Latino-“Putztruppen“ gegen die grenzenlose Ausbeutung
Bread and Roses, der neue Film von Ken Loach
Um Haaresbreite wären die zwei Gestalten im Business-Outfit bei ihrem dynamischen Sprung in den Lift auf etwas draufgetreten. Auf die Hand einer jungen Frau, die gerade mit einem Schraubenzieher den Dreck aus den Fugen kratzt. Fast auf Tuchfühlung huschen sie an der Mexikanerin vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Millimeterarbeit. Fast, als sei dies die tägliche Fitness-Übung. Speedige ManagerInnen und schrubbende Putzkräfte. Dezenter Chic und unförmige Overalls. Laptops und Putzfeudel. Traumgehälter und Lohndumping – zwei Welten unter dem Dach eines Büroturms in Los Angeles. Als sich die Fahrstuhltür schließt, meint Rubén, der Putzmann, zu seiner Kollegin Maya: „Da siehst du es. Die Uniformen machen uns unsichtbar.“ Die junge Frau hat verstanden. Bereits an ihrem ersten Arbeitstag für die Reinigungsfirma Angel, hat man ihr klar gemacht, dass sie hier nichts zu melden hat. Im Gegensatz zur müden Duldsamkeit der Kollegen und Kolleginnen gönnt sich Maya jedoch zumindest ab und zu als Pausenerfrischung eine kleine süße Rache. Bevor die nächsten Büroangestellten Richtung Lift um die Ecke biegen, drückt Maya in Windeseile die Halteknöpfe für sämtliche Stockwerke.
Ein besseres Übermorgen
Gerade illegal aus Mexiko eingereist, bekommt Maya recht schnell die hiesige Hackordnung zu spüren. Und handelt instinktiv. Als der Aufseher Pérez einen jungen Mann durch die Flure verfolgt, bugsiert Maya diesen im Putzcontainer aus der Gefahrenzone. Kurz darauf steht der Unbekannte bei Maya und ihrer Schwester Rosa auf der Matte und stellt sich vor: Sam Shapiro von der Gewerkschaftskampagne „Justice for janitors“ – „Gerechtigkeit für Putzangestellte“.
Was zählt mehr, das Überleben im Hier und Jetzt oder der Kampf für ein besseres Übermorgen? In seinem Film Bread and Roses (Brot und Rosen) kreist der Brite Ken Loach wieder um sein großes Thema: das Ringen um soziale Gerechtigkeit. Zum zweiten Mal binnen weniger Jahre hat der Regisseur, der wie kein Zweiter für das sozial engagierte britische Kino steht, sich dabei einen Schauplatz ausgesucht, der mit Lateinamerika zu tun hat. Ging es in Carla’s Song (1995) um eine Geschichte zwischen Glasgow und Nicaragua während des Bürgerkrieges gegen die Contra in den Achtzigern, wenden Loach und sein Drehbuchautor Paul Laverty sich diesmal den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und dem Überlebenskampf lateinamerikanischer EinwandererInnen im Sonnenstaat Kalifornien zu.
Ein Film über einen gewerkschaftlichen Kampf Bürohaus für Bürohaus, das klingt zunächst fast rührend antiquiert. Schließlich leben wir in den Zeiten der transnationalen Konzerne und der fast schrankenlosen Kapitalströme. Schon in Zusammenhang mit seinem Film Carla’s Song war Loach wiederholt mit dem Argument kritisiert worden, sein Diskurs sei zwar politisch korrekt, aber nicht auf der Höhe der Zeit. Mittlerweile allerdings, nach dem Aufsehen erregenden Widerstand in Seattle, Göteborg und Genua, nach dem Weltsozialforum in Porto Alegre, wo auch führende Presseorgane weltweit begonnen haben, den globalen und lokalen Widerstand auf die Titelseiten zu heben, erscheint Ken Loachs Beharren auf seinen thematischen Essentials urplötzlich wieder wie Avantgarde.
Latinos im US-Kino
Auch wenn die legalen und illegalen GrenzgängerInnen zu den zentralen Randfiguren der Globalisierung gehören, beginnen erst seit kurzem namhafte Filmemacher, sich für das Thema zu interessieren. Das gilt auch für die Darstellung der Chicanos und Latinos im US-Kino. Zwar hat sich einiges zum Positiven geändert, seitdem der Hollywood-Dissident Herbert Biberman 1954 gegen den Widerstand des Establishments mit Salt of the Earth (Salz der Erde) den ersten Klassiker über den Kampf hispanoamerikanischer Minenarbeiter für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen schuf.
Mittlerweile wird die Situation der Hispanics in den USA von einer Reihe angloamerikanischer Independent-RegisseurInnen aufgegriffen. Beispiele sind Mi vida loca (Mein verrücktes Leben, 1993) von Allison Anders über eine Latina-Clique in Los Angeles oder Lone Star (1996) von John Sayles über kulturelle Grenzverwischungen und illegale Übertritte im Süden der USA. Gleichzeitig blieb es jedoch bisher vorwiegend Chicano-Regisseuren wie Gregory Nava (El Norte,1983, Mi familia, 1995) oder mexikanischen FilmemacherInnen wie Maria Novaro (El jardín de Edén, 1994) oder Arturo Ripstein (La ilegal,1982) überlassen, den eisernen Vorhang entlang der Grenze zwischen den NAFTA-Partnern Mexiko und den USA in seiner ganzen Unerbittlichkeit zu beschreiben.
Illegale Hausangestellte
Die breite (Medien-)Öffentlichkeit in den USA scheint dagegen weiterhin in seliger Schizophrenie zu verharren: Zwar wissen alle, dass ohne die illegalen Latinos und Latinas viele Wirtschaftszweige zusammenbrechen würden, und ab und zu enthüllt auch mal wieder ein Skandal, welche führenden PolitikerInnen illegale Hausangestellte beschäftigen. Ernsthaft hat sich jedoch bisher auch Hollywood, das sich ansonsten recht liberal gebärdet und noch dazu am Rande der Hispanic-Hochburg Los Angeles liegt, wenig für das Thema interessiert.
Die Briten Loach und Laverty kamen auf die Geschichte von Bread and Roses, als Laverty, gelernter Anwalt und langjähriger Menschenrechtsaktivist, Anfang der Neunziger in Los Angeles die fantasievollen Aktionen der dortigen Gewerkschaftskampagne „Justice for Janitors“ miterlebte.
Brot und Rosen: Dieser Slogan tauchte zum ersten Mal 1912 auf, als in Lawrence, Massachusetts Tausende von ImmigrantInnen, die meisten davon Frauen, für bessere Bezahlung auf die Straße gingen. Die Rosen, das sind die kleinen Schönheiten des Lebens. Wer will schon von trocken Brot alleine leben? „Niemand gibt euch Rosen umsonst“, schärft Sam den Putzfrauen und -männern ein. „Ihr bekommt sie, wenn ihr aufhört, zu betteln.“
“Putztruppe“ sprengt Cocktailparty
Wenn in Bread and Roses eine gewerkschaftliche „Putztruppe“ die Cocktailparty einer Firma von Hollywood-Anwälten sprengt und dabei triumphierend Staubsauger und Wischmopps schwenkt, dann sieht man nicht nur einige der überrumpelten Gäste klammheimlich schmunzeln. Auch beim Filmpublikum springt der subversive Funke über, Bread and Roses ist ein Film, bei dem Widerstand nicht nur eine bittere Notwendigkeit ist, sondern auch einen Lustgewinn verspricht. Das zeigt sich nicht nur an Mayas umwerfender Dreistigkeit, Fahrstühle zu manipulieren oder mit Sam zu flirten. Gleichzeitig ist der Film weit davon entfernt, die Latino-Community als monolithischen Widerstandsblock zu zeichnen. Im Gegenteil: Unerbittlich wird die interne Hackordnung zwischen den illegal Eingewanderten und den eingebürgerten Chicanos gezeigt. So zieht der korrupte Aufseher „Mister“ Pérez alle Register, um die Situation der Papierlosen auszunutzen. Verschärfend kommt bei Pérez ebenso wie bei den beiden coyotes, die Maya zu Beginn über die Grenze schleusen, ein dumpfer Machismo hinzu. Für Pérez sind Frauen wie Maya schlichtweg „junges Blut“ – Nachschub, um die alten Arbeitskräfte auszurangieren. Ungehemmt setzt der Aufseher auch die Sprache als Herrschaftsinstrument ein: Wer wie viele ältere Latinas nur gebrochen Englisch spricht, hat wenig Chance, sich über seine Rechte zu informieren.
„Gewerkschaftsbosse, geht zum Teufel!“.
Im Gegensatz zu Maya ist Rosa von Sams Agitationsversuchen alles andere als begeistert: „Ihr dicken Gewerkschaftsbosse, Collegekids. A la chingada – geht zum Teufel!“ Der Keil zwischen denen, die lieber ein paar Privilegien abstauben, als sich auf einen ungewissen Kampf einzulassen, spaltet so manche Beziehung. So auch die von Maya und ihrer Schwester. Seit Jahren schlägt sich Rosa in den USA durchs Leben, muss dabei zwei Kinder und einen zuckerkranken Mann ernähren und nebenbei die Verwandten in Mexiko mit Geldüberweisungen über Wasser halten. Jetzt ist sie verbraucht, verlebt, verbittert. Die aufwühlendste Szene des Films ist die, wo Maya Rosas seelischem Panzer zuleibe rückt und der Film ihr ihre extremen Erfahrungen entreißt – allerdings ohne sie dabei brutal zu entblößen.
Solide Inszenierung
In puncto Inszenierung bleibt Loach bei seiner soliden, fast dokumentarisch wirkenden Bildsprache, seinen unprätentiösen, nahezu improvisiert wirkenden, aber dennoch pointierten Dialogen. Nur selten erhebt sich die Perspektive über die Figuren und das Geschehen. An einigen Stellen stürzt sich die Handkamera sogar mitten hinein ins Ungewisse, etwa wenn Maya zu Beginn durchs Gestrüpp an der Grenze stolpert.
Immer wieder fragt man sich, wie es Loach gelingt, seine Figuren so behutsam zu führen, dass Szenen wie aus dem Alltag entnommen wirken. Wie immer bei seinen Arbeiten, castete Loach auch für Bread and Roses bevorzugt Schauspieler und Schauspielerinnen, die eine biografische Nähe zu den Filmcharakteren haben. So betraute er die mexikanische Theaterschauspielerin Pilar Padilla mit der Rolle der Maya, obwohl diese vor Beginn der Dreharbeiten erst noch Englisch lernen musste. Auch was die anderen Rollen angeht, verfiel Loach nicht auf die ansonsten bei Mainstream-Produktionen verbreitete Unsitte, die Hauptrollen mit prominenten US-SchauspielerInnen als Kassenmagneten zu besetzen. Auch das stellt einen Akt gegen die Unsichtbarmachung der Latinos in den USA dar – in diesem Fall der Hispanics in der Filmindustrie. So meint Elpidia Carillo, die die Rolle der Rosa spielt: „Ich hoffe, Bread and Roses hilft Latino-Schauspielern dabei, nicht immer nur in Rollen von Bediensteten und Prostituierten besetzt zu werden.“
Bread and Roses (Brot und Rosen); Regie: Ken Loach, Großbritannien/ Frankreich/ Deutschland/ Schweiz 2000; Farbe, 110 Minuten. Der Film startet bundesweit am 4. Oktober 2001.