Gender | Nummer 279/280 - Sept./Okt. 1997

Frauenhaut

Zu Beginn des Jahres reiste die schwarze Peruanerin Delia Zamudio durch die Bundesrepublik, um ihre Autobiographie “Frauenhaut” vorzustellen. Auf den In-formationsveranstaltungen im Rahmen ihrer Rundreise kreisten die Gespräche oft um die aktuelle politische Situation Perus, das damals wegen der Botschaftsbesetung der MRTA in der Weltöffentlichkeit stand. Das folgende Interview versucht die Identität Delia Zamudios als Schwarze, als Frau, als politisch bewegter und in der Ge-werkschaft aktiver Mensch zu beleuchten.

Tom Beier

LN: Glaubst du, daß du eine sogenannte Dritte Welt Biographie hast?

Ja, eine totale Dritt-Welt-Biographie: Die Armut, die Unterdrückung als Frau, die Probleme, Arbeit zu finden, die gewerkschaftlichen Fragen. Ganz besonders hat mich die Frauenthematik geprägt: der Kampf um unsere Rechte. Sie schlagen uns, sie zwingen uns zu unwürdigen Arbeiten. Aber wir Frauen haben auch Rechte, dafür müssen wir kämpfen.

Was waren die wichtigsten Situationen in deinem Leben?

Für mich war es sehr wichtig zu erkennen, das ich eine Frau bin, eine Frau mit Kraft und mit Zielen.

Kannst du zwei, drei für dich wichtige Situationen in deinem Leben nennen?

Da ist zunächst der Augenblick, als ich zur Gewerkschaftsbewegung stieß.
Und dann die Erfahrung der Diskriminierung als Frau in dieser Bewegung. Das war besonders krass, als der Genosse nach meiner Wahl zur Gewerkschaftsvorsitzenden sagte: “Wir können uns doch nicht von einer Frau führen lassen – und schon gar nicht, wenn sie schwarz ist”. Ich erinnerte mich in dem Moment an meinen Großvater, dem ich sehr nahe war. Er sagte immer, wir müßten vereint sein und er sprach damit die Probleme der Ethnien an. Ihm war die Würde der Menschen sehr wichtig.

Gibt es immer noch eine ethnische Diskriminierung in Peru? Der Präsident Fujimori ist ja japanischer Abstammung.

Anfangs haben vielleicht einige Leute geglaubt, es würde sich etwas ändern, weil der Präsident selbst keiner dominanten ethnischen Gruppe angehört. Aber es ist ja letztlich so: Wer sich anpasst – egal welcher Hautfarbe -, der unterstützt schließlich auch die Politik der herrschenden Kaste. Und auf der anderen Seite sagt die Hautfarbe eines Präsidenten nichts über seine Interessen. Das ist ja auch eine Frage der Klassenzugehörigkeit, bzw. welche Klasse durch das politische System unterstützt wird. Mir war das aufgrund meines politischen Werdegangs recht schnell klar, deshalb habe ich Fujimori auch nicht gewählt.
Die Diskriminierung, gerade von Schwarzen, ist in Peru immer noch stark. Es gibt viele berühmte Namen von Weißen, die Indios und Schwarzen kennt dagegen niemand. Zu den Schwarzen sagt man, sie hätten nur Verstand bis 12 Uhr mittags. Und von den Indios heißt es, sie seien grobschlächtig.
Wir haben mal in der Partei unsere Namen analysiert und herausgefunden, daß die Arbeiterinnen und Arbeiter alle typische Namen schwarzer oder indigener Herkunft hatten. Sie hießen Cotito, Zegarra usw. und waren schon von daher als Angehörige einer ethnischen Minderheit erkennbar. Heute sind an den Universitäten Mitglieder aller im Land vertretenen ethnischen Gruppen zu finden. Schwarze, Weiße, Indígenas – Farbige sagt man heutzutage. Die Privatisierung der Erziehung unter Fujimori wird aber wieder dazu führen, daß die Schwarzen und Indígenas von der Bildung ausgeschlossen werden. Wir können es uns nicht leisten, die Universität zu bezahlen. Es bleibt für viele nicht einmal das Geld, um die Kinder auf die weiterführende Schule zu schicken. Fujimori will offensichtlich eine Gesellschaft schaffen, in der einige Schwarze zu einer Ausbildung kommen und der Rest wieder zum “billigen Neger” wird.

Was sind deine persönlichen Erfahrungen, du gehörst ja einer anderen Generation an als die jungen Menschen, die nicht zur Universität können.

Ich mußte schon in der Schule leiden. Jedesmal, wenn jemand was ausgefressen hatte, fragte die Lehrerin: Wer war das? und die anderen anworteten: Die Schwarze. Und das war ich. Die Strafen für mich waren immer besonders hart. Die Lehrerin machte da auch genaue Unterschiede zwischen den Strafen für die Cholos (Indigenas) und für mich als Schwarze. Zu den Cholos sagte sie: “Stell dich an die Wand!” und ich mußte mich mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen. Durch diese Behandlung wurde ich sehr ängstlich und manchmal lebensmüde. Ich weinte in dieser Zeit sehr viel, bis ich meine Gefühle mehr und mehr in den Griff bekam.

Glaubst du, daß sich die Situation heute geändert hat?

Hinsichtlich der Strafen, die heute verhängt werden, glaube ich schon. Aber mit meiner Tochter habe ich auch noch so meine Erfahrungen gemacht. Sie ist relativ hell, weil sie auch indigen ist. Als sie zur höheren Schule ging, kam sie eines Tages und sagte, daß ihr der Kopf wehtu. Ich fragte, “warum?” und sie sagte, weil sie mich hier gezogen haben und zeigte auf den Haaransatz über dem Ohr. Ich sah, daß sie dort ziemlich verletzt war. Da fragte ich sie, was los sei. Und sie antwortete: “Mami, mich schlägt die Lehrerin immer an den Kopf”. Da bin ich am nächsten Tag gleich zur Schule um mit der Leherin zu sprechen Die sagte dann spitz: “Ja, was wollen sie”. Ich meinte: “Senora, entschuldigen Sie, aber sie verletzen meine Tochter. “Ja, sagte sie, aber sie ist immer so ungehorsam und quatscht im Unterricht.” Da habe ich zu ihr gesagt: “Deshalb brauchen sie sie aber nicht zu schlagen, sie können ihr das doch auch sagen.” Da entgegnete sie mir frech: “Sehen Sie, wenn Ihnen meine Art nicht gefällt, ist das ihr Problem, mir gefällt es jedenfalls nicht, eine Schwarze zu unterrichten.”

War die Lehrerin eine Weiße?

Nein, sie war Chola. Mir fällt diese Situation ein, weil sie zeigt, daß es auch heute noch diese Diskriminierung gibt, denn das war erst vor einigen Jahren, und ich denke, es ging nicht nur meiner Tochter so.
Man sieht daran, daß dieses Selbstverständnis immer noch da ist. Diese Lehrerin sagte auch, daß die Schwarzen Krankheiten übertrügen. Sie hatte das Selbstbild, daß sie besser sei als die Schwarzen.

Hier wird viel über den Neoliberalismus diskutiert. Was bedeutet das konkret in Peru seit Fujimori?

Fujimoris Amtsantritt war 1990. Er begann sofort, unter dem Stichwort Globalisierung die Zölle zu senken. Das führte zur Schließung von vielen Unternehmen in Peru, weil die der Konkurrenz durch die Billigimporte aus anderen Ländern nicht standhalten konnten. Außerdem hat Fujimori eine Deregulierung des Arbeitsmarktes betrieben, und es kam zu Lohnsenkungen. Zudem hat er Unternehmensschließungen erleichtert. Von dieser Politik waren Zehntausende Menschen in Peru betroffen. Hier ergibt sich wieder eine Verbindung zu meinem persönlichen Leben: Auch wir 130 Beschäftigten bei Schering-Peru wurden entlassen, das Werk wurde geschlossen. Wir standen alle innerhalb von einer Woche auf der Straße. Die Schering-Geschäftsführung hat zu uns gesagt: Entweder ihr geht freiwillig, oder ihr fliegt raus. Die Hauptversammlung der Aktionärinnen und Aktionäre hat von Berlin ausbeschlossen, das Werk zu schließen. Wenn ihr freiwillig geht, bekommt ihr das doppelte der gesetzlichen Abfindung. Wenn nicht, legen wir die gesetzliche Abfindung bei einer staatlichen Bank an.

Welche Formen und Auswirkungen nimmt die neoliberale Politik noch an?

Die wichtigste Auswirkung ist glaube ich, daß die Solidarität untereinander in der Gesellschaft vollends zerstört wurde. Schon vor einigen Jahren wurde beispielsweise das öffentliche Rentensystem zerstört. Es wurde private Pensionsfonds gegründet, so daß jeder für seine eigene Rente ansparen muß. Hat er nicht so viel gespart, hat er hinterher eben Pech. Ähnliche Privatisierungspläne gibt es auch für das Gesundheitssystem. Weitere neoliberale Maßnahmen in Peru waren: Die Privatisierung der Wasser- und Elektrizitätsversorgung und die Senkung des Mindestlohns. Dieser liegt jetzt etwa bei einem Zehntel des vom statistischen Amtes errechneten Gehalts zur Deckung des Lebensunterhalts.
Um auf meine persönlichen Erfahrungen zurückzukommen: Viele von uns Frauen mußten als Straßenhändlerinnen arbeiten und haben ihr selbstgekochtes Essen verkauft. Bis der Bürgermeister von Lima eine Aktion startete, bei der durch einen Spezialtrupp die Frauen krankenhausreif geschlagen wurden. Wir wurden an den Haaren weggezogen, die Töpfe mit dem Essen hat man uns abgenommen. Das alles fand unter dem Motto “Lima soll sauber werden” statt. Außerdem sollte der Eindruck erweckt werden, daß die Wirtschaftspolitik funktioniert und es keine Armut auf der Straße gäbe.
Jetzt ist Lima so sauber und leer wie der Magen der meisten Menschen dort, und die Tuberkulose greift wieder um sich.

Wie geht die Bevölkerung mit dieser Situation um?

Um mein eigenes Überleben nach dem Rauswurf bei Schering zu organisieren, habe ich bei mir im Haus einen Laden eröffnet. Ich war aber nicht die einzige, in meiner Straße, die auf diese Idee kam. Es gibt mindestens vier andere Läden direkt neben mir. Wir scherzen schon manchmal, wir könnten auch direkt zur Tauschwirtschaft übergehen. Zu mir kommen die Frauen sowieso und fragen: Frau Zamudio, können sie mir nicht etwas Reis leihen oder Nudeln oder Zucker. Und ich weiß genau, wenn ich ihnen das nicht gebe, haben ihre Kinder nichts zu essen. Das Problem ist aber, daß die Frauen anschreiben lassen, aber nie Geld haben, die Schulden zu bezahlen. Als ich nach Deutschland gefahren bin, war der Laden fast leer.

Was unternimmt die Gewerkschaftsbewegung, zu der du ja gehörst, gegen diese Verarmung der Bevölkerung und gegen die Zersplitterung der Zivilgesellschaft?

Ich habe schon erwähnt, daß Schering geschlossen wurde, weswegen ich auch keine Gewerkschaftsführerin mehr bin. Ich finde es wichtig, daß die peruanische Linke sich ohne viele Etiketten rekonstituieren kann. Die Parteien haben mit ihrem falschen Verständnis von Parteidisziplin viel Schaden angerichtet. Besonders der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes CGTP hat sich gebärdet wie der Papst und wollte keinen Deut seiner Macht abgeben. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat die peruanische Linke schwer getroffen, obwohl wir es schon haben kommen sehen. Es ist schließlich wichtig in Würde und Demokratie zu leben und nicht so wie in der Sowjetunion. Eine gesellschaftliche Veränderung für Peru kann man nirgends abkupfern. Das geht vielleicht langsam, aber wir sind auf dem Weg.

Du sprichst von Parteidisziplin. Findest du es falsch, die Gewerkschaftsbewegung zu politisieren?

Gegen Politisierung habe ich nichts. Jeder Mensch ist ein politisches Wesen. Aber wenn die parteipolitischen Flügelkämpfe in die Gewerkschaften getragen werden, ist das schlecht.

Seitdem du nicht mehr gewerkschaftlich organisiert Politik machst, bist du in der Stadtteilarbeit aktiv. Erscheint dir das besser oder wichtiger?

Die Stadtteilarbeit unterscheidet sich stark von der Gewerkschaftsarbeit. Wir müssen hier ständig dazulernen. Ein Beispiel: Zu Zeiten der Regierung Belláunde ist uns versprochen worden, daß es in unserem Stadtteil Straßen, Bürgersteige, Parks und Gärten geben wird. Das war eine leere Versprechung. Jetzt will der derzeitige Bürgermeister, daß wir dafür zahlen, daß Straßen angelegt werden. Ich habe dazu auf einer Versammlung gesagt, daß ich das nicht einsehe. Wenn die Fujimori-Regierung die Auslandsschulden bezahlt, dann muß sie sich auch an die Verpflichtungen gegenüber der eigenen Bevölkerung erinnern, an die inländische Schuld.
Der Dachverband der Straßenhändlerinnen und Straßenhändler hat seinen Sitz in Lima. Die Vorsitzende ist Corinna Larios, eine sehr engagierte Frau. Ich selbst kooperiere viel mit dieser Organisation, halte Vorträge. Dieser Dachverband ist selbst ein Teil der Gewerkschaftsbewegung und versucht, diese zu stärken. Insofern würde ich das nicht gegeneinanderstellen.

Du hast anfangs gesagt, daß es wichtig für dich war, zu erkennen, daß du eine Frau mit klaren Zielen bist. Würdest du dich als Feministin bezeichnen?

In Peru gibt es in der Frauenbewegung zwei Pole. Die einen nennen sich selbst Feministinnen und arbeiten in NGOs, die vom Ausland subventioniert werden. Diese Frauen haben die Möglichkeit, oft ins Ausland zu reisen. Von ihnen habe ich schon viel gelernt. Die anderen sind die Frauen in den Volksbewegungen und Gewerkschaften. Das Problem für mich ist, daß ich von den Feministinnen auch schon zu hören bekommen habe, daß ich vielleicht Vorsitzende in meinem Stadtteil-Frauenkomitee sei, aber keine Feministin. Sie haben da eine enge Definition. Der Alltag der Frauen aber, die sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte zum Beispiel, gehörte für diese Feministinnen nicht zu ihrer Arbeit. Es interessiert sie gar nicht. Trotzdem haben die Frauen aus den feministischen Frauenzentren immer wieder versucht, für die Frauen aus den Stadtteilen zu sprechen.
Unsere Frauenarbeit in der Stadtteilbewegung dagegen sieht so aus, daß wir uns gegen die Mißhandlung von Frauen einsetzen, diese bei uns zuhause verstecken und uns mit den Männern streiten, die ihre Frauen suchen. Unser Ziel ist es, ein Frauenhaus aufzubauen. Da sollten dann auch eine Psychologin und eine Anwältin arbeiten. Denn mit der rechtlichen Unterstützung sind solche Mißhandlungen durchaus strafrechtlich verfolgbar.

Frauenhaut, Neues ISP Verlag, Atlantik Verlag, 142 S., DM 25,- (ca. 13 Euro).

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