Mexiko | Nummer 488 - Februar 2015

Festival gegen Kapitalismus

Zum 21. Jahrestag des zapatistischen Aufstandes organisiert die EZLN Großveranstaltungen in fünf Bundesstaaten

Anlässlich des 21. Jahrestags ihres Aufstands vertiefen die Zapatistas ihre Vernetzung mit dem Nationalen Indigenen Kongress und den sozialen Bewegungen. Schwerpunkt bei den Versammlungen sind die vermissten Studierenden von Ayotzinapa sowie Kritik am „Drogenstaat“.

Luz Kerkeling

Es war eine bewegende Zeremonie im staatsunabhängigen zapatistischen Verwaltungssitz Oventik, gehüllt in nächtlichen Nebel des Hochlands im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas. Über 5.000 Zapatistas, Angehörige des Nationalen Indigenen Kongresses CNI und Aktivist*innen sympathisierender sozialer Bewegungen aus dem In- und Ausland feierten in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar 2015 den 21. Jahrestagdes Aufstands der linksgerichteten zapatistischen Befreiungsarmee EZLN gegen Kapitalismus, Rassismus, Unterdrückung der Frauen und Naturzerstörung.
Doch es wurde nicht nur gefeiert, sondern auch getrauert und diskutiert. Die EZLN hatte als Ehrengäste Angehörige und Kommilitonen der 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero eingeladen, die seit einer der vielen gemeinsamen Gewaltaktionen von Staat und Mafias am 26. September 2014 vermisst werden. Drei weitere Studenten wurden bei dem Übergriff getötet.
Berta Nava, Mutter von Julio Ramírez Nava, der bei den Angriffen starb, rief dazu auf, sich zusammenzuschließen, um die Verschwundenen aufzufinden. Wie viele andere Angehörige ist sie überzeugt, dass die Mehrheit der Vermissten lebt: „Mein Sohn wurde ermordet. Ich habe mich daher den Angehörigen der 43 angeschlossen. Wir wissen, dass die Regierung sie entführt hat. Mit Hilfe von Euch allen können wir sie wiederfinden“.
Mario González, Vater von César González, der weiterhin vermisst wird, berichtet: „Uns wurde Geld angeboten, aber ich verkaufe meinen Sohn nicht! Wir werden nicht aufhören, sie alle zu suchen, auch wenn wir dabei unser Leben verlieren. Wir waren bisher nicht politisch organisiert, aber heute wissen wir, welche Schweine in der Regierung sind“. Zwischen den Redebeiträgen erschallten immer wieder energische Sprechchöre: „Ihr seid nicht allein!“, „Es war der Staat!“, „Es lebe die EZLN!“ und „Gerechtigkeit für Ayotzinapa – Gerechtigkeit für Alle!“
Während seiner zentralen Ansprache drückte Subcomandante Moisés, Sprecher der EZLN, den Angehörigen die Bewunderung der Zapatistas für ihr unermüdliches Engagement aus: „Wir unterstützen Euch, weil Euer Kampf gerecht und wahrhaftig ist. Euer Kampf sollte der Kampf der gesamten Menschheit sein. Nur durch soziale Bewegung können wir uns von unten verteidigen und befreien. Wir brauchen Organisation, Arbeit, Kampf, Rebellion und Widerstand.“ Unter anhaltendem Applaus tausender Anwesender umarmten 46 Zapatistas symbolisch die Angehörigen.
Die Jubiläumsfeier war Teil des „Weltweiten Festivals der Rebellionen und Widerstände gegen den Kapitalismus – Wo die von oben zerstören, bauen wir von unten auf“. Das Großtreffen wurde vom CNI und der EZLN organisiert und fand vom 21. Dezember bis zum 3. Januar in fünf unterschiedlichen Bundesstaaten in Zentral- und Südmexiko statt, um die Teilnahme möglichst vieler sozialer Aktivist*innen zu ermöglichen. Mitgetragen wurde die Mobilisierung entscheidend durch die „Sexta Nacional e Internacional“, ein horizontales Netzwerk engagierter Gruppen, die den Aufruf der EZLN – die „Sechste Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald“ von 2005 – unterstützen, um auf außerparlamentarische Weise basisdemokratische linksgerichtete Alternativen in Mexiko und der Welt voranzutreiben.
An den fünf Treffen des Festivals nahmen insgesamt über 10.000 Personen aus 49 Ländern aller fünf Kontinente teil. Die meisten Beiträge und Diskussion beziehen sich wegen der hoch repressiven Situation in der Quasi-Diktatur Mexiko aber vor allem auf das Land selbst. Willkürliche Festnahmen sozialer Aktivist*innen, ausbeuterische Großprojekte wie Tagebau, agrarindustrielle Monokulturen, Tourismusvorhaben, Großstaudämme, kostenpflichtige Autobahnen, die nicht einmal Ausfahrten zu den Gemeinden entlang ihres Verlaufes haben, die ausgrenzende Berichterstattung der Medien, der Rassismus gegenüber den indigenen Bevölkerungsgruppen sowie die fatale Rolle transnationaler Unternehmen wurden vehement verurteilt. Angehörige von feministischen Kollektiven wiesen darauf hin, dass bei den Diskussionen zu wenig auf patriarchale Unterdrückung eingegangen wurde, was schließlich auf viel Beifall stieß.
Salvador Campanur, langjähriger Aktivist des CNI stellte klar: „Schuld an allen Problemen, die wir in Mexiko erleiden, ist das kapitalistische System. Wir haben unseren Austausch bewusst an unterschiedlichen Orten durchgeführt, wo es Kämpfe zur Verteidigung unserer Ländereien gibt, um uns von den Attacken des organisierten Verbrechens und des Kapitalismus zu befreien. Unser Ziel ist, gemeinsam voran zu gehen und uns bei unseren Kämpfen gegenseitig zu unterstützen. Es sind neue Gruppen zum CNI dazugestoßen, ebenso zur Sexta. Wir haben zum Beispiel in unserer Stadt Cherán im Bundesstaat Michoacán gezeigt, dass Widerstand gegen das organisierte Verbrechen, die schlechte Regierung, die politischen Parteien und den Kapitalismus möglich ist. Wir kontrollieren unser Territorium nun selbständig. Uns ist wichtig, dass gesehen wird, dass dies möglich ist!“
Das Treffen fungierte wie viele vorherige Zusammenkünfte der Zapatistas auch als transnationale Vernetzungsmöglichkeit. So berichtete eine Aktivistin aus Griechenland, die zapatistischen Kaffee in Athen vertreibt, wie viel Kraft ihr die Rebellion in Chiapas für ihren Widerstand in Griechenland gebe; in einem Land, welches ob der sozio-ökonomischen Krise unter Verzweiflung und einer sprunghaft gestiegenen Selbstmordrate leide – unter anderem wegen der fatalen Rolle der deutschen Regierung im Kontext brutaler neoliberaler Umstrukturierungen.
Am letzten Tag des Festivals wurde viel mit dem Konzept des „offenen Mikrofons“ gearbeitet. Hier konnten sich alle Anwesenden zu Wort melden und ihre Vorschläge vorstellen. Diese variierten zwischen Forderungen nach einem Generalstreik, nach strafferer Organisierung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene und einer stärkeren Konzentration auf Alltagsprozesse im eigenen Umfeld.
Der grundsätzliche Aufruf von Subcomandante Moisés seitens der EZLN nach einer Stärkung der heterogenen Organisierungsprozesse traf auf viel Zustimmung: „Es gibt nicht nur einen einzigen Weg […] Die Zeiten und Orte und die Farben, die von unten und links erleuchten, mögen unterschiedlich sein. Aber ihr Ziel ist das gleiche: Die Freiheit, DIE FREIHEIT!“
Nur wenige Tage nach Ende des Treffens haben unterschiedliche Teilnehmer*innen des Festivals Repressionen erlitten. Zunächst attackierten am 4. Januar Unbekannte den Bus der Delegierten des CNI aus Zentral- und Nordmexiko auf dem Weg nach Guanajuato mit Steinen. Die Abgesandten waren sich sicher, dass es sich dabei um staatliche Sicherheitskräfte handelte: „Diese feige Aggression der schlechten Regierung zeigt uns ihre Angst vor uns, den Menschen von links unten, die in ihren Gemeinden und Städten kämpfen und die zum Festival zusammengekommen sind, um sich über ihre Widerstände und ihren Schmerz auszutauschen“, so die CNI-Delegierten in einer Pressemitteilung.
Wenige Tage später wurde in Mexiko-Stadt das Kulturzentrum Chanti Ollin brutal geräumt, konnte jedoch wieder besetzt werden. Zudem wurden wenige Tage nach dem Festival Anhänger*innen der Sexta aus Bachajón, Chiapas, von über 900 Polizisten angegriffen. Sie hatten sich einen Teil ihrer Gemeindeländereien, von denen sie 2011 durch Regierungskräfte vertrieben wurden, am 21. Dezember 2014 wieder angeeignet und eine mehrtägige Straßenblockade errichtet. Die Regierung will in dieser Region der berühmten Wasserfälle von Agua Azul den Tourismus ausweiten, und stößt dabei auf anhaltenden Widerstand der lokalen Bevölkerung, die sich gegen die Tourismuspläne und die vorgesehene Autobahn wehrt, um in Autonomie und Ernährungssouveränität weiter ihre kleinbäuerliche Lebensweise fortzuführen. Die Lage ist extrem angespannt.
Die Botschaft des Staates in allen Repressionsfällen ist klar: die pro-zapatistische linke Opposition soll sich bewusst sein, dass die Sicherheitskräfte vollends über ihre Aktivitäten informiert sind, dass sie jederzeit zuschlagen können und dass die mexikanischen Eliten nicht bereit sind, eine Ausweitung der Bewegung zu dulden.
Neben der Repression leiden viele Kaffee-Produzent*innen in Chiapas derzeit unter unterschiedlichen Krankheiten der Kaffeepflanzen, darunter Kaffeerost. In einigen Regionen sind fast alle Pflanzen durch den Pilzbefall abgestorben und es gibt Ernteausfälle von über 90 Prozent. Die Produzent*innen sind nun dabei, neuen Kaffee anzupflanzen und die Plagen mit agrarökologischen Mitteln zu bekämpfen.
Trotz der widrigen Umstände sind die EZLN-Anhänger*innen kämpferisch gestimmt, wie ein Sprecher der Kooperative Yochin aus der Zone von Morelia im Interview unterstreicht: „Auch wenn das ein schwerer Schlag ist, werden wir weiterkämpfen. Wir sind nicht nur Kaffee-Produzenten, wir sind Zapatistas und werden uns weiterhin autonom organisieren“.
In diesem kämpferischen Sinne endet auch die Abschlusserklärung des Festivals von CNI, EZLN und La Sexta: „Liebe Brüder und Schwestern dieser schmerzenden Welt, die aber durch die Rebellion, die uns nährt, fröhlich wird: Wir laden Euch ein, weiter zu schreiten, mit kleinem aber festen Schritt. Wir laden euch ein, dass wir als Sexta, die wir sind, uns weiterhin treffen, uns austauschen, aufbauen und lernen, eine Organisation von unten und links zu weben. Nur durch unsere Rebellion und unseren Widerstand wird der Tod des Kapitalismus geboren werden und es wird eine neue Welt für Alle entstehen.“

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