Bild der Zerstörung Die Wassermassen reißen alles mit sich (Foto: Vinicius Mendonca/Ibama (CC BY-SA 2.0)
„Am schlimmsten wird es werden, wenn die Stille kommt“, sagt Cleiton Cândido da Silva, Einwohner der Gemeinde Córrego do Feijão in der Gemeinde Brumadinho. Brumadinho liegt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, wo am 25. Januar 2019 der Sicherungswall des Rückhaltebeckens Nummer 1 der Erzbergmine Córrego do Feijão brach. Der Dammbruch verursachte mindestens 310 Todesopfer. Jetzt, einen Monat später, wurden noch immer nicht alle Leichen geborgen, die sich unter teils meterhohen Schlammbergen befinden. Der Bruch von Brumadinho gilt bereits jetzt als die schlimmste menschliche Katastrophe der letzten 33 Jahre im Bergbauwesen und als der größte Arbeitsunfall in Brasilien. Die Menschen suchen noch immer verzweifelt nach ihren Angehörigen, während die Rettungskräfte seit Wochen unermüdlich arbeiten, um nach den sterblichen Überresten der Menschen zu suchen. Mundschutz für die Rettungskräfte wurde bereits nach wenigen Tagen Pflicht, da die unzähligen, bisher noch nicht gefundenen Leichen Verwesungsgeruch ausströmen. Und die Menschen sind neben ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung wütend. Denn der Dammbruch von Brumadinho war nicht der erste Großbruch.
Der jetzige Dammbruch erfolgte drei Jahre nach der größten Umweltkatastrophe in Brasilien, als damals am 5. November 2015 der Damm des Rückhaltebeckens Fundão der Firma Samarco Mineração S.A. brach, ein Joint Venture von Vale S.A. und BHP Billiton. In der Nähe der Stadt Mariana gelegen, ebenfalls in Minas Gerais, wurden durch den Dammbruch 62 Millionen Kubikmeter Erzrückstände freigesetzt, die sich in einem Tsunami durch mehrere Dörfer und anschließend durch Flusstäler bis hin zur Mündung in den Südatlantik frästen. Der Bruch von „Mariana“, wie er fortan in den Medien genannt wurde, zerstörte den Bezirk Bento Rodrigues vollständig, begrub Häuser, Kirchen, Schulen, Brücken, Plantagen unter sich, tötete 19 Menschen, traf auf den Rio Doce, eines der größten Flussbecken Brasiliens, und alle Gemeinden entlang des Flusses in den Bundesstaaten Minas Gerais und Espírito Santo, bevor er 700 Kilometer entfernt den Atlantik erreichte und dort die Fisch- und Molluskenbestände ebenso wie die einzigartige Korrallenwelt von Abrolhos zerstörte. Immer noch kämpfen die betroffenen Bevölkerungsgruppen um ihr Überleben und um Gerechtigkeit. „Was wir am meisten wollen, ist, dass wir in unser Haus, zu unseren Nachbarn, zurückkehren“, sagt Mauro Marques da Silva, Bewohner des zerstörten Bento Rodrigues. „Es ist lange her, dass wir so gelitten haben, und wir wissen immer noch nicht, ob wir bezahlt werden oder ob es dann eben dabei bleiben würde, dass wir ganz leer ausgehen“, erzählt er. Zwischen Minas Gerais und Espírito Santo sind insgesamt mehr als 500.000 Menschen betroffen, und sie sind es noch immer, denn die Trinkwasserversorgung basiert auf Flusswasser, das nun aufbereitet werden muss. Vertrauen in dieses Wasser haben die Anwohner*innen jedenfalls nicht.
Drei Jahre sind seit dem Dammbruch von Mariana vergangen, und die Flussanwohner*innen, Fischer*innen und kleinen Landwirt*innen haben noch immer keine ausreichende Entschädigung für den kompletten Verlust ihres Lebenseinkommens erhalten. Dabei gehen die Verantwortlichen für den Dammbruch von Mariana bis heute straffrei aus. Wie Marli de Fátima Felício Felipe, die ihre Mutter bei der Tragödie verloren hat, betroffen sagt: „Ich denke, alle werden sie straffrei davonkommen. Das Unternehmen (Samarco) ist sehr stark. Nur Gott ist größer.“ Dabei haben die beiden gebrochenen Dämme, Fundão und Córrego do Feijão, auffällige Gemeinsamkeiten. Die Betreiberfirma von Fundão bei Mariana gehörte zur Hälfte dem brasilianischen Bergbauriesen Vale. Córrego do Feijão gehörte Vale komplett. Beide Minen belieferten unter anderem auch deutsche Stahlkocher. 52 Prozent der Eisenerzimporte nach Deutschland kommen aus Brasilien, größter Lieferant: Vale S.A. Doch wegen der mangelnden Pflicht zur Offenlegung der Lieferkette reden die deutschen Hüttenwerke sich immer gern mit Verschwiegensheitsklauseln aus der Affäre. Hinterher will niemand mehr etwas damit zu tun gehabt haben. Beide Minen hatten deutsche Versicherer und Rückversicherer, unter ihnen die Marktführer Allianz, Hannover Rück und Münchener Rück, wobei letztere jüngst eine Debatte unter den Versicherern anstrengt hat, die Versicherungspolicen bei den extrem bruchgefährdeten Dämmen strikter zu handhaben. Es wird wohl auch ihnen mittlerweile zu teuer.
Einsparungen bei Sicherheitsfragen führten direkt zu den Dammbrüchen von Mariana und Brumadinho
Beiden Brüchen war auch gemein, dass sie während des Abwärtszyklus der Mineralpreise geschahen, bekannt als Boom und Bust-Boom der mineralischen Rohstoffe. Laut Rodrigo Santos, Professor an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro UFRJ, bezieht sich der Rohstoff-Boom auf die Zeit des deutlichen Preisanstiegs bei standardisierten Mineralgütern, die im Zeitraum von 2003 bis 2011 auf den Weltmärkten gehandelt wurden. Auf der anderen Seite ist der Bustzyklus gekennzeichnet als ein Szenario von Überangebot, gefolgt von einem Rückgang der Nachfrage und der Perspektive niedriger Preise auf lange Sicht, die in der Lage sind, einen Strategiewechsel bei den Bergbauunternehmen herbeizuführen. Diese beginnen dann, die Produktionskosten zu senken, während sie die Förderung erhöhen, um die Verluste des negativen Szenarios auszugleichen. Und genau das hat, so die Wissenschaftler, schwerwiegende Konsequenzen.
Denn bei sinkenden Weltmarktpreisen steigt der Kosteneinsparungsdruck und die erste Maßnahme besteht nahezu immer darin, die Betriebskosten zu senken. Wie Bruno Milanez, Professor an der Bundesuniversität von Juiz de Fora UFJF, betont, ist es nicht ungewöhnlich, dass die ersten Einschnitte bei der Sicherheitsüberwachung, darunter die der Dämme, stattfinden. Im gleichen Sinne zitiert Milanez die Arbeit der kanadischen Forscher Michael Davies und Todd Martin, die einen Zusammenhang zwischen den Zyklen der Erzpreise und dem Bruch der Rückhaltedämme darstellt. Für Milanez ist die Sache klar: Einsparungen bei Sicherheitsfragen infolge des Preisverfalls führten direkt zu den Dammbrüchen von Mariana und Brumadinho.
Im Fall Brumadinho zeigt sich die kalte Arroganz und Inkompetenz der Firmen
Dieser gleichsam systemimmanente Zwang zur Kosteneinsparung zeigt sich auch beim Bau der Dammanlage für die Rückhaltebecken. Die Dammkonstruktionen von Mariana und Brumadinho waren beides sogenannte Upstream-Dämme, das heißt, dass dort der Damm errichtet wird und die Erzschlammreste dahinter gelagert werden. Wenn die Dammkrone erreicht ist, gehen die Ingenieur*innen davon aus, dass das abgelagerte Untermaterial mittlerweile ausreichend ausgehärtet ist, sodass man auf die alte Dammkrone und den Rand des Erzschlammmaterials einfach eine Dammerhöhung draufsetzt. Beim nun gebrochenen Damm von Brumadinho wurde dies zwischen 1976 und 2006 allein zehn Mal durchgeführt, bis zu einer Höhe von 86 Meter. Es gibt solche Dämme bis zu einer Höhe von über 250 Meter. Der nun gebrochene Damm wurde 1976 in erster Stufe von den Ingeneur*innen der damaligen Besitzerin, Thyssen, errichtet. Deren brasilianische Tochterfirma Ferteco Mineração verkaufte ThyssenKrupp dann im Jahre 2001 an Vale S.A. Auch Mariana war ein solcher Damm. Beide sind nun gebrochen. Diese Upstream-Dämme sind die billigste Methode – und die gefährlichste. Chile beispielsweise hat die bei Mariana und Brumadinho verwandte Dammbaumethode verboten. Im Gegensatz dazu sind Downstream-Dämme (also eine Erhöhung der Dämme immer nur in Fließrichtung abwärts) doppelt so teuer, und die vorherige Bearbeitung der Erzschlämme durch Trocknung kostet noch viel mehr − Kosten, die die Bergbaufirmen nicht aufbringen wollen. So steht dann die Sicherheit bei der Überwachung dieser Strukturen nicht im Vordergrund.
Gedenken an die Opfer Mindestens 310 Menschen kamen bei der Katastrophe ums Leben (Foto: Romerito Pontes CC BY 2.0)
Medienberichte deckten auf, dass Vale über die Risiken des Einsturzes des Brumadinho-Staudamms seit November 2017 Bescheid wußte und dass Vale S.A. auf die Ingenieur*innen des deutschen Beratungsunternehmen TÜV-Süd Druck ausgeübt hat, um die Stabilitätserklärung des zusammengebrochenen Staudamms – offenkundig wider eigener Fachexpertise und Einschätzung– abzugeben.Vale selbst versucht seit dem Dammbruch von Mariana sein Image von der größten Umweltkatastrophe in Brasilien zu lösen. Fabio Schvartsman, seit Mai 2017 Präsident der Vale S.A., erklärte in seiner Eröffnungsrede, dass das Motto des Unternehmens „Mariana never again“ lauten würde. Es wurde jedoch offenkundig nichts unternommen, um die Sicherheit der Anlagen zu gewährleisten oder die Folgen der Katastrophe im Rio-Doce-Becken effektiv zu beseitigen. Auch nach dem, was am 25. Januar in Brumadinho geschah, sagt Schvartsman weiter: „Vale ist eines der besten Unternehmen, das ich in meinem Leben je gesehen habe. Es ist ein brasilianisches Juwel, das nicht für einen Unfall in seinem Staudamm verurteilt werden kann, egal wie tragisch die Tragödie gewesen sein mag.“ Diese Aussage offenbart die ganze Arroganz des Unternehmens, indem es nicht die gebührende Verantwortung für die Fakten übernimmt und sich selbst als Saubermann darstellt.
Die Verantwortlichen für den Dammbruch von Mariana gehen bis heute straffrei aus
Was die Brüche aber auch mit ermöglicht hat, ist die mangelnde Kontrolle seitens der zuständigen Behörden. Die Unternehmen kontrollieren sich in dem Maße zunehmend selbst, wie der Staat neoliberaler Ideologie folgend den Abbau des staatlichen Kontrollapparats befördert. Die Selbstkontrolle ermöglicht es Unternehmen, direkt vermeintlich unabhängige Auditor*innen zu beauftragen, die die Sicherheit ihrer Geschäftstätigkeit zertifizieren. Diese direkte Beziehung birgt einen inhärenten Interessenkonflikt, da diejenigen, die die Sicherheit bezeugen, von denen bezahlt werden, die keine Probleme haben wollen. In einer Branche, die keine Toleranz erlauben darf, weil ein Fehler sofort tödlich ist, darf es nicht sein, dass die Unternehmen sich selbst überwachen.In Bezug auf die gezielte Demontage der Staatsapparatur darf die Antwort nicht nur darin bestehen, eine weitere Flexibilisierung und/oder Vereinfachung des Umweltgenehmigungsverfahrens zu verhindern. Es ist vielmehr notwendig, die staatliche Einmischung in den Prozess zu verstärken, die Kapazität des staatlichen Handelns in Bezug auf die Anzahl der Fachleute und Technologien zu erhöhen und die Zivilgesellschaft als wirksamen Teil der Entscheidungen über Bergbaubetriebe wirklich einzubeziehen, fordert das internationale Netzwerk der von der Firma Vale Betroffenen.
Vom eigentlich kollektiven Gut profitieren nur wenige
Der Bergbau ist ein öffentliches Gut und sein Gewinn erfolgt aus einer staatlichen Konzession. Durch die Einführung einer Mineralienexportpolitik profitiert Brasilien von den Gewinnen der Unternehmen zum Nachteil derjenigen Gebiete, die auf allen Folgeschäden des Bergbaus sitzenbleiben. Zu diesen gehören die Zerstörung der Wasserressourcen, Bodenverunreinigung, Luftverschmutzung, Zerstörung diverser Ökosysteme, Erstickung lokaler wirtschaftlicher Alternativen und der Zerfall von Gemeinschaften und traditionellen Völkern, die täglich mit dem Bergbau leben und oft ihrer Territorien beraubt werden. In diesem Szenario führt ein öffentliches und kollektives Gut dazu, dass einige wenige Gewinne erzielen und diese eine Spur von Leid und Tod in den Territorien hinterlassen.Angesichts der weltweit wachsenden Nachfrage nach Erzen und angesichts des Umfangs der sozialen und ökologischen Auswirkungen, die Bergbauunternehmen verursachen, ist es dringend erforderlich, über das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Rohstoffgewinnung nachzudenken, insbesondere in den Ländern, die diese Erze liefern, die aber deren soziale und ökologische Auswirkungen erben, wobei die Risiken und Schäden stärker und deutlicher auf die schwächsten ethnischen Gruppen entfallen und Ungleichheiten produzieren und reproduzieren. So lange dies nicht geschieht, bleibt den Menschen vor Ort meist nicht viel anderes als den Tag zu fürchten, der die Stille bringen wird.