns als Instrument für den Wahlkampf dienen sollte. Ziel war es, die Beteiligung von Frauen in politischen Ämtern zu erhöhen und spezifische Frauenthemen in der Agenda der politischen Parteien zu verankern.

Welches waren die wichtigsten Themen dieses Forderungskatalogs?

Es wurden sehr grundlegende Themen angesprochen: Armut, Arbeitslosigkeit, Gesundheitsversorgung, Bildung, Zugang zu Landbesitz, die ökologische Situation in Bezug auf ihre Auswirkungen auf das Leben von Frauen. Für jedes Thema haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht und Lösungsvorschläge präsentiert. Am 8. März 1994 hatten schließlich sowohl ARENA als auch die FMLN ein Minimalprotokoll unterzeichnet, das 14 Punkte beinhaltete und eine Art Zusammenfassung des Forderungskatalogs war. Mit der Unterschrift haben sich die beiden wichtigsten politischen Kräfte zur Umsetzung der Forderungen verpflichtet.

Ist die Strategie aufgegangen?

Nein. Zumindest hat der Forderungskatalog die ARENA-Regierung nicht interessiert, auch wenn sie die ganzen Dokumente unterschrieben hatten. „Mujeres 94“ hatte sehr darauf gesetzt, dass die FMLN gewinnt. Viele Frauen engagierten sich stark in der Kampagne „Mujeres 94“ und haben durch ihre Arbeit dazu beigetragen, dass einige Frauen Abgeordnete der FMLN oder Bürgermeisterinnen wurden. Wir dachten, dass es einfacher würde, unsere Interessen vertreten zu sehen, wenn mehr Frauen in wichtigen politischen Ämtern sind. Aber dann hatten diese Frauen keine Zeit mehr, sich mit uns zu treffen. Es gibt sogar Frauen aus der Bewegung selbst, die den Dialog abgebrochen haben. Verantwortung tragen dafür beide Seiten, sowohl die Politikerinnen, vereinahmt von den Regeln und Aufgaben des parlamentarischen Lebens, als auch wir in unseren Insitutionen. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass die Vereinbarungen durchgesetzt würden, und haben nicht mehr darauf gedrängt. Ich sehe darin eine Schwäche dieser Bewegung. Wir haben so viel Kraft in die Formulierung der Forderungen und in die Auseinandersetzung mit der Regierung gesteckt, aber als es schwierig wurde, haben wir uns kampflos zurückgezogen.

Ihr habt also an den Themen des Forderungskatalogs nicht mehr intensiv weitergearbeitet?

Doch. In den folgenden drei Jahren haben wir auf der Ebene von NRO vereinzelt Themen weiterverfolgt. Eine NRO hat sich dem Bildungssektor gewidmet, eine andere den Landfrauen, wieder andere dem Gewaltthema. Auch die Konzertationen orientierten sich thematisch.

Was hat diese Entwicklung ausgelöst?

Wir sind uns darüber klar geworden, dass der Forderungskatalog zu breit angelegt war. In ihm waren einfach alle strukturellen und zeitweiligen Probleme von uns Frauen berücksichtigt. Nun definierte jede Organisation ihr eigenes Arbeitsfeld.

Haben die folgenden Wahlen in der Arbeit noch eine Rolle gespielt?

Für die Parlaments- und Kommunalwahlen 1997 haben wir den Forderungskatalog einer Revision unterzogen und erneuert. Wir wollten uns während der gesamten Legislaturperiode stärker für die Umsetzung der Forderungen einsetzen. Ebenso wichtig für die Frauenbewegung war 1998 die Kampagne für Victoria Marina de Avilés als Präsidentschaftskandidatin der FMLN. Wir wollten sie als Kandidatin, und das nicht nur, weil sie eine Frau ist, sondern wegen ihres hohen Ansehens. Doch die FMLN stellte einen anderen Kandidaten auf. Frauen, die vorher als Wahlhelferinnen gearbeitet hatten, legten ihre Arbeit nieder und haben am Ende nicht einmal gewählt. Nach diesen Erfahrungen beschlossen wir 1999, nicht mehr so viel Kraft auf Vereinbarungen mit der FMLN zu verwenden, nur weil sie angeblich die politische Kraft sei, die unsere Interessen vertrete, sondern wieder unabhängiger zu arbeiten.

Bewertet ihr eure Erfahrungen mit der Einmischung in offizielle Politik als ernüchternd?

Nein. Es muss anerkannt werden, dass Staat und Regierung sich dem Thema der Diskriminierung von Frauen angenommen haben. Zum Beispiel wurde das staatliche Fraueninstitut ISDEMU gegründet, die Geschlechterthematik wurde in die Politik aufgenommen. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Verabschiedung des Gesetzes über innerfamiliäre Gewalt, sexuelle Belästigung wird nun als Straftat behandelt. Gesetze zu den Arbeitsrechten in den Freihandelszonen wurden reformiert. Bei der staatlichen Menschenrechtsstelle wurde eine Anwaltschaft für Frauen angesiedelt. Es gibt also viele Veränderungen. Vielleicht bedeutet das noch keinen drastischen Wandel der Lebensbedingungen der Frauen, aber der institutionelle Kontext hat sich sehr verändert. Um Veränderungen in der Regierungspolitik zu erreichen, musst du verhandeln können. Aber wir haben gemerkt, dass der erste Schritt darin besteht, untereinander zu diskutieren, uns an einen Tisch zu setzen, auch mit anderen sozialen Bewegungen. Wenn ich also Landzugang für Frauen fordern will, dann muss ich das gemeinsam mit den Bäuerinnen tun. Als NRO ist unsere Aufgabe nicht, die Leute auf dem Land zu vertreten, sondern Prozesse zu fördern, die die Frauen auf dem Land in die Lage versetzen, sich selbst zu vertreten.

Wie sieht die Situation auf dem Land denn aus? Siehst Du da Fortschritte?

Die Arbeit der städtischen NRO findet zu 80 Prozent mit Landfrauen statt. Deswegen finden wir als IMU es wichtig, Organisationsprozesse und Bewusstseinarbeit zu unterstützen, die zum Aufbau einer ländlichen Frauenbewegung beitragen. In den letzten Jahren haben die Landfrauen sehr viele Möglichkeiten und Fähigkeiten dazugewonnen. Das führte auch dazu, dass sich der Frauenanteil in politischen Ämtern enorm erhöht hat. Doch auch hier haben wir etwas versäumt: Wir haben diesen Frauen zwar die Möglichkeit verschafft, öffentliche Ämter zu übernehmen, aber wir haben die Frauen nicht in der Ausführung ihrer Ämter so begleitet und fortgebildet, dass sie feministische Politik machen können. Gerade nach den Erdbeben stecken die Frauen bis zum Hals in Aufgaben des Notstands und Wiederaufbaus und brauchen dringend Begleitung, Beratung und Fortbildung.

Auf der lateinamerikanischen Ebene gab es in der Frauenbewegung immer Auseinandersetzungen zwischen den institutionell organisierten Frauen und den Frauen, die in autonomen Strukturen arbeiten. Gibt es die auch in El Salvador?

Nein, weil es in El Salvador die autonomen Frauen in diesem Sinne nicht gibt. Es ist vielmehr so, dass wir Frauen als Angestellte von Frauenorganisationen nebenher in der Bewegung aktiv sind. Die Frauen aus den kommunalen Gruppen wiederum sind oft von NRO mit der Durchführung von Projekten beauftragt. Das ist also ein gemeinsamer Sektor von Frauen, die abhängig sind von der Verwirklichung von Projekten, die aus dem Ausland finanziert werden. Auch die Stärke der Bewegung hängt davon ab. Das ist eine sehr große Begrenzung – stell dir vor, du hängst von externen Leuten ab, um selbst etwas aufzubauen, da bist du aufgeschmissen. Und auf der anderen Seite sind wir ja auch davon abhängig, welche Entwicklungskonzepte den internationalen Organisationen gerade in den Sinn kommen.

Zudem habt Ihr mit wachsendem Einfluss durch konservative Frauenorgansationen zu kämpfen, oder?

Ja, die Situation verschlechterte sich mit der Enstehung rechter Frauenorganisationen, die sich öffentlich sämtlichen sexuellen und reproduktiven Rechten widersetzen, die wir mit sehr viel Vorsicht nach und nach in die öffentliche Diskussion eingebracht hatten. Nie haben wir uns als salvadorianische Frauenbewegung öffentlich für die Abtreibung eingesetzt, wir haben lediglich darauf bestanden, dass es die Möglichkeit der Abtreibung bei medizinischer Indikation gibt, aber das war nicht möglich. Wir haben verloren und diese Frauen haben eine Verfassungsreform und die Reform der Strafprozessordnung erreicht.

Kannst Du das Thema der sexuellen Freiheit und des Rechts, über den eigenen Körper zu bestimmen, nochmal in den Kontext der Geschichte der Frauenbewegung stellen. Waren diese Freiheiten Deiner Erfahrung nach in der Guerilla größer?

Für die Guerillaorganisationen war es sehr schwierig, wenn Frauen schwanger wurden. Deswegen schwebte über den moralischen Vorstellungen die Anforderung, die Kampfstärke zu erhalten. In diesem Sinne wurde sehr wohl dafür geworben, Schwangerschaften zu vermeiden und wenn es trotzdem dazu kam, auch abzutreiben. Aber das hatte nichts mit einem Umdenken, dass die Frau das Recht haben sollte, selber zu entscheiden, zu tun.

Wie hat sich die Realität für die ehemaligen Kämpferinnen nach dem Krieg weiterentwickelt?

Einige Jahre nach dem Krieg wurden anhand von Interviews Untersuchungen gemacht, die aufzeigen, dass die meisten Frauen wieder direkt in ihre alten Rollen zurückgekehrt sind. Als IMU arbeiten wir in einer Zone mit ehemaligen Kämpferinnen und stellen fest, dass es sehr schwierig ist, mit ihnen zu reproduktiver Gesundheit zu arbeiten. Sie wissen genau, dass sie nicht Mutter von sehr vielen Kindern sein wollen, sie wollen Verhütungsmittel nehmen, aber die Männer, ehemalige Guerilleros, verbieten es. Für uns ist die Situation heute also so, dass wir hinter den Männern herschleichen müssen und sie bitten, dass sie doch an unseren Veranstaltungen über Verhütungsmittel und Kondome teilnehmen mögen. Die Doppelmoral funktioniert auch in diesen Sektoren wieder vollständig. Ich glaube, dass es wenig wirkliche Bewusstseinsprozesse während des Krieges gab. Es war auch kein Anliegen, Frauen über ihre Rechte aufzuklären, damit sie ihre eigene Freiheit vergrößern und selber über ihren Körper entscheiden können.

Wie bewertest Du den Friedensprozess und die Zeit der Transformation aus der Perspektive von Frauen?

Die Friedensverträge haben zunächst einmal einen wichtigen politischen Spielraum eröffnet, vor allen Dingen durch die Möglichkeit freier Meinungsäußerung und die Organisationsfreiheit. Wir Frauen haben das von Anfang an verstanden und haben überall Kontakte geknüpft, um unsere Themen auf die politische Tagesordnung zu bringen. Ich glaube, dass die Frauenbewegung der Sektor ist, der die Veränderungen nach dem Krieg am besten nutzen konnte. Auf der anderen Seite sind wir uns bewusst, dass die Friedensverträge zwar den bewaffneten Kampf beendeten, nicht aber die Kriegsursachen lösten. Gegen Ende des Krieges haben wir begriffen, dass jeder Befreiungskampf, jede Demokratie sehr begrenzt ist, wenn es darin nicht auch um die spezifischen Interessen von Frauen und um Geschlechterverhältnisse geht. Das hat mich vor der Frustration über die Entwicklung der Partei bewahrt, weil ich die Perspektive hatte, mich als Aktivistin einer Bewegung zu sehen, die einen zweigleisigen Kampf geführt hat: gegen den Kapitalismus und gleichzeitig gegen das partriarchale System. Wir kämpfen gegen zwei Systeme, die eng miteinander verbunden waren und sich gegenseitig ergänzten. Wir haben neue Formen des politischen Kampfes entwickelt. Wir haben auch Fehler gemacht und mussten viel lernen. Wir wussten ja nicht, wie es ist, in einer Gesellschaft ohne Diktatur zu leben. Wie lässt sich eine Demokratie aufbauen, wenn die Bevölkerung keine demokratischen und partizipatorischen Werte kennt? Für diese Lernprozesse sind zehn Jahr eine kurze Zeit.

Kasten #1:
Die Feministische Konzertation Prudencia Ayala
Für die Unterstützung der ehemaligen Menschenrechtsbeautragten Victoria Marina de Avilés als Präsidentschaftskandidatin der FMLN wurde die Kampagne Prudencia Ayala gegründet. Seit 1999 besteht die gleichnamige Konzertation mit 14 Mitgliedsorganisation als Koordinationsinstanz der Frauenbewegung.

Kasten #2:
Seit 1999 herrscht in El Salvador die repressivst mögliche Abtreibungsgesetzgebung. Mit den Stimmen der FMLN wurde das bereits bestehende Abtreibungsverbot um das Verbot von Abtreibungen bei gesundheitlicher Gefährdung der Mutter sowie nach einer Vergewaltigung erweitert, und der Schutz ungeborenen Lebens vom Moment der Befruchtung an wurde dem ersten Artikel der Verfassung beigefügt. Für eine Veränderung der Verfassung sind mindestens zwei Legislaturperioden nötig.

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