“WIR HOFFEN, MIT DEM STAAT IN EINEN DIALOG ZU KOMMEN”

Sie haben den UN-Menschenrechtsrat in Genf vor der Überprüfung der Menschenrechtslage im April besucht. Welche Eindrücke haben Sie dort gesammelt und welche Erwartungen haben Sie an das Gremium?
Mónica Vera Puebla (MVP): Unsere Erwartungen sind, dass wir durch unseren Beitrag den Mitgliedern des Menschenrechtsrates vermitteln konnten, wie sich die Ernährungs- und Menschenrechtslage in Ecuador derzeit gestaltet. Dabei geht es insbesondere um den Zugang zu Land, Saatgut und Krediten, aber auch das Thema der Vertreibung, ohne andere Themen auszusparen. Uns ging es darum, einen integralen Blick auf die Menschenrechtsverletzungen darzulegen. Unsere Zielsetzung ist es, Räume für einen Dialog zu eröffnen, wie diesen Menschenrechtsverletzungen beizukommen ist. Unser Eindruck ist, dass uns das in Genf gelungen ist. Wir haben Statistiken über die Ernährungs- und Menschenrechtslage vorgestellt und Lösungsvorschläge unterbreitet, die auf offene Ohren gestoßen sind. Leider war es erforderlich, bis nach Genf zu fahren, um solche Dialogräume zu eröffnen. Dort sind wir mit der diplomatischen Vertretung Ecuadors ins Gespräch gekommen, die erste Annäherung an die ecuadorianische Regierung. In Ecuador selbst ist uns das mit der Regierung von Rafael Correa nicht gelungen. Unsere kritischen Anmerkungen zur Menschenrechtslage sind dort nicht gut aufgenommen worden. Unsere Dialogangebote wurden ausgeschlagen, auch der Versuch über die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) zu einem Dialog zu kommen, schlug fehl. Deswegen versuchen wir nun den Weg über die UNO und ihren Menschenrechtsrat.

In Ecuador gab es gerade Präsidentschaftswahlen. Der Kandidat der Regierungspartei, Lenín Moreno, hat knapp gewonnen, die zehnjährige Ära von Rafael Correa geht am 24. Mai zu Ende. Könnte es mit dem neuen Präsidenten nicht mehr Raum für Dialog geben?
MVP: Diese Hoffnung haben wir in der Tat. An einem möglichen Dialog sollten alle sozialen Organisationen teilnehmen. Wir hoffen, dass Moreno einen partizipativen Prozess mit der Zivilgesellschaft einläutet, so wie er das in Aussicht gestellt hat. Das halten wir für extrem wichtig, um die existierenden Spannungen zu mildern. Wichtig ist auch, dass Menschenrechtsverteidiger in diesem Raum geschützt werden und ihre Arbeit als wichtig anerkannt wird, statt als unbotmäßige Kritik zurückgewiesen zu werden.

Erwarten Sie von Moreno einen Kurswandel beim Wirtschaftsmodell, das vor allem auf Rohstoff- und Agrarexporten beruht?
MVP: Davon gehe ich nicht aus, zumindest keinen grundsätzlichen. Lenín Moreno kommt von der amtierenden Regierungspartei Alianza País und ist mit ihrem Personal verflochten. Zu erwarten ist, dass das vorherrschende Modell fortgesetzt wird. Das heißt eine Kontinuität des sogenannten Extraktivismus (Rohstoffförderung plus Export, Anm. d. Red.) und der Agrarindustrie. Dieses Modell ist bereits durch die Alianza País verankert worden. Moreno hat in Aussicht gestellt, den Dialog über den einen oder anderen Aspekt zu führen, aber es gibt keinerlei Signal, dass vom Modell abgewichen werden soll. Das bereitet uns durchaus Sorge. Zum einen geht mit der Agroindustrie eine Monokultur mit ihren ökologischen Risiken einher, zum anderen ist die Ausweitung des Bergbaus mit vielen lokalen Konflikten verbunden, weil die ansässige Bevölkerung ihre Lebensgrundlagen gefährdet sieht.

Herr Carpio Cedeño , Sie gehören der Bauerngemeinde ASOMAC an. Viele Bauernfamilien wurden im Zuge eines Landkonflikts von staatlichen Sicherheitskräften vertrieben. Wie steht es in diesem Konflikt derzeit?
Carlos Carpio Cedeño (CCC): Unsere Hoffnung besteht darin, dass wir mit dem Staat in einen Dialog kommen. Man muss klar feststellen, dass die Räumungen und Vertreibungen 2015 illegal waren. Die Familien, die der Bauerngemeinschaft ASOMAC angehören, hatten die Felder seit Generationen bestellt. Der Staat hatte ihren Anspruch auf das Land vor zehn Jahren anerkannt. Die Räumung erfolgte ohne vorherige Ankündigung, was gegen ecuadorianisches Recht verstößt. Die Sache ist vor dem Verwaltungsgericht gelandet, dort ist noch nicht abschließend geklärt worden, wie die Besitzansprüche sind. Es ist ein Konflikt unter Brüdern, unter unterschiedlichen Bauernfamilien über das Recht, bestimmtes Land bebauen zu dürfen, zwischen Bäuerinnen und Bauern sowohl von ASOMAC als auch der Asociación La Lagartera. Die Räumung war Folge eines Regierungsbeschlusses aus dem Jahr 2011, das Gebiet von ASOMAC um 150 Hektar zu verkleinern.

Wie wirkt sich die Räumung auf die Lebensumstände der Familien aus?
CCC: Katastrophal. Häuser, Felder und Bewässerungssysteme wurden komplett zerstört. Obdachlosigkeit und fehlende Einkommen führen seitdem zu Mangelernährung, Krankheiten und psychischen Problemen, insbesondere bei Frauen und Kindern. Niemand will dafür die Verantwortung übernehmen. Zudem haben wir den Zugang zu Wasser verloren und unser Versuch, wieder Zugang zu erhalten, blieb unbeantwortet. Ohne Wasser können wir nicht säen. Wir suchen nach Antworten. Das Verwaltungsgericht in Guayaquil hat uns im März 2016 recht gegeben und den Regierungsbeschluss für unzulässig erklärt. Das zuständige Ministerium legte jedoch Berufung ein. Nun muss der Oberste Gerichtshof in Quito entscheiden, sodass die Rechtsunsicherheit bestehen bleibt.

Und wie macht ASOMAC unterdessen weiter?
CCC: Wir kämpfen weiter um unser Land. Wir sind Landwirte, ohne Land und ohne Wasser können wir nicht leben. Das Agrarministerium fordert Geld für die nur noch 325 Hektar, die uns zur Bebauung zugesprochen wurden. Aber wie sollen wir sie ohne Wasser kultivieren? Wie sollen wir unter diesen Bedingungen Erträge erwirtschaften, um zahlen zu können? ASOMACs Verschuldung steigt und steigt. Was können wir machen, ohne die Möglichkeit, Land zu bepflanzen? Als wir das brachliegende Gebiet damals besetzten, hatten wir eine klare Linie: Besetzen, um Lebensmittel für unsere Familien zu produzieren. Dieses Land haben sie uns nun genommen.

Der Gegner im Rechtsstreit ist die Asociación La Lagartera. Was verbirgt sich dahinter, eine große Firma oder Kleinbauer*innen?
CCC: Es sind auch Kleinbauern. Sie machen auch gute Projekte. Das Problem ist einfach, dass sie nicht berücksichtigt haben, gar nicht untersucht haben, dass wir bereits auf der Fläche des leer stehenden Gutes Leopoldina Landwirtschaft betrieben haben. Trotzdem hat die Asociación La Lagartera Ansprüche auf das Land angemeldet. Der Staat hört auf La Lagartera, aber auf ASOMAC reagiert er nicht.

Und wie lässt sich dieser Konflikt beilegen?
CCC: Über Dialog. Da wir in Ecuador nicht gehört wurden, haben wir als Opportunitätsfenster diesen internationalen Weg über den Menschenrechtsrat gewählt. Wir wollen einen Dialog, wir wollen eine Untersuchung darüber, was ASOMAC auf dem Land betrieben hat und was nun La Lagartera dort betreibt. Wir haben Flora und Flauna gepflegt, wir haben keine Bäume gefällt, wir haben der Umwelt keinen Schaden zugefügt. Aber was sehen wir jetzt: Monokultur! Bäume wurden gefällt, um Reis als Monokultur anzubauen.

Welche Bedeutung hat die Unterstützung von Solidaritätsgruppen und Organisationen wie FIAN für ASOMAC?
CCC: FIAN hat uns großartig geholfen, uns neue Wege gezeigt, wie wir unser Recht einfordern können. Dafür sind wir zu großem Dank verpflichtet. Umso mehr, als wir beim Staat kein Gehör für unsere Anliegen gefunden haben. Einer dieser Wege ist die Kleinbauernvereinigung Tierra y Vida (Land und Leben), der wir uns angeschlossen haben, um uns gegenseitig moralisch zu unterstützen und zu sehen, was wir gemeinsam in unseren Kämpfen bewegen können. An diesem Punkt befinden wir uns zur Zeit.

Zum Jahresbeginn ist ein Freihandelsabkommen zwischen Ecuador und der Europäischen Union in Kraft getreten, dem sich Ecuador lange verweigert hatte. Sind die Auswirkungen absehbar?
MVP: Der Freihandelsvertrag, der von der Regierung in Quito beschönigend als Übereinkommen bezeichnet wird, wurde Ende 2016 unterzeichnet, mitten im Wahlkampf, so dass es keine größeren Informationen für die Bevölkerung darüber gab. Die Organisationen der Zivilgesellschaft und ihre Befürchtungen wurden auch nicht im Verhandlungsprozess berücksichtigt. Auch die indigenen Völker wurden bei den sie betreffenden Punkten nicht konsultiert, obwohl sie darauf einen Rechtsanspruch haben. Unsere Erwartungen beruhen auf den Erfahrungen der Nachbarländer Peru und Kolumbien, bei denen dieses Freihandelsabkommen, dem Ecuador nun verzögert beigetreten ist, schon seit Mitte 2013 in Kraft ist. Was sich dort abzeichnet, ist eine Zunahme an Konflikten rund um die Kleinbauern, die durch die Marktöffnung einer europäischen Konkurrenz ausgesetzt sind, der sie nicht gewachsen sind.
In Bezug auf Ecuador müssen wir noch untersuchen, wie sich dieses Freihandelsabkommen auswirken wird. Wir befürchten dasselbe Szenario, wie in Peru und Kolumbien, auch in Ecuador: Sprich, dass eine Zunahme der agroindustriellen Monokultur die Kleinbauern verdrängt und die Konflikte um den Zugang zu Land sich verschärfen, wenn die Türen für Investitionen geöffnet werden. Transnationale Investoren werden vermutlich tausende von Hektar kaufen, um Plantagenwirtschaft in Monokultur zu betreiben. Damit besteht das Risiko, dass die kleinbäuerliche Familienlandwirtschaft verschwindet. Wir müssen sehen, wie sich die Preise bei Milch, Bananen, Früchten, beim Saatgut entwickeln. In Kolumbien gingen schon viele Milchbauern wegen der Einfuhr von EU-Milchpulver Pleite. Die Konkurrenz für und unter den Kleinbauern wird zunehmen.


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