„Good guy“ Schmidbauer?
Deutsche Vermittler spielen eine Schlüsselrolle im Konflikt mit der ELN
Das politische Panorama in Kolumbien wird immer komplizierter: Während die Pastrana-Administration Mitte Juli in der Gemeinde La Uribe/Meta nun offiziell Verhandlungen mit der größten Guerillaorganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) eröffnen will, sind die Beziehungen zur ELN (Ejército de Liberación Nacional) auf einem Tiefpunkt angelangt. Daß das so ist, hat vor allem der Präsident zu verantworten. Monatelang hatten Regierungsquellen die ELN als besiegt bezeichnet und alles unternommen, um die im Juni 1998 unter Schirmherrschaft der deutschen Bischofskonferenz vereinbarte Nationalkonvention (ein Treffen von politischen und sozialen Gruppen mit der Guerilla) zu verhindern. Armee und Paramilitärs konzentrierten ihre Aktivitäten auf jene Gebiete, die als möglicher Sitz der Nationalkonvention in Frage kamen, die Bauernbevölkerung der betreffenden Regionen wurde brutal angegriffen und die in Haft sitzenden politischen Sprecher der Guerillaorganisation bedroht.
Vor diesem Hintergrund führte die ELN von April bis Juni eine Reihe spektakulärer Aktionen durch, darunter eine unblutig verlaufene Flugzeugentführung, eine (gemeinsam mit den FARC durchgeführte) Offensive auf das paramilitärische Kerngebiet in Córdoba sowie die Gefangennahme von etwa 70 Oberschichtsangehörigen aus einer Kirche im Süden Calis. Vor allem die zuletzt durchgeführte Aktion Anfang Juni sorgte für Aufregung.
Eine bedenkliche Entwicklung für die ELN dürfte sein, daß Zehntausende im ganzen Land gegen die Entführungen demonstrierten. Die Medien präsentierten die Aktion als Angriff auf die Kirche, unterschlugen allerdings, daß die meisten Geiseln zu der wirtschaftlichen Elite des Landes zählen. Auch auf internationalem Terrain steht die ELN auf einmal als „bad guy“ da. Obwohl die ELN-Kommandanten Nicolás Bautista und Antonio García in einer schon länger geplanten diplomatischen Rundreise durch Europa um Schadensbegrenzung bemüht waren, blieb die Atmosphäre vergiftet. Besondere Empörung rief hervor, daß Nicolás Bautista bei seinem Besuch im Vatikan politische oder wirtschaftliche Gegenleistungen für eine Freilassung der Geiseln forderte. Wie diese aussehen sollen, ist bisher offen, doch es dürfte entweder um die von der ELN geforderte Demilitarisierung eines Gebietes für die Nationalkonvention oder aber um Geldzahlungen gehen.
Rot-grün spielt nicht mit
Diese kompromißlose Haltung hat die im Ausland befindlichen Guerilleros selbst zu Geiseln gemacht. Der Druck auf die sich in Europa (wahrscheinlich Deutschland) aufhaltenden ELN-Führer wächst. Interessanterweise ist es vor allem die ELN selbst, die deutsche Politiker als Vermittler ins Gespräch gebracht hat. Offensichtlich setzt die Organisation, die nach dem Ende des kalten Kriegs neue Hegemonialkämpfe zwischen Euro-Deutschland und den USA heraufziehen sieht, darauf, einen Gegenpol zu den US-Interessen in der Region ins Spiel zu bringen. Dabei hegt die ELN nach eigenen Aussagen keine Illusionen darüber, daß eine europäische Außenpolitik demokratischer wäre als die der USA. Vielmehr gehe es darum, sich überhaupt Spielräume zu eröffnen.
Unter der Regierung Kohl ging dieses Kalkül lange Zeit auf. Ex-Kanzleramtsminister Schmidbauer und das Agentenehepaar Mauss werteten die Guerilla als Gesprächspartner auf und bezogen eine neutrale Position im kolumbianischen Konflikt. Unter Rot-grün hat sich dies nun grundlegend verändert. Volmer und Fischer wollen von den Kolumbien-Kontakten nichts mehr wissen. Die SPD-Abgeordneten Kortmann und Hempel lehnten es Anfang Juni sogar ab, an einer rein humanitären Delegation teilzunehmen, die die Freilassung von 30 Geiseln kontrollieren sollte. Man werde das Spiel der ELN nicht mitspielen, hieß es in einer in der Tageszeitung El Espectador abgedruckten Erklärung aus den Reihen der SPD-Fraktion.
Nachdem ein anderer wichtiger deutscher Vermittler, der in Ecuador ansässige progressive Bischof Emil Stehle, von den kolumbianischen Behörden im Juni Einreiseverbot erhielt, sind nun letztlich nur noch Schmidbauer und die Agenten Mauss übriggeblieben. Diese haben sich im Juni erneut hervorgetan: Der CDU-Abgeordnete Schmidbauer war in Bogotá als Überbringer von ELN-Verhandlungsvorschlägen unterwegs und überwachte die Freilassung von einem Teil der in Cali genommenen Geiseln. Michaela Mauss ging noch einen Schritt weiter und kritisierte die Reaktion der Medien auf die Geiselnahme von Cali. Man habe die Entführung dramatisiert, obwohl den Oberschichtsangehörigen keine ernste Gefahr drohe, gleichzeitig jedoch blieben die Morde an Dutzenden von Bauern im Nordosten Kolumbiens völlig unbeachtet.
Aus was für Interessen handeln Schmidbauer und Mauss? Man darf annehmen, daß Mauss und Schmidbauer auf ihre alten Tage keineswegs zu linken Humanisten werden. Der Grund für ihr Engagement dürfte eher mit den deutschen Investitionserwartungen in dem an Erdöl und Kohle reichen Land zu tun haben, das lange das stabilste Wirtschaftswachstum auf dem Kontinent besaß. Schon ein Teilabkommen mit der ELN könnte für deutsche Unternehmen interessant werden. Erfahrungen diesbezüglich gibt es bereits, schließlich handelte das Duo 1984 für die Mannesmann AG einen Pipeline-Bau durch ELN-Gebiet aus. Der Konzern verpflichtete sich zu Sozialausgaben in der Region und konnte unbehelligt seine Rohre verlegen. Bewaffnete Wohlfahrtspolitik sozusagen. Aus linker Sicht in Deutschland müssen diese Verbindungen als dubios erscheinen, aus kolumbianischer Sicht gibt es gute Argumente dafür.
Militärische Ambitionen der USA
Die USA streben immer deutlicher eine militärische Lösung an. Beim letzten OAS-Treffen im Mai 1999 schlug die Clinton-Regierung mit Blick auf Kolumbien vor, eine kontinentale Eingreiftruppe zur „Verteidigung der lateinamerikanischen Demokratien“ zu gründen. Die Rechtsregierungen in Peru und Argentinien forcieren ihrerseits eine derartige Intervention, die in gewisser Weise das fortsetzen würde, was man in Jugoslawien vorexerziert hat: militärische Einsätze mit „humanitärer“ Legitimation.
Auf dem OAS-Gipfel wurde das Anliegen noch abgelehnt, doch der Chef des US-Kommandos in Panama Charles William hat bereits angekündigt, daß der im Torrijos-Carter-Vertrag für dieses Jahr vereinbarte Rückzug der US-Truppen möglicherweise ausgesetzt werden muß. Die panamenischen Truppen seien allein nicht in der Lage, die Grenze zu Kolumbien dauerhaft zu sichern. Seit einigen Monaten gibt es dort ständig Überfälle auf Polizeiposten, die im Namen der FARC verübt werden. Die Guerillaorganisation hat jedoch erklärt, nichts mit den Angriffen zu tun zu haben. Warum auch? Mit der panamenischen Polizei haben die FARC keinen Ärger. Da weder die Pastrana-Regierung noch die Paramilitärs ein klares Interesse an einer US-Intervention im Land haben dürften (dafür herrscht zu große Unklarheit über die weiteren Pläne Washingtons), gibt es eigentlich nur einen Beteiligten, der mit den Überfällen gewinnt: die US-Armee selbst, die damit ihre Truppenpräsenz in Panama verlängern möchte. Verwunderlich wäre eine solche Operation nach allem, was man aus Zentralamerika weiß, nicht. Daß die ELN versucht, hiergegen ein politisches Gegengewicht ins Spiel zu bringen, ist vor diesem Hintergrund einigermaßen verständlich – selbst wenn die betreffenden Personen Schmidbauer oder Mauss heißen. Paradox angehendes 21. Jahrhundert: Die guten alten Hegemonialpolitiker stehen für eine „humanere“ Außenpolitik als die Interventionsexperten von Rot-grün.