Wie viele Jahre sind Sie bereits bei der FARC?
Seit 34 Jahren.
Wie sind Sie in die Guerilla eingetreten?
Ich trat wie die meisten jungen Menschen ein, die in Armut, von der Gesellschaft ausgeschlossen, aufgewachsen sind. Eines Tages entscheidet man sich für den bewaffneten Kampf als Weg für eine gerechtere, freiere und souveränere Gesellschaft.
Denken Sie, dass der bewaffnete Kampf substanzielle Änderungen für die kolumbianische Gesellschaft gebracht hat?
Substanzielle Änderungen sind noch nicht eingetreten. Das in Kuba unterzeichnete Friedensabkommen öffnet die Türen für den nötigen Wandel in Bezug auf die wirtschaftlich-soziale, politische und kulturelle Entwicklung im Land. Als Organisation zielen wir auf die Entwicklung der ländlichen Gebiete, auf die Reduzierung des Großgrundbesitzes und auf handfeste Garantien für das Recht auf die Landnutzung ab. Die Ländereien von den Kleinbauern, die von der nationalen Armee und den Paramilitärs vertrieben wurden, müssen zurückgegeben und mit technischen, finanziellen und infrastrukturellen Maßnahmen unterstützt werden. Es ist dringend notwendig, das politische Regime Kolumbiens zu demokratisieren, es muss Meinungsverschiedenhei-
ten erkennen und akzeptieren. Gewalt als historisch eingesetztes Instrument für die Machtausübung muss verboten werden. Der Paramilitarismus als Kampfmittel der politischen und wirtschaftlichen Macht muss beseitigt werden.
Haben Sie jemals am bewaffneten Kampf gezweifelt und hatten Sie Ängste während des Fortschreitens des Friedensprozesses?
In Zeiten des bewaffneten Aufstands habe ich nie an dessen Notwendigkeit gezweifelt. Den Prozess in Havanna erlebte ich mit hohen Erwartungen, denn er stellt die Möglichkeit dar, den Wunsch eines Großteils der kolumbianischen Bevölkerung zu verwirklichen, nämlich ein Ende des bewaffneten Konflikts und Ruhe und Hoffnung für die Gesellschaft. Ängste habe ich keine, meine Ambitionen und Erwartungen sind die bestmöglichen und so werden wir dem Prozess zur Implementierung des Abkommens gegenüberstehen.
Wie ist es Ihnen in der ländlichen Übergangszone für die Normalisierung (ZVTN) bis jetzt ergangen?
Wir kamen fristgerecht und unter den im Abkommen festgelegten Bedingungen in die ZVTN. Einige von uns kamen zu Fuß, andere mit dem Boot oder dem Auto. Die lokalen Bedingungen waren und sind immer noch nicht so, wie sie vereinbart wurden. Die Bauarbeiten laufen unglaublich langsam, das Gebiet wurde nicht richtig und zeitgerecht angepasst, die Baumaterialien und Werkzeuge sind unzureichend und die Pläne erfüllen nicht einmal einen Minimalstandard. Im Endeffekt gibt es noch kein Lager. Wir leben in Zeltlagern, so wie zur Zeit der offenen militärischen Auseinandersetzungen.
Finden Sie, dass dies der richtige Weg war, um die Wiedereingliederung ehemaliger FARC-Mitglieder ins Zivilleben zu ermöglichen?
Die Einrichtung der ZVTN war gut durchdacht, es sind verschiedene Schritte zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorgesehen. Damit sind Entwaffnung, Registrierung und Herstellung des Personalausweises der Guerilleros und Guerilleras, sowie deren Weiterbildung und medizinische Versorgung gemeint. Doch die Regierung – oder die dafür zuständigen Behörden – waren dieser Situation nicht gewachsen. Das Hauptproblem in den ZVTN ist der Mangel an logistischer Unterstützung, das Essen ist unzureichend oder kommt mit Verzögerungen an, sowie die Versorgung mit Medikamenten. Wir haben kaum Zugang zu Kommunikationsmitteln. Zur Zeit gibt es hier keinen Platz für die Guerilleros, die in Haft sind (und sich nach der Entwaffnung vor Ort versammeln können, Anm. d. Red.), die Zugangsstraßen zur ZVTN sind in einem katastrophalen Zustand.
Gibt es andere Versäumnisse, welche die Umsetzung der im Abkommen vereinbarten Punkte bis jetzt verhindern?
In den Übergangszonen gibt es erhebliche Verzögerungen. Aber sie sind nicht so gravierend wie die kürzlich vom Verfassungsgericht getroffene Entscheidung, das Präsidentialdekret über die Personalaufstockung der nationalen Schutzeinheit (UNP) außer Kraft zu setzten. Diese Behörde soll die Sicherheit derjenigen Personen garantieren, die in Gefahr sind. Dieser Schutz soll auch auf 1280 FARC-Mitglieder ausgeweitet werden, welche die Waffen bereits abgaben und sich in der Legalität befinden. Dazu änderte das Gerichtsurteil die Befugnisse des Parlaments in Bezug auf die Ratifizierung der Gesetze, mit dem Ziel, das Abkommen noch einmal verändern zu können.
Gibt es Kontakt zu den benachbarten Gemeinden?
Lange vor der Einrichtung der Übergangszone hatten wir Kontakt mit den benachbarten Gemeinden. Wir kennen die Probleme der Bevölkerung, ihre Hoffnungen und Ziele, und nun tragen wir aktiv zur Verbesserung ihrer Lebenssituation bei. Wir nehmen die Meinungen und Beobachtungen der Leute auf. Gemeinsam veranstalten wir Tage für gemeinnützige Arbeit oder kulturelle und sportliche Aktivitäten. In diese Zone kommen nicht nur die Nachbarn aus der Gemeinde, sondern auch nationale und internationale Persönlichkeiten, Politiker, Journalisten, Forscher und Akademiker.
Was ist die Rolle der Regierung in dieser, Zone,sind staatliche Institutionen präsent?
Die Regierung hat die militärischen Operationen gegen uns eingestellt, das muss man anerkennen. Darüber hinaus hat sie jedoch nicht viel getan. Ich erinnere mich an Besuche vom Gesundheits- und Agrarwirtschaftsministerium und von der Universidad Nacional – aber die beschäftigte sich ausschließlich mit der Sammlung von Daten, um die Situation in der Zone zu bewerten. Weder konkrete Bauten noch andere Projekte sind sichtbar. Die Meldebehörde hat ihre Aufgabe zum Teil erfüllt und für 50 Prozent der Guerilleros und Guerilleras in dieser Zone Personalausweise erstellt.
Wie ist Ihrer Meinung nach der Prozess der Entwaffnung gelaufen?
Dazu kann ich nur sagen, dass sie die wichtigste und mutigste Entscheidung war, welche wir nach mehr als einem halben Jahrhundert bewaffneten Kampfes treffen konnten.
Wie lange wird Ihr Aufenthalt in der ZVTN dauern und was empfinden Sie bei dem Gedanken, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden?
In der ZVTN werde ich die nötige Zeit bleiben, bis das Vereinbarte erfüllt wird. Die Wiederkehr ins politische, wirtschaftliche und soziale Leben gehen wir mit Entschlossenheit an. Uns ist bewusst, dass der Kampf in anderer Form weitergeht, gegen den gleichen Gegner und für die selben Veränderungen, für die wir seit dem letzten Jahrhundert kämpfen. Wir wissen, dass es viele Hindernisse gibt, aber mit unserem Willen und der Unterstützung des Volkes werden wir sie überwinden können.
Welche Risiken oder Bedrohungen sehen Sie für sich persönlich, gibt es bestimmte Sicherheitsgarantien?
Risiken gab es immer, und es wird sie immer geben. Aber unsere Einheit, Disziplin und Fähigkeit, zusammenzuarbeiten, werden die Bedrohungen reduzieren und am Ende werden sie verschwinden. Zum Teil gibt es Pläne für den Schutz von Guerilla-Mitgliedern, die sich mit Aufgaben im Rahmen des Abkommens befassen.
Welche Pläne haben Sie?
Meine Pläne sind diejenigen, welche die Organisation beschließt. Persönlich würde ich gerne die primäre Schulbildung abschließen, die Sekundärstufe besuchen und eine technische Karriere studieren.
Welche Botschaft würden Sie an die Zivilgesellschaft im Ausland senden?
Der deutschen und internationalen Gemeinschaft sage ich, dass Krieg, Ausbeutung und religiöse und ethnische Diskriminierung verwerflich sind. Gleichberechtigung, Toleranz und das Respektieren der Rechte von anderen, sind die höchsten moralischen Werte der Zivilisation. Wir benötigen eine entschlossene internationale Gemeinschaft, die diesen Prozess begleitet. Immer mehr soziale Aktivisten werden in den Regionen Kolumbiens ermordet. Mit Ausnahme von einigen Politikern und Persönlichkeiten scheint die internationale Gemeinschaft über diese Morde nicht sonderlich empört. Kolumbien kann zum Beispiel für die friedliche Lösung von Konflikten werden. Lasst uns unsere Kräfte vereinen und für den weltweiten Frieden arbeiten.