VON DEM DER GING, OHNE DARAN GEDACHT ZU HABEN


Martín Sued // Foto: Gentileza Antonella Casanova

Martín, wo leben Sie jetzt?
Vor vier Monaten bin ich zum ersten Mal aus Argentinien weggezogen. Jetzt wohne ich in Paris.

Mit welchem Status sind Sie nach Paris gekommen? Mit einem Arbeitsvisum, mit einer Aufenthaltserlaubnis für Künstler*innen…?
Ich habe ein Visum, welches ich über ein Musikkonservatorium in Frankreich erhielt. Es gilt bis Ende des Jahres und ist erneuerbar.

Wie steht es in Argentinien um die Erteilung von Zuschüssen für Künstler*innen? Sind Sie darüber auf dem Laufenden? Hatten Sie dazu Zugang?
In den letzten Jahren, vor allem während der Kirchner-Regierung und der Entstehung des Kulturministeriums (Anm. d. Red.: 2018 stufte Macri das von Cristina Kirchner 2014 gegründete Kulturministerium als Geschäftsbereich des Bildungsministeriums ein), gab es einen Moment, in dem sehr viel verrückte Dinge geschahen. Es gab das Projekt Ibermúsicas (Anm. d. Red.: Ein Fonds zur Förderung iberoamerikanischer Musik), den Nationalen Kunstfonds, Mobilitätsstipendien. Unterstützt vom Staat konnte ich mit Projekten nach Europa, in andere lateinamerikanische Länder und ins Landesinnere reisen. Danach nahm die Unterstützung ab. Ein bisschen gibt es noch, aber es hat sich alles verschlechtert.

Denken Sie, dass dieses „fern von zu Hause sein“ auch einen Einfluss auf Ihre Kompositionen hat?
Ja, offen gestanden, ich komponiere nicht viel, seitdem ich fortging, denn ich muss mich noch in meinem neuen Leben in Paris zurechtzufinden. Ich bin dabei, das Netz der musikalischen Familie in Europa zu vergrößern. Darum bin ich mehr damit beschäftigt, zu spielen und an den Dingen zu arbeiten, die ich schon habe, als zu komponieren. Auf jeden Fall hat das, was man erlebt einen großen Einfluss auf das, was man schreibt. Darum kommt man nicht herum… Ich habe sehr viel Lust, im Juni mit dem Schreiben anzufangen. Dann habe ich ein bisschen mehr Zeit, mich hinzusetzten und zu arbeiten. Das fehlt mir sehr, seit vier Monaten toure ich herum und spiele, aber schreibe nicht.

Sie haben einmal in einem Interview zugegeben, dass Sie versuchen, sich vom Tango zu entfernen, zumindest in seiner traditionellen Form. Aber während Ihrer momentanen Tour geben Sie einige Konzerte mit einem Tango Repertoire. Woher kommt das?
Sieh mal, einerseits hat es was mit dem Lebensunterhalt zu tun. Ich bin vor kurzem in Paris angekommen und habe dort schon ein Arbeitsumfeld rund um den Tango. Anderseits ist es auch etwas, was ich sehr gerne tue. Dieses Gefühl, mich davon distanzieren zu müssen, liegt schon ein paar Jahre zurück. Damals ging es mir darum, Wiederholungen zu vermeiden. Rückblickend kommt es mir wie eine ein bisschen infantile Einstellung vor. Wenn mir nun Ideen kommen, die mit dem Tango oder der Folklore zusammenhängen, nehme ich sie auf. Alles andere hieße, etwas zu verleugnen, was mir eigen ist. Ich genieße es, das zu tun, und da ich weit weg bin, hat es auch etwas mit der nostalgia porteña zu tun, der für die Einwohner*innen von Buenos Aires so typischen Nostalgie. Ich mag es wirklich sehr, traditionelles Repertoire zu spielen. Aber darauf liegt momentan nicht mein Fokus. Es ist eine Möglichkeit zu arbeiten und dabei unsere Musik nie vollkommen aus den Augen zu verlieren. Was ich jedoch niemals getan habe, denn parallel zu meinen Projekten, auch mit meiner eigenen Musik, ist sie immer präsent. In Buenos Aires hatte ich ein Duo mit dem Gitarristen Leandro Nikitoff, mit dem ich Tango spielte. Also, ich habe damit nie wirklich aufgehört.

Jetzt wo Sie von Arbeit reden…neben Ihrem Schaffen als Musiker, was haben Sie für andere Dinge gemacht?
Ich gab Unterricht, in dem Projekt Orquestas del Bicentenario, dass, wie wir alle wissen, vor die Hunde ging. Dies war nur eines der vielen Projekte, welches sie zerstörten und ich verlor damit eine feste Arbeit. Außerdem nahm auch die Zahl meiner Schüler*innen ab…Darüber hinaus war ich in Brasilien sehr aktiv und gab dort jährlich viele Konzerte. Aber die Lage in Brasilien ist grauenhaft und somit fiel auch diese Möglichkeit weg. Das ging alles sehr schnell, es war sehr hart. Ich hätte also wieder versuchen müssen, mir eine Arbeitsstruktur an einem Ort aufzubauen, an dem alles den Bach runter geht.

Neben Ihrer Suche nach Kontakten und Ihrer beruflichen Entwicklung, hatte es etwas mit der politischen Situation zu tun, die Argentinien in diesem Moment durchläuft?
Ja, auf jeden Fall. Wegzugehen war etwas, was ich nie zu tun gedacht hätte. Ich war schon oft in Europa und bin in die USA gereist, aber ich hatte nie den Wunsch, dort länger zu leben. Aber die letzte Zeit in Argentinien wurde aus ökonomischer Sicht unerträglich, sehr hart. Und nicht nur ökonomisch, auch was sich dort sozial erleben lässt, ist sehr traurig. Davon ausgehend sah ich die Möglichkeit, das Land zu verlassen und andere Erfahrungen zu machen. Ich habe vor, zurückzugehen, aber möchte versuchen, in dieser Zeit eine bessere Lebensqualität zu haben, etwas, was mir dort schwer fiel. Ich arbeitete dort sehr viel, ohne zufriedenstellende Ergebnisse zu erlangen. Alles hat sich sehr zum Schlechten verändert. In Europa ist die Lage auch nicht ideal, bietet mir aber die Perspektive, auf persönlicher und professioneller Ebene zu wachsen. Neben anderen Dingen, natürlich. Meine Liebe zum Jazz gehört auch dazu. Anders gesagt: die Situation in meinem Land war nicht der einzige Grund wegen dem ich gegangen bin, aber hatte damit viel zu tun.

 

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