Die Zuspitzung in der Chamorro-Re­publik

Bei einer Solidaritätsveranstaltung in Hamburg am 4.4.90 sah Miguel d`Escoto, nicaraguanischer Ex-Außenminister, die Ursachen für diesen Streik darin, daß die Chamorro-Regierung von den USA gezwungen wird, Maßnahmen durch­zuführen, die an die Substanz des nicaraguanischen Volkes gehen, um die ver­sprochenen 300 Mio. Dollar zu erhalten. Das sind – für alle der den IWF-zerschla­genden Bewegung Zugehörigen bestens bekannt –
a) die Privatisierung des gesamten öffentlich-staatlichen Sektors
b) die Streichung sämtlicher Subventionen
c) Reduzierung des Staatshaushaltes für den Sozialbereich (Gesundheit, Erzie­hung usw.)
Folge dieser Politik sind Massenentlassungen von LehrerInnen und Personal im Gesundheitsbereich, die Aufhebung der Subventionen z.B.:
– für den Transport für Schüler, Studenten und Lehrer,
– für die verschiedensten Bereiche der gesundheitlichen Versorgung, wie ko­stenlose Schwangerenvorsorgeuntersuchung und Kleinkinderuntersuchun­gen, u.v.a.m.
Weitere Folgen sind die ersten Versuche bzw. bereits vollzogenen Rückgaben von Staatsländereien (UPE`s ) an ihre alten Besitzer. Dazu wurde das verfas­sungswidrige Dekrekt 10-90 erlassen, das alle ineffizient arbeitenden Betriebe zur Reprivatisierung freigibt. Ein Dekret, dessen Inhalt eindeutig an der verfas­sungsmässig verankerten Agrar-Reform rüttelt und daher über die Nationalver­sammlung mit 2/3 Mehrheit hätte verabschiedet werden müssen, ist an dieser vorbei erlassen worden.
Zu den ersten Rückgaben, die der Landwirtschaftsminister Roberto Rondon laut Nuevo Diario vom 16.6. bereits formell vollzogen hat, gehören auch La Paz del Tuma und La Colonia, die UPE`s (staatliche Produktionseinheiten), die von der bundesdeutschen Solibewegung seit Jahren durch Brigadeneinsätze und auch fi­nanziell unterstützt werden. Rondón kündigte darüberhinaus an, daß er inner­halb von 2 bis 3 Wochen all die “unrechtmässig konfiszierten” alten Kaffeeha­ciendas wieder ihren “rechtmäßigen” Eignern zurückerstatten wolle. Sie sollen dann zu Viehzuchtbetrieben gemacht werden. In La Paz del Tuma ist eine der modernsten Kaffeeverarbeitungsanlagen kurz vor der Fertigstellung.
Dieses Dekret rüttelt also entscheidend an den Errungenschaften der Revolution, die es laut d`Escoto von der revolutionären Kraft in der Opposition an erster Stelle zu verteidigen gilt. Gelingt diese Reprivatisierung der staatlichen Lände­reien, so befürchten zurecht die Kooperativen und Kleinbauern, daß dann das nächste Dekret kommt, was ihre Ländereien reprivatisiert. Daher läuft im Land­wirtschaftsbereich eine verstärkte Mobilisierung der LandarbeiterInnen und ihrer Gewerkschaften mit dem Ziel, daß diese formelle Reprivatisierung nicht prak­tisch vollzogen bzw. rückgängig gemacht wird.
Weitere Forderungen der Streikenden sind die Sicherung des Arbeitsschutzge­setzes und die Weiter-Finanzierung der staatlichen Industriebetriebe. Aktuelle Politik der Regierung ist die der Aushungerung dieses Bereiches. Viele staatliche Industriebetriebe sind aus diesem Grund seit Wochen `vorrübergehend’ dicht, womit deren `Ineffizienz’ auf der Hand liegt.

“….befehle ich heute der Armee, daß sie gemeinsam mit der Natio­nalpolizei die öffentliche Ordnung unverzüglich herstellt…”

…verkündete Violeta Barrios de Chamorro am 9. Juli, zu einem Zeitpunkt, als von Seiten der Regierung die Verhandlungen zum Scheitern gebracht wurden. Der Streik wurde hinsichtlich des größten Teils der aufgestellten Forderungen als il­legitim erklärt und als politische Machtprobe tituliert. So wurde Verhandlungs­bereitschaft nur angesichts der klar umrissenen ökonomischen Forderungen de­monstriert, worauf sich die Streikenden jedoch nicht einließen.
Der Streik entwickelte sich zunächst über die Angestellten des Öffentlichen Dienstes und die LandarbeiterInnen. Am Nachmittag des 4.7.90 wurden 8 Ge­werkschaftsführer von der Polizei `vorgeladen’. Das forderte eine sofortige Ver­sammlung der Streikenden vor dem Gebäude heraus. Nach 1 1/2 Stunden waren die acht wieder frei, und diese Vorladung bewirkte ein Anwachsen der Streikbe­wegung auf über 80.000 beteiligte. Angeschlossen waren jetzt auch die Arbeite­rInnen der Metallbetriebe, der Bierbrauereien, des Textilbereichs, des Transport­bereiches u.a.. In einzelnen Landregionen wurden Fincas besetzt und überall gab es eine massive Organisierung der LandarbeiterInnen, um die Reprivatisierung aufzuhalten.
Der Stufenplan des Gewerkschaftsverbandes schaffte eine beständig anwach­sende Mobilisierung. Am Montag, dem 9.Juli war Managua zugepflastert mit Barrikaden, die an allen wichtigen Kreuzungen aufgebaut waren und die Stadt lahmlegten. Überall brannten Autoreifen und die Situation glich mehr und mehr einem `Aufstand’. Angesichts dieser Entwicklung bot die Chamorro-Regierung den Streikenden als Antwort das Militär an.

Die Aufpeitscher aus dem rechten Sumpf

Der ultra-rechte Unternehmerverband COSEP mit all seinen verbündeten Krei­sen, wie den Politikern, die sich um den Vize-Präsident Godoy versammeln, den natürlich niemals entwaffneten Contras, den diversen Radiosendern und der katholischen Amtskirche versucht, diesen Konflikt aktiv für sich auszunutzen und erneut die Machtfrage zu stellen. In Verlautbarungen des COSEP wird die Chamorro-Regierung massivst angegriffen, da sie nicht in der Lage sei, das Land zu regieren und immer noch von den Sandinisten kontrolliert sei. Über Radio Católica, Radio Mundial und Radio Corporación – den Radios, die schon immer Sprachrohr der Contra waren – wird permanent aufgehetzt und die gewalttätige Einmischung in den Streik gefordert. Das führte zu den ersten Todesopfern in dieser Auseinandersetzung durch vereinzelte aufgehetzte Rechte, die in die Menge der Streikenden schossen.
Die Aktivitäten dieser Kreise gipfeln in der Aufforderung des COSEP an die US-Regierung, durch militärische Intervention in diesen innenpolitischen Konflikt einzugreifen. Auch der geistige Schutzengel und eine der Zentralfiguren der rechtsextremistischen Koalition, Kardinal Obando y Bravo, sprach sich in ver­schiedenen Radiosendungen zugunsten einer solchen Intervention aus. Parallel dazu wurden am 12.7 im US-Bundesstaat Kalifornien, am Fort Ord, Sonderein­satztruppen der US-Streitkräfte in Alarmbereitschaft gesetzt. Fort Ord ist eine der US-Basen, die innerhalb der militärischen Strategie der US-Regierung als Aus­gangspunkt für Einsätze in Lateinamerika fungieren. (So starteten die Truppen, die in Panama einmarschierten, von dieser Basis aus.)
Dieser Strategie der Eskalation durch die Ultra-Rechten, die zum Bürgerkrieg bzw. zur militärischen Intervention der USA führen könnte, versuchte der FNT mit seinem Vorgehen die Basis zu entziehen, angesichts der bisherigen Ereignisse ein schwieriges Vorhaben. Von Beginn an waren die Streikhandlungen darauf abgestimmt, die Lahmlegung der Arbeit auf einer Ebene effektiv zu bewirken, die nicht das Eingreifen der Polizei herausfordert. Nach dem Aufruf Violeta Chamorros an das Militär, u.a. zum Abbau der Barrikaden einzugreifen, wurden diese Barrikaden von den Streikenden selbst, allerdings auch mit polizeilichen Tränengas-Einsätzen in die Barrios verlagert und auch dort nur noch in redu­zierter Form wieder aufgebaut.

Naht das Ende der Chamorro-Regierung?

Ihr Spielraum scheint ausgereizt zu sein. Der aktuelle Streik zeigt deutlich, daß die nicaraguanische Bevölkerung nicht bereit ist, sich kampflos mit den von ihr verordneten IWF-Maßnahmen abspeisen zu lassen und den Somozismus wieder­aufkommen zu lassen.
Die ultra-rechte Koalition stellt mit ihrem aktuellen Aufbäumen gegen die Cha­morro/Lacayo-Fraktion die Machtfrage. So ist die Bereitschaft Lacayos, am 11.7. mit der FNT zu Übereinkünften zu kommen, von den Rechten zurückgewiesen worden. Und Godoy rief zur Gründung eines ‘Komitees zur nationalen Rettung’ auf. Der Chamorro-Clan verfügt – im Gegensatz zu den `Godoyisten’ – kaum über eine soziale Basis innerhalb des Landes . Dazu kommt der Druck der USA, die anfangs erwähnten Wirtschaftsmaßnahmen umgehend durchzusetzen.
Die Ergebnisse des Streikes, der am 12.Juli durch eine Verhandlungslösung beendet wurde, sind nur vorläufig zufriedenstellend: Die Rückgabe der Agrarbetriebe im Baumwollbereich ist vorerst ausgesetzt, es soll keine Repressalien und Entlassungen der am Streik beteiligten geben. Über die Festlegung eines Mindestlohnes soll, dann in “Gold-Cordoba” erst im September verhandelt werden, vorerst wurden 43% Lohnerhöhung zugestanden, was kaum einem Inflationsausgleich entspricht.
Der Zerstörung der Senderäume des rechten Hetzsenders Radio Corporación wurde von allen politischen Kräften, einschließlich der FSLN, verurteilt.


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Verhandlungen, wie geht´s weiter?

“Als Organisationen, die für die Zukunft unserer Gesellschaft verantwortlich sind, müssen wir feststellen, daß Sie Ihre Wahlversprechen nicht erfüllt haben, daß Ihre politischen Maßnahmen fehlgeschlagen sind und daß der Mehrheit unseres Volkes viel Leid zugefügt wurde. Wir erlauben uns deshalb, auf einer dringend notwendigen Korrektur dieser Politik zu bestehen.”
So beginnt ein offener Brief an den Präsidenten Cristiani anläßlich der Vollendung seines ersten Amtsjahres am 31. Mai dieses Jahres. So wichtig wie sein Inhalt ist die bemerkenswerte Liste der unterzeichnenden Organisationen.

Sowohl die UNTS, der Gewerkschaftsdachverband, als auch die UNOC, ein ehemals von den Christdemokraten (PDC) gegründeter, gelber Gewerkschaftsverband, unterstützen den Brief, genauso wie die maßgebenden Oppositionsparteien, einschließlich der PDC. Auch Bauern- und Kooperativenverbände und das Permanente Komitee der Nationalen Debatte, das wiederum breiteste Kreise, einschließlich der Berufsverbände von kleinen und mittleren Unternehmern sowie verschiedene Kirchen umfaßt, gehören zu den Unterzeichnenden.

Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die spätestens mit dem ARENA-Wahlsieg 1989 ihren Anfang nahm: Die Zusammenfassung fast aller gesellschaftlichen, politischen und sozialen Kräfte und Organisationen zu einer breiten Oppositionsfront gegen ARENA, um dem gemeinsamen Ziel einer politischen Verhandlungslösung des Bürgerkriegs Kraft und Ausdruck zu geben. Auf der Gegenseite steht die Regierungspartei – und der von der Kaffeeoligarchie dominierte Unternehmerverband ANEP – isolierter da als je zuvor. In allerdings abgeschwächter Form werden in dem Brief die gleichen Forderungen erhoben, die die FMLN in den aktuellen Verhandlungen mit der Regierung auf die Tagesordnung setzte: Entmilitarisierung der Gesellschaft, Reform des Justizwesens und des Wahlsystems, Ende der Straflosigkeit, Demokratisierung und Vertiefung der Agrarreform.

Es ist ohne Zweifel notwendig, daß sich organisierte Kräfte in die Bemühungen um eine Verhandlungslösung einmischen; die Militär- und Wirtschaftshilfe der USA für das Jahr 1990 ist trotz vielfältiger Bemühungen der demokratischen Abgeordneten und der Solidaritätsbewegung in den Vereinigten Staaten noch einmal bewilligt worden. Die Debatte um die Hilfe für das Haushaltsjahr 1991, das im Oktober beginnt, hat bereits eingesetzt. Der Militärapparat in El Salvador wurde offensichtlich von dieser Entscheidung ermutigt und lancierte am 21. Mai diesen Jahres ein Kommuniqué, noch während die Delegationen der Regierung und der FMLN in Mexiko zur zweiten Verhandlungsrunde an einem Tisch saßen. Darin sprechen die Streitkräfte der Regierungsdelegation die Kompetenz und das Recht ab, überhaupt Entscheidungen für das Land zu treffen.

Punkt eins – Das Militär (ZT)

Oaxtepec heißt der mexikanische Ort, an dem sich die Delegationen zur Junirunde trafen. Erster und sensibelster Punkt des Verhandlungsprozesses war die Säuberung und Reduzierung der Armee sowie die Bestrafung der Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen. Aus unerfindlichen Gründen vermeldete die spanische Tageszeitung EL PAIS unter Berufung auf Regierungsquellen einen großen Fortschritt in den Verhandlungen. Davon kann keine Rede sein; die Regierungsdelegation entspricht zynischerweise der Beschreibung der Militärs: inkompetent und unfähig, Entscheidungen zu treffen. Shafik Handal von der FMLN wertete es dennoch als Erfolg, daß die Regierung sich schließlich bereitfand, über das Thema zu diskutieren. In der Sache gab es jedoch keinerlei Annäherung. Die nächste Runde wird am 20 Juli in Costa Rica stattfinden. Thema zwei: Die Menschenrechtsfrage. Alvaro de Soto, der UNO-Vermittler erklärte zum Verhandlungsverlauf: “Die Möglichkeiten für konkrete Fortschritte zum Thema eins haben sich in dieser Phase erschöpft.”

Erwartungsgemäß fordert die Regierung immer wieder, daß es zunächst zu einem Waffenstillstand kommen müsse, um dann über weitere Reformen zu verhandeln. Die ARENA steht jetzt – neun Monate vor den Wahlen – unter einem gewissen Druck, sich als Friedensstifterin profilieren zu müssen. Doch der von beiden Delegationen anvisierte Termin für eine Waffenpause, der 15. September, ist unter den beschriebenen Bedingungen unrealistisch geworden. Die FMLN hat jedoch angekündigt die Waffen sofort ruhen zu lassen, wenn die USA sich entscheiden die Militär- und Wirtschaftshilfe an die salvadorianische Regierung zu stoppen. Für den Fall allerdings, daß sich die Regierung im weiteren Verlauf der Verhandlungen so unnachgiebig verhalte wie bisher und die Menschenrechte trotz aller Proteste auch in Zukunft mit Füßen getreten werden, hält die FMLN eine Warnung bereit: Eine militärische Offensive nach dem Vorbild vom vergangenen November.


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Barcos Nachfolger: Nicht ganz neu, nicht ganz liberal…

Der am 27. Mai dieses Jahres zum Präsidenten Kolumbiens gewählte César Gaviria ist politisch kein unbeschriebenes Blatt. Der 42‑jährige, aus Pereira stammende Angehörige der Liberalen Partei betätigte sich während der Amtszeit Virgilio Barcos nicht unumstritten als Kabinetts­minister. In schwierigen innenpolitischen Situationen fungierte Gaviria in Abwesenheit Barcos auf dessen Entscheidung als höchster Vertreter der kolumbianischen Exekutive. Während des Generalstreiks Ende 1988 und der Zeit der Entführung des konservativen Präsidentschaftskandidaten Alvaro Gómez durch die M19‑Guerilla zeichnete er sich in dieser Funktion vor allen Dingen durch seine extreme Abneigung gegen den Dialog mit der Guerilla, der linken Opposition und der Drogenmafia aus; eine Hal­tung, die zu einer Polarisierung und Zuspitzung der Lage in den Konflikt­zonen des Landes, wie etwa Urabá, führte. Zu Beginn des Jahres hatte er die Regierungsämter niedergelegt, um sich seiner Wahlkampagne zu widmen. Allgemeine Beachtung fand sein öffentlicher Wechsel zur inner­parteilichen Fraktion der “Neuen Liberalen” unter Führung von Luis Carlos Galán, nachdem er lange Zeit der traditionellen Parteilinie treu geblieben war. Die “Neuen Liberalen” treten vor allem gegen die institu­tionaliserte Vetternwirtschaft innerhalb der Liberalen Partei auf und fordern eine Verlagerung der zentralen parteilichen Entscheidungs­kompetenzen von der parlamentarischen Ebene auf die Partei selbst. Präsidentschaftskandidat der “Neuen Liberalen” war allerdings bereits der Hoffnungsträger Luis Carlos Galán. Im August 1989 wurde Galán jedoch in der Nähe Bogotás während einer Wahlveranstaltung ermordet. Der Sohn Galáns überreichte Gaviria während des Begräbnisses seines Vaters die Fahne der “Neuen Liberalen” und machte ihn so pathetisch zum neuen Bannerträger der Bewegung.
Als Besonderheit und Ausdruck der tradi­tionellen Personalunion der libe­ralen Partei­funktionäre mit der Regierung standen parallel zur Parlaments- und Kommunal­wahl am 11. März dieses Jahres auch die vier Bewerber um die Präsidentschaftskandida­tur der Liberalen zur öffent­lichen Disposi­tion: Alberto Santofimio als Vertreter der liberalen “Dinosaurier”; Ernesto Samper, Senator und eminent wichtige Figur inner­halb der Liberalen Partei, der bei einem Attentat, das dem Vertreter der Unión Patriótica, José Antequera das Leben kostete, schwer verletzt wurde; Hernando Duran Dussan, Chefideologe der Liberalen Partei und Vertreter der offiziellen Linie, seiner
dubiosen politischen Verbindungen wegen stark umstritten; sowie César Gaviria. Gaviria konnte sich mittels einer massiven Kampagne gegen seinen ernsthaftesten Konkurrenten Samper durchsetzen, der wegen des Mordanschlags im Nachteil war.
Allgemeine Konsternierung provozierte anschließend die Entscheidung Gavirias, den unterlegenen Konkurrenten Duran Dussan zu seinem Wahlkampfmanager zu ernennen, eine Aufgabe, die Duran mit Sicherheit einen wichtigen Posten in der künftigen Regierung garantiert. Duran werden intensive Kontakte zu paramilitärischen Kräften nachgesagt. Mit der Begründung, die FARC-Guerrilla hielte sich auch die Unión Patriótica als legalen Ableger, tritt Duran vehement für die Anerkennung des lega­len Arms der Paramilitärs, der “Morena”-Partei, ein; für die Zukunft gibt dies zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß.
Aber vielleicht ging die Rechnung der Liberalen im Endeffekt auf: Gaviria als Garant für die gradlinige Fortführung der Politik von Präsident Barco und eine prekäre Annäherung an die kolumbianischen Militärs und Paramilitärs via Duran Dussan, während Galán durch seine ideologischen Differenzen mit den “Patrones” der Partei einen Störfaktor darstellte und sein Tod zwar beklagt, aber nicht bedauert wurde. Panik und Orientie­rungslosigkeit herrschen weiter unter den Kolumbianern, und Gaviria hat sie die Hoffnung auf eine demokratische Alternative bis 1994 begraben lassen. Er wird eine Politik der Annäherung an die Wünsche der USA betreiben und die Linie der alten Männer der Liberalen Partei umsetzen, eine Fortführung der Regierung Barcos unter anderem Namen.


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Chronik eines angekündigten Ausverkaufs

Die staatliche Telefongesellschaft ENTEL wurde für den Verkauf in zwei Teile, Telco Sur und Telco Norte, aufgeteilt. Das Konsortium aus der US-Bank Citi­corp und der schweizerisch-argentinischen Frima Techint unter der Führung der spanischen Telefónica sichert sich 60% der Aktien von Telco Sur für 114 Mil­lionen US-Dollar und 2,27 Mrd. US-Dollar in Auslandsschuldscheinen. Diese Schuld­scheine Argentiniens kaufen die Firmen auf dem Sekundärmarkt für 13% ihres Nominalwertes, also für ganze 354 Millionern US-Dollar. Dept-to-equity-swaps heißt das in der Sprache der WirtschaftswissenschaftlerInnen – als Farce könnte mensch es auch bezeichnen. Für den Kauf der anderen Hälfte, Telco Norte, legte das Konsortium von Bell Atlantic und Hannover Trust, zwei US-amerikanischen Firmen legt lediglich 100 Millionen US-Dollar in bar und 300 Millionen für den Kauf von Schuldscheinen mit einem Nominalwert von 2,3 Mrd. US-Dollar auf den Tisch. Insgesamt verkauft also der argentinische Staat sein wohl lukrativstes Unternehmen für 868 Millionen Dollar, reduziert dabei allerdings seine Aus­landverschuldung um 4,6 Mrd. US-Dollar.

Ruinöser Deal als Vorbild für weitere Maßnahmen

Doch damit nicht genug der Tragödie: Der argentinische Staat garantiert den Käufern in den ersten drei Jahren einen jährlichen Reingewinn von 16%. Die Schulden von ENTEL in Höhe von 1,7 Mrd. US-Dollar(!), die in den letzten 1 1/2 Jahren angehäuft wurden, übernimmt ebenfalls der Staat. Und zu alledem sind die neuen Betreiber lediglich zu Investitionen in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar in den ersten drei Jahren verpflichtet. Das entspricht einer Installation von 620.000 neuen Telefonleitungen, bei derzeit 1,8 Millionen Anschlüssen, von denen ein Drittel seit längerer Zeit nicht funktioniert. Somit wird das, was sich die argenti­nischen TelefonbesitzerInnen von der Privatisierung versprechen, nämlich end­lich funktionierende Telefone, weiterhin auf absehbare Zeit ein Traum bleiben. Und die Menschen, die gerne ein Telefon hätten und es sich leisten könnten, brauchen sich wohl gar nicht erst um einen Anschluß bemühen. Eine über die drei Jahre hinausgehende langfristige Investitionsverpflichtung für die Käufer gibt es nicht. So dämpften die neuen Gesellschafter bereits eine Woche nach dem Verkauf allzu große Erwartungen mit der schlichten Feststellung, daß bessere Dienste frühestens in zwei Jahren zu erwarten seien. Vorleistungen für diese eventuellen Verbesserungen müssen die argentinischen TelefonbesitzerInnen allerdings schon bald in Form von saftigen Tariferhöhungen erbringen. Die 46.000 Angestellten von ENTEL werden ebenfalls mit einer Negativentwicklung zu rechnen haben: ein Teil von ihnen wird sicherlich im Zuge der Rationalisie­rung entlassen werden. Ein derart skandalöser Privatisierungs-Deal dürfte selbst in der Geschichte der “freien Marktwirtschaft” bisher einmalig sein. Wo auch sonst stürzt sich der Staat für eine kurzfristige Verringerung der Auslandsschul­den freiwillig in ein solch ruinöses Geschäft? – In den USA, dem Land mit der größten Auslandsverschuldung sicherlich nicht.
Das Fatale ist, daß dieses Privatisierungsschema von ENTEL das Modell für alle weiteren Verkäufe von Staatsbetrieben Argentiniens darstellen soll. Und diese weiteren Aus­verkäufe werden nicht lange auf sich warten lassen: 10.000 Kilometer National­straßen sind bereits an fünf ausländische Firmen vergeben, die ihre Investitions­kosten über die Einführung einer Autobahngebühr wieder reinbekommen wol­len. Die nationale Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas wird ein Konsortium unter der Führung der spanischen Fluglinie Iberia aufkaufen. Thyssen und das spanische Staatsunternehmen (!) Renfe wollen sich hingegen die profitable Eisenbahnlinie von der Pampa zum Hafen in Bahia Blanca, auf der 85% der argentinischen Getreideexporte befördert werden, unter den Nagel reißen. Das staatliche Erdölmonopol YPF lädt ausländische Firmen zwecks Bildung von Gemeinschaftsunternehmen zur Förderung der profitablen Erdölvorkommen ein…

Loch in der Kasse und Strangulierung durch den IWF

Begründet werden diese Verkäufe immer wieder mit dem chronischen Haus­haltsdefizit des argentinischen Staates. 8,4 Mrd. US-Dollar beträgt dieses Loch in der Haushaltskasse – die Defizite der Staatsbetriebe haben daran einen Anteil von fast 50%. Kein Wunder also, wenn der Staat diese lästigen Firmen loswerden will. Geschieht dies allerdings wie bei ENTEL nach der Devise: Gewinne privati­sieren – Defizite verstaatlichen, geht dies an dem eigentlichen Problem vorbei.
Der IWF macht diese Verringerung des Haushaltsdefizits immer wieder zur Bedingung für eine Kreditgewährung. Den bereits im November 1989 beschlos­senen Überbrückungskredit für Argentinien in Höhe von 1,4 Mrd. US-Dollar ver­sah der Fond bei den erneuten Verhandlungen in diesem Jahr allerdings mit weiteren Auflagen. Neben der Veringerung des Defizits auf 1% verpflichtete sich Argentinien die Steuern weiter anzuheben, die Löhne zu senken, die Preise für öffentliche Dienstleistungen erneut zu erhöhen und gleichzeitig die Ausgaben für diese Staatsdienste sowie die Zuschüsse an die Provinzregierungen zu verrin­gern. Darüberhinaus mußte Argentinien Anfang Juni zum ersten Mal seit April 1988 in Umschuldungsverhandlungen mit den privaten Gläubigerbanken ein­treten. Seit 1988 hat Argentinien faktisch keinen Cent an Zinszahlungen geleistet, wodurch die Zinsen für die 60 Mrd. US-Dollar Auslandsschulden auf 6,5 Mrd US-Dollar angewachsen sind. Als Geste des guten Willens tätigte Argentinien im Mai eine symbolische Zahlung von 100 Millionen US-Dollar Zinstilgung. Bei den derzeitigen Verhandlungen mit den privaten Gläubigerbanken wird eine solche Summe wohl allerhöchstens als wöchentliche Zahlung angenommen werden.
Die härteste Bedingung des IWF ist allerdings die Verpflichtung, die Inflation ab August auf unter 2% monatlich zu verringern. Ein schier unmögli­ches Unternehmen. Führte die Hyperinflation im Februar und März dieses Jahres (fast 100% monatlich) zur Blockierung des schon vereinbarten IWF-Kredites, so konnte durch den neuen Wirtschaftsplan von Wirtschaftminister Gonzales (LN 192) die monatliche Inflation im April immerhin auf 11,4% gesenkt werden. Doch damit war’s auch schon wieder vorbei. Im Mai stieg die Monats-Inflation auf 13,6%, der Juni schlug mit 15% zu Buche – Tendenz steigend. Für die erste Jahreshälfte 1990 akkumuliert sich somit die Inflation auf 617%. Dennoch konnte Argentinien die Auszahlung von 240 Millionen US-Dollar des erwähnten 1,4 Mrd.US-Dollar Stand-By-Kredites erreichen – die zweite Tranche nach den 140 Millionen im November. Der IWF geht anscheinend kein Risiko ein und gibt Argentinien immer wieder kleine Häppchen des ohnehin nicht gerade großen Kuchens, um wenige Monate später eine weitere Auszahlungen mit neuen, noch härteren Bedingungen zu verknüpfen.

Neoliberale Logik für “nicht-kapitalistische Kapitalisten”

Wirtschaftsminister Ermán Gonzales verkündete entsprechend Ende Juni mit ernster Mine gemäß dem Diktat des IWF, neben der Verlängerung des seit Juli 1989 bestehenden ökonomischen Ausnahmezustandes um ein weiteres Jahr, eine erneute Anpassung der Anpassung an seinen Wirtschaftsplan vom März…
Eine erneute Blockierung des Kredits und somit weitere wirtschaftliche “Liberalisierungsmaßnahmen” stehen gewiß schon bald wieder ins Haus, denn die Bedingung des IWF, die Inflation ab August auf 2% monatlich zu drücken ist schon jetzt zum Scheitern verurteilt. Daß Argentiniens Wirtschaft in der ersten Hälfte dieses Jahres mit 1,79 Mrd. US-Dolllar einen unerwartet hohen Export­überschuß erbracht hat, verdeckt die Tatsache, daß das Land sich in einer schwe­ren Rezession befindet. In keine Branche sind die Kapazitäten der Unternehmen auch nur annähernd ausgelastet. Stattdessen führen massenhafte Entlassungen und Betriebsschließungen zur weiteren Verstärkung der Wirtschaftskrise. Der industrielle Ausstoß verringerte sich in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 13% und das Investitionsvolumen der argentinischen Wirtschaft ist so niedrig wie nie zuvor.
Der Reallohn der ArbeiterInnen hat sich seit Januar um über 30% verringert und das in einer Situation, in der das Land mit den einst höchsten Löhnen Lateinameri­kas schon im Jahr zuvor auf ein Niveau unterhalb von Chile oder Paraguay abge­sunken ist. Entsprechend sucht ein Großteil der ArgentinierInnen, die nicht nach Europa auswandern können, sein Glück und vor allem Arbeit in den angrenzen­den Ländern und wandert aus. Die Lebenshaltungskosten steigen permanent durch die inflationsbedingten Preissteigerungen. Doch Präsident Menem argu­mentiert diesbezüglich ganz in seiner neoliberalen Logik: “Viele Grundnah­rungsmittel sind im Ausland billiger als in Argentinien. Wir werden all diese Produkte, die billiger auf dem heimischen Markt verkauft werden können importieren”. “Der Fall Argentinien hat das Interesse der weltbesten und bekanntesten Ökonomen geweckt, die immer noch nicht erklären können, was in diesem Land passiert”, äußerte kürzlich der frühere Minister für öffentliche Dienste der Regierung Alfonsín, Rodolfo Terragno. “Argentinien ist das einzige Land der Welt, wo eine schwere Rezession, die in der Theorie die Märkte stabili­siert und die Inflation beseitigt, von einer Hyperinflation begleitet ist.” Selbst die Experten des IWF und der Weltbank stehen vor einem Rätsel. Sie akzeptierten im Juli das Argument der Regierung, daß die Unternehmen in Argentinien ihre Preise enorm überhöhen und sich somit überhaupt nicht an die Regeln der “freien Marktwirtschaft” halten und zur Inflation beitragen. “Auf diesem Niveau der Inflation könnte jeglicher interne Schock oder eine externe Agitation der Auslöser für eine Hyperinflation sein”, meinte IWF-Chef Michel Camdesus im Juli. Die argentinischen Kapitalisten sind eben nicht kapitalistisch genug.
Die beginnenden Streiks in der Provinz Buenos Aires, an denen im Moment 500.000 ArbeiterInnen, unter anderem die Metalle­rInnen, beteiligt sind, sind ein Beispiel für die Herausforderungen, denen sich Präsident Menem in den näch­sten Wochen und Monaten stellen muß. Die argentinische Bevölkerung kann und will die Politik seiner Regierung nicht mehr länger ertragen. Die Plünderungen während der nächtlichen WM-Feiern in Buenos Aires Anfang Juli sind ein Indiz für die Hoffnungslosigkeit der sozialen Situation in Argentinien. Daß Menem dabei auf die repressive Karte setzt ist sehr wahrscheinlich und wird durch das Ergebnis der nächtlichen Ausschreitungen vom Juli verdeutlicht: um 3500 Mann verstärkte Polizeipräsenz in Buenos Aires, über 200 Festnahmen und mehrere Tote.


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Professionalität statt Politisierung

Die Präsidentschaft Perus ist gegenwärtig wohl eines der denkbar undankbarsten politischen Ämter überhaupt. Alberto Fujimori übernimmt von seinem Vorgän­ger Alan García ein Land, das sich in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Ge­schichte befindet. Allein im Mai lag die Inflation bei 32,8%. Die jährliche Inflati­onsrate erreicht 3000%. Nachdem García zu Anfang seiner Regierungszeit auf Konfrontationskurs zu IWF und Weltbank gegangen war, ist die Kreditwürdig­keit des Landes auf den Nullpunkt gesunken. Währungsreserven sind fast nicht mehr vorhanden. Neben einer Strategie gegen die Wirtschaftskrise muß der neue Präsident außerdem eine Politik zum Umgang mit Sendero Luminoso entwic­keln.

Gegen die Arroganz der weißen Oberschicht

Erste Wahlanalysen zeigen, daß Fujimori seinen Sieg zu einem großen Teil der Radikalität seines Gegenkandidaten zu verdanken hat. Mario Vargas Llosa hatte in seinem Wahlkampf Schockmaßnahmen angekündigt. Die Wirtschaftskrise sollte mit einem Programm à la Collor beigelegt werden, und gegen Sendero stand der totale Krieg im Programm des Schriftstellers. Gegenüber dem super-neoliberalen Vargas Llosa konnte Fujimori sich als Kandidat der Mitte profilie­ren, der den Menschen einen Ausweg mit geringeren Opfern versprach. Die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen wurde nie von ihm bestritten, aber Fujimoris Diskurs war moderater: nicht alle Staatsbetriebe sollten privatisiert werden. Die Reallöhne sollten nicht weiter sinken. Ein “mittlerer Weg” der Anpassung an die ökonomischen Notwendigkeiten sei mög­lich. Darüberhinaus zeigt das Wahlergebnis aber auch die wachsende Polarisie­rung in der peruanischen Bevölkerung. Vargas Llosa war der Kandidat der städ­tischen weißen Oberschicht, für den die Welt der Mestizen und der indianischen Bevölkerung Perus völlig fremd ist. Die Wahl wurde so auch zu einer Protest­wahl der Nicht-Weißen und damit vor allem der sozial Benachteiligten gegen die Arroganz der hauptstädtischen Oberschicht. Auch wenn Fujimori als Sohn von japanischen Einwanderern und Professor an einer Landwirt­schafts­uni­ver­si­tät in Lima nicht viel mehr mit ihnen gemeinsam hat, blieb doch die Tatsache des Nicht-Weißseins, die ihn für sehr viele Menschen zum kleineren Übel machte. Nicht zufällig hat Vargas Llosa die Wahl vor allem auf dem Land verloren, nur in den Städten und vor allem in Lima konnte er rela­tiv besser abschneiden.

Wo bleibt Fujimoris Programm?

Durch sein Programm hat Fujimori kaum die Wahl gewinnen können, denn die­ses zeichnet sich durch Nebulosität aus. Schwerpunkt seiner Wirtschaftspolitik, soweit sie bisher bekannt ist, bildet die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit Perus. Das Land soll wieder Teil des internationalen Finanzsystems werden. Das heißt nichts anderes, als daß eine Übereinkunft mit den Washingtoner Weltwirt­schaftswächtern in IWF und Weltbank gefunden werden muß, um ein Finanzie­rungsmodell für die peruanischen Auslandsschulden in Höhe von rund 20 Mrd. US-$ zu finden. Darauf aufbauend braucht Fujimori den guten Willen potentiel­ler Geldgeber für neue Kredite. Für die geplante “Unterstützergruppe” sind – welche Überraschung – die USA, Japan und die EG als Mitglieder vorgesehen. Noch vor der für den 28. Juli vorgesehenen Übergabe der Präsidentschaft von García, versuchte Fujimori in den vergangenen Wochen bei einer Reise in die USA und nach Japan, die Perspektiven für eine Wiederaufnahme von Kredit­zahlungen an Peru auszuloten. Der Plan zur Stabilisierung der peruanischen Wirtschaft, den er den IWF und Weltbank-Managern vorstellte, sieht u.a. eine 300%ige Erhöhung der Staatseinkünfte aus Steuern, Gebühren für öffentliche Leistungen und Zolleinnahmen vor. Außerdem soll eine neue Währung einge­führt werden mit einem einheitlichen Umtauschkurs. Etwa 250 Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Die zur Sicherung grundlegender öffentlicher Lei­stungen nötigen Staatsbetriebe sollen von der Privatisierung ausgenommen wer­den, allerdings sollen die Preise dieser Leistungen solange steigen, bis die Be­triebe rentabel arbeiten. Fujimori will damit einen ersten Überbrückungskredit erreichen, um die akkumulierten Zahlungsrückstände bei multilateralen Geldge­bern zu begleichen, die etwa bei 1,5 Mrd. US-$ liegen. Er braucht das IWF/Weltbank-Gütesiegel, ohne das er die wichtigsten Industrieländer nicht zum Engagement in einer wie auch immer gearteten Unterstützungsgruppe wird bewegen können. Bisher halten sich die anvisierten Geldgeber allerdings bedeckt. Nachdem in Peru viel über die besonderen Beziehungen Fujimoris zu Japan spe­kuliert worden war, wurde dort eilig klargestellt, daß ein japanischstämmiger peruanischer Präsident noch keinen Anlaß für ein verstärktes finanzielles Enga­gement Japans darstelle.
Es wird vorläufig Fujimoris Geheimnis bleiben, wie er die Bedingungen der Washingtoner Institutionen mit dem Anspruch vereinbaren will, die Schulden­zahlungen an der realen Zahlungsfähigkeit Perus zu orientieren und keine rezes­sive Tendenz zuzulassen, die seinen Plan zur Schaffung beständigen Wirt­schaftswachstums beeinträchtigen könnte. So jedenfalls beschreibt sein Berater Santiago Roca, der als kommender Wirtschaftsminister gehandelt wird, die Leit­linien der zukünftigen Politik. Die Vermutung liegt nahe, daß das “bolivianische Modell” beim Design der wirtschaftspolitischen Strategie Pate steht. In einer ähnlichen durch Hyperinflation und drohendem Zusammenbruch der Wirtschaft gekennzeichneten Situation hatte seit 1985 die Regierung Paz Estenssoro durch ein radikales Liberalisierungsprogramm eine relative Stabilisierung der bolivia­nischen Wirtschaft erreicht. In Bolivien war dies allerdings mit erheblichen so­zialen Kosten verbunden. Massenentlassungen und die Stabilisierung der Preise auf einem hohen Niveau waren die für die BolivianerInnen schmerzhaft spürba­ren Folgen. Fujimori ist mit dem Versprechen angetreten, gerade diese sozialen Folgen in Grenzen zu halten, die von seinem Gegenspieler Vargas Llosa als un­vermeidlich vorausgesetzt worden waren. Wird ein Mittelweg unter den Kondi­tionen von IWF und Weltbank möglich sein?

Der Präsident ohne Mehrheit

Ein weiteres Problem für Fujimori wird sein, sich die notwendigen Mehrheiten für seine Politik im Parlament zu beschaffen. Seine “Partei” Cambio 90, eigentlich mehr ein eigens für seine Kandidatur gegründeter Wahlverein, ist hinter der FREDEMO Vargas Llosas und der bisherigen Regierungspartei APRA nur die drittstärkste politische Kraft. Er wird Koalitionspartner suchen müssen.
Nach seinem Wahlerfolg proklamierte er eine “Regierung der nationalen Einheit”, eine aus anderen lateinamerikanischen Ländern nicht unbekannte Forderung von gerade gewählten Präsidenten, denen die notwendige parlamentarische Mehrheit fehlt. Fujimori wird möglicherweise vom Zerfall der FREDEMO profitieren. Das “Movimiento Libertad” Vargas Llosas hat das Bündnis bereits aufgekündigt und will als “Liberale Partei” zur selbstständigen politischen Kraft in enger Allianz mit den Unternehmerverbänden werden. Diese ihrerseits verhalten sich abwar­tend. Unternehmerpräsident Jorge Camet: “Wir müssen erst einmal Fujimoris Regierungsprogramm kennenlernen”. Von den bis jetzt in der FREDEMO organi­sierten traditionellen, konservativen Parteien macht die AP (Alianza Popular) Fujimori bereits Avancen. Auch die APRA, die den Sieg Fujimoris als “Niederlage der Rechten und Ablehnung monetaristischer Wirtschaftsstrategien” feierte, würde gerne einen Teil ihrer Macht über ein Bündnis mit Cambio 90 be­halten. Hier aber bewegt sich Fujimori auf Glatteis, denn im Wahlkampf war ei­ner der beherrschenden Vorwürfe gegen ihn, versteckter Aprist zu sein. Ange­sichts der Diskreditierung der APRA in der öffentlichen Meinung nach dem Scheitern ihres Präsidenten García könnte er ein Zusammengehen mit der ge­scheiterten Ex-Regierungspartei nur schwer rechtfertigen.
Sogar der Führer der Guerillabewegung MRTA, Victor Polay, bot Fujimori aus dem Gefängnis einen Waffenstillstand an, um, verknüpft mit Bedingungen, einer anderen Politik eine Chance zu geben. Auf die Reaktion Fujimoris darf man ge­spannt sein, denn Polay ist vor kurzem zusammen mit mindestens 40 Militanten des MRTA aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Lima ausgebrochen und kann wieder aus dem Untergrund politisch aktiv werden, wenn er nicht wieder aufge­griffen wird.
Wie immer ein zukünftiges parlamentarisches Bündnis aussehen mag, die soziale Basis der Macht Fujimoris besteht in den WählerInnen, die ein Ende des rapiden Verfalls der Reallöhne und eine allgemeine Stabilisierung erwarten. Diese Er­wartungen nicht zu enttäuschen, wird ihm schwerfallen.

Der Krieg wird ausgeblendet

Für die Auseinandersetzung mit Sendero Luminoso scheint Fujimori bislang nicht die Spur eines Konzeptes zu haben. Es ist nicht ersichtlich, daß er der unge­bremsten und doch in der Bekämpfung Senderos weitgehend erfolglosen Repres­sion durch das Militär ein anderes Konzept entgegenzusetzen hat, das den Ursa­chen für die Existenz und Stärke Senderos Rechnung tragen würde. Seine bishe­rigen Äußerungen lassen nicht darauf schließen. Befragt nach seiner Haltung zu den Streitkräften und nach der Gefahr eines Putsches antwortete er, die Vorstel­lung eines Putsches sei ein psychologischer Trick seiner Gegner im Wahlkampf gewesen, und: “Unsere Streitkräfte haben genügend Reife erlangt und sind die besten Verteidiger unserer Verfassung!” Bei Fortsetzung der vom Militär prakti­zierten Form der “Verteidigung der Verfassung” werden die Gründe für die Exi­stenz Sendero Luminosos und für die in bestimmten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Sympathien für Sendero nicht an Stichhaltigkeit verlieren.

Nur minimale Chancen auf Erfolg

Der Erfolg der Regierung Fujimori wird von Faktoren abhängen, die weitgehend außerhalb seiner politischen Entscheidungsmöglichkeiten liegen. Fujimori kann nur auf ein Einsehen der potentiellen Kreditgeber in die mehr als schwierige ökonomische Lage Perus hoffen, aber IWF, Weltbank und die führenden Indu­strieländer haben keinen Grund, Peru Sonderkonditionen einzuräumen, die über die in so vielen Ländern der Peripherie angewandten Strukturanpassungsmaß­nahmen mit allen sozialen Folgekosten hinausgehen. Die Hoffnung der Peruane­rInnen auf eine bessere wirtschaftliche Situation werden enttäuscht werden müs­sen, denn ohne ein Abwälzen der Kosten solcher Programme auf den Lebens­standard der Bevölkerung ist unter den gegebenen internationalen Rahmenbe­dingungen Stabilisierung nicht zu haben. Es ist eine offene Frage, in welcher Form sich der Protest der Bevölkerung äußern wird, ob es zu einem Anwachsen der Unterstützung für die verschiedenen Guerillas kommen wird, ob Gewerk­schaften und soziale Bewegungen zu einer neuen Stärke finden können, oder ob, wie in Bolivien, mangels politischer Alternative eine relative politische Stabilität erreicht werden kann. Da ein Ende des Krieges zwischen Militär und Guerillas nicht abzusehen ist, scheint Letzteres unwahrscheinlich. Eher zu erwarten ist vielmehr eine verschärfte Polarisierung, die das Militär tatsächlich zum Putsch bewegen könnte, sobald das Scheitern Fujmoris offensichtlich wird. Eine “Regierung der nationalen Einheit”, selbst wenn Fujimori ihre Formierung aus verschiedenen politischen Kräften gelingen sollte, wird eine Einheit nur auf Re­gierungsebene darstellen. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien verlaufen anders, sie haben im Parteienspektrum schon lang keine adäquate Entsprechung mehr. Technokratisches Wirtschaftsmanagement à la Fujimori ohne Angehen der Pro­bleme extremer Ungleichheit und rassisch bedingter Unterdrückung wird in Peru nicht den Ausweg aus der Krise weisen können.


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