Kuba | Nummer 331 - Januar 2002

Katastrophenprävention:

Lippenbekenntnisse in Zentralamerika, Tatsachen in Kuba. Eine Polemik

Seit Jahren steht das Stichwort Katastrophenprävention in den Programmen der Entwicklungsagenturen in Zentralamerika hoch im Kurs. Aber basisnahe Prozesse sind genauso löbliche wie seltene Ausnahmen. Alle Beteiligten räumen mittlerweile ein, dass angesichts des fehlenden politischen Willens der zentralamerikanischen Regierungen Katastrophenprävention nur so lange Thema sein wird, wie dafür Geld aus dem Norden fließt. Wie Katastrophenprävention allerdings auch aussehen kann, wurde in Kuba anlässlich des Wirbelsturmes Michelle anfang November eindrücklich unter Beweis gestellt.

Franco Weiss

El Salvador, 1. November 1998: „Wo kriegen wir bloß Trinkwassertanks her? Die Leute in den überschwemmten Gebieten leiden Durst!”, so eine Vertreterin einer lokalen salvadorianischen NGO per Telefon an diesem fatalen Samstag, als Mitch auch in El Salvador Einzug hielt. Tagelang hatte Mitch in Honduras und Nicaragua gewütet, Alarmbotschaften aus beiden Ländern hatten kaum Beachtung gefunden – bis denn das Wasser buchstäblich zum Hals stand.
Tausende von Todesopfern waren in Nicaragua und Honduras neben immensen Sachschäden zu beklagen. Die Regierungen waren unfähig (oder gar unwillig) zu reagieren. Das Klagen der Verletzten in der Schlammlawine am Casitasvulkan in Nicaragua war auch noch am zweiten Tag zu hören, aber als die Rettungstrupps am dritten Tag endlich eintrafen, waren sie für immer verstummt.
In El Salvador wurden die Kleinbauernfamilien im Mündungsgebiet des Lempaflusses nicht einmal informiert, dass die Schleusen des Stauwehrs komplett geöffnet wurden, um einen Dammbruch zu verhindern. Um sich in Sicherheit zu bringen und die ersten Tage zu überstehen waren sie auf sich selbst und die lokalen Basisorganisationen angewiesen. Statt vorsorglich Wasser aus den vollen Staubecken abzulassen, wartete die staatliche Elektrizitätsbehörde, bis zur Überflutung weiter Gebiete keine Alternative mehr blieb.
Auch rund fünf Monate nach dem Hurrikan waren die zentralamerikanischen Länder auf der Geberkonferenz in Stockholm nicht in der Lage, koherente und bedürfnisorientierte Wiederaufbaupläne vorzulegen. Parteipolitische Günstlingswirtschaft, Korruption und die Unfähigkeit Aufbauprogramme umzusetzen, erschweren den Wiederaufbau, und noch heute wohnen tausende von Familien in provisorischen Unterkünften.
Kuba, 4. November 2001: Der Wirbelsturm Michelle durchquert die Karibikinsel von Süden nach Norden. Rund 45 Prozent des Landes waren fünfzehn Stunden lang Windböen von bis zu 250 Stundenkilometern ausgesetzt. Im Vorfeld des Unwetters wurden knapp eine Million Personen evakuiert und die gesamten staatlichen Institutionen in Alarmbereitschaft versetzt. Die vorläufige Bilanz sind fünf Todesopfer und große Sachschäden.
Keine Woche ist vergangen und erste Wiederaufbaupläne werden bekannt gegeben. Bildungs- und Gesundheitsinstallationen genießen höchste Priorität und werden – ebenso wie Kommunikationseinrichtungen – noch vor Weihnachten wieder instandgesetzt. „Niemand wird fallen gelassen, nichts wird vergessen. Nicht alle Probleme können gleichzeitig gelöst werden, aber alle werden beachtet werden”, versichert Carlos Lage, Sekretär des Ministerrates der kubanischen Regierung knapp eine Woche nach dem Sturm übers Fernsehen im Rahmen einer detaillierten Schadensauflistung und der jeweils getroffenen oder zu treffenden Gegenmaßnahmen.
Während in Zentralamerika Vorbeugung ein Fremdwort zu sein scheint und Maßnahmen jeweils erst dann getroffen werden, wenn das Wasser schon bis zum Hals steht, befand sich Kuba bereits Tage vor dem Wirbelsturm in einer Art Ausnahmezustand. Knapp eine Million Personen und ganze Viehherden wurden an sichere Orte evakuiert. Die Bevölkerung deckte sich mit dem Nötigsten ein und schützte Fenster und Dächer gegen die Sturmböen. Gesundheitspersonal, LehrerInnen, Armeeangehörige, ElektrizitätsarbeiterInnen, Wasserwerksbeamte, etc., sie alle befanden sich bereits in Alarmbereitschaft.

Niemand wird fallen gelassen…

Deshalb waren statt tausenden „nur” fünf Todesopfer zu beklagen, deshalb kam es nicht zu Überschwemmungen, sondern sind die Stauseen nun prall gefüllt, deshalb litten die Obdachlosen nicht zwei Tage Hunger und Durst, sondern waren Nahrungsmittel und Trinkwasserversorgung gesichert, deshalb waren die Aufräumarbeiten ab dem Morgen nach Michelle bereits Teil des Wiederaufbaus, deshalb wurde nicht primär auf internationale Hilfe gewartet, sondern mit den verfügbaren knappen Ressourcen der Wiederaufbau begonnen und darüber diskutiert, wie kurzfristig schnellwachsende Nahrungsmittel angebaut werden können, um die Verluste im Bereich Zitrusfrüchte und anderer Anbauprodukte wettzumachen.
Heerscharen von WahlbeobachterInnen, Staatsmännern und -frauen und JournalistInnen werden nicht müde, die demokratischen Fortschritte und die weit gehende Respektierung der Menschenrechte in Zentralamerika zu preisen und würdigen und gleichzeitig auf das „Demokratiedefizit” und die „Verletzung der Menschenrechte” in Kuba hinzuweisen.
Vergleiche zwischen den Auswirkungen des Wirbelsturms „Juana”, 1988, der in Nicaragua neun Todesopfer forderte, gerade weil die sandinistischen Behörden im Vorfeld zehntausende an sichere Orte evakuierten, und den tausenden von Toten anlässlich Mitch 1998, als die Regierung die Hände in den Schoß legte, müssen genauso gezogen werden, wie Vergleiche zwischen Mitch in Zentralamerika und Michelle in Kuba. Das Recht auf Leben in Würde ist die Basis der gesamten Menschenrechte. Wenn eine Regierung dieses Ziel so offensichtlich nicht verfolgt, wie die nicaraguanische, die hunderte von verletzten BürgerInnen in einer Schlammlawine umkommen lässt, oder die salvadorianische, die bewusst in Kauf nimmt, Felder und Häuser von hunderten von Familien zu überschwemmen, dann sind dies elementarere Gradmesser für Demokratie und Respektierung der Menschenrechte als so genannte Pressefreiheit und korrumpierte Mehrparteiensysteme.

…nichts wird vergessen

Anlässlich von Katastrophen zeigt sich der Unterschied zwischen Regierungen, welche die Mehrheit „ohne Stimme belassen“, wie Monseñor Romero bereits vor 20 Jahren anprangerte und solchen, die „niemanden vergessen”, wie es Carlos Lage in Kuba formuliert, mit besonderer Deutlichkeit. Ein Unterschied, der sich tagtäglich im Zugang zum Bildungswesen und Gesundheitsversorgung, Altersversorgung und Grundnahrungsmitteln ausdrückt. All diese sind in Kuba im Rahmen des Möglichen gewährleistet und für die Mehrheit der BewohnerInnen in Zentralamerika ein Fremdwort. Dafür leben sie in Freiheit und Demokratie. Nur ist davon leider noch niemand satt geworden, außer denjenigen, die diese heren Vorsätze predigen.

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