ANGRIFF AUF DEN RECHTSSTAAT

Seitdem die CICIG endete, erhöht sich der Druck auf jene Personen und Institutionen, die den Kampf gegen Korruption weiterführen wollen. Um Aufklärung zu verhindern, scheut die politische Elite Guatemalas auch nicht davor zurück, höchstgerichtliche Entscheidungen und damit die rechtsstaatliche Gewaltenteilung zu missachten. So geschehen im Fall der Ombudsstelle für Menschenrechte. Deren Ombudsmann Jordán Rodas hatte wiederholt Rechtsmittel zur Aufrechterhaltung der Arbeit der CICIG eingelegt. Als Konsequenz beschloss der Kongress nun mit einfacher Verfügung und während des laufenden Jahres, das Budget der Ombudsstelle um umgerechnet fast 3 Millionen Euro zu kürzen. Laut einem Urteil des Obersten Gerichts eine rechtswidrige Entscheidung, trotzdem gab das Finanzministerium die Summe nicht frei.
Die Angst vor den Ermittlungsergebnissen der CICIG ist groß und treibt nicht nur Präsident Morales um. Ende September leiteten der Präsident des Kongresses, Álvaro Arzú Escobar und sein Vize Felipe Alejos – beide der Korruption bezichtig – die Einsetzung einer Kommission ein, welche Einblick in alle Dokumente verlangt, in denen die CICIG und die Generalstaatsanwaltschaft kriminelle Strukturen innerhalb staatlicher Institutionen identifiziert hatte.

Abgeordnete wollen sich Richter*innen aussuchen, die künftig Recht über sie sprechen könnten


Der Abgeordnete Felipe Alejos forderte in einem emotionalen Medienauftritt die strafrechtliche Verfolgung der ehemaligen nationalen und internationalen Mitarbeitenden der CICIG sowie all jener, die den Kampf gegen die Korruption unterstützt hatten. Explizit nannte er dabei die Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit FECI und Vertreter*innen der Justiz. Der ehemalige Leiter der CICIG und Träger des alternativen Nobelpreises Iván Velásquez Gómez twitterte: „Es ist Angst, die Notwendigkeit, sich Straflosigkeit zu verschaffen“.
Obwohl das Verfassungsgericht Anfang Oktober einer Klage der Generalstaatsanwaltschaft statt gab und urteilte, die Kommission müsse ihre Arbeit einstellen, da ihr Agieren die Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung gefährde, fuhr die Kommission fort.
Ein weiterer Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit betrifft das Auswahlverfahren für die Richter*innen des Verwaltungsgerichtes und zweitinstanzlicher Gerichte. Dem Urteil des Verfassungsgerichts, die Auswahl zu wiederholen, kommt der Kongress nicht nach. Zahlreiche Mitglieder des Kongresses haben ein dringendes Bedürfnis, auf diesem Wege jene Richter*innen zu bestimmen, die am Ende ihrer Amtszeit – und damit ihrer Immunität – über sie als mögliche Angeklagte in Korruptionsfällen entscheiden werden.

Der Korruption bezichtigte Personen wurden vor ihrer geplanten Inhaftierung gewarnt


Bereits in der Endphase des Wirkens der CICIG wurden wieder Lecks in den staatlichen Rechts- und Sicherheitssystemen sichtbar. Außerdem wurden der Korruption bezichtigte Personen vor ihrer geplanten Inhaftierung gewarnt. Nun werden auch Vorfälle innerhalb jener Gerichtshöfe bekannt, die mit den Korruptionsfällen betraut sind. So fand am ersten Oktoberwochenende die Verhaftung einer Gerichtsmitarbeiterin statt, die beschuldigt wird, Originaldokumente aus den Akten jener Korruptionsfälle entwendet zu haben, die von der Richterin Érika Aifán bearbeitet werden. Nach der Freilassung ihrer Mitarbeiterin sagte sie die Anhörungen in fünf großen Korruptionsfällen ab und berichtete von einem Boykott der Antikorruptionsarbeit am Gerichtshof. Andere Richter*innen, die mit ähnlichen Fällen konfrontiert sind, drückten ihre Solidarität aus und forderten „die Unterstützung durch das Verwaltungsgericht, klare und direkte Äußerungen der Unterstützung und die Verurteilung von Angriffen auf Institutionen der Justiz und insbesondere auf die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz.“
Für 2020 sieht der Kongress Budgetkürzungen der Justiz vor, dies betrifft auch den Kampf gegen Drogenmafias. Zahlreiche offene Korruptionsfälle verweisen auf eine enge Zusammenarbeit zwischen politischen Parteien, Regierungsmitgliedern und dem organisierten Verbrechen.
Dennoch ist, im Gegensatz zu den zahlreichen großen Demonstrationen von 2015 bis 2017, aktuell nur wenig Protest aus der Bevölkerung sichtbar. Die Frustration über die Folgen des 2015 groß gefeierten Sturzes von Präsident Otto Pérez Molina, eine fehlende Perspektive auf politischer Ebene, zermürbende Rechtsstreitigkeiten und die Erkenntnis, dass Demonstrationen alleine die Situation nicht tiefgreifend verändern werden, führen zu einem Stillstand. Nur in den sozialen Medien war Protest zu sehen. Als die Bäckereikette San Martín eine Unterschriftenliste auflegte, um die Ablösung des Ombudsmannes für Menschenrechte Jordán Rodas zu fordern, verbreitete sich der Slogan „Jordán ist wichtiger als dein Brot“ in Windeseile.

In 22 Munizipien wurde der Ausnahmezustand verhängt


Die letzten drei Monate der Regierung Morales versprechen wohl weitere Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit, und auch wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem zukünftigen Präsidenten Alejandro Giammattei immer wieder sichtbar werden, so gibt es doch auch für die Zeit danach keine Signale des politischen Willens für die Stärkung einer unabhängigen Justiz.
Der Konflikt zwischen Exekutive und Judikative verschärft sich. Die systematische Missachtung höchstgerichtlicher Entscheide kommt einem versuchten Staatsstreich gleich, mit dem die Regierung die Gewaltenteilung außer Kraft setzt, um autoritär zu herrschen.
Das autoritäre Verhalten der Regierung zeigte sich im September auch an dem verhängten Ausnahmezustand für 22 Munizipien im Nordosten des Landes. Dem vorausgegangen war die Ermordung von drei Soldaten in der Stadt El Estor unter bis heute nicht geklärten Umständen. Morales beschuldigte „Pseudomenschenrechtsverteidiger und Drogenhändler“ der Tat. In seiner Ansprache vor der UN Generalversammlung Ende September kündigte der Präsident an, dem UN Hochkommissariat für Menschenrechte den Zugang zu El Estor und die Beteiligung an Untersuchungen der Vorfälle nicht zu gestatten. Inzwischen wurde eine Verlängerung des Ausnahmezustands in der Region sowie in den Munizipien Nahualá und Ixtahuacán vom Kongress bestätigt. Morales machte keinen Hehl daraus, dass er den Ausnahmezustand und die damit verbundene Einschränkung der Grundrechte und erhöhte Militärpräsenz auch ohne solch eine Zustimmung verlängert hätte. Weil sich dort Minenprojekte und Plantagen zur Produktion von Palmöl befinden, schlussfolgert die unabhängige Nachrichtenseite Nómada, dass der Ausnahmezustand vor allem dazu diene, Proteste gegen Landenteignungen und Umweltzerstörungen zu unterdrücken.

 

SOUVERÄNE KORRUPTION

Unterstützung für die CICIG: 2018 auf einer Kundgebung in Guatemala-Stadt (Foto: Nis Melbye)

Die Unbeliebtheit der Kommission zur Bekämpfung der Straflosigkeit (CICIG) bei Guatemalas Regierung und Eliten kommt nicht von ungefähr. Nach eigenen Angaben hat die CICIG bereits 60 kriminelle Netzwerke aufgelöst und war an Verfahren gegen rund 680 Personen beteiligt, von denen bisher 310 verurteilt wurden. Die Gründung der CICIG war eine Reaktion auf die Politik der sozialen Säuberungen, die darin bestand, dass die Kriminalpolizei nicht mehr selbst ermittelte, sondern auf der Grundlage von Untersuchungen des militärischen Geheimdienstes unmittelbar vollstreckte. Viele vermeintliche Kriminelle wurden nicht vor Gericht gestellt, sondern gefoltert und anschließend getötet. Den extralegalen Hinrichtungen fielen im Februar 2007 sogar Abgeordnete des Parlaments aus El Salvador zum Opfer, während sie sich für einen Arbeitsaufenthalt in Guatemala befanden. Bei den Abgeordneten der rechten Partei ARENA hatten die Beamten Drogen oder Drogengeld vermutet.

Die internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (CICIG) nahm 2007 als Institution der Vereinten Nationen (VN) ihre Arbeit auf und arbeitet in erster Linie zur Aufdeckung illegaler Sicherheitsapparate innerhalb staatlicher Strukturen, die Ermittlungen decken vielfach Verstrickungen zwischen den politischen Eliten und der organisierten Kriminalität auf. Die CICIG unterstützt seitdem die Arbeit der FECI, einer Abteilung der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Straflosigkeit. Die FECI führt gemeinsam mit der CICIG die Ermittlungen und Vertritt vor Gericht die Anklage.

Demonstration in Berlin im Januar 2019: Deutschland gehört zu den Geberländern für die die CICIG (Foto: Andrea Ruíz)

Als derzeitiger Leiter der CICIG wurde Iván Vélasquez in Guatemala zu einem Symbol für die Bekämpfung der Korruption (Interview in der LN 529/530). Unter keinem ihrer bisherigen Chefs war die CICIG so erfolgreich wie unter dem Kolumbianer. Vélasquez hatte bereits zuvor in seinem Heimatland als Staatsanwalt ein Netzwerk von Kongressabgeordneten und Paramilitärs, auch bekannt als „Parapolítica“, aufgedeckt. Er war also bestens vorbereitet auf die in Guatemala anzutreffenden kriminellen Strukturen.

Eines der vielen Verfahren richtet sich gegen den Amtsvorgänger des gegenwärtigen Präsidenten Guatemalas, der ein Netzwerk zur systematischen Veruntreuung von Zolleinnahmen betrieben haben soll. Angeklagte sind Otto Pérez Molina und dessen ehemalige Vizepräsidentin Roxana Baldetti in dem „La Línea“ genannten Fall. Seit Molina 2015 nach anhaltenden Protesten als Präsident zurücktrat, befindet er sich in Untersuchungshaft.
Das Mandat der CICIG wurde bisher alle zwei Jahre erneuert. Noch zu Beginn seiner Amtszeit hatte der frisch gewählte Präsident Morales geäußert, dass die CICIG einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Korruption leiste und die Regierung das Mandat um zwei weitere Jahre bis September 2019 verlängert.

Morales änderte seine Einstellung gegenüber der CICIG als im August 2017 bekannt wurde, dass die CICIG und die FECI ein Verfahren gegen ihn wegen illegaler Wahlkampffinanzierung eingeleitet hatten und nun die Aufhebung der Immunität des Präsidenten beantragten.

Zudem wurden Verfahren gegen dessen Sohn und Bruder eingeleitet, weil sie und 20 weitere Beschuldigte mittels Scheinbeschäftigungen und falscher Rechnungen, sich an den Kassen des Grundbuchamtes bereichert haben sollen.

Viele Abgeordnete wechseln nach Wahlen die Partei

Morales reagierte prompt und erklärte Vélasquez zur „persona non grata“. Eine Ausweisung des Leiters der CICIG wurde jedoch durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts verhindert.

Nachdem der guatemaltekische Kongress gegen die Aufhebung der Immunität des Präsidenten stimmte, versuchte dieser mit der Hilfe seiner Amtskontakte, von der Presse „Pakt der Korrupten“ genannt, Änderungen an Gesetzen vorzunehmen und seinem Strafverfahren wegen illegaler Wahlkampffinanzierung und weiterer Korruptionsdelikte den Boden zu entziehen. Auf internationalen Druck und nach vielen Protesten konnten die Gesetzesänderungen jedoch abgewendet werden (siehe LN 525). Mittlerweile bestätigten guatemaltekische Unternehmer*innen öffentlich, dass sie den Wahlkampf von Morales heimlich finanziert hatten.

Morales fürchtete damals um sein Image als politisch unverbrauchter Außenseiter, falls bekannt würde, dass sein Wahlkampf von den alten Eliten bezahlt wird. Schließlich war Morales demonstrativ mit dem Slogan „Weder korrupt, noch ein Dieb“ zu den Präsidentschaftswahlen angetreten. Da Morales für die Partei FNC kandidierte, eine dem guatemaltekischen Militär nahestehende und von Ex-Militärs gegründete Partei, lag jedoch schon damals die Vermutung nahe, dass der ehemalige Fernsehkomiker alles andere als ein Garant für Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung ist.

Im August 2017 begann die Regierung unter Morales Druck auf die VN und die Staaten, welche die Arbeit der CICIG finanzieren, auszuüben, um das Mandat zu beenden.

Diese Bemühungen wurden seit Anfang 2018, zunächst anlässlich eines Besuchs von Morales bei Trump im Februar und einer anschließenden Rede vor den VN, intensiviert.

Gegen Morales wird wegen illegaler Wahlkampffinanzierung ermittelt

Kurz darauf versuchte er auch den schwedischen Botschafter des Landes zu verweisen, dessen Regierung zuvor eine weitere Unterstützung der CICIG in Höhe von 9 Millionen US-Dollar zugesagt hatte.

Anschließend wurden erst Polizist*innen, welche die CICIG bei ihren Ermittlungen unterstützten, wenig später auch 20 der insgesamt 45 zur Bewachung der CICIG eingesetzten Beamten abgezogen. Zur Begründung hieß es, die Beamt*innen würden an anderer Stelle dringender benötigt.
Ende August 2018 kündigte Morales an, er werde das Mandat der CICIG nicht verlängern und diese nur noch bis September 2019 dulden. Zeitgleich fuhren Militär-Pickups vor die CICIG, die Büros verschiedener Menschenrechtsorganisationen und die Häuser bekannter Menschenrechtler*innen. Wie so häufig, wenn es für ihn eng wurde, sucht Morales demonstrativ die Nähe zum guatemaltekischen Militär.

Jimmy Morales: Präsident Guatemalas (Foto: Flickr (CC0 1.0))

Der Einsatz des Militärs an diesem Tag spricht eine eindeutige Sprache. Demonstrant*innen stehen nun erstmals seit langem wieder schwer bewaffneten Soldaten gegenüber, zudem verbreiten sich Gerüchte über einen möglichen Putsch. Dass ein Putsch, jedenfalls außenpolitisch, kaum Konsequenzen nach sich ziehen würde, kann Morales bereits seit 2009 im Nachbarland Honduras mitverfolgen.

Kurz bevor im September 2018 das Visum des CICIG-Leiters Velásquez ausläuft, bricht dieser zu einer Dienstreise in die USA auf. Unmittelbar nach dessen Ausreise erklärt die guatemaltekische Regierung, sie werde Velásquez kein neues Visum ausstellen und fordert die VN auf, einen neuen Leiter zu ernennen. Zwar verfügt das Verfassungsgericht in einer Entscheidung, dass die Regierung verpflichtet ist, Velásquez einreisen zu lassen. Doch Morales hatte bereits zuvor angekündigt, Entscheidungen des Verfassungsgerichts zugunsten der CICIG nicht mehr zu respektieren und kündigt damit einen offenen Verfassungsbruch an. Die CICIG wird seitdem von Velásquez aus dem Ausland geleitet.

Ende September tritt Morales erneut vor die VN und fordert die Beendigung des Mandats der CICIG. Diese sei eine Bedrohung für die nationale Sicherheit, weil sie guatemaltekisches Recht verletze und unschuldige Bürger verfolge.

An Intensität gewinnt der Konflikt nochmals, als der ehemalige Innenminister Carlos Vielman (2004–2008) verhaftet wird. Er gehört zur guatemaltekischen Elite und wird für die während seiner Amtszeit praktizierte Politik der „sozialen Säuberungen“ verantwortlich gemacht. Er soll mehrere extralegale Hinrichtungen, etwa an geflohenen Häftlingen im Jahr 2005, zu verantworten haben. Er floh zunächst nach Spanien, wo er in drei Mordfällen angeklagt und anschließend freigesprochen wurde. Nach seiner Rückkehr wurde er in Guatemala wegen der Tötung weiterer Menschen verhaftet. Morales und seine Verbündeten sehen in diesem Verfahren einen Fall politisch motivierter Verfolgung Unschuldiger durch die CICIG und die FECI.

Die CICIG wird von Velásquez aus dem Ausland geleitet

Als auch die Visa weiterer Mitarbeiter der CICIG nicht verlängert werden, landet der kolumbianische CICIG-Ermittler Yilen Osorio Anfang Januar 2019 in Guatemala-Stadt. Dort angekommen, wird ihm die Einreise verweigert und er wird vorübergehend festgenommen. Es folgen chaotische Stunden am Flughafen. Auch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts mit der die Freilassung des Ermittlers angeordnet wird, wird zunächst nicht umgesetzt. Unterdessen sammeln sich Protestierende am Flughafen und fordern die Freilassung des Ermittlers. Erst als die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras androht, gegen das Personal der Einwanderungsbehörde wegen Freiheitsentziehung vorzugehen, wird diesem die Einreise letztlich gestattet.
Am Tag darauf trifft sich die Außenministerin Sandra Jovel mit dem Generalsekretär der VN, António Guterres, und gibt anschließend im Rahmen einer Pressekonferenz bekannt, dass die guatemaltekische Regierung das Mandat der CICIG bereits jetzt beendet. Innerhalb von 24 Stunden müsse das Abkommen beendet werden und die Mitarbeiter der CICIG das Land verlassen.

Am Abend folgt eine Ansprache des Präsidenten Morales an die Nation. In Begleitung seines Kabinetts und vermeintlicher Opfer der CICIG wie dem ehemaligen Minister Vielman, verteidigt Morales das Handeln seiner Regierung. Die CICIG sei eine Gefahr für die nationale und internationale Sicherheit, zudem habe die CICIG die Menschenrechte vieler Guatemaltek*innen und sogar die von Ausländer*innen verletzt, indem sie Unschuldige verfolge und in Untersuchungshaft gebracht habe. Er unterstellt der CICIG, sie verfolge lediglich ihre politischen Gegner*innen, die jedoch keine Straftaten begangen hätten.

Als das Verfassungsgericht das Vorgehen der Regierung für verfassungswidrig erklärt, haben die Ermittler der CICIG bereits das Land verlassen. Es ist die insgesamt sechste Entscheidung des Verfassungsgerichts zugunsten der CICIG, seit Morales deren Leiter zur „persona non grata“ erklärte.
Mit diesen Entscheidungen ist auch das Verfassungsgericht in den Fokus der Kritik geraten.

Morales, der Unternehmerverband CACIF und rechte Gruppen fordern nun die Abschaffung des Verfassungsgerichts, da dieses angeblich selbst gegen die Verfassung verstoße, weil es sich in Angelegenheiten der Außenpolitik einmische, welche von Verfassungs wegen nur der Regierung oblägen.

Es folgten Strafanzeigen gegen die für die Entscheidung verantwortlichen Richter*innen des Verfassungsgerichts, welchen der Oberste Gerichtshof den Weg frei machte, indem es die Aufhebung der Immunität der Richter*innen veranlasste.

Die Geberländer für die CICIG, unter ihnen Deutschland und die USA, drückten in einer gemeinsamen Presseerklärung ihre Besorgnis hinsichtlich der jüngsten Geschehnisse aus, bekräftigten die Wichtigkeit der Verfassungsordnung und forderten den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung zu respektieren.

Die Reaktion der guatemaltekischen Außenministerin Sandra Jovel hierzu fiel recht kurz aus. Es handle sich um eine souveräne Entscheidung des guatemaltekischen Staates, welche die Geberländer respektieren sollten.

Morales ging bei dessen Rede im guatemaltekischen Kongress weiter und geißelte die Einmischung der Geberländer und die Forderung nach einer Bekämpfung der Korruption als eine neue Form des Kolonialismus. Die Welt solle die natürliche Form der guatemaltekischen Politik respektieren. Dass es ausgerechnet die Nachfahren der spanischen Kolonialherren sind, die in Guatemala die Wirtschaft und Politik dominieren, scheint ihn dabei nicht zu irritieren.

Auch in Honduras stößt die Korruptionsbekämpfung auf Widerstand

Die im vergangenen Mai von Morales ernannte Generalstaatsanwältin Consuela Porras zeichnete sich bisher durch ihre Abwesenheit im Konflikt zwischen der Regierung und der CICIG aus. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Thelma Aldana, welche den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Korruptionsbekämpfung legte und dafür – wie Velásquez – 2018 den Alternativen Nobelpreises erhielt.

Doch nicht nur in Guatemala stößt die Korruptionsbekämpfung auf Widerstand. Auch in Honduras trifft die Unterstützungskommission gegen Korruption und Straflosigkeit (MACCIH) der VN auf einen Kongress, der sich gegenseitig die Aufrechterhaltung der Immunität sichert. Honduras, in dem die organisierte Zivilgesellschaft ohnehin unter Druck steht und die Repression gegen diese bereits auf einem deutlich höheren Niveau als in Guatemala erfolgt, könnte nun dem Beispiel Guatemalas folgen, wenn sich abzeichnet, dass eine Aufkündigung des Abkommens folgenlos bleibt.
In El Salvador hingegen, wo insbesondere die USA auf einen Ausbau der nationalen Strafverfolgungsorgane setzen, gelang im vergangenen Jahr die Verurteilung des Ex-Präsident Antonio Saca zu zehn Jahren Haft wegen Korruption.

CODECA: Die Landarbeiterorganisation gründet die neue Partei MLP (Foto: Nis Melbye)

Seit Anfang 2018 verzeichnen Menschenrechtsorganisationen in Guatemala wieder einen Anstieg der gezielten Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen und Gewerkschafter*innen. Mindestens 23 Morde sollen es im Jahr 2018 gewesen sein. Der Ausblick für das Wahljahr 2019 verspricht keine Wendung zum Besseren. Vor den Wahlen im September ist vielmehr damit zu rechnen, dass sich die Konflikte noch verschärfen. Zumal die FECI nach dem Verweis der CICIG ohne deren Unterstützung zurückbleibt. Ob die FECI ohne diese Unterstützung dem politischen Druck standhalten kann, ist fraglich.

Die etablierten Parteien bieten jedenfalls keinen Anlass zur Hoffnung, dass es es bei der Wahl eine*n Kandidat*in geben wird, welche*r sich der Korruption im Land entgegen stellt.

In Guatemala, wo etwa 60 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, die Bildung gerade in den ländlichen Regionen auf das Nötigste beschränkt ist und der Wahlkampf der Abgeordneten zum großen Teil darin besteht, Saatgut oder Pestizide im Gegenzug für Stimmen zu verteilen, gibt es selten positive Überraschungen. Auch wechselt üblicherweise ein nicht geringer Teil der Abgeordneten unmittelbar nach der Wahl die Partei, so dass das spätere Kräfteverhältnis im Kongress häufig nicht den Wahlergebnissen entspricht.

Lediglich die Landarbeiterorganisation CODECA mit ihrer neu gegründeten Partei MLP (Befreiung der Völker), welche dieses Jahr zur Wahl antreten will, könnte eine Alternative darstellen. Doch selbst wenn sich die MLP durchsetzen sollte, gibt es keine Garantie, dass die Abgeordneten der bestehenden Korruption etwas entgegensetzen können.

 

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