A Última Floresta Brasilianischer Beitrag in der Sektion Panorama (Foto: Pedro J. Márquez)
Dieser Film ist eine Wohltat. Es ist eine Wohltat für Körper und Sinne, nach einem Jahr Pandemie einmal 74 Minuten lang nur natürliche Geräusche zu hören und unterschiedliche Abstufungen von Grün zu sehen. Menschen dabei zuzusehen, wie sie im Fluss baden, am Feuer Maniok rösten, sich in der Hängematte ausruhen, jagen, miteinander sprechen und dies alles mit einer ganz besonderen Ruhe, in der die Stille ebenso Platz hat wie das Gespräch, die kräftige Bewegung des Holzschlagens ebenso wie das Innehalten, die Vertreibung der Goldsucher*innen ebenso wie das religiöse Ritual.
Dabei ist A Última Floresta („Der letzte Wald“) alles andere als ein ethnographischer Film. „Es war schwierig“, sagte Regisseur Luiz Bolognesi im Berlinale-Interview, „aber ich habe mich dazu entschieden, dass dieser Film von den Yanomani für die Yanomani sein soll. Und so habe ich mich von ihnen leiten lassen.“ Bolognesi, der bereits mit seinem letzten Film Ex-Pajé („Ehemaliger Schamane“) auf der Berlinale 2018 vertreten war, hat A Última Floresta gemeinsam mit dem Yanomani-Schamanen Davi Kopenawa Yanomani gedreht, der im Abspann auch als Ko-Autor genannt wird.
Kopenawa ist als Sprecher der Yanomani international bekannt und hat für sein politisches Engagement bereits Auszeichnungen wie den Right Livelihood Award erhalten. A Última Floresta führt uns in die Gemeinde, in der er lebt, in einer nur mit Kleinflugzeugen zugänglichen Region Amazoniens an der Grenze zwischen Brasilien und Venezuela. Dort leben heute geschätzt 35.000 Yanomani in mehr als 250 Gemeinden. Das Gebiet wurde als Yanomani-Land in der brasilianischen Verfassung 1988 anerkannt. Wiederkehrende Invasionen von Goldschürfer*innen wehrten die Yanomani mit Hilfe des brasilianischen Militärs ab, denn das Land darf nur mit ihrer Erlaubnis betreten werden. Doch damit ist Schluss, seit Jair Bolsonaro Präsident ist: Mehr als 15.000 Goldsuchende sind seit 2019 in das Gebiet der Yanomani eingefallen, ohne dass sie staatliche Maßnahmen fürchten müssen. „Es ist ein sehr schwieriger Moment für alle Indigenen und in Amazonien. Doch Davi Kopenawa wollte keinen Film über die Yanomani als Opfer machen und nur die Probleme zeigen, sondern ihr Leben und ihren Widerstand“, betont Bolognesi.
Gemeinsam haben Davi Kopenawa und Luiz Bolognesi in mehreren Wochen vor Ort ein ganz besonderes Drehbuch geschrieben, in dem sie nur die Geschichten auswählten, die sie erzählen wollten. Deshalb werden in A Última Floresta Alltagsszenen, Geschichten aus dem Schöpfungsmythos und Träume mit demselben dokumentarischen Realismus gezeigt – denn das Weltbild der Yanomani trennt nicht zwischen Realität und Traum. Das Leben bei Tageslicht und das in der Nacht sind gleichermaßen real, der Alltag spiegelt sich im Traum und ein Traumproblem hat Einfluss auf den Alltag.
Für den Regisseur war dies eine Entdeckungsreise. Da er sich während der Filmaufnahmen nicht alles parallel übersetzen lassen konnte, erfuhr Bolognesi bei vielen Szenen erst im Schneideraum, wovon sie erzählten. „Dabei wurde mir bewusst, dass dieser Film für weiße Leute vielleicht ‚zu magisch‘ sein würde. Da habe ich entschieden, dass dies eben ein Film für Indigene sein würde, wenn ihn weiße Leute nicht verstehen. Aber inzwischen hat sich gezeigt, dass er auch für ein weißes Publikum funktioniert.“ In einem Monolog zu Beginn des Films beschreibt Davi Kopenawa es so: „Die weißen Leute kennen uns nicht. Ihre Augen haben uns nie gesehen, ihre Ohren verstehen unsere Worte nicht. Deshalb muss ich dort hingehen, wo die weißen Leute leben. Ich gehe nicht dorthin, um ihnen Festessen zu bringen oder traditionelle Tänze. Ich muss sie unsere Art zu denken lehren.“
Am Ende von A Última Floresta sitzt Davi Kopenawa nach einem Vortrag an der Harvard University in einem Hotelzimmer auf dem Bett. Das Fenster ist geöffnet und der Verkehrslärm dringt als unangehme Kakophonie hinein. Doch, es gibt noch einiges zu lernen.