Lebenswege – Zwischen Europa und Lateinamerika
“Exil ist wie wenn Blätter und Wurzeln eines Baumes keinen Kontakt mehr zu Luft und Erde, ihrem Lebensraum, haben. Es ist das plötzliche Ende einer Liebe; es ist wie ein unvorstellbar schreckliches Sterben, weil es ein Sterben ist, das man bewußt erlebt.”
Dieses Zitat von Julio Cortázar spiegelt vermutlich das Gefühl der meisten Menschen wider, die in dem Buch zu Wort kommen. Ihre Flucht und die verzweifelte Suche nach einem Exilland verlief oft unter dramatischen Umständen. Der Abschied von ihrer Heimat und die Trennung von Familie und Freunden bedeutete für sie eine sehr schmerzvolle Erfahrung. Im Gegensatz aber zu vielen anderen, denen die Flucht nicht möglich war oder die am Exil zerbrachen, gelang es ihnen, der Verfolgung zu entgehen und sich in ihrem Zufluchtsland eine neue Existenz aufzubauen.
Es kommen hier aber nicht nur Menschen zu Wort, die in das Exil flüchten mußten, sondern auch Fluchthelfer wie Gilberto Bosques, der während des Zweiten Weltkriegs als Generalkonsul von Mexiko vielen Verfolgten die Emigration über Frankreich nach Mexiko ermöglichte. Die Schauspielerin Steffi Spira gelangte mit Bosques Hilfe nach Mexiko: “Wir waren glücklich, daß wir die Möglichkeit hatten, nach Mexiko zu gehen. Natürlich sind wir gerne dorthin gegangen, wir haben nicht etwa Hemmungen gehabt, nein, wir waren an und für sich sogar glücklich, nicht nach Nordamerika zu gehen, weil wir fanden, Mexiko sei eben doch ein unbetretener Boden”. Obwohl sie nicht das Exilland auswählen konnte, machte sie sehr positive Erfahrungen in Mexiko und hatte sogar die Möglichkeit, in ihrem Beruf zu arbeiten.
Ein weiteres Land, das zahlreiche Flüchtlinge aufnahm war Argentinien. Nelly Meffert schildert das Leben in der Exilgemeinschaft in Buenos Aires, zu der viele politisch aktive KünstlerInnen und Intellektuelle gehörten. Dazu zählte auch die Familie von August Siemsen. Sein Sohn Pieter berichtet von der Arbeit für die Zeitschrift und Bewegung “Das andere Deutschland”, die sein Vater leitete und die in der linken und demokratischen Strömung eine wichtige Rolle spielte. Für ihn, wie für die meisten Flüchtlinge war es wichtig, ihre politische Arbeit, die auch oft der Grund für ihr Exil war, dort weiterzuführen.
Von dem Weg in die andere Richtung spricht der argentinische Schriftsteller und Publizist Osvaldo Bayer. Nach dem Militärputsch 1976 mußte er Argentinien verlassen und flüchtete nach Deutschland. Doch das Exil erlebte er als sehr zwiespältig, denn er flüchtete in ein Land, daß dem Militärregime in Argentinien kritiklos gegenüberstand und es teilweise sogar unterstützte: “… die Verzweiflung, sich da zu befinden, wo das System entwickelt wird, das die Tragödie des Exils, den Tod und die Verhaftung von Freunden ja möglich macht. […] Und da erleben wir schon die Zwiespältigkeit in der Existenz des lateinamerikanischen Exilierten, der sich gezwungen sieht in irgendeinem industrialisierten Land der westlichen Hemisphäre zu leben.” Dies ist nur ein Teil des Deutschlandbildes das Osvaldo Bayer 1976 in seinem Referat “Bundesrepublik Deutschland: Das Bild eines lateinamerikanischen Exilierten” dargestellt hat.
Die Interviews ermöglichen es, einen wichtigen Teil Geschichte zu verstehen und zeigen die Parallelen zur heutigen Flüchtlingsproblematik.
Gert Eisenbürger (Hg.): Lebenswege – 15 Biographien zwischen Europa und Lateinamerika; Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg 1995, 240 S., DM 24,-