Argentinien | Nummer 335 - Mai 2002

Zirkusarena Südatlantik

Argentinien erhebt noch immer Anspruch auf die größtenteils von Schafen bewohnten Falklandinseln

Vor zwanzig Jahren wollte das argentinische Militär die unter der Verwaltung Großbritanniens stehenden Falklandinseln erobern, um von der desolaten Wirtschaftslage abzulenken und die Unterstützung des Volkes im nationalen Taumel zurückzugewinnen. Die Niederlage läutete das Ende der Diktatur ein. In Großbritannien sicherte der Krieg der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher trotz großer sozialer Probleme die Wiederwahl.

Michael Goebel

Gotcha“ – „Haben wir euch erwischt!“ Mit dieser berüchtigten Schlagzeile begrüßte die britische Boulevardzeitung Sun am 3. Mai 1982 den Höhepunkt des Falkland- oder Malvinenkrieges im Südatlantik. Am Tag zuvor hatten britische Truppen das argentinische Kriegsschiff Belgrano und mit ihm 323 argentinische Soldaten versenkt. Mitte Juni schlossen Argentinien und Großbritannien dann einen Waffenstillstand. Die argentinischen Truppen, die den Krieg am 2. April mit einer Invasion der Falklandinseln oder Malvinen begonnen hatten, waren besiegt.
Man muss kein Pazifist sein, um den Falkland- oder Malvinenkrieg als grotesk zu empfinden. Bis heute erhebt Argentinien Anspruch auf die bedeutungslose Inselgruppe, die seit 1833 britische Kolonie ist. Außer den 2500 Einwohnern, die allesamt englisch sprechen, und einem kostspieligen britischen Kontingent von 2000 Soldaten, gibt es dort vor allem Schafe. Der Kampfschauplatz erscheint zwanzig Jahre nach dem Krieg wie eine Zirkusarena, in der die Zuschauer für eine Weile ihre Sorgen vergessen sollten. Das chauvinistische Gebrüll auf beiden Seiten lässt sich nur vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Situationen der beiden Länder verstehen. Der Krieg bot sowohl der britischen Premierministerin Thatcher als auch dem argentinischen Präsidenten Galtieri einen willkommenen Anlass, von innenpolitischen Problemen abzulenken.

Kurzzeitige Kriegseuphorie

In Buenos Aires regierte seit 1976 eine Militärdiktatur, deren erklärtes Ziel darin bestand, Angehörige aller politischen Strömungen auszurotten, die sie als subversiv betrachtete. Zwischen 1976 und 1983 ermordete das Militär etwa 30.000 Menschen. Der liberale Wirtschaftsminister Martínez de Hoz strukturierte das Land derweil in ein neofeudales Lehnswesen für Militärs und multinationale Unternehmen um. Die freundschaftlichen Beziehungen der Generäle mit den Vereinigten Staaten waren nicht zuletzt verantwortlich für die Fehleinschätzung, dass die USA eine argentinische Invasion der Inseln unterstützen würde.
Zu Beginn der achtziger Jahregeriet die argentinische Exportwirtschaft wieder einmal in einer tiefen Krise. Das Regime sah sich der Kritik seiner eigenen Klientel ausgesetzt. Militärs der verschiedenen Waffengattungen begannen, um die verbleibenden Pfründe zu ringen. General Galtieri setzte sich durch. Er trat seine Präsidentschaft mit dem Versprechen an, der loyalen Marine mit einer Eroberung der Südatlantik-Inseln nachhaltigen Ruhm zu sichern. Mit dem Kriegsabenteuer gelang es den Generälen dann tatsächlich kurzfristig, einen Großteil der Bevölkerung hinter sich zu scharen. Ähnlich wie nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 löste der Krieg eine Masseneuphorie aus. Unter den unzähligen DemonstrantInnen, die der Regierung Tag für Tag im Zentrum von Buenos Aires ihre Unterstützung bekundeten, befanden sich auch die Mütter der Plaza de Mayo, die dort normalerweise Informationen über ihre verschwunden Kindern verlangten. Ihr Slogan lautete nun: „Las malvinas son argentinas, los desaparecidos también“ – „Die Malvinen sind argentinisch, die Verschwundenen auch“.
Auch heutzutage lernt jedes Kind schon im Kindergarten, dass die Malvinen argentinisch sind. Die argentinische Schriftstellerin Luisa Valenzuela, die 1982 wegen der Militärdiktatur im New Yorker Exil lebte, erinnerte sich dieser Tage im englischen Guardian: „Als der Krieg begann, klingelte nur noch das Telefon. Argentinische Freunde und Leute, die ich nicht einmal kannte, riefen an, um ihren Patriotismus zu erklären. Argentinien unterstützen, ja natürlich, aber was ist mit der Regierung, den Folterern? Denke nicht an die Junta, sagten die Anrufer, dort draußen ist ein schlimmerer Feind.” Bis zum Tag der Kapitulation lebten die ArgentinierInnen in der Illusion, die Inseln seien erobert. Als sie plötzlich erfuhren, dass sich das Militär auf seinem eigenen Terrain diskreditiert hatte, gerann der sporadische Protest zu einer breiten Opposition. 1983 mussten die Generäle abdanken.
Bis heute haben sich die Spannungen nicht ganz gelegt. Zwar versammelten sich die argentinischen Veteranen im fernen Ushuaia, weitab von der Hauptstadt. Präsident Eduardo Duhalde bekräftigte jedoch noch einmal den Anspruch seines Landes auf die Inselgruppe. „Die Malvinen gehören uns und wir werden sie uns eines Tages zurückholen. Nicht mit Hilfe eines Kriegs, sondern mit Arbeit, Glauben und Geduld“, sagte er.

Angriff kam nicht überraschend

Der Angriff auf die Inseln kam nicht überraschend, wie die britische Regierung behauptete. Bereits 1978 hatte das argentinische Militär einen Grenzkonflikt mit Chile begonnen, um innenpolitische Proteste zu zerstreuen. Im Fall der Malvinen konnte sich die Junta zudem auf eine anti-imperialistische Tradition berufen, die sich seit den dreißiger Jahren aus Großbritanniens Hegemonialansprüchen im neunzehnten Jahrhundert genährt hatte. Und Anti-Imperialismus und Nationalismus gingen in Argentinien oft miteinander einher.
Margaret Thatcher, im Amt seit 1979, wusste also Bescheid. An einer diplomatischen Lösung war ihr aber kaum gelegen. Der Krieg bot der konservativen Regierung die Gelegenheit, um die öffentliche Aufmerksamkeit von der angespannten sozialen Lage in den nordenglischen Industriestädten auf einen exotischeren Schauplatz zu verlagern. Die Hungerstreiks der IRA lagen erst kurz zurück, und vielleicht suchte die britische Öffentlichkeit geradezu einen Gegner, der greifbarer war, als verstreute irische Katholiken im eigenen Land. Zum anderen hatte das ehemalige Empire mit der Unabhängigkeit von Simbabwe 1980 und Belize im September 1981 kurz zuvor Kolonien verloren. Einem kurzen Handstreich im Südatlantik, der das Trauma der Weltmacht vergessen und Britannien in einstigem Glanz erstrahlen ließ, konnte Thatcher nicht widerstehen. Eine militärische Niederlage erschien angesichts der Zusicherung von Pinochets Chile und den USA, sie im Ernstfall zu unterstützen, unwahrscheinlich.
Wie in Argentinien, ging die Rechnung auf: Der Krieg löste eine Welle chauvinistischer Begeisterung aus, die die Sun zu kanalisieren und anzutreiben verstand. „Jubelt, jubelt“, rief Thatcher auf einer Pressekonferenz am Ende des Krieges. Weil sie den lange unbefriedigten Empire-Nationalismus befriedigt hatte, trug der Krieg zudem maßgeblich zu ihrer Wiederwahl 1983 bei. So hätte sich Thatcher eigentlich bei den argentinischen Militärs bedanken können, wie sie das bei Pinochet tat, als dieser 1998 in London unter Hausarrest stand.
Großbritannien feierte die diesjährige Gedenkveranstaltung unterdessen im provinziellen Pangbourne vor einem sichtlich desinteressierten Verteidigungsminister Geoff Hoon. Aufmerksamkeit erregten einzig die Enthüllungen eines ehemaligen Admirals der britischen Marine. „Wir standen damals mit dem Rücken zur Wand und wenn die Argentinier noch eine Woche länger durchgehalten hätten, hätten wir verloren.“ Was wäre gewesen wenn? Vielleicht hätte Thatcher ihre Wiederwahl verloren und es stünde um die Interessen der britischen ArbeiterInnen heute besser. Wer aber wünscht sich schon, dass die argentinische Junta diesen Krieg gewonnen hätte?

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