© María Grazia Goya
Nein, glamourös wirkt das alles wirklich nicht. Eine schmucklose Wohnung in einer anonymen Plattenbausiedlung am Rande der Großstadt, Jobs auf dem Bau oder als Call-Center-Agent, dazu draußen Berge von Schnee. Ob es das war, was sich die kubanischen Arbeitsmigranten, die der Dokumentarfilm Llamadas desde Moscú (Anrufe aus Moskau) zeigt, von ihrem Leben in Russland erhofft haben? Inwiefern es eine Verbesserung zu ihrer vorherigen Existenz in Kuba darstellt? Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren. Denn das Geschehen im Film fokussiert sich fast ausschließlich auf Telefongespräche, die sie nach Hause oder ganz selten auch mal mit dem Vermieter in Moskau führen. Und die meist nicht besonders aussagekräftig sind.
Das ist schade, denn die Ausgangssituation der vier Männer, die der Film begleitet, hätte Material für wesentlich mehr hergegeben. Alle vier sind homosexuell und aus Kuba nach Russland geflüchtet – in ein Land, in dem jegliche positive Äußerung oder Darstellung zum Thema Homosexualität unter Strafe steht. Doch ihre Meinung zu den Widersprüchen und Gemeinsamkeiten in den so unterschiedlichen Gesellschaften wird von Regisseur Luis Alejandro Yero nicht erfragt. Wie fühlt es sich an, Migrant in Russland zu sein? Aus dem Sozialismus in eine immer repressiver werdende Autokratie zu kommen? Queer zu sein in einem Land, das queere Lebensweisen marginalisiert und diskriminiert? Gibt es überhaupt etwas, das sie heute noch mit diesem Russland verbindet außer der Visafreiheit, einem Relikt aus der gemeinsamen kommunistischen Vergangenheit?
Zu all dem hätten Eldis, Juan Carlos, Deryl und Dariel vermutlich viel zu erzählen gehabt. Zumal Llamadas desde Moscú im Februar 2022, nur wenige Tage vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs, gedreht wurde und die Anspannung spürbar ist (das Filmteam konnte sich mit einem der letzten Flüge vor der Ausreisesperre zurück nach Kuba retten). Stattdessen liegen sie meist apathisch auf Betten in einem möblierten Apartment herum, sehen oder filmen selbst TikTok-Videos und geben in ihren Telefonaten mehr oder weniger Relevantes über ihre neue Lebensrealität preis. Dazu sieht man spärliche Außenaufnahmen von der trostlosen, verschneiten Trabantenstadt um sie herum. Das Ganze unterstreicht den Eindruck, der von Beginn an gewollt ist: Kulturelle, menschliche und auch politische Vereinzelung in einer Umgebung, die fremder nicht sein könnte. Dadurch, dass Yero den Hintergrund seiner vier Protagonisten aber überhaupt nicht beleuchtet, gelingt es ihm auch nie, wirkliche Empathie mit ihnen zu erzeugen. So bleibt Llamadas desde Moscú am Ende nicht mehr als ein interessantes Projekt, das trotz der geglückten Darstellung von Isolation zu oft vergisst, sich um die Menschen dahinter zu kümmern.
LN-Bewertung: 2/5 Lamas