„WIR WISSEN WIE WIR LEBEN WOLLEN!“

ANGEL SULUB, JUAN CAAMAL, NISAGUIE CRUZ

„Ich bin Angel Sulub, ein indigener Maya aus Yucatán und Mitglied des Nationalen Indigenen Kongresses (CVI). Ich wurde zum Delegierten ernannt, um diese zapatistische Tour zu begleiten.“

„Ich bin Juan Caamal auch aus Yucatán. Ich bin ebenfalls ein Mitglied des CNI und wurde auch als Teil der Delegation mit dieser Tour beauftragt.“

„Mein Name ist Nisaguie Cruz, ich komme aus der Gemeinde Zapaoteca Chitan, Oaxaca. Ich bin auch eine Delegierte des CNI und begleite diese Tour“
(Foto: Videoclips Freundeskreis)


 

Wie ist es Ihnen, dem CNI, den Zapatistas und anderen gelungen, für dieselbe Idee zusammenzuarbeiten?
Angel Sulub: Wir als CNI sind der Meinung, dass dieser Kampf um das Leben ein Kampf für die gesamte Menschheit ist und dass das kapitalistische, patriarchalische und koloniale System in allen Regionen dieser Welt präsent ist. Die Macht und die Unterwerfung in den Ländern ist unterschiedlich und geschieht auf verschiedenste Weise, aber letztlich ist es ein System, das zum Zusammenbruch der Menschheit führt. Sie zerstören den Planeten und das, was in einem Teil der Welt passiert, hat Auswirkungen auf andere Teile. Bei uns in den Minen, in den Bergbaugebieten, sterben die Menschen wegen der Verschmutzung des Wassers.
Juan Caamal: Wir als Indigene teilen den Schmerz, die Kämpfe und die Ereignisse. Eines, was wir tun werden, ist, zu einer gemeinsamen Organisation aufzurufen. Unsere Forderung ist es, uns zu organisieren und damit zu beginnen nach anderen Lebensweisen in Koexistenz mit Mutter Natur zu suchen. Wir suchen nach einer Welt, in die viele Welten passen. Eine Welt, in der Anarchisten und Sozialisten in Frieden miteinander leben. Und auch wir bitten, in Mexiko als Mayas glücklich und zufrieden leben zu dürfen, in Koexistenz mit Anarchisten und Sozialisten. Wir müssen uns gegenseitig schützen – das kapitalistische System scheint dabei der einzige Zerstörer zu sein. Deshalb fordern wir eine gemein- schaftliche, politische, psychologische und soziale Organisation zum Schutz und zum Zusammenleben auf der Erde.

Welche Gefahren stellen Megaprojekte wie der Tren Maya, der interozeanische Transportkorridor, das Morelos-Integralprojekt und der Flughafen Santa Lucia aus Sicht der indigenen Gemeinden dar?
A.S.: Die Megaprojekte verschärfen die Situation der pueblos originarios (indigene Gemeinden, Anm. d. Red). Sie verfolgen alle dieselbe kapitalistische, extraktivistische Logik, die darauf abzielt, die Völker zu enteignen, uns unser Land wegzunehmen und uns auszubeuten. Sie plündern unsere natürlichen Ressourcen wie Wasser, Land, Holz und alles, was unseren Gemeinden heilig ist. Die von Ihnen genannten Beispiele sind nur einige von vielen anderen Megaprojekten, die weiterhin das Leben unserer Völker bedrohen. Das Bahnprojekt, das fälschlicherweise Tren Maya genannt wird und eines der von der derzeitigen Regierung am meisten geförderten Projekte ist, soll fünf Bundesstaaten des Landes durchqueren, etwa 1.500 Kilometer. Aber wir sagen immer: Es ist keine Bahn und mit Maya hat sie nichts zu tun. Es handelt sich nicht nur um eine Bahn, sondern um eine Reihe von miteinander verbundenen Megaprojekten wie: Energie, Tourismus, agroindustrielle Projekte, Schweinefleischproduktion, die Schaffung von Industrieparks, Infrastrukturprojekte wie neue Flughäfen, Urbanisierung und Immobilienentwicklung. Es gibt viele Projekte, die mit den Interessen des so genannten Tren Maya verbunden sind, von denen jedes einzelne nicht nur die Umwelt, sondern auch die Selbstversorgung der Völker, die Autonomie der Völker, ihre Identität und ihre Organisationsformen bedroht. Mit anderen Worten: Die Auswirkungen jedes dieser Megaprojekte auf unsere Gebiete sind so groß, dass wir sie hier in Europa anprangern und teilen müssen. Wir erleben eine Situation der Ausplünderung und der Verletzung der Rechte unserer Völker.
Nisaguie Cruz: Im Falle des Transportkorridors wollen sie auch eine Grenze errichten, um die gesamte Migration aus dem Süden stoppen zu können. Ein Ort, um Billiglohnfabriken zu errichten, wo Migrant*innen als schlecht bezahlte Arbeitskräfte eingesetzt werden. Nicht nur sie, sondern auch die Menschen, die dort leben, sollen ausgebeutet werden. Und all das bringt eine Menge Gewalt mit sich. Wir wissen bereits, was in Cuidad Juárez, an der mexikanischen Nordgrenze passiert ist. Es gibt Verschwundene, es gibt Morde und es gibt Feminizide (siehe LN 551). Und genau das wird auch mit uns geschehen. Es ist eine Form von Völkermord, um uns verschwinden zu lassen.

Können Sie einige dieser Unternehmen oder kriminelle Banden nennen, die dort tätig sind?
A.S.: Am Bau des Tren Maya sind viele Unternehmen beteiligt, sowohl bei der Konstruktion als auch bei der Beratung. Mexikanische Unternehmen wie die Carson-Gruppe, die Carlos Slim gehört, einem der reichsten Männer der Welt, ist an der Bahn interessiert und beteiligt sich am Bau, ebenso europäische Unternehmen wie Renfe aus Spanien oder die Deutsche Bahn und viele weitere Unternehmen. Aber es gibt auch Tourismusunternehmen, die über die touristischen Entwicklungspole davon profitieren werden. Vor allem spanische Unternehmen, die im Bundesstaat Quintana Roo ansässig sind und auch Unternehmen, die durch ihre Anteile an diesen Unternehmen mit ihnen verbunden sind.
Darüber hinaus gibt es viele Drogenkartelle und bekannte kriminelle Organisationen, die ebenfalls in diese Gebiete vordringen. Das passiert mit der Komplizenschaft der Regierung von Bund, Ländern und Gemeinden. Sie sind Teil desselben politischen Systems in Mexiko und desselben globalen kapitalistischen Systems.
N.C.: Bei den Windparks handelt es sich überwiegend um spanische und französische Anlagen. Im Moment haben wir ein Verfahren gegen EDF laufen, ein französisches Unternehmen. EDF will unsere Kolleg*innen dort schikanieren und kriminalisieren, ebenso wie die FEMSA-Gruppe, Coca-Cola, Walmart und andere. Viele der Unternehmen arbeiten dabei zusammen.
A.S.: Ein weiterer problematischer Akteur bei Megaprojekten sind die Bergbauunternehmen. Es gibt viele Bergbaukonzessionen, die beispielsweise an kanadische Unternehmen vergeben wurden, die für die tägliche Zerstörung des Territoriums und Todesfälle verantwortlich sind. Ich möchte daran erinnern, dass Samir Flores Soberanes, einer der Gegner des Projektes Morelos-Integral (Infrastruktur-Projekt der staatlichen mexikanischen Stromgesellschaft CFE, Anm. d. Red.), vor zwei Jahren ermordet wurde und er ist nicht der Einzige. Allein während dieser Legislatur sind viele andere Verteidiger*innen dieser Gebiete ermordet worden.

Manchmal scheint es, dass indigene Gemeinschaften durch die Megaprojekte gespalten werden, weil einige von ihnen plötzlich Geld verdienen oder es mehr Arbeit gibt als anderswo. Erkennen Sie hier das Teile- und-herrsche-Prinzip?
A.S.: Das war schon immer eine Strategie der politischen Parteien und der nationalen politischen Systeme, befördert durch die Steuerung der Menschen durch Wohlfahrtsprogramme. Die Regierung verfolgt also eine äußerst gut durchdachte Strategie, die Menschen zu spalten. Ein Weg das zu erreichen, erfolgt über die politischen Parteien. Die Mayas, die dort in den Gemeinden als Würdenträger autonom handeln und ihre Entscheidungen eigenständig treffen, wurden durch die Parteien gespalten. Die Organisation und das autonome Gemeinschaftsgefüge brechen zusammen und es kommt zu Konflikten. So verlieren die Gemeinden und der Widerstand gegen die Megaprojekte ihre Stärke. Das Prinzip der Spaltung ist also immer allgegenwärtig.

Welche Hauptgemeinsamkeiten verbinden die indigenen Gemeinschaften?
A.S.: Die indigenen Gemeinden Mexikos sind keine Relikte der Vergangenheit, wir leben und leisten Widerstand. Wir sind nicht diejenigen, die in Museen oder an archäologischen Stätten ausgestellt werden, sondern wir sind Völker, die eine lebendige Kultur haben. Wir sind bereit, uns mit den Unternehmen und den Regierungen anzulegen, und zwar nicht, weil wir den Konflikt suchen, sondern weil wir verteidigen, was wir sind, wir verteidigen unser Territorium. Wir wollen eine menschenwürdige Lebensweise für die Menschen aufbauen. Das ist nicht nur unser Kampf, sondern der Kampf aller. Das was wir schützen, ist das Leben, die Wälder, das Wasser, das Land – wir wollen, dass sich alle dem Kampf für das Leben anschließen. Sie sollen sich organisieren und zusammenschließen, auf ihre Art und Weise, nach ihrem Tempo, nach ihrer Denke und ihrem Sein, aber sie sollen für das Leben kämpfen. Denn wir stehen vielleicht vor der letzten Chance, die Menschheit und den Planeten zu retten.
N.C.: Wir wissen, wie wir leben wollen. Wir sind eine starke, intelligente Gemeinschaft, wir haben Weisheit und wissen, was wir wollen. Auch wenn viele denken, dass wir unwissend sind – wir sind es nicht! Wir wollen frei leben, wir wollen leben, ohne schikaniert zu werden, ohne getötet zu werden und ohne zu verschwinden. Wir wollen diesen Krieg nicht mehr, in den sie uns hineingezogen haben. Wir haben diesen Krieg nie gewollt. Wir haben mehr als 500 Jahre lang Widerstand geleistet und wir werden es auch weiterhin tun!

ALS HORIZONT DIE WELT

Zapatistas demonstrieren in Madrid (Foto: Timo Dorsch)

Ein Schiff ist auf dem heißen Madrider Asphalt unterwegs. Bunt geschmückt, stehen an der Reling sieben Indigene aus Mexiko. Sie winken der Menge hinter und neben ihnen zu, werfen ihnen Papierflieger entgegen. Das Thermometer zeigt, auch am frühen Abend noch, Temperaturen weit über der 40 Grad-Marke an. Es ist Freitag der 13. und es ist kein gewöhnlicher Unglückstag. Ein halbes Jahrtausend zuvor wurde an diesem Datum die Unterwerfung Mexikos durch die Spanische Krone besiegelt. Dass die sieben Indigenen, allesamt Zapatistas, in der spanischen Hauptstadt Präsenz zeigen, ist Ergebnis einer Verkettung von Unmöglichkeiten sowie einer langen Geschichte des Widerstandes.

Denn Widerstand kennt viele Gesichter. Er lebt von der Kreativität und der Fähigkeit, sich neu zu erfinden. Ganz besonders der Widerstand der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN). Deren Repertoire des politischen Kampfes reicht von der klandestinen Vorbereitung auf den bewaffneten Aufstand gegen die mexikanische Regierung, der Ausarbeitung eines landesweiten Gesetzespaketes im Austausch mit der mexikanischen Regierung, bis zur Umsetzung eines umfassenden Autonomieprojektes auf befreitem zapatistischem Gebiet fernab der mexikanischen Regierung. Das jüngste Element im Widerstandsrepertoire der Massenbewegung ist die seit Herbst letzten Jahres öffentlich geplante Reise für das Leben.

Es ist Oktober 2020, als die EZLN ankündigte, eine zapatistische Delegation in die Welt entsenden zu wollen. Erstes Ziel sollte Europa werden, andere Kontinente würden später bereist werden. Der Reise zugehörig ist eine Delegation des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI), wovon die EZLN Teil ist, wie auch Mitglieder des regionalen Widerstandsnetzwerkes Frente De Pueblos Morelos Puebla Tlaxcala. Nebst der Verbindung zum früheren antikolonialen Widerstand jährt sich gegenwärtig der zapatistische Marsch der Farbe der Erde, der im Jahr 2001 insgesamt 1.111 Zapatistas nach Mexiko-Stadt führte, zum zwanzigsten Mal.

Sodann wurde am 1. Januar 2021, dem 27. Jahrestag des zapatistischen Aufstandes, eine Erklärung für das Leben veröffentlicht. Unterschrieben wurde sie von tausenden Gruppen, Organisationen, Einzelpersonen und Zusammenhängen weltweit. Ihrer Analyse der mexikanischen und globalen Verhältnisse folgend, zuletzt umfassend dargelegt auf dem 2015 stattgefundenen EZLN-Kongress angesichts der kapitalistischen Hydra, kann der Kampf gegen die kapitalistische Verwüstung der Welt kein partikularer, sondern allein ein universeller Kampf sein.

Die EZLN beabsichtigt zeitversetzt in mehreren Gruppen insgesamt 501 Zapatist*innen auf den Weg gen Europa zu schicken. Die erste Gruppe, ungefähr 150 Personen stark, besteht zu 80 Prozent aus Zapatistinnen. Alle Generationen des zapatistischen Kampfes sollen vertreten sein. Auf der Erkundungstour sollen primär Zusammenkünfte und Treffen mit hiesigen Gruppen, Zusammenhängen und Organisationen erfolgen, die unter den europäischen Bedingungen eigene Formen des politischen Kampfes erproben. Denn, so die Zapatist*innen: „Das Andere zu sehen und zu hören, wird uns vielleicht helfen auf unserem Weg – oder auch nicht. Das Andere zu kennen, ist jedoch auch Teil unseres Kampfes und Unterfangens – unserer Menschlichkeit.“

Der Vorschlag der EZLN mündete in der Gründung landesweiter Vorbereitungsstrukturen, so auch in Deutschland. Er führte dazu, dass unabhängig von der politischen Ausrichtung und Strömung all jene zusammenkamen, die sich an der Ermöglichung dieser Reise beteiligen wollen. Ähnlich zu den zapatistischen internationalen Frauentreffen der letzten Jahre, bei denen mehrere tausend Frauen und Queers aus aller Welt teilnahmen, ist auch dieses Mal erstaunlich, über welches Anrufungspotential die EZLN auch heute noch verfügt.

Eigentlich sollte die Delegation im Juli per Flugzeug in Paris eintreffen. Doch eine verzögerte Passausgabe in Mexiko aus rassistischen Gründen, restriktive Einreiseregelungen seitens Frankreichs und die allgemeine Corona-Lage (Mexiko ist weltweit auf Platz vier bezüglich der absoluten Todeszahlen) verhinderten dies. Am Internationalen Tag der Verschwundenen, dem 30. August, gab die Organisation schließlich bekannt, dass sie am 14. September in Wien landen werden.

An diesem Freitag jährte sich also zum 500. Mal das Massaker, das am 13. August 1521 die Spanische Krone an der Bevölkerung von Tenochtitlán, dem heutigen Mexiko-Stadt, verübt hatte. In jener Nacht wurden, so die Schätzung, 80.000 Aztek*innen von den Spaniern massakriert. Das Massaker markiert die Unterwerfung des damaligen Aztek*innen-Reiches gegenüber der Spanischen Krone und damit auch die Eroberung des heutigen Mexikos. Ähnlich zu Oktober 1992, dem 500. Jahrestag seit Beginn der Eroberung Amerikas durch Spanien, steht dieses Datum symbolisch für Kolonialisierung wie auch für Widerstand.

Widerstand lebt von der Kreativität und der Fähigkeit, sich neu zu erfinden

Und wie zum jetzigen 500. Jahrestag hatten sich die Zapatist*innen auch 1992 öffentlich politisch geäußert. Sie beteiligten sich damals am 12. Oktober – noch nicht unter der öffentlichen Flagge der EZLN, sondern lediglich in Form einzelner Mitglieder – an einer Demonstration in der Kolonialstadt San Cristóbal de las Casas, die sie am 1. Januar 1994 militärisch einnehmen würden. Auf dieser Demonstration wurde die Statue des spanischen Eroberers Diego de Mazariegos gestürzt und geköpft.

Die EZLN schickte dieses Jahr, noch vor der eigentlichen Delegation, eine Vorhut, das Geschwader 421, um auf maritimen Weg Europa zu erreichen. Nach fünf Wochen Atlantiküberfahrt auf dem umgetauften deutschen Segler Stahlratte, Baujahr 1903, erreichte die Gruppe am 20. Juni europäisches Festland. Das Geschwader 421 besteht aus vier Frauen, zwei Männern, und einer*einem Anderer*m bzw. otroa im zapatistischen Sprech. Marijosé, die*der otroa, betrat als erste*r Zapatista europäischen Boden. Marijosé war die*der erste*r Zapatista, die*der das Wort ergriffen hat. Dass eine*r Andere*r diesen zentralen Platz in dieser zapatistischen Kampagne einnimmt, ist kein taktisches Manöver. Die EZLN steht seit ihrem öffentlichen Auftreten für einen Gesellschaftsanspruch, der Identitäten über alle Grenzen hinweg einschließt, divers und offen ist. Ausgehend von der eigenen Marginalisierung als Indigene hat die EZLN stets versucht, Brücken des Kampfes zu bauen, die Situation der Ausgeschlossenen zu thematisieren und das Gemeinsame zu betonen.

Weltweit unterzeichneten Gruppen die Erklärung für das Leben der Zapatistas


Auch wenn das historische Datum des 13. Augustes vor neun Monaten seitens der EZLN als Tag einer europaweiten Demonstration gesetzt wurde, fanden sich an diesem frühen Abend weniger Menschen ein als erwartet. Geschätzte 3000 Sympathisant*innen der zapatistischen Bewegung kamen und liefen dem Schiff hinterher. Zwischen ihnen marschierte eine Polizei-Kette, die es zuvor geschafft hatte, Demonstrationszug und Schiff ohne jeglichen Widerspruch voneinander zu trennen. Die Dekoration des Schiffes, mit bunten Luftballons und Wimpeln, wirkte eher karnevalesk und weniger wie ein politisches Statement. Das lag auch daran, dass die Bedeutung genau dieses Schiffes nicht deutlich wurde.

Es war nicht irgendein Schiff. Das Schiff ist Ausdruck eines utopischen Gedankens, eines unmöglichen Wunsches. Das Schiff ist Teil der Madrider politischen Geschichte, entsprungen aus dem Arbeiter*innenviertel Vallecas, wo 1981 eine Gruppe junger Menschen am Rande eines katholischen Festes eine Wasserschlacht organisierte. Aus dieser Schlacht entsprang der Wunsch nach einem eigenen Hafen. Und das in einer Stadt, die weit entfernt von einem großen Fluss, geschweige denn vom Meer liegt. Die Wasserschlacht wird alljährlich begangen, ihr politisches Motto variiert jeden Sommer: sei es gegen den Machismus oder auch gegen die Klimakrise. Begleitend zur Wasserschlacht wurde ein Schiff gebaut. Der Regierung missfiel es, sie verbot in den 1990er Jahren das „Fest von unten“, musste jedoch eingestehen, dass der Wunsch größer als die Repression war, die ihn nicht befrieden konnte. Die Feierlichkeiten gibt es noch immer. Auf diesem Schiff ohne Meer fand sich die zapatistische Delegation ein. Kurzum: Auf diesem unmöglichen Schiff standen unmögliche Rebell*innen, die sich auf einer unmöglichen Reise befinden.

Die Demonstration endete am Kolumbus-Platz. Hier fand sich die Menge ein, ihnen gegenüberstehend die zapatistische Vorhut. Die Rede, die sie hielt, trägt den Titel „Erst 500 Jahre später“. Jede*r von ihnen verlas einen Teil der Rede. An zwei Stellen sprachen sie gemeinsam. Die Rede, neben einer fundamentalen Kritik gegenüber den Negativfolgen der Moderne, beinhaltet eine erneute Betonung dessen, worauf es ihnen in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus und für die Menschheit ankommt: „Denn zu leben, bedeutet nicht nur, nicht zu sterben, bloß zu überleben. Als Menschen zu leben, bedeutet, in Freiheit zu leben. Leben ist Kunst, ist Wissenschaft, ist Freude, Tanz, ist Kampf.“ Anders als andere Befreiungsbewegungen beansprucht die EZLN in diesem Kampf keine dominante oder alles bestimmende Position. Auch 25 Jahre nach ihrer vierten Erklärung aus dem lakandonischen Dschungel sind diese Sätze noch immer gültig: „Für alle das Licht. Alles für alle. Für uns der Schmerz und die Angst, für uns die freudige Rebellion, für uns die verweigerte Zukunft, für uns die rebellische Würde. Für uns nichts.“

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