Nach mehreren Monaten der Dürre wurden die Regionen Lambayeque, La Libertad, Piura und Tumbes im Norden Perus im Januar von starkem Regen heimgesucht. Das Phänomen wird der „Küsten-Niño” (Niño Costero) genannt, da es nur die peruanische und ecuadorianische Küste betrifft. Zu den betroffenen Regionen gehören sowohl Ancash – hier befinden sich gegenwärtig 166 Bezirke im Notstand, darunter der Bezirk Huarmey, der sich praktisch in eine Lagune verwandelt hat – als auch Lima mit 145 Bezirken im Notstand.
Die Bilanz ist erschreckend. Laut dem Zentrum für nationale Notfalloperationen (COEN) summiert sich die Zahl der Betroffenen auf über eine Million. Bisher gibt es mindestens 113 Todesopfer. 238.000 Häuser wurden beschädigt, tausende Kilometer Landstraße und Autobahn sind zerstört, ebenso 6.000 Kilometer Bewässerungskanäle und 24.000 Hektar landwirtschaftliche Anbaufläche. Besonders betroffen sind die Ärmsten der Gesellschaft.
Einen der kritischsten Momente erlebte die Hauptstadt Lima, als durch die Regenfälle und Erdrutsche, gemeinsam mit dem Schmutz der Flüsse Rímac und Chillón, die Aufbereitungsanlage von Trinkwasser, La Atarjea, die Dekontaminierung des Wassers nicht mehr bewältigen konnte, so dass die ganze Stadt fast eine ganze Woche ohne fließendes Wasser auskommen musste. Zudem bestand das Risiko einer Kontaminierung des Flusses Rímac durch die Aufbereitungsrückstände der Minen des Tamboraque. Dies hätte die Zufuhr von fließendem Wasser für die Stadt auf unbestimmte Zeit unterbrechen können.
Die Regierung schickte das Militär in die betroffenen Regionen und tausende Personen aus Peru und anderen Ecken der Welt spendeten viel Zeit und Geld an die Bedürftigen. Sporteinrichtungen, Schulen, Wohnungen und Parks verwandelten sich in Sammelstellen für Spenden, in denen haltbare Lebensmittel, Wasser, Kleidung, Hygieneartikel und weitere Produkte gesammelt wurden.
Die massive nationale und internationale Solidarität wurde deutlich sichtbar – ebenso wie die Untätigkeit und mangelnde Prävention von Seiten des Staates. Interessanterweise erlebt Ecuador die gleiche Regenzeit wie Peru, wurde aber, aufgrund von Präventionsplänen der Regierung Rafael Correas, nicht so heftig von dem Phänomen getroffen.
In den letzten hundert Jahren hat das Phänomen El Niño Peru viermal heimgesucht. Diese Vorgeschichte müsste mehr als ausreichend sein, um Präventions- und Notfallpläne in Betracht zu ziehen, seitens der Bürger sowie der lokalen, regionalen und nationalen Verwaltung. Aber dies war nicht der Fall.
Es gibt keine Pläne zur Eindämmung ähnlicher Katastrophen.
Im Jahr 1952 traf El Niño – ähnlich wie in diesem Jahr – die nördliche peruanische Küste mit Starkregen und sorgte für überquellende Flüsse, während der Süden von Dürren geplagt war. Die nächste Katastrophe 1983 war die schlimmste von allen. Die Bilanz waren Schäden in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar, 15.000 zerstörte Häuser, massive Schäden der Infrastruktur und eine Malariaepidemie.
Die Katastrophe, die diesem Jahr am nächsten liegt, geschah Ende 1997 und Anfang 1998 unter der Regierung von Alan García. Damals waren Kolumbien, Ecuador und Peru betroffen. Die am stärksten geschädigten Regionen waren Piura mit 120.000 Betroffenen, gefolgt von La Libertad mit 72.000 und Lambayeque mit 71.000 Menschen, die, wenn nicht ihr Leben, dann Hab und Gut verloren. Die Auswirkungen auf Peru waren damals besonders verheerend, da erst kurz zuvor ein bewaffneter Konflikt beendet und die extreme Armut weitgehend überwunden worden waren. Laut Alfredo Zambrano, Mitglied des Nationalen Zentrums für Einschätzung, Prävention und Katastrophenvorsorge (Cenepred), haben weder die Gemeinden noch die Landesregierungen Pläne zur Eindämmung ähnlicher Katastrophen entwickelt. „Alle lokalen Verwaltungen haben seit 2013 Risikokarten der Cenepred. Sie wissen, wo die gefährdeten Zonen und die kritischen Punkte für Überschwemmungen, Erdrutsche und Erdbeben sind“, so Zambrano. Und trotzdem hat niemand etwas unternommen.
Der Bürgermeister von Lima, Luis Castañeda, verfügt über ein Budget von cirka 20 Millionen Euro für die Katastrophenprävention. Von diesem Budget wurden jedoch cirka 17,5 Millionen Euro für die Ausbesserung der Stadtautobahn „Promenade der Grünen Küste“ (Malecón de la Costa Verde) ausgegeben. In Piura hat der Regionalgouverneur Reynaldo Hilbck demgegenüber nicht einmal drei Prozent der 23 Millionen Soles (cirka 6,5 Millionen Euro) für den Schutz vor El Niño genutzt.
Der Dreijahresplan zur Rekonstruktion wird heftig konstruiert.
Mit jedem Tag erlebt die peruanische Bevölkerung auch den „Post-Niño-Effekt“. Stehende Gewässer, eingestürzte Kanalisation, Tonnen von Müll und eine starke Vermehrung von Moskitos durch die Regenfälle, die mehr als 300.000 Fälle von Durchfallerkrankungen verursacht haben. Auch vor einem neuen Ausbruch der Cholera wird gewarnt. Zusätzlich dazu ist die Anzahl an Dengue-Fällen exponentiell angestiegen. Bisher gibt es etwa 3.400 Personen, die an Dengue erkrankt sind, zu denen in Piura täglich 300 weitere mutmaßliche Fälle hinzukommen. Es gab bereits mindestens acht Tote. Außerdem sind 172 bestätigte Fälle des Zika-Virus und 55 des Chikungunya-Virus aufgetreten. Es sind aber nicht nur diese Erkrankungen, die durch die Überschwemmungen und Erdrutsche aufgetreten sind. Auch die Fälle von Atemwegserkrankungen haben um 437.000 zugenommen, von denen Lima mit 105.000 Fällen am meisten betroffen ist. In nur drei Monaten wurden mehr als tausend Fälle von Leptospirose gemeldet – einer Krankheit, die auftreten kann, wenn die Haut in Kontakt mit verunreinigtem Wasser kommt. Die Krankenhäuser sind nicht auf diese Gesundheitskrise vorbereitet. Der sanitäre Notstand ist für 90 Tage in elf Regionen des Landes ausgerufen worden.
Desgleichen hat die Exekutive einen Dreijahresplan zur Rekonstruktion vorgestellt, der die Bildung einer Behörde für den Wiederaufbau und die Beschaffung von Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräften und Beratung durch regionale Regierungen vorsieht, ohne die üblichen Limitierungen des staatlichen Vergaberechts einhalten zu müssen. Das wird heftig kritisiert, denn die Beauftragung privater Firmen ohne staatliche Kontrolle vereinfacht Korruption. Obendrein soll das Nationale Zentrum für Einschätzung, Prävention und Katastrophenvorsorge die Regionen mit hohem und sehr hohem Risiko für Überschwemmungen benennen und gegebenenfalls räumen. Das ist deshalb beunruhigend, weil dadurch Gebiete der indigenen Bevölkerung betroffen sein könnten.
Das Beratungsunternehmen Maximixe schätzte die Kosten für den Wiederaufbau der Infrastruktur auf knapp acht Milliarden US-Dollar. Knapp sechs Milliarden würden für die Sanierung von Straßen, Brücken, Kanälen, Schulen oder Gesundheitszentren gebraucht, die anderen zwei Milliarden für die Umsiedlung von Menschen und Notfallarbeiten. Die alles entscheidende Frage dabei ist, ob das Land ausreichend Budget besitzt. Nach den Aussagen des Staatsministers Fernando Zavala sei dies der Fall. So wurde trotz der bestehenden Unklarheiten ein Wiederaufbauplan vorgestellt und vom peruanischen Kongress genehmigt.
In dem Kontext ist zu sehen, dass laut Perus Steuerbehörde (SUNAT) und dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, der Betrag, der dieses Jahr durch Steuervorteile für private Unternehmen nicht in die Staatskassen fließen wird, auf mehr als 14 Millarden Soles (circa vier Millarden Euro) geschätzt wird. Dieser Betrag entspricht 2,1 Prozent des BIP und annähernd der Summe, die der Wiederaufbau kosten wird.
Ein wichtiges Detail ist in dieser Hinsicht, dass sich, nachdem der „Küsten-Niño“ Ende April abgeklungen ist, schon eine neue Krise ankündigt: starker Frost im Süden des Landes. Wird Peru darauf vorbereitet sein? Hoffentlich ja.
Zwar gelten die diesjährigen Ausmaße vom „Küsten-Niño“ als untypisch, doch im Zuge des Klimawandels ist fraglich, ob die Auswirkungen des Wetterphänomens zukünftig weniger verheerend sein werden.