Kuba | Nummer 275 - Mai 1997

Der doppelte Boden der US-amerikanischen Kubapolitik

ExilkubanerInnen profitieren von der Aussetzung ihrer Klagemöglichkeiten

Fidel Castro wird nicht müde, die völkerrechtswidrige und menschenrechtsverletztende US-Blockade gegen Kuba anzuprangern. Unterstützung erhält er in letzter Zeit insbesondere durch die Europäische Union (EU). Diese stimmte in der UNO nicht nur geschlossen gegen die Blockade, sondern drohte den USA eine Klage gegen das Helms-Burton-Gesetz bei der Welthandelsorganisation (WTO) an. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um das Gesetz steht das ominöse Kapitel III. Es ermöglicht Exil-KubanerInnen, europäische Firmen vor US-Gerichten wegen unrechtmäßiger Nutzung ihres einstigen Besitzes zu verklagen. Seit Inkraftreten des Gesetzes im März 1996 wurde dieses Kapitel von Clinton für jeweils sechs Monate ausgesetzt. So paradox es klingen mag, liegt dies im Interesse der Exil-KubanerInnen selbst.

Hans-Jürgen Burchardt

Generell verlaufen die Positionen innerhalb der EU gegenüber der US-amerikanischen Kuba-Politik über ein breites Spektrum. Die einen halten die US-Politik für überzogen, ohne der USA aber die Bemühungen um Demokratie in Kuba absprechen zu wollen. Andere sehen in ihr einen Affront gegen Handelsliberalisierungs- und Entspannungsbemühungen während manche wiederum sie als neuesten Ausdruck der Hegemoniebestrebungen der USA interpretieren. Alle Positionen haben jedoch eines gemeinsam: sie empfinden die Blockade als einen unzumutbaren Schlag unter die Gürtellinie, der den Beziehungen der Weltgemeinschaft äußerst abträglich ist. Diverse Kuba-Experten sprechen in neueren Erklärungsversuchen der US-amerikanischen Kuba-Politik von einer emotional geleiteten “Irrationalität”, die in einer “Verletzung des imperialen Stolzes” der USA begründet liegt. Irrational nicht zuletzt deshalb, weil die USA dadurch immer mehr eine internationale politische Isolation riskieren.
Ohne einer solchen Argumentation jegliche Relevanz abzusprechen, gibt es aber durchaus eine rationale Erklärung für die Ignoranz der Vereinigten Staaten gegenüber den EU-Staaten: denn Kuba hat als Handelspartner für die Europäische Union kaum Gewicht. Das gemeinsame Handelsvolumen beträgt weniger als ein Prozent des EU-Gesamthandelsvolumens. Vor diesem Hintergrund schrumpft so manche vollmundige Drohgebärde der EU zum Papiertiger, was die USA bei ihrer starren Haltung mit Sicherheit ins politische Kalkül gezogen haben: sie spekulieren darauf, daß es sich die EU wegen Kuba kaum mit dem wichtigsten politischen Bündnis- und Handelspartner ernsthaft verscherzen wird. Diese Spekulation scheint aufzugehen. Denn die EU zog vorerst ihre angedrohte Beschwerde in Sachen Helms-Burton zurück. Schließlich hatte die USA via Clintons Sonderbeauftragtem Eizenstat schon angekündigt, daß sie sich mit einer Berufung auf “nationale Sicherheitsinteressen” einer WTO-Verurteilung entziehen würde (siehe LN 274).

Ruhe an der Klagefront

Eine Klage der EU würde nicht mehr als Symbolcharakter zukommen. So schien eine Verhandlungslösung geboten und kam denn auch zustande. Die US-Regierung versprach der EU, sich im Kongreß für eine Abmilderung des Helms-Burton-Gesetzes einzusetzen. Im Gegenzug will die EU mit neuen Bestimmungen die Unternehmen von Investitionen in enteignetes Vermögen abhalten. Damit herrscht erstmal Waffenstillstand an der Klagefront. Jedoch halten sich beide Parteien für den Fall, daß die beiderseitigen Zugeständnisse nicht umgesetzt werden, die Klageoption offen: die EU hat ihre Klage ebenso nur für sechs Monate ausgesetzt wie die USA das Inkrafttreten des Kapitels III.
Die Ignoranz der USA gegenüber der EU läßt sich zudem aus der Sicht der traditionellen US-Außenwirtschaftspolitik erklären. Das absolute Exportvolumen der USA ist weltwirtschaftlich von erheblichem Gewicht. Die Bedeutung des Außenhandels für die US-Wirtschaft selbst, ist demgegenüber relativ gering: der Außenhandel macht nur einen Anteil von weit unter zehn Prozent des heimischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Aus diesen ökonomischen Verhältnissen hat sich in den USA traditionell eine Außenwirtschaftspolitik entwickelt, die unilateral geprägt ist, oft sehr unsensibel reagiert und mehr die Funktion einer verlängerten Innenpolitik erfüllt. Und dies trifft in vollem Umfang auch auf die US-amerikanische Kubapolitik zu.
Die Clinton-Administration konnte sich mit ihrer letzten Verschärfung der Blockade den gewichtigen innenpolitischen Einfluß der exilkubanischen Gemeinde in Florida sichern. Denn das Helms-Burton-Gesetz ist bei genauerem Hinsehen ein Wirtschaftsförderprogramm für exilkubanische und aus Kuba vertriebene Industriekreise. Diese bemerkenswerte Interpretation über die wirkliche Funktion der Blockade liefert uns zumindestens der Exilkubaner Louis F. Desloge III, der sich selbst zum konservativen Teil des Exils zählt und eine Destabilisierung des Castro-Systems durch eine Aufhebung der Blockade erreichen will. Nach ihm folgt die letzte Blokkadeverschärfung “einem raffinierten Plan”: denn nach dem dritten Absatz jenes Helms-Burton-Gesetzes könnten ExilkubanerInnen und sonstige Ex-EigentümerInnen ausländische Unternehmen vor US-Gerichten verklagen, wenn sie in ihren einstigen Besitz investieren. So könnte zum Beispiel Bacardí den französischen Spirituosenhersteller Pernod Ricard verklagen, der zur Zeit weltweit die kubanische Rummarke Havana Club vertreibt. Oder die nordamerikanische Tabakindustrie den Konzern British-American Tobacco, der die Zigarettenmarke Lucky Strike herstellt und auf Kuba im Tabakanbau ein Gemeinschaftsunternehmen unterhält. Dieses Drohpotential führt dazu, “daß Klagen als Druckmittel benutzt werden dürfen, um außergerichtliche Vergleiche zu erreichen.” Denn das Helms-Burton-Gesetz verfügt über ein juristisches Schlupfloch, nach dem die Streitparteien zu einer außergerichtlichen Schlichtung kommen können. Die Forderungen des Klägers werden dann hinfällig und die Einigung muß auch nicht von der US-Regierung abgesegnet werden. Die praktischen Folgen dieser Bestimmung liegen für Louis F. Desloge III auf der Hand: “Es ist nicht anzunehmen, daß ausländische Unternehmen wie Pernod Ricard oder Unilever profitable Geschäftszweige in Kuba aufgrund einer Klage aufgeben. Wahrscheinlicher ist, daß diese Konzerne kubanische Exilierte, die unter dem Helms-Burton-Gesetz klagen, widerwillig mit Geld abfinden werden.” Bisher bestehen diese Klagemöglichkeiten nur potentiell, da das Kapitel III, ausgesetzt ist. Aber eben nur für jeweils sechs Monate.

Das lohnende Damoklesschwert

Die europäischen und sonstigen Investoren stehen permanent unter dem Damoklesschwert des Kapitels III. Dies machen sich die alten Eliten Kubas zu Nutze. Sie drohen unverhohlen damit, ihren Einfluß bei Clinton geltend zu machen und auf die Aufhebung der Aussetzung zu drängen, wenn sie nicht in Form einer Gewinnsteuer von den Investoren beteiligt werden – um sich so vom wirtschaftlichen Aufschwung auf der Insel auch eine Scheibe abschneiden zu können. Da nach dem neuen Gesetz nur diejenigen ein potentielles Klagerecht haben, die früher ein Eigentum von mindestens 50.000 US-Dollars besaßen, ist auch der Adressat dieser Wirtschaftsfördermaßnahme ganz eindeutig, so Louis F. Desloge III: “Man muß schon sehr reich gewesen sein, um 1959 in Kuba so viel besessen zu haben. Ein kubanischer Schlachter, Bäcker oder Kerzenmacher hat da Pech gehabt. Für ihn ist das Gesetz nicht gemacht.”
Unter diesem Blickwinkel kann auch die Politik Clintons, insbesondere die Aussetzung des Artikels III neu bewertet werden. Was weltweit als erste Konzession auf den wachsenden Protest gegenüber der US-Kubapolitik interpretiert wurde, folgt einer ganz anderen Logik: denn die Aussetzung des Klagerechts verringert das Drohpotential des Exils gegenüber ausländischen Investoren nicht im geringsten, da es alle sechs Monate erneuert werden muß. Es ist deshalb davon auszugehen, daß das Exil dank Bill Clinton schon kräftig an der Blockade mitverdient. Dies läßt auch die Politik der reaktionärsten Kreise des Exils, die sich um den Multimillionär Mas Canosa und seiner Cuban American National Foundacion (CANF) scharen, in einem anderen Licht erscheinen: hier geht es nicht nur um eine anachronistische ideologische Auseinandersetzung, sondern um handfeste Wirtschaftsinteressen. Zwar ist die Prognose von Louis F. Desloge III, daß das Helms-Burton-Gesetz “einen großen Strom neuer ausländischer Investitionen in Kuba” fördert, da die alten Eliten des Exils den neuen Investoren jetzt legal “das volle Anrecht auf ihren Besitz gegen einen Anteil an den Gewinnen anbieten” können, deutlich übertrieben. Immerhin gibt es schon erste Investoren, die sich aufgrund der Blockadeverschärfung aus dem Kubageschäft zurückgezogen haben – auch kam in den letzten zwölf Monaten auf der Insel kein großes Joint-Venture mehr zur Unterschriftsreife. Aber nur solange die Blockade in ihrer jetzigen Form weiterexistiert, garantiert sie den einflußreichen ExilkubanerInnen auch Gewinne. Denn es ist höchst zweifelhaft, daß das kubanische Exil nach einem Systemwechsel auf Kuba seine Besitzansprüche gegenüber ausländischen Investoren international durchsetzen könnte. Auf solche Ansprüche würden die EU und Kanada aus prinzipiellen wirtschafts- und handelsrechtlichen Gründen wesentlich heftiger reagieren als auf die jetzige Blockadepolitik – würden sie doch die Rechtssicherheit bei Direktinvestitionen im Ausland weltweit in Frage stellen. So besteht das Interesse von Teilen des Exils auf einen Erhalt der Blockade nicht in erster Linie darum, um eine weitere Destabilisierung des Castro-Systems voranzutreiben. Es geht vielmehr um eine Absicherung der eigenen Einnahmen. Wie weit diese Interessen die US-amerikanische Kubapolitik beeinflußen, zeigte eine Initiative Clintons Anfang 1997: dabei versprach er der kubanischen Bevölkerung in einem medienwirksamen Auftritt Unterstützungen in Höhe von acht Milliarden US-Dollar. Wichtigste Bedingung für diese Hilfestellung wäre ein “demokratischer Wandel auf Kuba ohne Castro”. Doch sogar dieser Versuch, die Bevölkerung Kubas abzuwerben, verzichtete nicht auf die Blokkadepolitik. Er beinhaltete die Aufrechterhaltung des Helms-Burton-Gesetzes für mindestens weitere sechs Jahre! Der kubanische Parlamentspräsident Alarcon fand auf diesen Vorschlag die treffende Antwort, als er ihn als “machiavellistischen Plan zu Rekolonialisierung Kubas” bezeichnete. Teile des Exils haben inzwischen aber offensichtlich gelernt, bei ihren Rekolonialisierungsgelüsten auf die Kolonie verzichten zu können…

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