In den meisten Ländern Lateinamerikas und der Welt ist das Recht auf körperliche Selbstbestimmung für Frauen keine Selbstverständlichkeit. In Chile gibt es nun einen kleinen Hoffnungsschimmer. Am 22. August wurde das Totalverbot von Abtreibungen aufgehoben und ein Schwangerschaftsabbruch zumindest in drei Fällen legalisiert: Nach einer Vergewaltigung, bei akuter Lebensgefahr für die Mutter oder bei einer tödlichen Erkrankung des Fötus drohen nun keine Strafen mehr. Damit wurde ein Relikt aus der blutigen Vergangenheit abgeschafft, das uneingeschränkte Verbot war 1989 unter dem Diktator Augusto Pinochet eingeführt worden.
Die Lockerung ist ein Schritt in die richtige Richtung – mehr aber auch nicht. Was bei aller Euphorie in Vergessenheit gerät: Der Wille der Frauen, um die es geht, zählt nach wie vor nicht. Weiterhin muss erst ein Gewaltverbrechen nachgewiesen werden oder akute Lebensgefahr bestehen, damit Frauen über ihren Körper bestimmen können. Die leichten gesetzlichen Verbesserungen sind außerdem keine Garantie dafür, dass die betroffenen Frauen tatsächlich die nötige medizinische Versorgung erhalten. Immer wieder berichten Frauen davon, dass ihnen Abtreibungen verwehrt werden. Die gesellschaftliche Ächtung ist groß und viele Betroffene müssen Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen über sich ergehen lassen.
Nur in Uruguay, Kuba, den Guyanas und Mexiko-Stadt ist ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten Wochen straffrei. In Nicaragua und El Salvador sind Abtreibungen dagegen weiterhin gänzlich verboten und die betroffenen Frauen sowie das medizinische Personal müssen mit hohen Strafen rechnen. Der Fall von María Teresa Rivera sorgte vor einigen Jahren für großes Aufsehen. Die Salvadorianerin hatte eine Fehlgeburt erlitten. So weit, so normal. Nicht jedoch in El Salvador. Die damals 28-Jährige wurde verdächtigt, eine Abtreibung durchgeführt zu haben, sie wurde wegen Mordes angeklagt und zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Vier Jahre saß sie in Haft. 2016 wurde Rivera auf massiven Druck durch soziale Bewegungen entlassen. Doch die Tortur ging weiter. Die Staatsanwaltschaft drohte, die Entscheidung anzufechten. Ein Sturm der moralischen Entrüstung brach über die Mutter herein. Rivera musste das Land verlassen, im März dieses Jahres erhielt sie Asyl in Schweden.
Doch es regt sich Widerstand: Aktivist*innen von Tijuana bis Patagonien kämpfen gegen die katastrophale Situation und leisten den betroffenen Frauen Hilfe. Die geltenden Gesetze kriminalisieren vor allem arme Frauen, die meist nicht das Geld für eine Abtreibung oder medizinische Versorgung aufbringen können. Indigene Frauen aus ländlichen Gebieten werden besonders schlecht behandelt.
Die internationale Organisation Women on Waves umgeht das Abtreibungsverbot geschickt: Mit einem Boot umschiffen die Aktivist*innen Länder, in denen Abtreibungen verboten sind und führen in internationalen Gewässern Schwangerschaftsabbrüche durch. Eine gute Idee, dennoch keine Lösung für alle Frauen. Viele Betroffene leben fernab der Küsten, Abtreibungen finden stattdessen im Hinterzimmer statt: ohne professionelle Ärzt*innen, unter prekären hygienischen Bedingungen. Bei der Vielzahl der Frauen wirkt dieses Boot wie ein Tropfen in der blauen Weite des Ozeans.
Strenge Gesetze und der religiös-moralische Zeigefinger gefährden weiterhin das Leben von Frauen in Lateinamerika. Gesellschaftlicher Wandel ist allerdings immer von Fort- und Rückschritten geprägt.
Es besteht Hoffnung, solange sich Frauen weiterhin kritisch organisieren und das Patriarchat in Frage stellen, selbstbestimmt ihre Rechte einfordern und solidarische Werte vorleben.