Bestia erzählt die Geschichte von Ingrid Olderöck Benhard, einer Polizistin, Agentin der chilenischen Geheimpolizei DINA, die wie ihre deutsche Eltern der Nazi-Ideologie anhing. Sie misshandelte während der Militärdiktatur im Folterzentrum Venda Sexy (siehe LN 545) vor allem Mitglieder der oppositionellen Gruppe Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR). Ihre spezielle Foltermethode war die Vergewaltigung von Gefangenen durch einen von ihr dressierten Hund. Im Jahr 1981 wurde ihr von Mitgliedern des MIR in den Kopf geschossen. Sie überlebte den Anschlag, wurde aber aufgrund der Nachwirkungen vorzeitig aus dem Dienst entlassen. Sie leugnete bis zu ihrem Tod ihre Verbrechen und wurde niemals vor Gericht gestellt.
Die animierte Geschichte zeigt die eigentliche Folter nur verschwindend kurz, stattdessen nehmen Momente aus Olderöcks Alltag viel Raum ein, insbesondere die erdachte Beziehung zu dem von ihr dressierten Hund: Sie spielt mit dem Hund auf einer Wiese. Sie fahren gemeinsam mit dem Bus, kommen in dem Haus an, in dem sie arbeitet, und gehen dort in den Keller. In einer Szene, die mit einigen Nuancen mehrmals wiederholt wird, sieht man sie in der Küche ihres Hauses beim Essen, während ihr Hund am Tisch sitzt. Immer wieder vermischen sich solche Szenen mit Albträumen oder Halluzinationen der Protagonistin, etwa wenn sie ihrem Hund beim Spielen den Kopf abschlägt. Da es keinen Dialog gibt, kommt der von dunklen Cellotönen getragenen Musik eine wesentliche Rolle zu.
Handwerklich und ästhetisch überzeugt der Film, entsprechend hat Bestia fast 30 Preise auf verschiedenen Festivals gewonnen und war auch für einen Oscar nominiert. Der Film wurde jedoch von Überlebenden politischer und sexualisierter Folter kritisiert, die der Meinung sind, dass er den systematischen Charakter der Unterdrückung in seinem historischen Kontext ausblendet, die Verantwortung des Staates für die Ereignisse verschweigt und sich stattdessen zu sehr auf die Figur einer geistig gestörten Bösewichtin konzentriert (siehe Interview im Anschluß).
BERLINALE SHORTS IV – SEHR SEHENSWERT!
Der argentinische Kurzfilm CENTAURO und der brasilianische Kurzfilm ESTÁS VENDO COAISAS werden zusammen mit dem portugiesischen ALTAS CIDADES DE OSSADAS, der palästinesisch-israelischen Doku THE BOY FROM H2 und dem formal herausragenden deutschen CALL OF CUTENESS gezeigt. Den Abschluss bildet das in Film transformierte Videospiel EVERYTHING.
CENTAURO spielt mit Zitaten, Codes und Mythen des argentinischen Gaucho-Lebens, das Plastiken, Literatur, Theater und Musik auf eine sehr filmische Weise integriert. Nicht nur für Gaucho-Fans ausgesprochen unterhaltsam.
ESTÁS VENDO COAISAS ist eine gleichzeitige Hommage an und Dekonstruktion der Kultur der überaus populären Brega-Musik im Nordosten Brasiliens, die die Künstlerin Bárbara Wagner für die Biennale produziert hat. Bereits erfolgreich in Recife vorgestellt und absolut kinotauglich.
ALTAS CIDADES DE OSSADAS von Regisseur João Salaviza, der bereits 2012 mit Raffa den golden Bären gewann, ist ein virtuoses Spiel mit der Dunkelheit im Film, das magische Bilder erzeugt. Magisch sind auch die Monologe der Hauptfigur Karlon, ein Protoganist des Cape Verdean Creole Rap.
Ausgesprochen bewegend ist die Dokumentation THE BOY FROM H2, die von der israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem gedreht und produziert wurde. Sie denunziert die Praxis der israelischen Polizei, in Hebron Kinder zu verhaften.
Formal herausragend war der nur vierminütige CALL OF CUTENESS der jungen deutschen Regisseurin und Komponistin Brenda Lien, die sich den im Netz so beliebten Katzenbildern einmal anders nähert: “Während wir heil und munter den Katzen-Fail des Tages gucken, holt uns alles, was unsichtbar bleibt in diesem neoliberalen Albtraum, wieder ein.”
Den Schlusspunkte setzte David O’Reilly, der 2008 einen Goldenen Bären erhielt, mit dem in Film transformierten Videospiel EVERYTHING.