Petros Versprechen

Ministerin Márquez Im Kampf um ihr Ministerium (Foto: Eneas de Troya via Flickr (CC BY 2.0))

Petros progressives Wahlprogramm versprach tiefgreifende Veränderungen: Ganz oben auf seiner Liste von Versprechungen standen Sicherheit und „totaler Frieden“ durch Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen, Agrarreform und einen neuen Ansatz im Kampf gegen die illegale Wirtschaft, der es Koka-Landwirt*innen erleichtern sollte, auf legale Kulturen umzusteigen. Weitere wichtige Versprechen waren Klimaschutz, gerechte Steuerreform, die Abkehr der Wirtschaft von fossilen Brennstoffen, besserer Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherheit für arme Bevölkerungsschichten sowie die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Ungleichheiten.

Seit Amtsantritt hat Petro Einiges davon verwirklichen können: Er konnte seine Steuerreform umsetzen, die vor allem durch die erhöhte Besteuerung der Öl- und Kohleindustrie laut Finanzministerium zusätzliche 20 Billionen Pesos (4,6 Milliarden Euro) pro Jahr einbringt. Darüber hinaus hat seine Regierung im Rahmen der Agrarreform rund eine Million Hektar an ländliche Gemeinden übertragen – 118.000 Hektar durch Kauf und 807.000 durch Formalisierung der Besitzverhältnisse. Nach Angaben des Umweltministeriums hat sie 2022 die Entwaldung um 29 Prozent verringert, und vor kurzem den Erlass von Studierenden-Darlehen für Personen mit starkem Zahlungsverzug angestoßen. Auch einen Waffenstillstand mit der bewaffneten Gruppe Nationale Befreiungsarmee (ELN) konnte die Petro-Regierung aushandeln.

Ehrgeizige Ziele – Schwierigkeiten in der Umsetzung

Doch Kolumbien ist kein Land, das sich so leicht von Grund auf verändern lässt. Petro hat keine starke Mehrheit im Kongress und die traditionell moderaten und rechten Parteien sowie bürokratische Hürden machen seinen Reformen in den meisten Fällen einen Strich durch die Rechnung. Die Steuerreform war die einzige seiner großen geplanten Maßnahmen, die als Gesetz verabschiedet werden konnte. Seine Gesundheits-, Renten- und Arbeitsrechtsreform wurden im Kongress blockiert. Die Gesundheitsreform, welcher er seit Amtsantritt am meisten Priorität eingeräumt hat und die ihn mehrere Minister und einen Großteil der Unterstützung des Kongresses gekostet hat, wurde zu seiner bisher größten politischen Niederlage. Mit seinem Beharren auf dieser Reform hat er seinen politischen Impuls in der Legislative geopfert, eine Situation, die ihm bei den übrigen Reformen zum Nachteil wurde. Die Enttäuschung über mehr gebrochene als eingehaltene Wahlversprechen sowie Vorwürfe illegaler Wahlkampf-Finanzierung, in welche auch sein Sohn Nicolás Petro verwickelt sein soll, zeichnet sich in Petros sinkender Beliebtheit ab: Seine Zustimmungswerte sind zwischen 2022 und 2023 um ganze 21 Prozent gesunken und auch von seiner eigenen Koalition fehlt inzwischen meist die Unterstützung.

Das Versprechen der Gleichberechtigung durch das Ministerium für Gleichstellung (MinIgualdad) entwickelt sich am langsamsten und hat die meisten Rückschläge erfahren. Dies verdeutlicht die Diskrepanz zwischen den ehrgeizigen Zielen dieser Regierung und ihrer tatsächlichen Umsetzung. Die Schaffung dieser Behörde war eines der wichtigsten Wahlver­prechen Petros und sollte alle Formen der Ungleichheit in Kolumbien bekämpfen – einem Land, das laut Oxfam das zweitungerechteste in Lateinamerika ist. Petro kündigte die Schaffung des MinIgualdad während seiner Wahlkampagne an und ernannte Vizepräsidentin Francia Márquez nach seinem Amtsantritt zur Ministerin der Behörde.

Doch nach nicht mal einem Jahr in Betrieb hat das Verfassungsgericht ihre Einrichtung schon wegen administrativer Unregelmäßigkeiten für ungültig erklärt; der Kongress hatte es versäumt, eine steuerliche Genehmigung einzuholen, die vom Finanzministerium für Gesetze erteilt werden muss, die neue Staatsausgaben nach sich ziehen. Ohne diese Genehmigung ist das Gesetz zur Ministeriumsgründung ungültig. Der Oberste Gerichtshof traf diese Entscheidung nachdem elf Kongressabgeordnete der rechten Opposition Klage eingereicht hatten, um die Einrichtung zu kippen. Als eines der repräsentativsten Versprechen der linken Regierung war das MinIgualdad von Anfang an umstritten und hatte zu Spannungen zwischen den politischen Sektoren der Linken und der Rechten geführt. Die Rechte wirft der Behörde vor, eine Belastung für die Nation zu sein und die Bürokratie zu vergrößern. Bis zu diesem Jahr verfügte das Ministerium über einen Haushalt von mehr als 1,8 Billionen Pesos (mehr als 400 Millionen Euro) mit fünf Ministeriumszweigen und rund 740 Stellen. Im März hatte die Behörde jedoch nur weniger als 0,24 Prozent des Haushalts ausgeführt.

Mehr Rückschläge als Fortschritte

Seit seiner Einrichtung Ende 2022 ist das MinIgualdad nur langsam vorangekommen und hat mehr Rückschläge als Fortschritte gemacht. Obwohl die Generalstaatsanwaltschaft im September letzten Jahres die Verfassungsmäßigkeit der Einrichtung des Ministeriums anerkannte, warnte der Rechnungshof im April dieses Jahres vor der schlechten Ausführung des nationalen Gesamthaushaltsplans, in dem das MinIgualdad mit einer Ausführung von 0% auftauchte. Ministerin und Vizepräsidentin Márquez verteidigte sich damit, dass nach der Unterzeichnung des Gesetzes im Januar 2023 viel Bürokratie entstanden sei, die die Erschaffung und Tätigkeit des Ministeriums erschwere.

Das Urteil des Gerichtshofs soll erst 2026 in Kraft treten – eine Entscheidung, die ebenfalls eine öffentliche Debatte ausgelöst hat. Trotzdem bleibt die Frage offen, ob es dem Ministerium gelingen wird, sich über diese Regierung hinaus zu behaupten, oder ob es zu einem weiteren gescheiterten Wahlversprechen der „Regierung des Wandels“ wird.

Das Ministerium war ursprünglich auf die Gleichstellung von Frauen ausgerichtet. Petro hatte versprochen, auf Lohngleichheit hinzuarbeiten, die unbezahlte Arbeit im Haushalt bei der Rente von Frauen anzuerkennen, ein existenzsicherndes Einkommen für haushaltsführende Mütter zu gewährleisten und Frauen in seiner Agrarreform als Landbesitzerinnen einzusetzen. Im Laufe der Zeit wurde das Ministerium aber ambitionierter und begann auch andere von der Gesellschaft ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen einzubeziehen. Seine fünf Abteilungen umfassen eine für Frauen, eine für Jugend, eine für die Bevölkerung in ausgegrenzten Gebieten und Armutsüberwindung, eine für Diversität und „ethnische Bevölkerung“ und eine für Landbevölkerung.

Ein Ministerium gegen jegliche Diskriminierung

Frauen und LGBTIQ+-Personen, Gruppen, die nach wie vor stark von Gewalt und Ausgrenzung betroffen sind, wären von der Einstellung des Ministeriums besonders betroffen. Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Kolumbien an der Tagesordnung: Erst vor wenigen Wochen, am 29. Mai, wurde Stefany Barranco Oquendo, 32 Jahre, von ihrem Ex-Partner Iván José de la Rosa in einem Einkaufszentrum in Bogotá am helllichten Tag vor den Augen der Passant*innen ermordet. Nach Angaben der Staatsanwältin Margarita Cabello erlebten in Kolumbien 2023 mehr als 63.982 Frauen häusliche Gewalt. Davon erfuhren 77 Prozent Gewalt, eben weil sie Frauen waren. Sie erklärte auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft im vergangenen Jahr 923 Warnungen wegen der Gefahr von Feminiziden registriert hat.

Die Situation ist für queere Personen in Kolumbien nicht anders. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte Caribe Afirmativo wurden in diesem Jahr bisher 11 Morde an LGBTIQ+-Personen registriert, wobei trans Frauen mit bisher vier Fällen prozentual am stärksten betroffen sind. April war ein besonders gewalttätiger Monat für trans Frauen: In diesem Monat gab es drei Transfeminizide.

Dies sind nur zwei der Bevölkerungsgruppen, mit denen sich das MinIgualdad befassen sollte, die sich in der Endphase des Wahlkampfs mobilisierten und ihre Stimmen für Petro abgaben, weil sie auf das Versprechen eines Wandels durch diese Präsidentschaft setzten.Vizepräsidentin Francia Márquez hat zwei Jahre Zeit, um das Ministerium zu retten und das Urteil des Gerichtshofs zu revidieren. Und obwohl diese Zeitspanne ausreichend zu sein scheint, bestehen hohe Hürden. Vor allem, weil die Petro-Regierung nicht mehr die Mehrheiten hat, mit denen sie im Kongress begonnen hat. Sie könnte also scheitern, wenn sie versucht, das Gesetz erneut zu verabschieden und dem MinIgualdad neues Leben einzuhauchen.

Dieses Verwaltungsmanagement könnte auch die Leitung des Ministeriums beeinträchtigen und dazu führen, dass mehrere Versprechen für die Bevölkerung, die seit der Wahl des Präsidenten und der Vizepräsidentin auf den versprochenen Wandel gewartet hat, nicht eingehalten werden. Die Zeit und Márquez‘ Handhabung werden darüber entscheiden, ob Kolumbien sein Ministerium für Gleichstellung noch für eine Weile behalten wird oder ob es als eine flüchtige Einrichtung enden wird, die mehr Probleme als Fortschritt hervorgebracht hat.

DAS GRIECHENLAND DER USA?

Die Beziehungen zwischen Puerto Rico und den USA sind in vielerlei Hinsicht skurril. Nach der spanischen Besetzung kamen 1898 die US-Amerikaner*innen und blieben. Seitdem ist der kleine Inselstaat zwar Teil der Vereinigten Staaten von Amerika, aber kein US-Bundesstaat. Wer zum Beispiel in Puerto Rico lebt und geboren ist, wird zwar vom US-amerikanischen Präsidenten regiert, darf ihn aber nicht wählen. Trotzdem mussten die Inselbewohner*innen zu Wehrpflichtzeiten als Teil der US-Army das Land verteidigen, das sie nicht wirklich als vollwertigen Teil der Nation sieht. Die Puerto-Ricaner*innen sind US-Bürger*innen; die großen politischen Entscheidungen werden in Washington getroffen. Im dortigen Repräsentantenhaus ist der Freistaat auch durch eine Abgeordnete vertreten – sie darf nur nicht mit abstimmen. Es gelten viele solch skurrile Ausnahmen für Puerto Rico.

Im Juni 2015 erklärte der damalige Gouverneur Padilla, dass das Land seine Schulden nicht mehr begleichen könne. Einen Monat später kam es dann auch tatsächlich zum Zahlungsausfall. Puerto Rico ist seitdem bankrott. Eigentlich gilt es als Steuerparadies für US-amerikanische Konzerne und Superreiche. Der Staat hat wiederum ein dickes Minus in der Bilanz. Jahrelang konnte er sich über günstige Anleihen mit Geld versorgen. Doch mit einer schon länger schwächelnden Wirtschaft und steigenden Zinsen wurde die Schuldenlast zu schwer. Rund 73 Milliarden Dollar an Schulden kann das Land nicht mehr fristgerecht bedienen. Damit rangiert Puerto Rico auf der Liste der größten Staatspleiten hinter Griechenland und Argentinien auf Platz drei.

Das sogenannte „Promesa“-Gesetz ermöglicht eine geordnete Insolvenz des Landes.

Dabei kann laut Gesetz ein US-Staat eigentlich gar nicht Pleite gehen. Nach den Ankündigungen Padillas herrschte Unsicherheit über den Umgang mit der Insolvenz, die keine sein durfte. Der US-Kongress reagierte nach bekanntem Schema: Er beschloss eine Ausnahme für Puerto Rico. Das sogenannte „Promesa“-Gesetz ermöglicht eine geordnete Insolvenz des Landes – verbunden mit den Auflagen einer harten Austeritätspolitik und einem Spardiktat. Puerto Rico sei das Griechenland der USA, kursierte es hinterher durch die internationale Presse. Der Gouverneur der Karibikinsel, Ricardo Rosselló Nevares, ist hingegen überzeugt, mit der ihm auferlegten Sparpolitik das Land wieder zu Wirtschaftswachstum führen zu können.

Die unmittelbaren Folgen zeigten sich schnell. Nach dem Beginn des Insolvenzverfahrens im Mai 2017 beschloss die Lokalregierung umfassende Kürzungen im öffentlichen Sektor, in dem rund ein Viertel der Beschäftigten der Karibikinsel arbeiten. Zudem mussten 184 öffentliche Schulen schließen, geplant sind weitere Kürzungen im gesamten Bildungssektor.

Und so ist es kein Wunder, dass die Protestwelle seit Anfang Mai neben den Gewerkschaften vor allem von Hochschulbeschäftigten und Studierenden getragen wird. Diese und die Opposition riefen am 1. Mai zu einem Generalstreik auf, sogar der Flughafen von San Juan wurde blockiert. Die Polizei reagierte mit Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen, um gegen die vielen Demonstrationen und Aktionen vorzugehen. Verschiedene Medien berichteten von fünf bis zwölf festgenommenen Demonstrierenden. Weitere Gruppen werden von der Schuldenkrise des Landes betroffen sein. Zusätzlich zur Staatsverschuldung stehen allein 49 Milliarden Dollar an ungedeckten Pensionsansprüchen aus.

Unzufrieden sind derweil auch die Gläubiger*innen. Nachdem sie zunächst einen Schuldenschnitt von 50 Prozent abgelehnt hatten und sich durch die US-amerikanische Gesetzgebung sicher wähnten, bangen sie nun um ihre gesamten Ansprüche. Weitere hochverschuldete Staaten der USA könnten nun dem Beispiel Puerto Ricos folgen.
Wesentlichere Probleme hat die Bevölkerung des spanischsprachigen Inselstaats. Die Arbeitslosenquote ist mit 11,5 Prozent doppelt so hoch wie im sonstigen US-Durchschnitt. Die Hälfte der 3,4 Millionen Einwohner*innen lebt in Armut. Viele gut ausgebildete junge Menschen machen sich daher auf den Weg in einen der 50 US-Bundesstaaten. Sie gehen ohne zurück zu kommen; seit Jahren schrumpft die Bevölkerung.

Unter denen, die geblieben sind, wird der alte Ruf nach Unabhängigkeit immer lauter. Zwar hatte in einem Referendum 2012 eine Mehrheit für die Beantragung des Status als US-Staat und damit für die Gleichstellung innerhalb der Vereinigten Staaten gestimmt. Doch ein Erfolg des Vorhabens ist nun unwahrscheinlich geworden. Zum einen hatte US-Präsident Trump bei den Präsidentschaftsvorwahlen gerade einmal 13 Prozent der Stimmen geholt und blieb weit hinter seinem Kontrahenten Marco Rubio zurück. Bei den parteiinternen Vorwahlen darf Puerto Ricos Bevölkerung teilnehmen. Zum anderen ist die US-Regierung auch durch ihr Spardiktat deutlich unbeliebter geworden. Gleichzeitig ist der Einfluss von Washington durch das „Promesa“-Gesetz enorm gestiegen. Die regierende Partei der Neuen Progressiven Kraft (PNP), die ohnehin für die Implementierung von Puerto Rico als vollwertiger US-Staat wirbt, hat dem nichts entgegenzusetzen.

Es mag zur aktuellen Situation passen, dass am 17. Mai Oscar López Rivera, militanter Freiheitskämpfer der 1970er- und 80er-Jahre, nach jahrelanger US-Haft freigelassen wurde und nach Puerto Rico zurückkehren konnte.

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