Kolumbien | Nummer 241/242 - Juli/August 1994

Nichts als Ärger mit den Drogen

Die Repräsentanten der “Narco-Demokratie” streiten über die künftige Drogenpo­litik

Cali, 27. Juni 1994. Der Chef war stinksauer: Als einen Tiefschlag gegen das Wohl der Nation, der Familie und last but not least gegen sich persönlich empfand Cé­sar Gaviria, im August scheidender Präsident, die Legalisierung der persönlichen Dosis jeglicher Droge durch das Oberste Verfassungsgericht Ko­lumbiens Anfang Mai dieses Jahres. Und das, nachdem einige Monate zuvor der Generalstaatsan­walt Gustavo de Greiff öffentlich darüber nachgedacht hatte, ob nach dem Schei­tern des Kriegs gegen die Droge deren Legalisierung der bessere Weg sein könne. “Narco-Demokratie”, schallte es daraufhin aus Washington. Die US-Justiz stellte die Weitergabe von Beweismaterial gegen Drogenhändler an ihre kolumbianischen Kollegen ein.

Rolf Möller

Die Entscheidung des Obersten Ver­fassungsgerichtes sei für die Entwick­lung Kolumbiens “schwerwiegend und höchst gefährlich”, malte Gaviria in ei­ner bei­spiellos scharfen Kritik den Teufel an die Wand. Orchestriert wurde der Präsident von einem viel­stimmigen Aufschrei der öffentlichen Meinung, der Kirche, der Präsident­schaftskandidaten, vieler Medien – bis hin zu kleinen Schulkindern, die an Protestdemonstrationen teilnahmen.
Inzwischen suchen Regierung und private Organisationen fieberhaft nach Wegen, die Entscheidung durch ge­setzliche Maß­nahmen oder eine Volks­befragung, die seit der Verfassungsre­form 1991 möglich ist, auszuhebeln.
Drogenkonsum – ein individuelles Grundrecht?
Das Oberste Verfassungsgericht be­gründet seine umstrittene Entschei­dung wie folgt: Der Staat habe in der Verfas­sung die persönliche Freiheit je­des einzel­nen seiner BürgerInnen ga­rantiert. Jedem sei es selbst überlassen, ob er seine Ge­sundheit und sein Leben durch den Kon­sum von Drogen ge­fährde. Das Verfas­sungsgericht stellt damit den Einzelnen mit seinen Be­dürfnissen und Entscheidungsmöglich­keiten über die Ge­sellschaft und ihre von der Mehrheit defi­nierten Interes­sen. In seiner Begründung erwähnt das Gericht unter anderem die wider­sprüchliche Praxis des Staates, den Konsum von Alkohol oder Zigaretten mit ihren erheblichen gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden zu erlau­ben, und gleichzeitig den Konsum an­derer Drogen zu verbieten.
Schon Monate zuvor nahm der Kon­flikt zwischen Präsident Gaviria und dem ober­sten Ankläger heftige Di­mensionen an. Gustavo de Greiff hatte öffentlich erklärt, daß der bisherige Kampf gegen den Dro­genhandel ge­scheitert sei. Dabei berief er sich auch auf Aussagen führender US-Politike­rInnen und FunktionärInnen der dorti­gen Drogen-Bekämpfungs-Behörden. Als Konsequenz müsse über die Lega­lisierung von Drogen nachgedacht wer­den.
Gustavo de Greiff bezog sich dabei vor allem auf die Tatsache, daß Kolumbien in diesem Krieg Tausende von Opfern zu verzeichnen habe, während der stei­gende Konsum in den Industriestaaten dort von offizieller Seite nur halbherzig bekämpft werde. Man könne nicht den Anbaulän­dern die ganze Last des Kampfes aufbür­den.
Mit den Drogenbossen verhandeln?
Vor einigen Jahren wurde in Kolum­bien, ähnlich wie in den Vereinigten Staaten, eine Kronzeugenregelung für Kriminelle geschaffen. Nach dem Tod von Pablo Es­cobar, dem Chef des Me­dellín-Kartells, war zu erwarten, daß sich der Einsatz von Fahndungsbehör­den, Polizei und Militärs nun auf die Drogenbosse in Cali konzen­trieren würde. Daher hatten einige capos ihre Rechtsanwälte vorgeschickt, um mit der Staatsanwaltschaft über eine mög­liche “Übergabe” zu verhandeln.
In diesem Zusammenhang kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Gaviria und de Greiff, die sich beson­ders an der Höhe der Gefängnisstrafen und den Haftbedingungen der capos des Cali-Kartells entzündeten. Der Generalstaats­anwalt argumentierte un­ter anderem da­mit, daß häufig nicht ausreichend Beweise zur Verfügung stünden, um eine reguläre Verurteilung der Drogenhändler zu garan­tieren.
Als Gustavo de Greiff sich dann er­laubte, US-Kollegen mitzuteilen, daß gegen einen dort wegen eines Flug­zeuganschlags an­geklagten kolumbia­nischen Drogenhänd­ler in seinem Heimatland keine Beweise vorlägen und daher von seiner Seite nicht er­mittelt würde, kam es zum Eklat: Der US-Senator John F. Kerry titulierte Ko­lumbien als “Drogen-Demokratie”. Die dortige Staatsanwaltschaft sei von narcos unterwandert. Ähnlich äu­ßerte sich auch Janet Reno, die Ge­neralstaatsanwältin der Vereinigten Staa­ten. Die USA stellten daraufhin die Wei­tergabe von Beweismaterial gegen in Ko­lumbien angeklagte Drogen­händler ein.
Die heftigen Attacken aus dem Aus­land veranlaßten nun Gaviria, sich hinter sei­nen Generalstaatsanwalt zu stellen und ihn zu verteidigen – aller­dings nicht, ohne nochmals auf die Meinungsunterscheide hinzuweisen.
Die Kokain-Mafia als Wahlkampfsponsor?
Nachdem sich die Wogen ein bißchen ge­glättet hatten, ging am 21. Juni, zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl, die nächste Tretmine hoch. Der Mit­schnitt eines Tele­fongespäches soll beweisen, daß sowohl der unterlegene konservative Kan­didat Andres Pastrana als auch der neuge­wählte liberale Präsident Ernesto Sam­per auf den Gehaltslisten der Drogen­bosse stehen.
Bewiesen ist bisher nichts. Fest steht nur, daß das internationale Ansehen Kolum­biens durch diesen Skandal weiter lädiert wird. Für das Land steht viel auf dem Spiel, insbesondere, was die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten angeht. So wäre es wirtschaft­lich ein herber Schlag, wenn Kolum­bien die wirtschaftliche Vorzugsbe­handlung verlöre, die den zoll­freien Export bestimmter Waren in die USA erlaubt. Eine Drohung, mit der die Vereinigten Staaten alle diejenigen Länder zur Räson zwingt, die – in ih­ren Augen – nicht genug im Kampf gegen die Drogen tun.


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