Brasilien 1973: Die Zeiten waren alles andere als fröhlich. Die Militärdiktatur des Präsidenten Emílio Gastarrazu Medici unterdrückte, folterte und ermordete brutal die meist gewaltlose Opposition des Landes und auch die Wirtschaft geriet zunehmend in Schieflage. Überraschenderweise entstand in diesem Jahr in Brasilien aber auch A Rainha Diaba (Übersetzt etwa: Die teuflische Königin), ein hochunterhaltsamer queerer Gangsterfilm, der Maßstäbe setzen sollte und es nun, genau ein halbes Jahrhundert später, digitalisiert ins Klassikerprogramm der Berlinale geschafft hat. Regisseur Antonio Carlos da Fontoura orientierte sich bei der Besetzung der Hauptfigur im Film lose am Leben von João Francisco dos Santos, einem bekannten Kriminellen aus Rio de Janeiro, dessen Leben später auch in Madame Satã (2002) noch einmal verfilmt werden sollte. Bei da Fontoura wird dos Santos zur teuflischen Drag-Queen Rainha Diaba (gespielt von Superstar Milton Gonçalves). Diese kontrolliert von ihrer Wohnung in einem Hinterhof den Drogenhandel im Ausgehviertel Lapa und den umgehenden Favelas. Großartig schon der erste Auftritt der „Königin“ (Rainha, wie sie von ihren Untergebenen ehrfurchtsvoll genannt wird): Ihre Handlanger*innen müssen zum Rapport in ihrem Schlafzimmer antreten, wo ihr Lover ihr währenddessen die Fußnägel lackiert. Die vordergründige Freundlichkeit und der tuckige Akzent der Gangsterbossin sind jedoch nicht nur in dieser Szene trügerisch, denn Fehlverhalten bestraft die Rainha grausam und gnadenlos.
© José Medeiros
Der Plot des Films entwickelt sich rasch rund um Bereto (Stepan Nercessian), einen gutaussehenden Taugenichts, der seine Freundin schlägt und hofft, durch eine kriminelle Karriere ans schnelle Geld zu kommen. Die Rainha hat ihn zum Opfer auserkoren, da einer ihrer Lieblings-Untergebenen einen Drogendeal vermasselt hat. Nun muss sie der Polizei einen Sündenbock präsentieren, um weiter in Ruhe arbeiten zu können. Ihre rechte Hand Zeca Catitu (herrlich schmierig: Nelson Xavier) wirbt Bereto an, der Raubüberfälle mit der Clique begehen und für diese später ans Messer geliefert werden soll. Zunächst scheint auch alles nach Plan zu laufen. Doch Bereto gibt nicht klein bei und so nehmen die Dinge bald einen Lauf, der die Geschäftsgrundlage der Rainha in Gefahr bringt.
A Rainha Diaba ist bestes Kino-Entertainment im Stile der Gangsterfilme von Quentin Tarantino. Unmöglich, keine Vergleiche mit dessen (weit später gedrehten) Klassikern wie Pulp Fiction oder Reservoir Dogs zu ziehen, in denen teils exzessive Gewaltszenen sich mit geschliffenen Dialogen abwechseln – ohne dabei allzu große Empathie mit den Beteiligten aufkommen zu lassen, wenn sie das Zeitliche segnen. Die bunte Freakshow des großteils offen oder latent queeren Gangster*innen-Ensembles gibt A Rainha Diaba dabei aber eine unverwechselbare Note. Bemerkenswert – vor allem für die Zeit der Entstehung – ist die Natürlichkeit, mit der Drag und Homosexualität in ein machistisch dominiertes Genre implantiert wurden, ohne dass es der Treue zu stilistischen Konventionen Abbruch getan hätte.
© José Medeiros
Als klassisches Popcorn-Movie konzipiert, sollte man A Rainha Diaba allerdings auf keinen Fall zu ernst nehmen. Für reichlich Trash-Faktor und unfreiwillige Komik sorgen unter anderem die lächerlich schlecht choreografierten Kampfszenen und das offensichtlich falsche Kunstblut, das in Strömen fließt. Auch der Ton ist trotz digitalisierter Aufbereitung manchmal undeutlich und die Dialoge deshalb schwer zu verstehen. Das machen die durchdachte und überraschende Handlung, stimmige Charaktere, tolle Schauspieler*innen und die gelungene Inszenierung vor der traumhaft schönen Kulisse Rio de Janeiros aber mehr als wett. Wer im oftmals etwas verkopften und bedeutungsschwangeren Programm der Berlinale nach einer spaß- und actionlastigen Abwechslung sucht, dürfte deshalb an A Rainha Diaba auch 50 Jahre nach Erstveröffentlichung des Films noch große Freude haben.
Triggerwarnung: Explizite Gewaltdarstellungen
LN-Bewertung: 4/5 Lamas