DRECKIGER STROMDEAL IM HINTERZIMMER

Wasserkraftwerk Itaipú Schlägt auf beiden Seiten der Grenze politische Wellen // Foto: Deni Williams CCBY 2.0

Das Wasserkraftwerk Itaipú sorgt wieder für Streit. Der Rücktritt des paraguayischen Chefs der Energiebehörde ANDE, Pedro Ferreira, hat die Regierung Paraguays Ende Juli in eine handfeste politische Krise gestürzt. Ferreira begründete seinen Schritt mit der Missbilligung des neuen Vertrages zwischen Brasilien und Paraguay, in dem die Mechanismen und die Preise für den Verkauf von Strom aus dem Kraftwerk festgelegt wurden. Insbesondere die kolportierten Regeln für den Verkauf von Energieüberschüssen erhitzen dabei die Gemüter in Paraguay. Denn die neuen Regeln sind – laut Perreira – höchst unvorteilhaft für das kleine Land im Vergleich zum großen Nachbarn Brasilien. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Vertrag in Geheimverhandlungen zwischen den beiden Regierungen geschlossen wurde.
Seit die Verhandlungen über den Bau des – gemessen an der installierten Kapazität – zweitgrößten Staudamms der Welt in den 1960er Jahren begannen, haben die Diskussionen über das Projekt nie aufgehört. Insbesondere in der paraguayischen Öffentlichkeit war Itaipú immer umstritten. Im Jahr 2016 präsentierte sich das binationale Betreiberunternehmen voller Stolz mit dem Titel „weltweit größter Energieproduzent“, nachdem das Kraftwerk in seiner bisherigen Laufzeit 103.098.366 Megawattstunden erzeugt hatte. Doch verschiedene soziale Bewegungen, Politiker*innen und Intellektuelle ziehen die Vorteile, die das Kraftwerk Paraguay angeblich bringt, in Zweifel. Hauptpunkt der Kritik ist, dass Itaipú vor allem Brasilien einseitige Vorteile biete. Aus diesem Grund verlangen Politiker*innen und Aktivist*innen immer wieder eine Neuverhandlung des Vertrages von Itaipú. Der ehemalige Präsident Fernando Lugo (2008-2012), der einzige Präsident Paraguays seit 1947, der nicht der Partei der Colorados angehörte, strebte ebenfalls eine Neuverhandlung an, bevor er 2012 in einem umstrittenen Verfahren des Amtes enthoben wurde (siehe LN 457/458).
Itaipú war das wichtigste Symbol für den Fortschritt der Militärdiktatur unter Alfredo Stroessner (1954-1989). Im Jahr 1973 unterzeichneten Stroessner und der brasilianische Diktator Emilio Garrastazú Medici den Vertrag von Itaipú, der den Bau des gemeinsamen Kraftwerks vorsah. Dabei spielte der US-amerikanische Einfluss eine große Rolle: Im Kontext des Kalten Krieges boten die USA den Ländern Südamerikas günstige Kredite für Entwicklungsprojekte an, um der Einflussnahme der Sowjetunion vorzubeugen. Die kurz nach Unterzeichnung des Vertrages eingetretene Ölkrise war ein zusätzlicher Anreiz, das Projekt schnell auf den Weg zu bringen. Tatsächlich entwickelte sich Itaipú zum ambitioniertesten Entwicklungsprojekt beider Länder. Doch spätere Studien zeigten, dass das Projekt zahlreiche negative soziale und ökologische Folgen hatte: Tausende Indigene und Kleinbäuerinnen und -bauern wurden umgesiedelt, teilweise unter Anwendung von Gewalt. Angemessene Entschädigung wurde nicht geleistet.

Gerät unter Druck Paraguays Präsident Mario Abdo Benítez // Foto: Cesar Itiberé PR CCBY 2.0

Der riesige Staudamm stellt einen schweren Eingriff in die Flussökologie des Paraná dar und zog das gesamte Flussbecken in Mitleidenschaft, da die natürlichen Fischmigrationen unterbrochen wurden. Zudem wurden atlantische Regenwälder überflutet und zerstört, die wieder aufgeforsteten Wälder erscheinen eher wie Plantagen und verfügen längst nicht über eine so große Biodiversität.

Die Kritik prangert den „Verrat des Staatschefs an der Guaraní-Nation“ an


Paraguays damaliger Diktator Stroessner nutzte das Itaipú-Projekt zur Stabilisierung seines Regimes. Er versorgte damit seine Klientelnetzwerke, um sich deren Loyalität zu versichern. Ganze Familien wie etwa die Papalardo, Wasmoy und Debernardy wurden reich, indem sie Baumaterialien an das Megaprojekt lieferten. Die gesamten Baumaßnahmen waren von starker Korruption gezeichnet, an der sich die engen Verbündeten Stroessners bereicherten.
Der amtierende Präsident Paraguays, Mario Abdo Benítez von der Colorado-Partei, sieht sich nun ebenfalls schweren Verdächtigungen ausgesetzt, die Interessen des Landes für seine eigenen verraten zu haben. Sein Vater (ebenfalls Mario Abdo) war seinerzeit ein enger Vertrauter und persönlicher Sekretär von Stroessner. Präsident Abdo wird aktuell beschuldigt, in den geheimen Neuverhandlungen einen skandalösen Vertrag unterzeichnet zu haben. Darin soll er praktisch auf alle möglichen Verbesserungen für Paraguay verzichtet haben. Die Presse und politische Organisationen der Opposition bezeichneten Abdos Verhalten als „Verrat des Staatschefs an der Guaraní-Nation“.
Ausgelöst hatten die Regierungskrise Äußerungen des zurückgetretenen Chefs der staatlichen Energiebehörde ANDE. Pedro Ferreira erklärte gegenüber verschiedenen Medien, dass die brasilianische Regierung Paraguay praktisch erpresst hätte, ein nachteiliges Abkommen über die Vermarktung der Energieüberschüsse des Landes zu unterzeichnen. Nach dem ursprünglichen Vertrag von Itaipú steht Paraguay ein Kontingent der Energie aus dem Kraftwerk zu, das die paraguayische Nachfrage bei weitem übersteigt. Die Überschüsse kann Paraguay verkaufen – aber nur nach Brasilien. Ferreira betonte, dass auf brasilianischer Seite gut unterrichtete Techniker*innen an den Verhandlungen teilnahmen, während auf paraguayischer Seite nur Mitarbeiter*innen des Außenministeriums vertreten waren, die keine angemessenen Kenntnisse von Strompreisen, möglichem Nutzen oder Verkaufsmöglichkeiten auf dem Strommarkt hatten. Es scheint, so Ferreira, als sei der Präsident von schlechten Berater*innen umgeben oder die paraguayische Seite hätte absichtlich einen schlechten Deal abgeschlossen.
Anfangs drehte sich die Kritik vor allem um die offenbar schlechte Beratung, die der Präsident erhalten habe. Ferreira selbst hatte erklärt, Abdo sei nicht über die Einzelheiten unterrichtet gewesen und hätte praktisch blind ein Abkommen unterzeichnet. Doch der Skandal nahm eine andere Dimension an, als Ferreira seine privaten Gespräche mit dem jungen Anwalt José Rodríguez González veröffentlichte. Dieser hätte sich als persönlicher Berater des paraguayischen Vizepräsidenten Hugo Velázquez vorgestellt und explizit verlangt, dass Punkt 6 aus dem Abkommen herausgenommen werde. Dieser Punkt 6 sei allerdings zentral für eine Verbesserung der Vertragsregeln für Paraguay gewesen, denn er hätte es dem Land erlaubt, selbst den überschüssigen Strom in Brasilien zu vermarkten – ein Geschäft, das mit erheblichen Gewinnaussichten verbunden ist. Ohne Punkt 6 obliege der Verkauf des paraguayischen Energieüberschusses hingegen ausschließlich brasilianischen Unternehmen. Dies würde über Verträge zwischen der paraguayischen Energiebehörde ANDE und dem halbstaatlichen brasilianischen Energieunternehmen Eletrobras geregelt werden.

Präsident Bolsonaro Verdacht auf Amtsmissbrauch zur persönlichen Bereicherung // Foto: Isac Nóbrega PR CCBY 2.0

Bereits kurze Zeit später kam heraus, dass im neuen Abkommen sogar vorgesehen war, dass alle Stromverkäufe an ein einziges Unternehmen gehen sollten, welches dann die Vermarktung auf dem liberalisierten brasilianischen Strommarkt realisieren sollte. Dabei handelt es sich um das Unternehmen Leros Comercializadora. Das Skandalöse dabei ist, dass Mitglieder der Familie des brasilianischen Staatspräsidenten Bolsonaro im Aufsichtsrat des Unternehmens vertreten sind.
Recherchen von Journalist*innen haben nun gezeigt, dass der Druck, Punkt 6 aus dem Abkommen zu streichen, von Leros Comercializadora ausging. Der Anwalt José Rodríguez González habe somit tatsächlich die Interessen des Unternehmen Leros vertreten, als er im Namen des Vizepräsidenten Hugo Velázquez bei den Verhandlungen mitmischte, so die Medienberichte.
Als die Staatsanwaltschaft sich des Falles annahm, behauptete Rodríguez González, er habe „sein Handy verloren“, auf dem sich die Kommunikation mit dem damaligen ANDE-Chef Ferreira befunden habe.

Die Diskussionen über das Projekt haben nie aufgehört


Es gibt also ernstzunehmende Hinweise darauf, dass das Geheimabkommen zu Itaipú nicht nur unvorteilhaft für Paraguay ausfällt, sondern dass es auch eine private Vereinbarung zwischen Bolsonaro einerseits und Abdo und Velázquez andererseits beinhaltet, mit dem Ziel, Profit aus dem Verkauf paraguayischen Stroms zu schlagen.
Der Skandal setzt nicht nur Präsident Mario Abdo unter Druck. Im brasilianischen Parlament haben oppositionelle Abgeordnete eine Untersuchung gegen Präsident Jair Bolsonaro wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch eingeleitet. Mitglieder der Arbeiterpartei PT des ehemaligen Präsidenten Inácio Lula da Silva haben bei der Bundesstaatsanwaltschaft eine Untersuchung des Abkommens über Kauf und Verkauf des paraguayischen Energieüberschusses beantragt. Der Antrag, den 24 Abgeordnete unterzeichnet haben, verlangt, dass die schwerwiegenden Vorwürfe gegen den Präsidenten, den Außenminister Ernesto Araújo und den brasilianischen Generaldirektor von Itaipú, Joaquim Silva, aufgeklärt werden.
In Paraguay schlägt der Skandal bereits jetzt größere Wellen. Die Regierung Mario Abdos befindet sich ihrer bislang schwersten Krise. Der paraguayische Kongress hat eine Kommission aus beiden Kammern des Parlaments gebildet, um den Fall zu untersuchen. In der Zwischenzeit hat die paraguayische Regierung erste Schritte unternommen, um Brasilien zu bitten, das Abkommen rückgängig zu machen. Jair Bolsonaro hatte bereits erklärt, dass er einen solchen offiziellen Antrag annehmen würde, weil sein „Freund Marito“ die Sachen gut mache und etwas Hilfe benötige. Unbeabsichtigt verstärkte Bolsonaro mit seiner Wortwahl die Verdächtigungen, er hätte die paraguayische Regierung zu seinen Zwecken beeinflusst.
Trotz aller Bemühungen der Regierung, die Wogen zu glätten, wurde sie von mehreren Rücktritten erschüttert. Der Außenminister Luis Castiglioni, der Botschafter in Brasilien sowie hochrangige Mitarbeiter*innen bei Itaipú und ANDE mussten aufgrund des öffentlichen Drucks ihre Posten aufgeben. Auch María Epifanía González, die das Ministerium für den Kampf gegen Geldwäsche leitete, musste ihr Amt verlassen: Sie ist die Mutter von José Rodríguez González, der mutmaßlich im Auftrag von Leros Comercializadora entscheidend Einfluss auf die Verhandlungen genommen hatte.
Die oppositionelle liberale Fraktion im Parlament beantragte schließlich sogar die Amtsenthebung des paraguayischen Präsidenten Abdo. Noch im Juli hat die Fraktion der Colorados – die ansonsten bei weitem nicht geschlossen hinter Abdo steht – den Antrag abgelehnt. Dies zeigt, dass der Pakt zwischen den innerparteilichen Fraktionen um Mario Abdo und den ehemaligen Präsidenten Horacio Cartes hält. Noch. Viele Analyst*innen halten es für gut möglich, dass er die restlichen fünf Jahre seiner Legislaturperiode nicht im Amt übersteht.

 

DAS HORRORKABINETT DES HAUPTMANNS BOLSONARO

Die LN stellen das neue Kabinett in Brasília vor.

Die Chicago Boys, Anhänger der ultraliberalsten Schule der Wirtschaftspolitik, sind zurück! Superminister Paulo Guedes ist vehementer Anhänger Pinochets und sammelte fünf PhDs aus Chicago. Er propagiert klar Privatisierung, die Kürzung von Sozialausgaben und die Öffnung der Märkte. Paulo Guedes ist Liebling der Wirtschaft und der deutschen Unternehmen in Brasilien!

Die Lobbyist*innen, insbesondere des Agrobusiness, übernehmen gleich das Agrarministerium mit der „Muse der Pestizide“, Tereza Cristina. Chef des Bodenreforminstituts wird der Präsident des Grundbesitzerverbands UDR. Der Umweltminister Ricardo Salles, selbst in Prozesse verwickelt, geht sofort gegen Umwelt-NGOs vor und will Dienstleitungsverträge mit ihnen suspendieren. Er verspricht, schnell und flexibel zu agieren, und weniger Strafen für Umweltvergehen!

Die Militärs haben nun die für Infrastruktur, Wissenschaft und Technologie und Verteidigung wichtigen Ministerposten inne. Die Militärs beäugen die Privatisierungspläne von Guedes misstrauisch und widersprachen bereits dem Präsidenten sofort, als dieser mit der Idee kam, den USA Militärbasen in Brasilien anzubieten.

Der Sheriff, Richter Sérgio Moro, ist nun Justizminister und schon lange Liebling der hasserfüllten Mittelklasse und seit gut einem Jahr sprichwörtlicher Kerkermeister des Ex-Präsidenten Lula. Moro muss schon jetzt damit leben, dass der erste Korruptionsskandal um den Erstgeborenen von Bolsonaro (Flávio, oft kurz „01“ genannt) bereits jetzt bekannt wurde. Moro hat keine Erfahrung mit den umfangreichen Tätigkeitsfeldern eines Ministeriums, will sich aber an nordamerikanischen Erfahrungen inspirieren.

Die Lunáticos – Portugiesisch für die Bekloppten – sind nun das beste ideologische Spiegelbild der Denkstrukturen von Bolsonaro. Die evangelikale Pastorin Damares Alves (Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte) proklamiert: „Endlich ist die Kirche an der Macht“. Und weiter: „Ab sofort tragen die Mädchen rosa und die Jungs blau”. Ein Stipendium für vergewaltigte Frauen, die schwanger wurden, damit sie nicht abtreiben, gehört auch zu ihren Highlights. Und sie weiß, wie es so in den Niederlanden (?) läuft: „Die Eltern masturbieren dort ihre Babys“. Der Bildungsminister Ricardo Velez Rodriguez will endlich die Schul-Curricula vom Marxismus restlos säubern und natürlich: die Genderideoligie bekämpfen. Der Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta will die Aidsaufklärung aus den Schulen verbannen („Das Thema soll in den Familien besprochen werden“). Und nun die einsame Spitze: Außenminister Ernesto Araújo, dessen Feldzug gegen den kulturellen Marxismus (?) und seine besonders christliche Gottesfurcht bereits in der internationalen Presse ein dubioses Echo gefunden haben. Sein Vorbild: Präsident Trump sowie die Helden in Israel. Besonders wichtig: die europäische Erbschaft Brasiliens. Sein Feindbild: China (hier: Widerspruch der Lobbyisten!) sowie natürlich die Kommunisten allgemein, die Globalisten und überhaupt ist Klimawandel natürlich Humbug, gar eine Verschwörung. Brasilien müsse die Welt größer denken, nicht so kleingeistig „wie es der Philosoph Ludwig Wittgenstein“ vorgebe, die vorgefundene Welt zu akzeptieren, paraphrasiert er wild aus dem – vielleicht nie gelesenen, aber bestimmt nicht verstandenen – Tractatus Logico-Philosophicus, um kurz zu schlussfolgern: „I don’t like Wittgenstein.“ Eine finstere Gestalt, die Bolsonaro aus der unteren Hierarchie des Außenministeriums hervorgeholt hat.

Und zum Schluss nun der Mann mit dem Tatoo, Onyx Lorenzoni, der Schildträger Bolsonaros und nun sein wichtigster politischer Sprecher mit Sitz im Präsidialamt. Als herauskam, dass er für seine politische Kampagne Schwarzgeld annahm, bat er Bolsonaro um Entschuldigung (wurde angenommen) und ließ sich ein Bibel-Tatoo auf seinen Arm als Erinnerung an seine Sünden anbringen. Nur: Ein paar Wochen später wurden weitere illegale Zahlungen an ihn entdeckt – und jetzt munter das Ganzkörpertatoo anstreben?

 

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