PERU VERSINKT IM NACHWAHLCHAOS
Während sich im Parlament neue Allianzen bilden, sorgen Korruptionsskandale für Rücktritte in der Regierung
Nach den Wahlen am 26. Januar ist das peruanische Parlament zersplittert. Wahlsieger wurde die konservative Acción Popular (AP) – mit gerade einmal 10,2 Prozent der Stimmen. Damit stellt sie im kommenden Kongress nur 25 der 130 Abgeordneten. Die anderen acht Parteien, die den Einzug geschafft haben, liegen mit jeweils fünf bis acht Prozent nur knapp dahinter. Die rechtspopulistische FP von Keiko Fujimori, der Tochter des Ex-Diktators Alberto Fujimori, stürzte mit 7,2 Prozent der Stimmen auf 15 Sitze ab und verlor ihre Dominanz im Parlament – 2016 hatte sie mit 73 Sitzen die absolute Mehrheit errungen.
Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im künftigen Kongress sorgen nun für neue Allianzen. Derzeit laufen die Vorbereitungen zur Wahl des Parlamentspräsidiums auf der konstituierenden Sitzung Anfang März. Wie die Nachrichtenagentur Andina berichtete, haben vier Parteien vor, einen gemeinsamen Vorschlag an Kandidat*innen für die Besetzung des obersten Gremiums der Legislative einzureichen. Das Bündnis besteht aus der AP, der Mitte-rechts Parteien Alianza para el Progreso (APP) und Somos Perú sowie der populistischen Podemos Perú (PP). Zusammen haben sie eine rechnerische Mehrheit von gerade einmal vier Stimmen. „Wir suchen nicht nach Bündnissen, sondern nach einer Agenda für die Regierbarkeit“, kommentierte Manuel Merino de Lama die Verhandlungen. Merino, Abgeordneter der konservativen Acción Popular (AP) im neuen peruanischen Parlament, kann sich gute Chancen auf das Amt des Parlamentspräsidenten ausrechnen.
Abschaffung der parlamentarischen Immunität
Die Fragmentierung des Parlaments treibt teils bizarre Blüten. Der gewählte Abgeordnete Posemoscrowte Chagua der ethnonationalistischen Unión por el Perú (UPP) erklärte Anfang Februar gegenüber der Zeitung Peru 21, seine Partei befinde sich mit der linken Frente Amplio (FA) und der Frente Popular Agrícola (FREPAP), die eine krude Mischung aus evangelikalen und indigenen Positionen vertritt, in Verhandlungen über eine eigenen Vorschlag für die Besetzung des Parlamentspräsidiums. FREPAP hat einen beachtlichen Wahlerfolg errungen und war aus dem Stand auf 15 Mandate gekommen. Zuletzt hatte die theokratische Sekte, die ihren Gründer Ezequiel Ataucusi wie einen Messias verehrt im Jahr 2000 zwei Sitze im Kongress erhalten. Der gemeinsame Vorschlag kam jedoch nicht zustande, die FA machte stattdessen einen eigenständigen Vorschlag für das Präsidium.
Ein Ziel der UPP ist die Freilassung von Antauro Humala, dem jüngeren Bruder des ehemaligen Präsidenten Ollanta Humala. Er durfte nicht wie geplant als UPP-Spitzenkandidat in Lima zur Wahl antreten, da er derzeit im Gefängnis sitzt. Dort befindet er sich seit 2005, weil er damals 150 Anhänger, vor allem Reservisten, in einem später als „Andahuaylazo“ bekannt gewordenen bewaffneten Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Alejandro Toledo geführt hatte. Der Aufstand in dem Andenstädtchen Andahuaylas wurde nach drei Tagen beendet, vier Polizisten und zwei Aufständische starben. Begründet hatte Humala den Aufstand mit der Ideologie des Ethnocacerismus. Diese fordert eine Wiederherstellung des Inkareiches durch militärische Expansion und Vorherrschaft der als cobriza deklarierten Ethnie, die laut Humala aus Mestiz*innen, Indigenen und Teilen der asiatischen Bevölkerung besteht.
Alle 20 Tage ein Rücktritt
Derweil erreichte der Korruptionsskandal um Odebrecht die Regierung des Interimspräsidenten Martín Vizcarra. Allein in der zweiten Februarwoche gaben zwei Minister*innen deswegen ihren Rücktritt bekannt, der Energieminister Juan Carlos Liu und die Justizministerin Ana Teresa Revilla. Seit der Parlamentsauflösung im vergangenen September haben bereits sieben Minister*innen ihr Amt geräumt, im Durchschnitt eine*r alle 20 Tage. Liu, der im Oktober sein Amt antrat, war während seiner Beratertätigkeit für das Ministerium zwischen 2010 und 2014 auch als privater Berater für Odebrecht tätig. 2013 erstellte er im Auftrag des Ministeriums eine Studie, die ein Finanzierungsmodell für eine Gaspipeline empfahl, deren Konzession an Odebrecht ging. Der Vertrag wurde 2017 aufgrund von Finanzierungsproblemen des Baukonsortiums um Odebrecht seitens der Regierung gekündigt. Seitdem ruhen die Arbeiten. Zwei Jahre später einigte sich Odebrecht in den Korruptionsfällen mit dem peruanischen Justizministerium per Vergleich auf eine Strafzahlung von 182 Millionen US-Dollar und kann seitdem die Geschäfte fortführen. Dessen ungeachtet verklagte Odebrecht wegen des Baustopps der Gaspipeline die peruanische Regierung auf 1,2 Milliarden Dollar Entschädigungszahlungen vor dem CIADI, einem Schiedsgericht der Weltbank. Liu hatte sich vorher mit Vertreter*innen von Odebrecht und dem zuständigen Staatsanwalt Jorge Ramírez getroffen.
Die Justizministerin Ana Teresa Revilla hatte laut den Aussagen von Liu und Ramírez vorab Kenntnis von Odebrechts Klagevorhaben, ohne den Präsident Vizcarra zu informieren. Revilla kündigte daraufhin ihren Rücktritt an. Der mittlerweile ebenfalls zurückgetretene Jorge Ramírez behauptete anschließend, Vizcarra selbst sei über die Treffen mit Odebrecht informiert gewesen, was dessen Premierminister Vicente Zeballos umgehend bestritt. Vizcarra, der eigentlich guten Rückhalt in der peruanischen Bevölkerung genießt, büßte im Nachgang der Ereignisse weiter an Vertrauen ein. Umfragen zufolge befürworten nur noch 53 Prozent der Peruaner*innen seine Regierung. Nach der Parlamentsauflösung im vergangenen September waren es noch 79 Prozent gewesen. Seitdem fielen die Zustimmungswerte kontinuierlich. Ob und wie Vizcarra seinen Antikorruptionskurs weiter fortsetzen kann, bleibt angesichts der neuesten Enthüllungen fraglich. Der Ex-Parlamentarier und Vorsitzende der FA, Marco Arana, warnte im Interview mit Canal N vor einer allgemeinen Regierungskrise, von der korrupte Kreise profitieren könnten: „Was sie wirklich tun wollen, ist, die geringen Anstrengungen und die Unklarheiten anzugreifen, die manchmal in dieser Regierung in Bezug auf den Kampf gegen die Korruption bestehen.“ Er forderte stattdessen eine parlamentarische Untersuchungskommission. In Sicht ist die nicht.