El Salvador | Nummer 438 - Dezember 2010

„Wir wollen unser eigenes Modell entwickeln“

Interview mit El Salvadors Außenminister Hugo Martínez

Zwanzig Jahre regierte die ultrarechte ARENA-Partei El Salvador, seit Juni 2009 stellt die linke Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) die Regierung. Präsident ist der ehemalige Fernsehjournalist Mauricio Funes, Außenminister der 42-Jährige Hugo Martínez. Martínez ist Mitglied der FMLN und war ehemals Chef des linken Studentenverbands AGEUS. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über eine mögliche Putschgefahr, Außenpolitik und politischen Wandel.

Interview: Michael Krämer

Herr Martínez, sind Sie sicher, dass die salvadorianische Regierung die gesamte Amtszeit überstehen wird?
Ja, selbstverständlich. Warum denn nicht?

Vor einem guten Jahr wurde in Honduras Präsident Manuel Zelaya gestürzt, im Oktober musste sich Ecuadors Präsident Rafael Correa meuternder Polizisten erwehren. Kann so etwas nicht auch in El Salvador passieren?
Der Glaube, dass das Thema Staatsstreich in Zentralamerika nur noch etwas für die Historiker ist, war ein Irrtum. Wir sind jedoch von Beginn an einen Weg gegangen, der so eine Konfrontation verhindern soll. Schon am Tag seiner Vereidigung im Juni 2009 hat Präsident Mauricio Funes zur nationalen Einheit aufgerufen. Wir haben einen Wirtschafts- und Sozialrat gegründet, in dem Unternehmer, Arbeiter und Regierung gemeinsam Entwicklungspläne erarbeiten. Auch sonst versuchen wir, möglichst viele Sektoren in unsere Politik einzubinden. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass unsere Regierung bis zum Ende ihrer Amtszeit bestehen wird. Was allerdings nicht bedeutet, dass es nicht auch in El Salvador nostalgische Kräfte gibt, die sich nicht damit abfinden wollen, dass die Probleme in einer Demokratie nicht mit Gewalt zu lösen sind.
Wie stark sind diese Kräfte in den Streitkräften El Salvadors?
Die Streitkräfte gehören zu den Institutionen, die sich am besten in die Nachkriegszeit und die neuen Realitäten nach den Friedensabkommen von 1992 eingefügt haben. Sie nehmen die Rolle, die ihnen die Verfassung zuweist, sehr professionell wahr und sie tun es nach den Maßgaben der zivilen Regierung. Sie ordnen sich der Regierung unter, die aus einem demokratischen Wahlprozess hervorgegangen ist.

Welche Kräfte sind es dann, die sich nicht den neuen politischen Realitäten anpassen?
Einigen innerhalb von ARENA, der Partei, die 2009 nach 20 Jahren Regierungszeit abgewählt wurde, fällt es sehr schwer, sich daran zu gewöhnen, dass sie nun in der Opposition sind. Sie sehnen sich nach Zeiten zurück, die zum Glück der Vergangenheit angehören.

Ist das pure Nostalgie oder gibt es auch Aktionen, um die Regierung zu destabilisieren?
Ich will das nicht weiter vertiefen und nenne nur ein Beispiel, wie in diesen Kreisen gedacht wird: Der ARENA-Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador hat dem honduranischen Putschistenführer Roberto Micheletti eine Auszeichnung für seine „Verdienste um die Demokratie“ überreicht.

Viele Staaten Lateinamerikas haben mittlerweile linke Regierungen. Wo ordnet sich El Salvador in diese Tendenz ein?
Sie wissen, dass wir mit einem linken Wahlprogramm an die Regierung gelangt sind. Nun müssen wir aber für das ganze Land Lösungen finden, nicht nur für einzelne Sektoren.

Wer ist ihr wichtigster Verbündeter?
Der wichtigste Bezugsrahmen für uns ist der zentralamerikanische Staatenverbund SICA, wir setzen sehr darauf, die Integration Zentralamerikas zu stärken. Als einzelnes Land werden wir auf internationaler Ebene kaum beachtet, gemeinsam ist unsere Stimme jedoch zu vernehmen. Dies gilt nicht nur für politische Angelegenheiten, sondern auch für Handelsfragen. Als Region ist unsere Verhandlungsposition auf jeden Fall besser. Von Beginn haben wir auf geografische und nicht auf ideologische Blöcke gesetzt. Präsident Funes hat zudem zwei Referenzen genannt, an denen sich unsere Regierung orientieren soll: im Süden Brasiliens Präsident Lula und im Norden US-Präsident Obama.

In Ihrer Partei, der FMLN, wünschen sich viele intensivere Beziehungen zu Venezuela. Da gab es schon einige Diskussionen und Spannungen zwischen FMLN und Regierung.
In einer Demokratie ist es ganz normal, wenn zwischen den Interessen einer Partei und den Außenbeziehungen einer Regierung Unterschiede bestehen. In vielen Fällen kann es Übereinstimmung geben, aber das muss nicht immer so sein. Mein Eindruck ist, dass das Thema zwischen Partei und Regierung geklärt ist.

Bezieht sich dies auch auf Hugo Chávez’ „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, den viele in der FMLN als ideologischen Bezugspunkt nennen, zu dem Ihre Regierung jedoch Distanz hält?
In einer Demokratie ist es doch nichts Schlechtes, wenn diskutiert wird. Einen Skandal wollen daraus doch gerade diejenigen machen, die das Land früher regiert und immer geglaubt haben, dass die Interessen einer Regierung und einer Partei dieselben sind. Einige Vertreter der FMLN-Führung haben dagegen deutlich gemacht, dass unsere Regierung ein eigenes Modell entwickeln soll, das sich an den Besonderheiten unseres Landes orientiert. Wir sind bereit, uns alle Modelle anzusehen, es geht aber darum, das beste für unser Land zu entwickeln.

Im Wahlkampf hat die FMLN einen Wechsel versprochen. Worin besteht der bisher genau?
Wir haben schon einiges erreicht, auch wenn viele dies nicht wahrhaben wollen. Präsident Funes hat erklärt, dass es für viele vielleicht keine große Sache ist, wenn die Kinder heute ein Paket mit Schulmaterialien bekommen. Doch früher sind viele Kinder nicht zur Schule gegangen, weil ihre Familien kein Geld für Hefte, Schuluniform oder Schuhe hatten. Für diese Kinder und ihre Familien ist der Unterschied enorm. Es ist für viele auch nichts Besonderes, wenn sich Hausangestellte versichern können. Für diese ist es jedoch eine riesige Veränderung, wenn sie zum ersten Mal die Gelegenheit bekommen, in die staatliche Sozialversicherung aufgenommen zu werden. Ein weiteres Beispiel ist die Reform der Polizei: Wir haben bereits 260 Polizisten aus dem Dienst entfernt, weil sie Verbindungen zur Organisierten Kriminalität unterhielten. Wenn das kein Wandel ist – was dann?

Der Versuch, die Polizei zu reformieren und zu demokratisieren, ist in der Tat enorm wichtig. Es ist der Regierung jedoch noch nicht gelungen, die Sicherheit der Bevölkerung zu verbessern. Nach der Amtsübernahme ist die Zahl der Tötungsdelikte sogar noch weiter gestiegen. Was sind die Gründe dafür?
Die Zunahme der Gewalt war relativ, und seit einigen Monaten zeigt die Tendenz nach unten. Unabhängig davon gibt es jedoch interessierte Kreise, die es so darstellen wollten, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, die Regierung produziere Chaos.

Wer ist das?
Die Leute, die nicht akzeptieren wollen, dass es auch einmal zu einem Regierungswechsel kommen kann. Sie waren mit ihrer Kampagne jedoch nicht erfolgreich. El Salvador gilt heute als stabiles Land. Zudem erfahren wir viel Zustimmung und Lob, zum Beispiel von der Organisation Amerikanischer Staaten und Transparency International, für unsere Art der Regierungsführung, insbesondere die Transparenz unserer Arbeit.


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