Nummer 351/352 - Sept./Okt. 2003 | Peru

Bilanz eines blutigen Volkskrieges

Die peruanische Wahrheits- und Versöhnungskommission legt ihren Bericht vor

Der Leuchtende Pfad kündigte einen Triumph der Revolution an, der eine Millionen Tote kosten würde. Aus der Revolution wurde nichts, doch es starben 70000 Menschen. Die peruanische Wahrheitskommission unternahm den Versuch, die Verbrechen eines grausamen Krieges aufzuarbeiten.

Rolf Schröder

Am Donnerstag, um zwölf Uhr mittags, schlug in Lima die Stunde der Wahrheit. Salomón Lerner, Rektor einer namhaften Universität, überreichte dem peruanischen Präsidenten Alejandro Toledo ein dickes Dokument von über tausenden Seiten. Es geht darin um das finsterste Kapitel in der Geschichte der peruanischen Republik, den von 1980 bis 1992 währenden Bürgerkrieg und die letzten acht Jahre des Fujimori-Regimes bis 2000. Lerner besuchte den Präsidenten in seiner Funktion als Vorsitzender einer vor zwei Jahren ins Leben gerufenen Wahrheits- und Versöhnungskommission, die nach der Anhörung von fast 17000 Zeugen jetzt ihren Abschlussberichtes vorlegte. Was bisher nicht bekannt war: Die Zahl der Opfer ist mit knapp 70000 mehr als doppelt so hoch wie bislang vermutet, und drei Viertel von ihnen gehören der indigenen Bevölkerung an.
Die beteiligten Konfliktgruppen, wollen nicht wahr haben, was die Kommission sagt. Das gilt besonders für den maoistischen Zweig der Kommunistischen Partei Perus (PCP), der bald nur noch Leuchtender Pfad oder Sendero Luminoso genannt wurde. Unter der Führung Abímael Guzmáns riefen seine Anhänger 1980 den Volkskrieg aus.

“Blutzoll” für die Revolution

Im Gegensatz zu anderen subversiven Gruppen in Lateinamerika schreckte der Sendero vor extremer Gewalt und bis dato unbekannter Grausamkeit nicht zurück: Folter, Misshandlungen und exemplarische Hinrichtungen galten als strategische Maßnahmen zur Bestrafung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung. Der Leuchtende Pfad sprach von einem „Blutzoll“, der für die Revolution bezahlt werden müsse. Die Wahrheitskommission zählte mehr als 35000 Tote, die auf das Konto der Rebellen gehen. Exemplarische Fälle sind die Massaker von Lucanamarca und Los Cabitos im Jahre 1983, wo der Leuchtende Pfad jeweils die gesamte Dorfbevölkerung liquidierte, weil sieihm die Unterstützung versagte. Brutale Bombenanschläge in den Städten und unzählige Morde an Politikern und Funktionären von Basisorganisationen kamen hinzu. Die Wahrheitskommission konstatiert eine direkte strafrechtliche Verantwortung des Zentralkomitees um Guzmán.
Die Mitglieder des Leuchtenden Pfads sind inzwischen zu Tausenden in die Gefängnisse gewandert und müssen die Wahrheit nicht mehr fürchten. Im Gegensatz zu den Angehörigen der Sicherheitsorgane. Die Kommission bescheinigt sowohl der Armee als auch der Polizei systematische Menschenrechtsverletzungen und die Ermordung von etwa 20000 Zivilisten. Brutale Foltermethoden und Massenvergewaltigungen kommen hinzu. Jetzt sollen endlich viele straflose Soldaten vor ein Zivilgericht gestellt werden: Die Wahrheitskommission hat exemplarisch Fälle zusammengestellt, in denen die Armee die Bevölkerung von ganzen Dörfern massakrierte, und nennt namentlich die verantwortlichen Offiziere.

Vorschläge zur Versöhnung

Die Parteien der Rechten sehen diese Entwicklung nicht gern und stehen der Arbeit der Wahrheitskommission ablehnend gegenüber. Hinzu kommt: Die Kommission hat Indizien zusammengestellt, die belegen, dass der von 1990 bis 2000 amtierende Präsident Alberto Fujimori und sein Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos direkt strafrechtlich verantwortlich für zahlreiche Morde der Todesschwadron Colina sind. Glimpflicher kommen Fujimoris Vorgänger Fernando Belaúnde und Alan García davon, obwohl die Armee während ihrer Regierungszeit zwischen 1980 und 1990 die grausamsten Verbrechen beging. Beiden Regierungen wird im Bericht vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen toleriert und vertuscht zu haben.
Alan García wird überdies als politisch Verantwortlicher für das Massaker der Armee an 260 Gefangenen des Sendero Luminoso in den Strafanstalten El Frontón und San Juan de Lurigancho im Jahre 1986 angesehen. Das ist gar nicht gut für seinen Ruf, möchte er doch im Jahre 2006 erneut Präsident werden.
Am Donnerstag ging es indes nicht nur um die Wahrheit. Die Kommission unterbreitete auch Vorschläge zur Versöhnung. Unter anderem denkt sie an Reparationen für die Angehörigen der Opfer.
Der Staat soll um Entschuldigung bitten und mit mehr Investitionen im Bildungsbereich sowie mit einer Strukturreform der Sicherheitskräfte dafür sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Präsident Toledo wünscht sich nun eine lebhafte Debatte über den Bericht. Er selbst findet allerdings, eine Versöhnung mit dem Leuchtenden Pfad darf es nicht geben.

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