Zwei schwarze Tage
Höhenflüge und Abstürze im peruanischen Wahlkampf
Der 13. März wird als rabenschwarzer Tag in die Geschichte der peruanischen Streitkräfte eingehen. Die Luftwaffe hatte zu einer Show geladen, um ihre Gefechtsbereitschaft unter Beweis zu stellen. Der Grund: Es waren Zweifel an der Funktionstüchtigkeit von 21 MIG-29-Jägern und 14 Sukhoi-25-Jagdbombern aufgekommen, die das Montesinos-Fujimori-Regime vor einigen Jahren zu einem deutlich überhöhten Preis in Weißrussland und der Ukraine gekauft hatte. Bei diesem Deal waren 30 Millionen US-Dollar an Provision in die Taschen des damaligen Geheimdienstchefs Montesinos und seiner Gefolgsleute geflossen.
Nachdem die so genannte Waisman-Kommission, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Fall Montesinos, und zahlreiche JournalistInnen ihre Beobachtungsplätze bezogen hatten, konnte die Show beginnen. Es stellte sich heraus: Ein MIG-Jäger war bereits vor zwei Jahren abgestürzt, und vier weitere Maschinen konnten auf Grund technischer Defekte nicht starten. Die verbliebenen 16 MIGs mussten in zwei Schichten zum Himmel aufsteigen, weil die Luftwaffe nur über acht ausgebildete Piloten verfügt. Doch es kam noch dicker: Einer der MIG-Jäger sackte vor den Augen der Zuschauer ab und zerschellte am Boden. Der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten.
Das Ansehen der Armee wurde an diesem Tag noch weiter ramponiert. Die Regierung beschloss, die Reste der 14 Mitglieder jenes MRTA-Kommandos zu exhumieren, das unter Führung von Nestor Cerpa 1996/97 in der Residenz des japanischen Botschafters vier Monate lang 72 Personen gefangen gehalten hatte. Es soll untersucht werden, ob die Armee beim Sturm auf das Gebäude MRTA-Kämpfer ermordete, nachdem diese sich bereits ergeben hatten. Der Hintergrund: In letzter Zeit hatten sich ehemalige Geiseln zu Wort gemeldet und offen von einer Hinrichtung gesprochen.
Lügner, Verbrecher, Opportunisten
In den Tagen zuvor war schon ein Teil der ehemaligen Führungsspitze der Armee hinter Schloss und Riegel gewandert – wegen Drogen- und Waffenschmuggels. Doch nicht nur das Ansehen der Streitkräfte ist schwer beschädigt. Die Staatsanwaltschaft und die Waisman-Kommission werden noch eine gute Weile damit beschäftigt sein, etwa 2.400 Videos aus dem Archiv des Geheimdiensts SIN zu sichten. Auf denen ist in Wort und Bild dokumentiert, dass sich im Peru der 90er Jahre durch alle staatlichen Institutionen und gesellschaftliche Sektoren ein Netz von Korruption und Betrug zog.
Ausgerechnet in einer solchen Situation ist die peruanische Bevölkerung am 8. April aufgerufen, ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten zu wählen. Die Wochenzeitschrift Caretas veröffentlichte kürzlich eine Meinungsumfrage, in der BürgerInnen die Politiker ihres Landes mit einem Wort charakterisieren sollten. Die Mehrheit, nämlich 17,4 Prozent, wählte den Begriff korrupt. An zweiter Stelle lag der Begriff Lügner, danach folgten die Bezeichnungen berechnend, Verbrecher, Wortbrecher, faul, Opportunisten, unverschämt, ehrgeizig, unprofessionell, Abfall, eigennützig, Angeber und unehrenhaft. Nur 1,2 Prozent nannten den Begriff fähig, der damit am Ende der Rangskala lag.
Toledo ruht nicht
Kein Wunder, dass dem Thema Korruption im Wahlkampf eine Schlüsselrolle zugeordnet wird. Das musste zuletzt der Präsidentschaftskandidat Alejandro Toledo einsehen, der im letzten Jahr vom Montesinos-Fujimori-Regime um den Wahlsieg betrogen wurde. Noch im Februar hatte er bedauert, dass der Wahlkampf bei der Bevölkerung auf weniger Interesse stieß als die Videos des Geheimdienstes. Sein damaliges Fazit: das Land müsse mehr in die Zukunft schauen. Das sahen seine AnhängerInnen offenbar anders, und so rutschte der Favorit der Präsidentschaftswahlen in den Umfragen kräftig ab. In den letzten Wochen besann sich Toledo eines Besseren und kündigte an, er werde als Präsident nicht eher ruhen, bis alle korrupten PolitikerInnen, JuristInnen, UnternehmerInnen und Generäle hinter Gitter säßen. Prompt kletterte er drei Wochen vor den Wahlen wieder deutlich an die Spitze der Umfragen.
Toledos ernsthafteste KonkurrentInnen, die Vorsitzende des konservativen Bündnisses Unidad Nacional, Lourdes Flores, und der Ex-Präsident Alan García, wirken in diesem Punkt weniger glaubhaft. Flores gilt zwar selbst als integer, doch auf ihrer Wahlliste kandidieren eine ganze Reihe ehemaliger ParteigängerInnen des abgelösten Präsidenten Fujimori. Und die Kandidatin, die offenbar auf die Stimmen der einstigen StammwählerInnen Fujimoris setzt, wird nicht müde zu betonen, dass sie mit der Vergangenheit endlich abschließen möchte. Bei Alan García liegt der Fall umgekehrt. Seine Partei, die sozialdemokratische APRA, stand stets in Opposition zum untergegangenen Regime und erwarb sich große Verdienste bei der Aufklärung von dessen Verbrechen. Doch García ist nicht glaubwürdig. Die Kette der Korruptionsskandale während seiner eigenen Amtszeit von 1985 bis 1990 ist ebenfalls lang. Als Fujimori die Präsidentschaft übernommen hatte, wurde García sogar angeklagt. Zum Strafprozess kam es allerdings nie. Denn zu Garcías ehemaligen Komplizen zählten nicht nur mächtige Unternehmer, sondern auch Mitarbeiter der Fujimori-Regierung, wie der spätere Minister Victor Joy Way. Und inzwischen gelten die Delikte der García-Regierung als verjährt.
Vierter Weg als Schlingerpfad
Das zweite große Thema im Wahlkampf ist die Arbeitslosigkeit. Die Kandidaten überbieten sich gegenseitig mit Rechenkunststücken. Haben sich die Wirtschaftsexperten eines Kandidaten eine Maßnahme ausgedacht, mit der sie in einem bestimmten Zeitraum eine gewisse Anzahl neuer Arbeitsplätze schaffen können, so entwickeln die Fachleute aus einem anderen Lager Pläne, bei deren Umsetzung in einer kürzeren Zeitspanne noch mehr Arbeitsplätze herausspringen. Die konkreten Vorschläge aus den Lagern Toledos und Flores sind widersprüchlich. Während Alejandro Toledo in den armen Vororten Limas oder in entlegenen Andenregionen neoliberale Wirtschaftskonzepte geißelt, wechselt er seinen Diskurs, wenn er vor Unternehmerforen spricht. Bei Lourdes Flores wird dieser Spagat an den Personen ihrer beiden Kandidaten für die Vizepräsidentschaft deutlich. Als ersten Vizepräsidenten hat sie den neoliberalen Wirtschaftsfachmann Drago Kisic bestellt. Dessen Stellvertreter, der ehemalige Gewerkschaftsführer Juan Luís Risco, ist allerdings ein Mann, der sich selbst als Kommunisten bezeichnet. Vermutlich wird Risco nach einem eventuellen Wahlsieg nicht mehr viel zu melden haben. Zumal dem Bündnis eine starke Fraktion des Opus Dei angehört.
Ganz anders tritt Alan García auf, der zu den begnadetsten Rednern Lateinamerikas zählt und mit seinen Wahlkundgebungen Tausende zu Beifallsstürmen hinreißt. Er scheint der einzige Kandidat zu sein, der weiß, was er will. García besteht auf dem traditionellen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, wie er einst von der Sozialistischen Internationalen propagiert wurde. Den Schlingerpfad seines Konkurrenten Toledo, der sich auf den Spuren Tony Blairs wähnt, nennt García den vierten Weg.
Supermanns Höhenflug
Alejandro Toledo verfügt nicht wie Alan García oder Lourdes Flores, die Mitglied der klerikal-konservativen PPC (Partido Popular Cristiano) ist, über eine Partei mit Programm und Apparat, sondern nur über ein Wahlbündnis mit dem nichts sagenden Namen Perú Posible – Mögliches Peru. Dafür konnte er prominente Politiker für seine Liste gewinnen, die sich im Kampf gegen die Diktatur einen Namen gemacht haben. Toledos wichtigste Stütze im Wahlkampf ist zweifellos seine in Belgien geborene Ehefrau Eliane Karp, eine charismatische, intelligente und kompetente Persönlichkeit mit langjährigen Erfahrungen in Entwicklungsprojekten und der Agrarpolitik. Sollte Toledo zum Präsidenten gewählt werden, könnte seine Frau ihn sogar in den Schatten stellen und sich zu einer peruanischen Evita Perón entwickeln.
Als Logo seines Wahlbündnisses hat sich Toledo ein Zahnrad ausgedacht, das – ganz nach dem Beispiel Supermanns – vom ersten Buchstaben seines Nachnamens durchdrungen wird. Ob sein derzeitiger Höhenflug allerdings mit dem der berühmten Comicfigur zu vergleichen ist, werden die letzten beiden Wochen vor den Wahlen zeigen. Toledos derzeit größtes Problem: Auch er erwischte einen schwarzen Tag, und zwar am 16. Oktober 1998. Damals war er zwischen acht Uhr morgens und neun Uhr abends unauffindbar gewesen. Seine Frau hatte die Polizei alarmiert und ein Jahr später die Version verbreitet, ihr Mann sei von Montesinos Geheimdienst entführt, unter Drogen gesetzt und mit Prostituierten gefilmt worden. Nun hat aber die Zeitschrift Caretas aufgedeckt, dass Toledo sich während der fraglichen Zeit zusammen mit drei bisher nicht identifizierten Frauen in verschiedenen Hotels Limas aufhielt. Diese Frauen sollen außerdem von Toledos Kreditkarte in einem großen Geschäftszentrum Gebrauch gemacht haben. Abends landete Toledo in einer Klinik. Eine Analyse ergab Kokainspuren im Urin und Reste eines starken Beruhigungsmittels im Blut des Patienten.
Toledos Version der Geschichte, er sei entführt worden, wird jetzt von seinen GegnerInnen angezweifelt. Zuvor war er wegen einer vermeintlichen unehelichen Tochter schon zu einem Gentest aufgefordert worden. Die Medien stehen dabei eher auf Seiten der Kandidatin Flores, die auch über den größten Werbeetat verfügt. Toledo muss aufpassen. Sonst endet sein Höhenflug so wie die Vorführung der MIG-Jäger.