NICHT EINMAL DER TOD

Aufmerksame Kritikerin Echeverría verstarb am 03. Januar 2020 (Foto: Gilberto Robles)

Ich kam im Jahr 1920 zur Welt, zu einer Zeit, als die Frauen in Chile weder das Recht hatten zu wählen, noch die Möglichkeit an einer Universität zu studieren. Chile war als Land damals absolut abhängig von Europa und den USA. Es verkaufte Salpeter, später Kupfer. Es war eine koloniale Realität. Mir war väterlicherseits ein oligarchisches Erbe in die Wiege gelegt worden, mütterlicherseits gab es Facharbeiter und Intellektuelle.

Ihr Großvater, Eliodoro Yáñez, erlangt in den 1920er Jahren einen Ruf als fortschrittlicher Senatspräsident, wird Ende der 1930er jedoch ins europäische Exil gezwungen. Echeverría verbringt große Teile ihrer Kindheit in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Ihre Mutter erinnert sich ihrer in Tagebüchern als anstrengendes Kind: „Sie ist ein unausstehlicher Schreihals, so intelligent und stolz sie auch sein mag.“ Die Mutter müht sich, dieses Temperament unter Kontrolle zu bekommen und sie auf den „gesellschaftlichen Einstand“ in Chile vorzubereiten.

Natürlich fügte ich mich erstmal den Normen meiner sozialen Klasse. Ich heiratete und bekam Kinder. Und dennoch zeigte ich immer auch Symptome einer Rebellion gegen all die Vorschriften, denen ich unterworfen war.

1950 reicht es Echeverría. Sie stellt ihren Ehemann und die drei gemeinsamen Kinder vor vollendete Tatsachen und geht als Stipendiatin für ein Jahr nach Spanien. Ihre Rolle als Ehefrau und Mutter interpretiert sie fortan selbstbestimmter, arbeitet als Lehrerin und gründet ein Theater. Nach dem Wahlsieg Salvador Allendes 1970 steigert Echeverría ihr künstlerisches Engagement weiter.

In diesen Jahren blühte die Kultur hundertprozentig auf. Es ging darum, die gesamte Bevölkerung zu erreichen und einzubeziehen. Überall waren für wenig Geld gute Bücher des staatlichen Verlags Quimantú zu kaufen. Überall wurde eifrig produziert. Folklore. Theaterstücke. Eine Explosion. Die Wände Santiagos waren voller Wandbilder, auch die Mauern entlang des Flussbettes des Rio Mapocho, der durch die Stadt fließt. Ich glaube, das war intellektuell die wachste Zeit Chiles, nie zuvor oder danach wurde so viel gelesen. Es war ein kreatives Fieber das sehr abrupt und tragisch endete.

Richard Nixon begriff schnell, dass er den sozialen Wandel in Chile aufhalten musste, denn sonst hätte dieser Weg in Lateinamerika weitere Nachahmer finden können. Sie begannen mit einem Embargo und organisierten viele weitere verdeckte Aktionen in Chile, an denen sich alle Kapitalisten der chilenischen Rechten beteiligten, besonders auch der Herausgeber der Tageszeitung El Mercurio, Augustín Edwards. Unglaublich, was für eine Hommage nach seinem Tod inszeniert wurde, und das für eine der unheilvollsten Gestalten der chilenischen Geschichte.

Unheilvoll ist auch der Putsch 1973. Echeverría nutzt den relativen Schutz ihrer privilegierten Herkunft und engagiert sich in der Fluchthilfe verfolgter Personen. Ihre Bemühungen, auch einflussreiche Frauen der deutsch-chilenischen Community für diese Aktionen zu gewinnen, schlagen fehl. In einem geheimen Treffen…

entgegneten die ehrenwerten Damen auf meinen Vorschlag, international Hilfe zu organisieren: ‚Weiß denn Lucía Pinochet [die Ehefrau des Diktators] von dieser Idee?‘ und ich sagte nur: ‚Na hoffentlich nicht! Auch die deutschen Nonnen aus der Oberschule Colegio Santa Ursula [wo Echeverría bis 1973 unterrichtete] hatten, gebildet wie sie waren, nichts verstanden. Ich wollte, dass sie eine ehemalige Schülerin verstecken, doch sie ließen mich abblitzen. Im Philosophieren waren sie stark, aber politisch gesehen absolute Faschistinnen.

Aus Sorge um zwei meiner eigenen Kinder, die nach dem Putsch im Untergrund weiterhin bei der MIR [Bewegungen der Revolutionären Linken] aktiv waren, suchte ich Hilfe bei einem deutschen Bischof [eigentlich Probst] der Lutherischen Kirche, Helmut Frenz. Ich war kurz davor, ins Exil zu gehen und meine Kinder mussten auch aus Chile raus. Noch von Cambridge aus [wo Echeverría und ihr Mann von 1974 bis 1979 lebten] hielten wir Kontakt mit ihm. Er hat so vielen geholfen und es war sicher nicht leicht für ihn, mit all den Nazis in Chile.

Ende der 1970er kehrt Echeverría nach Chile zurück. Gemeinsam mit einigen Eingeweihten gründet sie die Gruppe Mujeres por la vida (Frauen für das Leben).

Während der Diktatur begannen wir Dinge zu tun, die die Männer nicht zu tun wagten. Die hatte man nach dem Putsch zum Schweigen gebracht.

Echeverría und ihre Mitstreiterinnen zetteln mal szenische Tumulte in Supermärkten an, mal werfen sie Fußbälle mit der Aufschrift „Tretet Pinochet“ von den Dächern Santiagos. Oder sie protestieren gegen die unerträgliche parteiische Justiz.

Zu fünft schlichen wir uns in den Gerichtshof. Fünf Frauen, die Taschen gefüllt mit verfaultem Fisch und Muscheln. Mit eleganten Schritten liefen wir in den zweiten Stock und warfen von dort auf ein Kommando alle Fische und Muscheln in den Innenhof, wo die Richter herumliefen. Dann entrollten wir ein Transparent auf dem stand ‚In Chile ist die Gerechtigkeit verboten‘. Wir wurden alle festgenommen, aber was sollten sie machen? Wir hatten ja niemanden umgebracht. Also kamen wir nach zwei Tagen wieder frei. Und den Gerichtshof, den konnten sie zwei Wochen lang nicht benutzen, weil es so stank.

Auch nach dem Ende der Diktatur bleibt Echeverría eine wache Kritikerin der unvollendeten Redemokratisierung Chiles. So verfolgt sie die Lebensläufe prominenter Parteigänger Allendes, die sich nach der Diktatur als wirtschaftliche Berater, Geschäftsmänner und Politiker auf obszöne Weise bereicherten.

Diese unverschämten Scheißtypen, wie konnten sie, intelligent und gebildet wie sie sind, sich so einer perversen Mission verschreiben? Warum verlief mein Leben so anders? Ich, aus aristokratischen Kreisen, geprägt von einer elitären Bildung, ich machte mich zu einer Anderen, abseits des Wohlstands der für mich in einer glorreichen oligarchischen Zukunft reserviert war. Denn die Utopie einer anderen möglichen Welt, von einer menschlichen Gesellschaft, mit Würde und Solidarität, das ist die meine.

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