Kolumbien | Nummer 382 - April 2006

Mit Bomben gegen den Kokaanbau

Der Kampf gegen Kokapflanzungen und Guerilla hinterlässt Geisterdörfer in einem kolumbianischen Nationalpark

Es sollte die größte Kampagne gegen den Kokaanbau unter Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe Vélez werden. Mitte Januar schickte er vom Staat angeheuerte Bauern in den Nationalpark La Macarena, um Koka-Anpflanzungen zu vernichten. Nun lässt Uribe das Gebiet bombardieren.

Tommy Ramm

Die Aufforderung der kommunistischen Rebellen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) am 14. Januar war deutlich: Alle Bauern und Bäuerinnen, die sich seit Jahren ihren Lohn mit dem Kokaanbau und dem Pflücken der Blätter verdienten, hätten ihre Dörfer in und um den Nationalpark La Macarena im südöstlichen Tiefland Kolumbiens zu verlassen. Das Ergebnis waren nur wenige Tage später menschenleere Siedlungen, denn fast alle BewohnerInnen der Region lebten unter der Herrschaft der FARC von diesem Geschäft. Die Blätter oder Kokapaste wurde an die Guerilla verkauft, welche daraus in einem gut organisierten Produktionsnetz Kokain herstellen liess. Vom Staat war in der Region seit Jahrzehnten nichts zu sehen, Alternativen zur Koka Fehlanzeige.
Das Ende der florierenden Geschäftsbeziehungen zwischen FARC und den BewohnerInnen in der Macarena läutete die Ankündigung der kolumbianischen Regierung Ende Dezember ein, dem Kokaanbau in der Macarena ein Ende setzen zu wollen. Nicht der Schutz des Naturreservoirs vor den Abholzungen durch den Kokaanbau war dabei ausschlaggebend, sondern der Tod von 26 Polizisten, die dort Ende letzten Jahres in einen Hinterhalt der Guerilla gerieten. Präsident Alvaro Uribe Velez rief daraufhin die Kampagne „Grünes Kolumbien” ins Leben, deren Ziel die Ausrottung der Kokapflanze in den Nationalparks ist, um so indirekt die millionenfachen Einnahmen der FARC aus dem Drogengeschäft zu verhindern.
Für die BewohnerInnen war das der Anfang vom wirtschaftlichen Ende. „Die Guerilla vergab in den letzten Tagen nur noch Wertmarken, die unter der jetzigen Situation nichts taugen”, erzählt ein Flüchtling aus der Region. „Mir schulden die Rebellen sieben Millionen Pesos (2.700 Euro), was praktisch die letzten drei Jahre meiner Arbeit waren.“ Mit Zinkblech, etwas Holz und Plastikplanen besetzten rund 160 so genannte raspachines (KokapflückerInnen), die nun arbeitslos geworden sind, am Rande des Nationalparks ein Grundstück und errichteten ihr Flüchtlingsviertel. Dessen Name: 20. Januar.

FARC verkünden bewaffnete Blockade

An diesem Tag wurden 930 LandarbeiterInnen aus anderen Regionen – begleitet von einem grossen Medienrummel und UNO-VertreterInnen – mit Herkules-Maschinen der kolumbianischen Luftwaffe in die Region geflogen, die dort bis Juni 4.500 Hektar Kokapflanzungen in dem Nationalpark vernichten sollen. Mit ihnen kamen 1.500 PolizistInnen und SoldatInnen in die Region, um deren Arbeit zu schützen.
Doch nach nur einem Monat der Kampagne fällt das Ergebnis desaströs aus. Die Guerilla hat ganze Landstriche vermint, was den geflüchteten BewohnerInnen die Rückkehr unmöglich macht. Die Rebellen riefen weiträumig eine bewaffnete Blockade aus, die den Handel auf den Straßen und Flüssen zum Erliegen brachte. Vielerorts haben sich die Lebensmittelpreise verfünffacht.
„Hier in der Macarena gibt es nicht wirklich eine bewaffnete Blockade”, versuchte Armee-General Carlos Alberto Ospina die Situation gegenüber der Presse herunter zu spielen. „Es ist allgemeine Angst”, so Ospina. Die Eindrücke der BewohnerInnen sprechen jedoch eine andere Sprache. „Die Blockade gibt es”, meint Bootsführer Sanchez auf einem Fluss in der Nähe des Parkes. „Wir alle haben darunter zu leiden . Es gibt keinen Bootsverkehr mehr, weil es kein Benzin gibt, das normalerweise über die Landwege hergebracht wird. Die Guerilla lässt das Benzin nicht durch die Blockade.”, so Sanchez.

Unerträgliche Bedingungen

Statt wie geplant mehr als 1.000 Hektar bei Monatsfrist zerstört zu haben, konnte die Regierung nur die Hälfte des Ziels erreichen. Der Grund: fast zwei Drittel der ArbeiterInnen haben nach wenigen Tagen ihren Job aufgegeben, nachdem die Bedingungen unerträglich wurden. Stetige Attacken der Guerilla erhöhten die Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden. In einigen Camps ging das Essen aus. „Wir werden schlecht ernährt und es gibt immerzu Kämpfe”, berichtete ein Arbeiter, der die Region verlassen hat, einem kolumbianischem Radiosender. „Außerdem mussten wir eine halbe Stunde nach Gefechten wieder an die Arbeit gehen.” Um die Gemüter zu beruhigen und eine weitere Flucht zu vermeiden, versprach Uribe den ArbeiterInnen Kredite mit niedrigen Zinsen für den Kauf von Eigenheimen. Aber erst, wenn alle Kokaplanzungen in der Macarena zerstört seien.
Was die ArbeiterInnen mit ihren Landsleuten aus der Macarena verbindet, ist die gleiche ausweglose Situation auf dem Land. Viele kommen aus den zentralen Kaffeeregionen Kolumbiens, die seit Jahren wirtschaftlich zu leiden haben. Da sie dort arbeitslos waren, haben sie das Angebot der Regierung zur Kokabekämpfung angenommen. Der Lohn ist nicht schlecht. Umgerechnet zehn Euro verdienen sie sich am Tag. In ihrem Heimatort ist es etwa die Hälfte, wenn es Arbeit gibt. Das Problem ist jedoch, dass diese nun mit der Kampagne den AnwohnerInnen der Macarena ihre einzig rentable Lebensgrundlage nehmen.

Einzige Chance mit Koka

Die Kokapflanze fand in der Macarena ihren Einzug vor 15 Jahren, als der Kakaoanbau zu Grunde ging. „Als die Krankheiten die Kakaopflanzen anfielen, wussten wir nicht, was wir machen sollen,” schildert José Díaz aus dem Weiler Barranco Colorado. „Die Regierung hat uns nicht geholfen und alles stürzte zusammen, weil wir bei der Agrarbank hoch verschuldet waren.“
Danach versuchten es die BewohnerInnen mit Kochbananen, jedoch erfolglos. Als die ersten Parzellen mit peruanischer Koka bepflanzt wurden, begann das Geschäft von allein zu laufen. Erst waren kleine Drogenhändler die Hauptabnehmer, dann die FARC-Guerilla. Immer größere Ländereien wurden durch Abholzung dem 6.200 Quadratkilometer großen Nationalpark abgerungen, um dort Koka anzupflanzen.
Zwar haben sich die Anbauflächen für Koka in Kolumbien in den letzten Jahren durch die agressive Bekämpfung durch Sprüheinsätze geringfügig auf 80.000 Hektar verringert. Doch Studien haben ergeben, dass die Pflanzen auf engerem Raum angepflanzt werden und so die Produktivität pro Hektar gestiegen ist. Nach anhaltender Kritik vom Nachbarland Ecuador, dass auf große Umweltschäden durch Sprüheinsätze in der gemeinsamen Grenzregion hingewiesen hatte, setzte Uribe nun die manuelle Kampagne in Gang, um Kritik an seiner Form der Kokabekämpfung zum Schweigen zu bringen. Doch diese hält an.

Weniger Koka als erwartet

Der kolumbianische Politiker und Ex-Minister Juan Mayr wies darauf hin, dass laut einer UN-Studie zwischen den Jahren 2001 und 2004 zwar rund 19.100 Hektar Waldflächen in den kolumbianischen Nationalparks vernichtet wurden, jedoch nur ein Fünftel davon für den Kokaanbau in Anspruch genommen wird. Die meisten Flächen würden demnach für die Viehwirtschaft, den Holzhandel und die Kleinlandwirtschaft armer SiedlerInnen gerodet. Nur ein Bruchteil der im Land angepflanzten Koka befindet sich in den Nationalparks. Für Mayr stellt sich deshalb die Frage, ob die Regierung tatsächlich an dem Schutz des Nationalparks interessiert sei oder eher an der Bekämpfung der FARC-Guerilla in einem ihrer traditionellen Gebiete. Er warnte davor, die manuelle Kokavernichtung mit dem Feldzug gegen die Guerilla zu verbinden. Positive Beispiele gäbe es bereits: rund 30.000 Hektar Koka konnten laut Mayr in anderen Landesteilen vernichtet werden, verbunden mit sozialen Alternativprogrammen für die Bauern und Bäuerinnen.

Mit Bomben gegen die Rebellen

Dass bei Uribe der Naturschutz nicht an erster Stelle steht, offenbarte dessen Ankündigung Ende Februar, den Nationalpark La Macarena aus der Luft zu bombardieren. Um den Fortgang der Kampagne zu garantieren, der unter den Attacken der FARC steht, begann die Luftwaffe, Gebiete zu bombardieren, auf denen kurz danach die Arbeiter mit der Zerstörung der Koka zu beginnen hatten. Die kolumbianische Organisation Umweltinitiative warf der Regierung vor, mit den Bombardierungen einerseits das Leben von rund 11.000 SiedlerInnen und Indígenas der Guayabero zu gefährden und Teile des Naturreservoirs nachhaltig zu zerstören.
Zwar konterte die Armee, dass die Angriffe nur punktuell durchgeführt und keine grosßen Zerstörungen angerichtet würden, doch nach Analysen von Umweltinitiative haben sich schon erste bleibende Schäden im Nationalpark durch die Bomben ergeben. Was in Zukunft mit jenen passieren soll, die aus der Zone bereits geflüchtet sind, ist völlig ungewiss. Landwirtschaftsminister Andrés Felipe Arias kündigte den betroffenen BewohneInnen der Macarena Kredite mit niedrigen Zinsen an, doch deren Freigabe dauert in Kolumbien lange.
Diese Zeit haben die Bauern und Bäuerinnen nicht. Nach der Kampagne sollen rund 20.000 Betroffene wieder in der Zone „eingegliedert” werden. Wie, weiß jedoch niemand. Integrale Programme für die Landwirtschaft hat die Regierung nicht angeboten, sondern einzig die Versendung neuer Truppen und ArbeiterInnen zur Kokazerstörung. „Wir müssen die Kokapflanzungen zerstören”, unterstrich Uribe. „Das Land kann nicht hinnehmen, dass die Nationalparks von Terroristen zerstört werden”.
Viel steht für Uribe auf dem Spiel, nachdem die FARC ein Dutzend Attacken auf die Streitkräfte in der Macarena verübt haben, die Kampagne kurz vor dem Scheitern und die Wahlen im Mai vor der Tür stehen. Viel mehr jedoch für die BewohnerInnen der Macarena, die nun in das Heer der 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge Kolumbiens gezwungen wurden.


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