// Bubatz hier, Kriminalisierung da

Pünktlich um Mitternacht zündeten sich am 1. April Aktivist*innen am Brandenburger Tor in Berlin und anderen Städten Deutschlands einen Joint an – zum ersten Mal ganz legal. Mit der Teillegalisierung von Cannabis möchte die Bundesregierung auch die organisierte Drogenkriminalität eindämmen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser setzt einiges daran, dieses Versprechen wahrzumachen: Ende Februar reiste sie gemeinsam mit der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts, Martina Link, nach Brasilien, Peru, Ecuador und Kolumbien, um den Drogenhandel „durch eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit“ dieser Länder mit Deutschland zu bekämpfen. Somit wolle man die Gewaltspirale des Drogenhandels durchbrechen und „verhindern, dass wir solche Eskalationen der Gewalt auch in Deutschland erleben“, so Faeser. Sie sieht die Ursache der Drogenkriminalität vor allem in den Produktionsländern.

Was immer mehr Menschen in Deutschland in den Konsum und in Lateinamerika immer mehr Menschen in die Produktion harter Drogen treibt, blieb auf der Reise weitgehend unbesprochen. Wie ein Blick auf das Beispiel Ecuador zeigt, ist die Eskalation der Gewalt erschreckend, entsteht aber nicht im luftleeren Raum. Der Prekarisierung der Lebensverhältnisse nach der Pandemie hatte Ecuadors ehemaliger Präsident Guillermo Lasso nichts entgegenzusetzen. Die Stadt Guayaquil war dabei besonders hart getroffen: Anstatt gegen Arbeitslosigkeit und Inflation vorzugehen, kürzte Lasso besonders bei den Ärmsten. In dieser Zeit übernahmen die Narcos quasi ungestört die großen Gefängnisse im Land und nutzten die Perspektivlosigkeit junger Menschen in den vom Staat am meisten vernachlässigten Regionen des Landes aus, um sie für ihre Geschäfte zu rekrutieren.

Heute verfolgt Präsident Daniel Noboa eine Politik der harten Hand. Auch Faeser und Co. setzen auf vermehrte polizeiliche Kontrolle in den Produktionsländern. Dabei hat die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik erst den Boden dafür bereitet, dass heute die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen in die informelle Beschäftigung im Drogengeschäft geschwemmt werden. Argentinien unter Präsident Javier Milei könnte dem Beispiel Ecuadors folgen: Auch in der Hafenstadt Rosario – kein Stopp auf Faesers Reise – herrscht aktuell der Ausnahmezustand. Wenn Milei den Abbau staatlicher Sozialhilfen weiter fortsetzt (siehe Interview auf S. 9), dürfte sich auch hier die Gewalt durch Narco-Gangs weiter ausbreiten.

Die Beispiele zeigen: Ein wirklich globaler Ansatz zur Bekämpfung der Gewalt im Kontext des Drogenhandels muss über bilaterale Sicherheitsabkommen hinausgehen. Deutsche Außenpolitik kann nicht weniger Staat in Sozialpolitik und Investitionen fordern und gleichzeitig für den Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparats plädieren, um mit den Konsequenzen eines solchen Sparkurses umzugehen. Langfristig wird mit einer härteren Kriminalisierung das darunterliegende Problem der Prekarität und fehlender Alternativen zum Drogensektor nicht gelöst.

Es ist also nicht damit getan, die Gefängnisse weiter zu füllen. Gerade Ecuador zeigt, dass diese oftmals zu wichtigen Verwaltungszentren der organisierten Kriminalität werden. Stattdessen gilt es, die Probleme bei der Wurzel zu packen und internationale Drogenbekämpfung mit einer Ausweitung von sozialer Infrastruktur in den Produktionsländern zu verbinden. Was zudem unklar bleibt, ist, ob die Cannabislegalisierung in jeglicher Hinsicht Auswirkungen auf den Handel mit härteren, weiterhin kriminalisierten Drogen wie Kokain hat. Dennoch wird schon jetzt deutlich: Die Regierung hat es sich mit ihrer Politik des Bubatz hier, Kriminalisierung da zu leicht gemacht. Stattdessen verstärkt Faesers Reise nach Lateinamerika den für Deutschland bequemen Diskurs der vertauschten Ursachen und Verantwortlichkeit für die mit dem Drogenhandel verbundene Gewalt. Letzten Endes fußt die auch auf dem Konsum in Deutschland und Europa.

“DAS URUGUAYISCHE MODELL FUNKTIONIERT AM BESTEN”

Raquel Peyraube
ist promovierte Ärztin und Drogenexpertin aus Uruguay. Sie war Gründerin und erste Präsidentin der Uruguayischen Gesellschaft für Endocannabinologie, arbeitete die Cannabisregulierung in Uruguay mit aus und ist Vorstandsmitglied der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM). Als Beraterin zum Thema Cannabisgesetzgebung ist sie in Lateinamerika, Nordamerika und Europa tätig.
(Foto: Tobias Lambert)


Im Jahr 2013 hat Uruguay den Markt für Marihuana staatlich reguliert. Wie ist die Bilanz?
Im weltweiten Vergleich funktioniert das uruguayische Modell am besten. Es handelt sich nicht einfach um eine Liberalisierung, bei der alles dem Markt überlassen wird, sondern der Staat übernimmt Verantwortung für die Sicherheit, die Menschenrechte und die öffentliche Gesundheit. Das staatlich regulierte Gras ist nicht mit weiteren Substanzen versetzt oder Pestiziden belastet, sondern wird biologisch angebaut und der THC-Gehalt ist gesetzlich reguliert. Das Gesetz ist sehr gut, bei der Umsetzung hakt es aber noch.

Was sollte besser laufen?
Die Implementierung verläuft sehr langsam. Nachdem das Gesetz verabschiedet wurde, erwarteten viele Nutzer, dass sie Cannabis nun legal beziehen könnten. Denn Marihuana individuell oder gemeinschaftlich in Cannabis-Clubs anzubauen, wie es das Gesetz ebenfalls vorsieht, ist für die meisten Leute keine Option. Bis Cannabis staatlich in Apotheken verkauft wurde, vergingen aber mehrere Jahre. Und die dort angebotene Menge reicht bisher nicht für die Nachfrage aus. Das Hauptziel, den Schwarzmarkt für Drogenhandel trocken zu legen, konnte daher nicht erreicht werden. Und es ist auch nicht der beste Weg, dass Cannabis nun in Apotheken verkauft wird.

Warum nicht?
Cannabis als Droge zu Genusszwecken in Apotheken anzubieten, ist etwa so, als würde man dort auch Wein oder Tabak verkaufen. Besser wäre es gewesen, eigene Cannabis-Shops für den Verkauf zu schaffen, mit psychosozialer Betreuung, um Schaden zu minimieren. Was hingegen sehr wohl in der Apotheke angeboten werden sollte, sind Medikamente auf Cannabisbasis. Aber bei der medizinischen und therapeutischen Nutzung, die das Gesetz auch ausdrücklich vorsieht, ist so gut wie nichts passiert.

Woran liegt das?
Innerhalb der staatlichen Bürokratie wird Cannabis teilweise noch immer verteufelt. Aber die medizinische Nutzung von Cannabis ist viel sicherer als viele der Medikamente, die ganz selbstverständlich in Apotheken verkauft werden. Dabei wäre es nicht einmal notwendig, Lizenzen für die Herstellung von Medikamenten zu erteilen. Es gibt zahlreiche therapeutische Anwendungen, die das Gesundheitsministerium ohne großen Aufwand hätte genehmigen können und die dann gesetzlichen Qualitätsansprüchen genügen würden. Bisher gibt es jedoch nur ein Präparat in zwei unterschiedlichen Konzentrationen sowie eine Creme. Das heißt, wer Cannabis zur medizinischen Nutzung beziehen will, kann in der Apotheke zwar Marihuana kaufen, muss sich medizinische Präparate aber selbst herstellen. Das ist absurd.

Gegen die staatliche Regulierung des Cannabis-Marktes in Uruguay gab es damals viel Gegenwind, selbst aus der UNO. Dadurch werde vor allem die Zahl abhängiger Jugendlicher steigen und viel Schaden angerichtet, hieß es. Haben sich diese Vorhersagen bewahrheitet?
Nein, keines der prophezeiten Katastrophenszenarien traf ein. Der Konsum hat zwar zugenommen, aber laut Studien weniger als in prohibitionistischen Ländern wie Frankreich, Argentinien oder Brasilien. Überfälle auf Apotheken hat es überhaupt nicht gegeben. Bevor das Gesetz beschlossen wurde, waren lediglich 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung mit der Regulierung einverstanden. Heute stimmen der medizinischen Nutzung weit über 90 und der Nutzung zu Freizeitzwecken über 60 Prozent zu. Viele Politiker, Ärzte, Psychotherapeuten, die zuvor dagegen waren, sind heute dafür.

Inwiefern kann Uruguay anderen Ländern als Vorbild dienen?
Ich würde nicht von Vorbild sprechen. Aber andere Länder können von den positiven wie negativen Erfahrungen aus Uruguay lernen. Uruguay gilt in dem Bereich als Referenz, viele Politiker schauen sich die Regulierung genau an, bevor sie eigene Schritte in ihren Ländern beschließen. Bei uns gibt es keine Happy Hour wie beispielsweise im US-Bundesstaat Colorado, der nicht auf Regulierung, sondern Marktliberalisierung setzt. Das ist aus Sicht der öffentlichen Gesundheit aber nicht vertretbar und wiederholt die gleichen Fehler wie beim Alkohol.

Bei der Stichwahl um die Präsidentschaft im vergangenen November hat sich nach 15 Jahren Regierungszeit des Linksbündnisses Frente Amplio die Rechte durchgesetzt. Was heißt das für die Drogenpolitik?
Vor ein paar Jahren hat die Rechte immer gesagt, dass sie das Gesetz sofort wieder abschaffen wird, wenn sie die Wahl gewinnt. Heute ist davon keine Rede mehr. Das Thema kam in der Wahlkampagne nicht einmal vor. Die Zugangswege, die sich geöffnet haben, kann und wird die Rechte nicht wieder verschließen. Das wäre auch schwer zu vermitteln, nachdem all die apokalyptischen Vorhersagen nicht eingetroffen sind und eine klare Mehrheit der Bevölkerung heute hinter der Regulierung steht. Dafür ist die Erfahrung, die wir in Uruguay gemacht haben, zu positiv.

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