Nichts als Ärger mit den Drogen
Die Repräsentanten der “Narco-Demokratie” streiten über die künftige Drogenpolitik
Die Entscheidung des Obersten Verfassungsgerichtes sei für die Entwicklung Kolumbiens “schwerwiegend und höchst gefährlich”, malte Gaviria in einer beispiellos scharfen Kritik den Teufel an die Wand. Orchestriert wurde der Präsident von einem vielstimmigen Aufschrei der öffentlichen Meinung, der Kirche, der Präsidentschaftskandidaten, vieler Medien – bis hin zu kleinen Schulkindern, die an Protestdemonstrationen teilnahmen.
Inzwischen suchen Regierung und private Organisationen fieberhaft nach Wegen, die Entscheidung durch gesetzliche Maßnahmen oder eine Volksbefragung, die seit der Verfassungsreform 1991 möglich ist, auszuhebeln.
Drogenkonsum – ein individuelles Grundrecht?
Das Oberste Verfassungsgericht begründet seine umstrittene Entscheidung wie folgt: Der Staat habe in der Verfassung die persönliche Freiheit jedes einzelnen seiner BürgerInnen garantiert. Jedem sei es selbst überlassen, ob er seine Gesundheit und sein Leben durch den Konsum von Drogen gefährde. Das Verfassungsgericht stellt damit den Einzelnen mit seinen Bedürfnissen und Entscheidungsmöglichkeiten über die Gesellschaft und ihre von der Mehrheit definierten Interessen. In seiner Begründung erwähnt das Gericht unter anderem die widersprüchliche Praxis des Staates, den Konsum von Alkohol oder Zigaretten mit ihren erheblichen gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden zu erlauben, und gleichzeitig den Konsum anderer Drogen zu verbieten.
Schon Monate zuvor nahm der Konflikt zwischen Präsident Gaviria und dem obersten Ankläger heftige Dimensionen an. Gustavo de Greiff hatte öffentlich erklärt, daß der bisherige Kampf gegen den Drogenhandel gescheitert sei. Dabei berief er sich auch auf Aussagen führender US-PolitikerInnen und FunktionärInnen der dortigen Drogen-Bekämpfungs-Behörden. Als Konsequenz müsse über die Legalisierung von Drogen nachgedacht werden.
Gustavo de Greiff bezog sich dabei vor allem auf die Tatsache, daß Kolumbien in diesem Krieg Tausende von Opfern zu verzeichnen habe, während der steigende Konsum in den Industriestaaten dort von offizieller Seite nur halbherzig bekämpft werde. Man könne nicht den Anbauländern die ganze Last des Kampfes aufbürden.
Mit den Drogenbossen verhandeln?
Vor einigen Jahren wurde in Kolumbien, ähnlich wie in den Vereinigten Staaten, eine Kronzeugenregelung für Kriminelle geschaffen. Nach dem Tod von Pablo Escobar, dem Chef des Medellín-Kartells, war zu erwarten, daß sich der Einsatz von Fahndungsbehörden, Polizei und Militärs nun auf die Drogenbosse in Cali konzentrieren würde. Daher hatten einige capos ihre Rechtsanwälte vorgeschickt, um mit der Staatsanwaltschaft über eine mögliche “Übergabe” zu verhandeln.
In diesem Zusammenhang kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Gaviria und de Greiff, die sich besonders an der Höhe der Gefängnisstrafen und den Haftbedingungen der capos des Cali-Kartells entzündeten. Der Generalstaatsanwalt argumentierte unter anderem damit, daß häufig nicht ausreichend Beweise zur Verfügung stünden, um eine reguläre Verurteilung der Drogenhändler zu garantieren.
Als Gustavo de Greiff sich dann erlaubte, US-Kollegen mitzuteilen, daß gegen einen dort wegen eines Flugzeuganschlags angeklagten kolumbianischen Drogenhändler in seinem Heimatland keine Beweise vorlägen und daher von seiner Seite nicht ermittelt würde, kam es zum Eklat: Der US-Senator John F. Kerry titulierte Kolumbien als “Drogen-Demokratie”. Die dortige Staatsanwaltschaft sei von narcos unterwandert. Ähnlich äußerte sich auch Janet Reno, die Generalstaatsanwältin der Vereinigten Staaten. Die USA stellten daraufhin die Weitergabe von Beweismaterial gegen in Kolumbien angeklagte Drogenhändler ein.
Die heftigen Attacken aus dem Ausland veranlaßten nun Gaviria, sich hinter seinen Generalstaatsanwalt zu stellen und ihn zu verteidigen – allerdings nicht, ohne nochmals auf die Meinungsunterscheide hinzuweisen.
Die Kokain-Mafia als Wahlkampfsponsor?
Nachdem sich die Wogen ein bißchen geglättet hatten, ging am 21. Juni, zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl, die nächste Tretmine hoch. Der Mitschnitt eines Telefongespäches soll beweisen, daß sowohl der unterlegene konservative Kandidat Andres Pastrana als auch der neugewählte liberale Präsident Ernesto Samper auf den Gehaltslisten der Drogenbosse stehen.
Bewiesen ist bisher nichts. Fest steht nur, daß das internationale Ansehen Kolumbiens durch diesen Skandal weiter lädiert wird. Für das Land steht viel auf dem Spiel, insbesondere, was die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten angeht. So wäre es wirtschaftlich ein herber Schlag, wenn Kolumbien die wirtschaftliche Vorzugsbehandlung verlöre, die den zollfreien Export bestimmter Waren in die USA erlaubt. Eine Drohung, mit der die Vereinigten Staaten alle diejenigen Länder zur Räson zwingt, die – in ihren Augen – nicht genug im Kampf gegen die Drogen tun.