„Niemals mehr wird sich auch nur eine von uns allein fühlen. Unsere Devise ‘Wenn sie eine angreifen, greifen sie uns alle an’ ist real und international geworden“, so enthusiastisch analysiert die brasilianische Feministin Analba Brazão die diesjährigen Demonstrationen, Diskussionen und Aktionen am internationalen Frauentag. Brazão, Aktivistin des nationalen Frauenverbandes Articulação de Mulheres Brasileiras, spricht gar von einer neuen Ära, einer Zeitenwende vor und nach dem 8. März 2017.
„Dies ist kein Tag, um Glückwünsche zu erhalten!“
Es scheint, als habe der Erfolg des Women’s March im Januar den Frauenbewegungen international Aufschwung verliehen, so als habe die kollektive Abscheu gegen den wieder erstarkenden offenen Sexismus in der Politik hunderttausende von Frauen weltweit mobilisiert – wenn sich auch der massenhafte Protest von mehr als einer Million Frauen am Tag nach der Amtseinführung von Präsident Trump nicht wiederholen ließ. Die größten und leidenschaftlichsten Proteste am Weltfrauentag fanden in Lateinamerika statt: In Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko und Uruguay protestierten Zehntausende gegen den voranschreitenden Konservativismus, der in den Regierungen Macri in Argentinien und Temer in Brasilien aktuell am deutlichsten wird.
Die meisten lateinamerikanischen Bewegungen schlossen sich dem Aufruf des Bündnisses Paro Internacional de Mujeres (Internationaler Frauenstreik) an, dem Organisationen aus 24 Ländern angehören. Dieser richtete sich gegen Machismo, Sexismus, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, Lohnungleichheit und Feminizide. Dahinter steht die Idee zu zeigen, wie ein Tag ohne den Arbeitseinsatz von Frauen aussehen würde – eine Idee, die polnische Feministinnen in ihrem Widerstand gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze 2016 sehr erfolgreich umgesetzt haben, die sich ihrerseits von der isländischen Bewegung 1975 inspirieren ließen.
In Uruguay schloss sich der zentrale Gewerkschaftsverband PIT-CNT dem Streikaufruf an und rief für die Zeit zwischen 16 und 22 Uhr den Generalstreik aus. In Montevideo demonstrierten mehrere zehntausend Frauen; sie protestierten besonders gegen häusliche Gewalt. Bereits am Montag vor dem internationalen Frauentag hatte das uruguayische Parlament öffentlich über die Situation der Frauenrechte im Land debattiert. Im Mittelpunkt standen die Pläne der Regierung zur Herstellung von mehr Gleichberechtigung und der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Während der Debatte kündigte Verteidigungsminister Jorge Menéndez an, am Weltfrauentag sämtlichen Mitarbeiter*innen, die an den Kundgebungen teilnehmen, bezahlten Urlaub zu genehmigen. „An diesem Tag müssen die Männer Aufgaben erfüllen, die sonst Frauen übernehmen“, sagte Menéndez.
In mehr als 60 Städten in Brasilien fanden Kundgebungen statt. Die brasilianischen Gewerkschaften hatten sich dem Aufruf zum Streik allerdings nicht angeschlossen. „Die Rente bleibt – Temer geht“, unter diesem Motto demonstrierten in São Paulo 30.000 Frauen. Die Schauspielerin Juliana Liegel betonte: „Als jemand, der im Kulturbereich arbeitet, bin ich auch hier, um die Rechte der Frauen gegen diese Rentenreform zu verteidigen, wir müssen auf die Straße gehen. Dies ist kein Tag, um Glückwünsche zu erhalten, sondern ein Tag, um sich zusammen zu schließen und unsere Rechte zu verteidigen.“
Wie in São Paulo machte sich auch in anderen Regionen die Frauenbewegung Forderungen weiterer politischer und sozialer Bewegungen zu eigen. Die Landlosenbewegung MST mobilisierte bereits in den Tagen vor dem 8. März rund 40.000 Landarbeiter*innen in allen Teilen des Landes. Rund 200 Aktivist*innen besetzten den landwirtschaftlichen Betrieb des Unternehmers Eike Batista. „Wir haben die Fazenda von Eike Batista besetzt, der wegen Bestechung in Rio de Janeiro im Gefängnis sitzt“, erklärte Esther Hoffmann aus der Leitungsebene des MST. Die vollständige Aufklärung aller Korruptionsfälle, der Rücktritt des nicht demokratisch legitimierten Präsidenten Michel Temer und die Verhinderung der von seiner Regierung geplanten Rentenreform – die gerade Frauen mit Mindestlohn besonders hart trifft – gehören zu den Hauptforderungen der sozialen Bewegungen in Brasilien.
In Rio de Janeiro wurde der Flughafen Tom Jobim – RioGaleão für zehn Tage nach der bekannten Aktivistin gegen häusliche Gewalt in Flughafen Maria da Penha umbenannt. Der geschäftsführende Direktor des Flughafens, Gabriel França, sagte, die Reaktionen auf die Hommage seien überwiegend positiv: „In dem Maße, in dem die Gesellschaft sich zum Besseren entwickelt, werden auch wir uns verbessern.“ Ganz das konservative Frauenbild vertrat dagegen Präsident Michel Temer in seinem Grußwort zum Weltfrauentag. Er lobte zunächst das Engagement der Frauen im Haushalt und bei der Kindererziehung, um dann anzuschließen: „Niemand ist mehr dazu geeignet, die Preise im Supermarkt zu kontrollieren als die Frau. Und niemand ist mehr dazu geeignet, die ökonomischen Veränderungen zu entdecken als die Frau, allein durch das Sinken oder Steigen des Haushaltsgeldes.“
In Argentinien hatte das Kollektiv “Ni una menos!” (Nicht eine weniger!), das sich besonders gegen Gewalt gegen Frauen und Feminizide wendet, zum internationalen Streik am 8. März aufgerufen. Obwohl sich tausende von Frauen auf der Plaza de Mayo und in anderen Landesteilen, darunter in mehreren Städten in Córdoba, versammelten, konnte “Ni una menos!” nicht in dem Maße mobilisieren, wie zum ersten Nationalstreik der Frauen in der Geschichte Argentiniens, als im Oktober des vergangenen Jahres Hunderttausende auf die Straße statt zur Arbeit gingen. In Buenos Aires kam es während einer Kundgebung vor der Kathedrale zu Übergriffen der Polizei, 20 Teilnehmer*innen wurden festgenommen.
„Die Erde bebte. Und es waren die Frauen, die sie zum Beben brachten“, schreibt die brasilianische Feministin Analba Brazão. „Lasst uns gemeinsam in eine neue Internationale schreiten.“ Ob der diesjährige 8. März 2017 tatsächlich eine Zeitenwende bedeutet oder nicht – die internationale Selbstermächtigung von Frauen und die massenhaften Proteste gegen den konservativen politischen Rückschritt stimmen hoffnungsvoll.