„WIR BRAUCHEN DRINGEND INTERNATIONALE UNTERSTÜTZUNG“

Simón Trinidad sitzt seit 13 Jahren in den Vereinigten Staaten in Haft. Was waren die genauen Anklagepunkte?
Ihm wurden Drogenhandel und Entführung vorgeworfen, er wurde aber nur für die Mittäterschaft im zweiten Punkt schuldig gesprochen. Das ist eigentlich lächerlich, weil er gar nichts mit den Geiseln zu tun hatte. Das waren drei Amerikaner, die die Stellung von den FARC-Kämpfern im Land filmten und die Informationen dem Southern Kommando der amerikanischen Armee weiterleiteten. Laut Völkerrecht und des Genfer Abkommens, waren sie als Kriegsgefangene einzuordnen (2008 wurden sie, die Politikerin Ingrid Betancourt und andere in der Operation Jaqué befreit, Anm. d. Red.).

Welche Beweise lagen zum Zeitpunkt des Prozesses vor?
Es wurden falsche Zeugen zum Prozess gebracht. Lügner und Deserteure von der FARC-EP behaupteten, dass Simón Trinidad der Entführungschef der karibischen Küste sei – aber ich glaube, dass selbst die Jury nicht ganz daran geglaubt hat. Allerdings wurde auch ein kolumbianischer Diplomat als Zeuge hinzugezogen. Dieser erklärte, die FARC-EP seien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich. Aber in Wahrheit – wie aus mehreren Berichten der UNO mittlerweile hervorgeht – war überwiegend die kolumbianische Regierung für solche Verbrechen verantwortlich.

Simón Trinidad wurde 2004 in Ecuador verhaftet und in die USA ausgeliefert. Warum war er dort?
Er war dort, um einen Mitarbeiter der UNO, James Lemoyne, zu treffen. Sie hatten sich während des Friedensprozesses in San Vicente del Caguán in Kolumbien kennengelernt. Die FARC-EP wollten sich wieder mit Lemoyne treffen um über einen Kriegsgefangenenaustausch zu beraten. Simón Trinidad war für diese Aufgabe zuständig. Es gab auch eine Mitteilung im Jahr 2003 von den FARC, aus der hervorgeht, dass Simón Trinidad die Guerilla in einem möglichen Dialog vertreten würde. Jedenfalls gab er während des Prozesses an, dass er die Nominierung angenommen hatte. Simón hatte überhaupt nichts mit den amerikanischen Kriegsgefangenen zu tun. Weder hatte er Kontrolle über sie noch über ihre Geiselnahme, dennoch wurde er schuldig gesprochen. Nachdem sein Fall zwei weitere Instanzen durchlaufen hatte, wurde seine Anklage wegen Drogenhandels fallen gelassen. Die Jury fand außer einigen sehr fragwürdigen Zeugenaussagen keine Beweise.

Sind Sie gegen diese falschen Zeugnisse vorgegangen?
Wir haben Einspruch eingelegt, dieser wurde aber verweigert.

Wie wollen Sie und das Verteidigungsteam Simón Trinidads Unschuld beweisen?
Zurzeit verfolgen wir den politischen Weg. Vermutlich wird der Fall in Zukunft erneut vor Gericht eröffnet werden, aber wann ist unklar. Wir informieren die Leute über seinen Fall und die Bedingungen, unter denen er inhaftiert ist sowie über die Notwendigkeit seiner Teilnahme am Friedensprozess und an der neuen Gesetzgebung in Kolumbien. Sowohl als ehemaliger Kämpfer als auch als Opfer des bewaffneten Konflikts muss er die Vorteile des Friedensabkommens in Kolumbien genießen können. Er ist Kolumbianer, alle ihm vorgeworfenen Delikte sind in Kolumbien geschehen. Er sollte Zugang zur Übergangsjustiz haben, die im Rahmen des Friedensabkommens in Kraft treten wird.

Warum sprechen Sie von Simón Trinidad als Opfer?
Er lebte unter ständiger Bedrohung, wegen seiner politischen Ideen ermordet zu werden. Er war Mitglied der Partei Unión Patriótica (UP) im Jahr 1987, viele seiner Kollegen und Freunde sind ermordet worden. Wegen der Bedrohungen musste seine Familie aus dem Land fliehen. Sie sind zuerst nach Mexiko gegangen und danach in die Vereinigten Staaten. Simón hatte nur zwei Optionen: entweder zusammen mit seiner Familie zu fliehen oder in den Bergen für die Guerilla zu kämpfen. In diesem Sinne ist er Opfer, genau wie seine Familie, die ins Exil gezwungen oder seine Schwester, die von Paramilitärs entführt wurde. Während des bewaffneten Konfliktes sind seine Frau und sein Kind von der kolumbianischen Regierung aufgesucht und während einer Bombardierung ermordet worden.

Die Regierung hatte sich im Laufe der Friedensverhandlungen in Havanna über die Freilassung Simón Trinidas geäußert, allerdings bis jetzt nicht gehandelt.
Das ist genau das Problem. Die Regierung äußerte sich, aber ein formaler Antrag wurde nie gestellt. Wir brauchen eine Regierung in Kolumbien, die versteht, dass diese Frage für den Staat wichtig ist. Es ist eine Voraussetzung des vollständigen Friedensprozesses. Ohne Simón Trinidad bleibt er unvollendet.

Und wie hoch stehen die Chancen, dass der politische Druck zu seiner Freilassung führt?
Es ist schwierig, aber nichts ist unmöglich. Als Beispiel nehmen wir den Fall der Cuban 5, die nach Jahren Öffentlichkeitsarbeit 2014 freigelassen wurden. Auch Oscar López Rivera (Unabhängigkeitskämpfer aus Puerto Rico, Anm. d. Red.) ist nach 36 Jahren Kampf entlassen worden. Wir müssen die geeigneten politischen und sozialen Verhältnisse schaffen, um die Freilassung von Simón Trinidad zu ermöglichen.

Angenommen Simón Trinidad würde entlassen und nach Kolumbien ausgeliefert werden, könnte die normale Strafjustiz ein Verfahren gegen ihn eröffnen?
Nein, sein Fall müsste durch die zuständige Behörde der Sonderjustiz für den Frieden eröffnet werden. Im Verlauf dieses Prozesses könnte er gegen eine Kaution freigelassen werden, bis die letzte Entscheidung getroffen ist. Handelt es sich um politisch motivierte Straftaten, kann er begnadigt werden.

Was können Sie uns als Anwalt von Simón Trinidad über ihn erzählen? Unter welchen Bedingungen hat er in den letzten 13 Jahren gelebt?
Die Bedingungen sind die schlechtesten im Gefängnissystem der Vereinigten Staaten. Er ist schon seit 13 Jahren in Isolationshaft, mit wenig bis fast gar keinem menschlichen Kontakt. Erst letztes Jahr verbesserte sich die Situation – als Ergebnis unserer Arbeit. Nun kann er sich mit drei anderen Gefangenen einige Stunden pro Tag unterhalten. Am Anfang gab es einen Mexikaner. Als die Wachleute merkten, dass sie auf Spanisch redeten, wurde der Mexikaner in eine andere Zelle verlegt. Simón darf 15 Minuten pro Monat telefonieren. Nur mit seinem Anwalt und mit einigen Mitgliedern seiner Familie darf er Kontakt haben, keiner darf ihm Nachrichten von außen mitteilen, oder durch uns vermitteln. Simón befindet sich in einer Zelle kleiner als 2×3 Meter, in die wenig Licht reinkommt. Trotzdem ist er nicht gebrochen worden. Er ist eine sehr intelligente Person. Fokussiert auf seine Vision eines besseren Kolumbiens bleibt er stark. Diese Kraft hält ihn davon ab, zusammenzubrechen. Ganz im Gegenteil, er will sich weiter für sein Land einsetzen. Momentan ist er gesund. Wir müssten für bessere Haftbedingungen hart kämpfen, er hat einige Beschwerden, die Situation verbessert sch jedoch. Wir arbeiten daran, Simón Trinidad zu befreien.

„Wird als Würde geschrieben und als Simón Trinidad gelesen“- Die Kampagne für die Freilassung der damaligen Farc-Anführer geht nun auf der Internationalen Arena los. Warum wurde sie ins Leben gerufen?
Simón Trinidad ist eine Person, die sich gegen die Staatsgewalt gewehrt hat. Als würdige Person bedürfen sein Leben und sein Kampf Beachtung. Es gibt Leute, die großes Interesse an dem Fall von Simón Trinidad haben, Menschenrechtsaktivisten oder die soziale Bewegung Marcha Patriótica. Diese Kampagne ist aus der gemeinsamen Anstrengung diverser Gruppen in Spanien und Kolumbien geboren. Gruppen, die dank einer ausführlichen Koordination und eines eisernen Willens, das Projekt in Gang gesetzt haben. Jetzt ist der richtige Moment um Druck auszuüben und die Notwendigkeit seiner Freilassung, nach Jahren der Ungerechtigkeit ans Tageslicht zu bringen.

Und was steht auf Ihrer Agenda? Mit welchen Organisationen oder Persönlichkeiten werden Sie sich treffen? Welche Aktionen treibt die Kampagne genau voran?

Wir stehen erst am Anfang. Wir sind auf der Suche nach entscheidender Unterstützung von anderen Organisationen, die sich mit dem Thema Menschenrechte beschäftigen und sich für Lateinamerika interessieren. Hier in Europa haben wir Treffen mit verschiedenen Abgeordneten geplant. In Deutschland habe ich mit Heike Hänsel von der Partei Die Linke gesprochen. Dann geht es los nach Brüssel, um mit Abgeordneten des europäischen Parlaments zu reden. Danach fliegen wir nach Spanien und treffen uns mit Mitgliedern des baskischen und des spanischen Parlaments. Ein Treffen mit Abgeordneten des englischen Parlaments ist auch vorgesehen. Wir brauchen dringend internationale Unterstützung. Diese Situation ist auch eine internationale Frage, nicht nur der Vereinigten Staaten oder Kolumbien. Die Europäische Union hat sich dazu verpflichtet, den Friedensprozess in Kolumbien zu begleiten. Und ohne Simón Trinidad, wie ich schon erwähnt habe, ist er unvollständig. Er hat das Recht, ins System der Übergangsjustiz aufgenommen zu werden. In den Vereinigten Staaten geht das einfach nicht.

Was hat die Kampagne in Berlin erreicht?
Selbst wenn das hier nur unsere erste Haltestelle ist, haben wir uns schon mit einigen Medien getroffen. Das macht die Kampagne sichtbarer. Heike Hänsel hat Interesse daran geäußert, einen Antrag an die USA zu stellen, damit eine Gruppe Abgeordneter Simón Trinidad im Gefängnis besuchen kann. Das ist natürlich kompliziert, weil er keinen Kontakt mit der Außenwelt haben darf. Selbst wenn die Erlaubnis verweigert wird, bleibt das Ganze ein symbolischer Akt, der erheblichen Druck auf die Regierung der USA vor den Augen der Weltgemeinschaft ausüben könnte. Würden sie die Genehmigung verweigern, wäre dies ein guter Grund, eine Demonstration direkt vor dem Gefängnis zu organisieren. Das sind erstmal nur Ideen und Pläne, die man weiter entwickeln muss. Alles in allem bin ich aber mit den Ergebnissen dieser ersten Phase sehr zufrieden.


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„UNTER ALLER MENSCHENWÜRDE“

domradio.de: Es heißt, ein Drogenkrieg stecke hinter dieser Revolte. Was meinen Sie?
Es ist immer eine offizielle Entschuldigung von der Regierung, dass die Drogenkriege die große Gewalt in den Gefängnissen provozierten. Es ist sicher ein Aspekt, aber die Situation in den brasilianischen Gefängnissen ist ein richtiger Horrorfilm. Die großen Überbelegungen durch die vielen Gefangenen, die ohne Gerichtsurteil oft jahrelang in Untersuchungsgefängnissen sitzen – das sind 40 bis 60 Prozent aller Inhaftierten – bewirken, dass die Menschen revoltieren, die in diesen Höllen Brasiliens eingesperrt sind.

Sie sehen also mehr die unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen als Ursache für die Revolte?
Ja, ich habe dieses Gefängnis in Manaus selbst vor zwei Jahren besucht. Es fehlt an grundsätzlichen persönlichen Hygieneartikeln, an juristischem und medizinischem Beistand. Die medizinische Versorgung ist fast gleich Null. Und in einer Zelle mit acht Betten sind 30 bis 40 Menschen eingepfercht. Das ist unter aller Menschenwürde. Und es ist ganz klar, dass solche Zustände Revolten hervorbringen. Jeder kleine Streit kann zu einer großen Rebellion werden.

Was ist das für ein Gefängnis in Manaus?
Manaus hat ein Gefängniskomplex, davon sind in vier Gefängnissen Revolten ausgebrochen. Vergangene Nacht gab es wieder fünf Tote. Die Meldung von 54 Toten wird wahrscheinlich nicht das endgültige Ergebnis sein. Hinzu kommt: Das Gefängnis in Manaus ist ein privatisiertes Gefängnis. Der Staat hat also die Sicherheitsfrage an eine Sicherheitsfirma vermietet. Und diese Firma hat natürlich kein Interesse an Resozialisierungsmaßnahmen wie beruflicher, pädagogischer oder psychologischer Betreuung. Für sie ist jeder Mensch, der im Gefängnis sitzt, ein Wirtschaftsfaktor. Je mehr, desto lukrativer.

Wer sind die Menschen, die ins Gefängnis gesteckt werden?
Zwei Drittel der Menschen in brasilianischen Gefängnissen sind jugendliche Erwachsene im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Die meisten leben in den Favelas unter der Armutsgrenze und sind dunkelhäutig. Sie erhalten keinen staatlichen Rechtsbeistand, weil er in Brasilien nicht funktioniert. Wir von der Gefängnisseelsorge haben in den letzten Monaten bereits gewarnt, dass in ganz Brasilien in allen Gefängnissen so eine Rebellion, so ein Massaker passieren kann. Die Richter, die Staatsanwälte, die Pflichtverteidiger und andere wissen Bescheid. Es gibt genügend Fotos und Filme oder anderes Informationsmaterial über die Situation in den Gefängnissen. Aber leider machen die öffentlichen Behörden mit ihrer repressiven Politik weiter – einsperren und die Augen schließen. Und schieben es dann auf die Drogenkartelle.


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