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Aldo presente! Leonel Gutiérrez Solana und Sofía de Robina in Stuttgart (Foto: ECCHR)

Es sei der größte Strafprozess im Kleinwaffenbereich, so Rechtsanwalt und Friedensaktivist Holger Rothbauer. Den Angeklagten werden mehr als ein Dutzend gewerbs- und bandenmäßige Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenhandelsgesetz vorgeworfen. Sie und ein in Mexiko wohnhafter Komplize waren mit dafür verantwortlich, dass in Deutschland hergestellte Sturmgewehre des Typs G36 in mexikanische Konfliktgebiete gelangten.

Mexikanische Behörden sind ebenso wie Politiker*innen und Militärangehörige in Geschäfte der organisierten Kriminalität verwickelt. Das Untersuchungsergebnis der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft lässt aber auch vier Jahre nach dem Geschehen dutzende Fragen offen. Unter anderem die große Frage nach dem Verbleib der 43 verschleppten Studenten. In der Kleinstadt Iguala im Bundesstaat Guerrerohatten hatten im Jahr 2014 Polizist*innen und Kriminelle das Feuer aus mindestens sieben Sturmgewehren der Marke Heckler & Koch, hergestellt im süddeutschen Oberndorf, eröffnet. (siehe LN 491, 497).

Nun hat sich Leonel, der Bruder des seitdem im Koma liegenden Aldo Gutiérrez Solana, im September auf den Weg nach Deutschland gemacht. Die Richter und Angeklagten in Stuttgart sollen durch seine Anwesenheit mit dem Schicksal seines Bruders konfrontiert werden. Über seine Erfahrungen spricht Gutiérrez Solana bei einer anschließenden Podiumsdiskussion in Berlin. Es sei wichtig gewesen, am Gericht zu erscheinen, obwohl die Familie nicht als Nebenklägerin zugelassen worden ist. Seine Anwesenheit sei wie ein „atmosphärischer Einschlag“ im Gerichtssaal gewesen, bewertet der Jurist Christian Schliemann vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) den Besuch von Gutiérrez Solana und der Menschenrechtlerin Sofía de Robina vor Gericht.

Angesprochen auf ihre Erwartungen in Hinblick auf den bevorstehenden Regierungswechsel in Mexiko äußert Sofía de Robina vom mexikanischen Menschenrechtszentrum Miguel Agustín Pro Juárez A.C. die Hoffnung, dass die von Andrés Manuel López Obrador angekündigte Wahrheitskommission endlich Licht ins Dunkel des Falles bringt und ihre Arbeit endlich Aufwind erhält. Das Thema müsse den verantwortlichen Waffenkonzernen und politischen Gremien solange angekreidet werden, bis sich die Kontrolle von Rüstungsexporten ändere. Nur so könne garantiert werden, dass sich die Ereignisse von Iguala nicht wiederholten. Eine gerichtliche Entscheidung im Fall der ehemaligen Angestellten von Heckler & Koch wird in Stuttgart für den 25. Oktober erwartet.

HECKLER&KOCHS MORDGESCHÄFTE

Der blutige Angriff auf Studenten in der mexikanischen Stadt Iguala wird nun auch die deutsche Justiz beschäftigen. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat im Namen eines der Opfer Akteneinsicht in einem Verfahren gegen den Waffenhersteller Heckler&Koch (H&K) beantragt. „Diese Informationen können den Weg für weitere zivilrechtliche und strafrechtliche Schritte gegen das Unternehmen ebnen“, erklärt Christian Schliemann von der in Berlin ansässige Menschenrechtsorganisation.
Die Oberndorfer Waffenschmiede muss sich wegen des Verstoßes gegen das Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Sie soll illegal Gewehre vom Typ G36 nach Mexiko geliefert haben. Diese Waffen kamen auch bei dem Einsatz gegen die Studenten zum Einsatz. Deshalb soll nun geprüft werden, ob sich H&K der Beihilfe schwerer Straftaten schuldig gemacht hat.
Am 26. September 2014 griffen Polizei und Kriminelle gemeinsam die Lehramtsanwärter im Bundesstaat Guerrero an. Sechs Menschen starben, 43 wurden verschleppt. Bis heute ist unklar, was mit den Verschwundenen passiert ist. Aldo Gutiérrez Solano, den das ECCHR im Auftrag seiner Eltern vertritt, wurde von den Schüssen eines Polizisten in den Kopf getroffen. Seither liegt er im Koma. Laut mexikanischen Ermittlungsakten besaß die Polizei von Iguala 56 der deutschen Gewehre, die nie dorthin hätten geliefert werden dürfen. Kriminaltechnische Untersuchungen bestätigen, dass drei davon dort eingesetzt wurden, wo die Beamt*innen auf Gutiérrez geschossen hatten.
Noch ist nicht bewiesen, dass der junge Mann tatsächlich Opfer von Patronen der G36 geworden ist. Sollte dem so sein, ist sowohl eine Schadensersatzklage als auch ein Strafverfahren wegen der Beihilfe zur schweren Körperverletzung denkbar. Das ECCHR will damit einen Präzedenzfall schaffen. „Wir wollen deutlich machen, dass Verfahren gegen Rüstungsexporteure nicht allein mit Blick auf das Außenwirtschaftsgesetz geführt werden können, sondern die konkreten Auswirkungen in den Empfängerländern zu berücksichtigen sind“, erklärte Schliemann. So könne den Opfern der Gewaltverbrechen in Deutschland zu Gerechtigkeit verholfen werden.
Die Akteneinsicht könnte auch die Ermittlungen in Mexiko unterstützen. Dort werfen Angehörige der Studenten und Menschenrechtsorganisationen den Behörden vor, Informationen zu vertuschen und die Täter nicht konsequent zu verfolgen. Auch für die Schüsse auf Gutiérrez sitzt bislang niemand im Gefängnis. Außer Frage steht jedoch, dass die illegalen Waffen aus dem Schwarzwald weite Verbreitung fanden: 15 der verhafteten Polizist*innen, die in der Nacht ein G36 trugen, wird vorgeworfen, in die organisierte Kriminalität verstrickt zu sein.