„DIE PROGRESSIVEN KRÄFTE HINTER EINEM PROJEKT VERSAMMELN”

Indigene Kämpfe verbinden Mural im Centro de Derechos Humanos Miguel Agustín Pro Juárez in Mexiko-Stadt (Foto: Claudia Fix)

Nach mehreren Korruptionsskandalen gab es diesen Sommer große Proteste in Guatemala. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Die Proteste wurden durch das korrupte Vorgehen des Staates ausgelöst, der sich nur um das Wohl der mächtigen Gesellschaftsgruppen sorgt, die die Wirtschaft und Politik in diesem Land bestimmen. Die Regierung nahm nur noch Kredite auf, um die Wirtschaftsinteressen und Bedürfnisse der Regierenden und ihrer Unternehmen zu bedienen. Ein anderer Grund ist das schlechte Krisenmanagement in der Pandemie. Es gibt noch einen unaufgeklärten Fall um die Investitionen, die in Impfstoffe für das Land geflossen sind. Die Demonstrationen sind Ausdruck des Widerstands der kämpfenden Bevölkerung und der Ablehnung eines Staates, der historisch bedingt die indigenen Gemeinschaften ausschließt. Die Ausgrenzung, Ausbeutung und Unterwerfung dieser Bevölkerungsgruppen sind etwas, das seit der Kolonisation stattfindet.

In den letzten Jahren wurden in Guatemala korrupte Strukturen abgebaut, aber im Moment wird versucht, die Institution, die für die Verfolgung von Korruption zuständig ist (die Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit, Anm. d. Red.), zu demontieren. Als die Entlassung von Juan Francisco Sandoval, dem leitenden Staatsanwalt dieser Institution, bekannt wurde, begannen sich die Demonstrationen in den verschiedenen Sektoren zu verstärken.

Könnten Sie uns etwas mehr von Ihrer Organisation, dem Rat der Maya-Bevölkerung (CPO), erzählen, und welche Rolle dieser im plurinationalen Streik vom 29. Juli 2021 gespielt hat?
Der CPO ist ungefähr 2005 entstanden, im Zusammenhang mit den Kämpfen zur Verteidigung unserer Gebiete und der Entwicklung der Konsultationen auf Ebene der Gemeinschaften. Bis jetzt wurden im gesamten Land etwa 80 Konsultationen durchgeführt, um die Rechte der indigenen Gemeinschaften auf ihr Land einzufordern. Das ist nötig, weil die transnationalen Unternehmen – sei es Bergbau, Wasserkraft oder monokulturelle Landwirtschaft – ohne Einverständnis in die Gebiete der indigenen Gemeinschaften vordringen. Wir verstehen uns als politische Bewegung, mit der wir die Maya-Bevölkerung vertreten und die Konstruktion einer neuen Staatsform für Guatemala vorantreiben. Der CPO hat die Leute auch dazu aufgefordert, den unterschiedlichen Demonstrationsaufrufen der indigenen Gemeinschaften und den sozialen Bewegungen zu folgen. Der 29. Juli war ein besonders starker Ausdruck dafür. Die Demonstrationen zeugen vom Widerstand und vom Kampf der indigenen Gemeinschaften, aber auch von der Ablehnung dieses rassistischen Staates.

Bei unserer Strategie geht es jedoch nicht nur um Proteste, sondern um ein politisches Projekt für einen tiefgreifenden Wandel. Wir versuchen dabei immer, so nah wie möglich an den Gemeinschaftsorganisationen zu sein und ihnen eine Stimme zu verleihen. Wir machen auch Fortschritte bei der politischen Bildung, damit der Vorschlag zur Veränderung des Landes in den Gemeinschaften ankommt. Wir versuchen, eine Kraft nicht nur auf der Straße, sondern auch aus den Gemeinschaften heraus zu entwickeln.

Wir setzen uns für einen Pakt der Einheit unter den verschiedenen Bewegungen und Sektoren ein, um ein gemeinsames Projekt voranzutreiben. Das ist sehr schwierig, weil die Bewegungen noch in der Phase des Widerstands verharren, ohne die nächste Stufe zu erreichen. Aber es ist notwendig, ein neues Staatsmodell für Guatemala aufzubauen und glücklicherweise haben schon einige Bewegungen den Vorschlag eines plurinationalen Staates für sich angenommen. Das ist etwas Neues, sich nicht einfach nur zu beschweren, sondern Vorschläge zu machen.

Wie sieht die aktuelle Situation der Maya-Bevölkerung in Guatemala aus?
Seit der Staatsgründung 1524 und der Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1821 haben die indigenen Gemeinschaften nicht an der Gestaltung des Staates teilgenommen, wir sind nicht in den Regierungsstrukturen repräsentiert und können nicht über unsere Gegenwart oder Zukunft bestimmen. Wenn man sich das Parlament anschaut, so gibt es dort zwar einige Indigene, aber sie vertreten die Interessen der politischen Parteien, die von der Oligarchie gesteuert werden.

Wenn wir von Rassismus sprechen, sehen wir vier Formen der Enteignung. Während der Kolonisation wurde die Bevölkerung ihres Landes beraubt. Später, in der Phase liberaler Regierungen, als der Staat das gemeinsame Land unserer indigenen Gemeinschaften aufteilte und an Großgrundbesitzer und Unternehmer verteilte, wurden wir versklavt und zur Arbeit in den Kaffee- oder Baumwollplantagen gezwungen. Während des bewaffneten Konflikts fand die dritte Enteignung statt, als alle indigenen Gemeinschaften als Kommunisten und guerilleros gebrandmarkt wurden und man sie vertrieben und umgebracht hat. Ganze Gemeinden wurden ausgelöscht oder mussten Zuflucht in Mexiko oder an anderen Orten suchen. Als sie zurückkehrten, war ihr Land von hohen Funktionsträgern der Regierung oder dem Militär in Besitz genommen worden. Heute haben sich z.B. in Cobán, Petén oder Izabal schrittweise ehemalige Funktionäre der Regierung, des Militärs oder sogar des Drogenhandels diese Orte angeeignet. Die vierte Enteignung ist die derzeitige Durchsetzung des extraktivistischen Modells in unseren Gebieten. Es wird Bergbau betrieben, Erdöl gefördert oder es werden Wasserkraftwerke an den Flüssen im Gebiet der Gemeinschaften gebaut und später verkaufen sie uns den Strom zu überhöhten Preisen. Diese Projekte werden ohne die Zustimmung der indigenen Gemeinschaften umgesetzt. Dies stellt eine Verletzung ihrer kollektiven Rechte dar, zu denen unter anderem das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Konsultation gehören. Es hat aber auch andere Auswirkungen, wie zum Beispiel das Fehlen von Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnraum oder Infrastruktur. Dies zeigt, dass wir in einem Land leben, in dem die indigenen Gemeinschaften nicht über ihr eigenes Leben bestimmen können.

Der CPO strebt einen plurinationalen Staat an. Was bedeutet dieses Konzept für Guatemala?
Seit der Gründung des CPO nehmen wir uns die Schaffung eines neuen inklusiven Staates vor, denn wir sind vier Bevölkerungsgruppen in Guatemala: Maya, Xinca, Garífuna und Mestizo. Es ist also nicht nur ein indigenes Projekt oder ausschließlich für uns Maya. Wir schöpfen aus den Erfahrungen unserer eigenen Gemeinschaften, so gibt es zum Beispiel die Maya K’iche’ und Kaqchikel, die ihr Land gemeinschaftlich verwalten. Dies zeigt, dass es durchaus möglich ist, in Richtung einer plurinationalen Kultur weiterzukommen. Auch in anderen Ländern Lateinamerikas wie Bolivien oder Ecuador gibt es dazu Beispiele, sogar in Europa existieren Vorläufer dieses Modells. Wir bauen hier in Guatemala darauf auf, indem wir vier Veränderungen in Betracht ziehen, die berücksichtigt werden müssen. Wir nennen sie die vier Pakte, die notwendig sind, um auf dem Weg zu einem plurinationalen Staat voranzukommen.

Der erste Pakt ist ein politischer. In der neuen plurinationalen Verfassung wollen wir unsere kommunitäre Demokratie festschreiben, die in der Vergangenheit ignoriert wurde. Heute werden die Entscheidungen in den Regierungsstrukturen getroffen und in die Gemeindschaften getragen. Wir wollen diesen Prozess umkehren, denn unsere Gemeindschaften werden durch Gemeinschaftsversammlungen, Konsultationen und Konsensentscheidungen organisiert.

Wir möchten die Wahlgesetzgebung verbessern, damit im Parlament die vier Bevölkerungsgruppen proportional vertreten sind. Wir schlagen zwei Arten für die Wahl der Abgeordneten vor: einerseits über das offizielle politische System und andererseits aus der eigenen Dynamik der indigenen Gemeinschaften und ihrer Versammlungen heraus, das heißt, dass die indigenen Gemeinschaften ihre Abgeordneten frei und selbstbestimmt wählen können.

Der zweite Pakt ist wirtschaftlicher Natur. Das Hauptziel der Wirtschaft muss das buen vivir der indigenen Gemeinschaften sein, in Mam nennen wir es Tb’anel Chwinqel und in K’iche’ Utz K’aslemal. Alle Gruppen, mit denen wir hier zusammenleben, verfolgen diesen gemeinsamen Horizont des buen vivir im Sinne eines erfüllten Lebens im Einklang mit der Natur und dem Universum.

Im Moment jedoch wird eine vom Markt regulierte Wirtschaftsordnung durchgesetzt. Wir aber wollen, dass sie durch die Gemeinschaft bestimmt und reguliert wird. Das bedeutet, dass die Gesetze im Land geändert werden müssen, damit Transparenz bei der Verwaltung der Einnahmen des Landes herrscht und nicht alles in den Taschen der Unternehmen und Korrupten landet, so wie es jetzt ist. Wir wollen auch, dass natürliche und soziale Gemeingüter wie Energie, Wälder und Flüsse in öffentlichen Besitz übergehen, dem Nutzen der Mehrheit dienen und nicht privatisiert und von transnationalen Unternehmen kontrolliert werden.

Der dritte Pakt ist die Kultur. Wir müssen eine plurinationale Kultur anstoßen. Die Bildung, die wir im Moment haben, ist darauf ausgerichtet, das System zu erhalten. Zentral für unseren Ansatz ist aber die Dekolonisierung des Denkens, um eine Kultur des Miteinanders, der Harmonie, der Produktivität und politischen Partizipation von Männern und Frauen anzustoßen.

Der letzte Pakt betrifft die Gerechtigkeit. Die Justiz muss die Systeme der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zur Rechtsprechung und Autoritätsausübung gleichberechtigt anerkennen. Wir wollen, dass diese juristische Pluralität anerkannt wird. Die indigene Justiz ist versöhnlich, sie verfolgt, kriminalisiert, tötet oder bestraft die Betroffenen nicht. Sie ist vor Allem nicht nur eine Justiz zur Konfliktlösung, sondern eine soziale Rechtsprechung, die Bildung, Gesundheit, den Lebensraum und alles, was mit dem buen vivir der indigenen Gemeinschaften zu tun hat, berücksichtigt.

Das sind die vier Elemente, auf denen ein plurinationaler Staat aufgebaut ist. Um sie zu erreichen, wollen wir nicht die bestehende ausgrenzende Verfassung flicken, sondern schlagen eine plurinationale verfassungsgebende Versammlung vor. Dafür brauchen wir Stimmen im Parlament und das heißt, wir müssen die indigenen Gemeinschaften als politische Kraft in den Kongress bringen und diese müssen sich sehr klar über unser Projekt sein. Von dort aus kann die Gesetzgebung zu den Wahlen und den politischen Parteien verändert werden, um den Weg für die plurinationale verfassungsgebende Versammlung zu ebnen.

Guatemala hat einen hohen Anteil indigener Bevölkerung. Diese scheint aber noch weit davon entfernt, eine ähnliche politische Kraft zu sein wie in Bolivien oder Ecuador. Was fehlt?
Es gibt eine bedauernswerte Situation, die das Resultat von vielen Jahren ideologischer Unterwerfung der indigenen Gemeinschaften ist. Die Regierung benutzt eine Vielzahl von Strategien, um über Gesetze, Institutionen und Akteure wie Armee, Polizei, Medien oder den Parteien einen Belagerungs- oder Ausnahmezustand aufrecht zu erhalten. Damit dämpfen sie die Forderungen der indigenen Gemeinschaften und haben die Gesellschaft zersplittert.

Es gibt keine Einheit, keine gefestigte Stimme, weder der Organisationen selbst, noch der Autoritätspersonen der Gemeindschaften und Studierenden-, Frauen-, Jugend-, Indigenen- und Bauernbewegungen. All diese lebendigen Kräfte im Land sind sehr zersplittert und auf politische Parteien ausgerichtet. Sie äußern sich nur bei speziellen Anlässen, wie jetzt gerade zum Thema Korruption. Darüber hinaus hat der Staat die Gemeindschaften mit seinen Akteuren infiltriert, die deren Führungspersonen durch kleine Geschenke oder Projekte gefügig machen. Eine historische Strategie ist es auch, die Führungspersonen zu kriminalisieren, sie zu verfolgen und durch spezielle Gesetze zum Schweigen zu bringen. Es gibt ein Gesetz, das den freien Zusammenschluss von Gemeinschaften und sozialen Organisationen verbietet. Und dann gibt es Strukturen wie die Stiftung gegen den Terrorismus, die indigene Gemeinschaften als Terroristen und Kriminelle abstempelt, wenn sie ihre Rechte einfordern oder auf die Straße gehen, um zu demonstrieren.

Hinzu kommt, dass die Linke in Guatemala sehr arm ist, insofern als ihr Ansatz ein rein politisches Projekt war und sich nicht auf das Wohl des Landes bezog. Die große Herausforderung hier ist, die progressiven Kräfte und die der indigenen Gemeinschaften zu organisieren und gemeinsam hinter einem transformativen Projekt zu versammeln. Das bedeutet auch, die traditionellen rechten Parteien nicht weiter zu unterstützen, die uns alle vier Jahre aufs Neue betrügen. Es gibt ein großes Potential innerhalb der indigenen Gemeinschaften, aber wir haben keine Stimme. Deshalb möchte ich eine Botschaft, einen Aufruf an alle Bewegungen der indigenen Gemeinschaften und die sozialen Bewegungen in Guatemala senden und sie einladen, diesen Weg gemeinsam weiterzugehen. Aber vor allem einvernehmliche Kriterien für das politische Projekt des Landes zu vereinbaren und natürlich mit allen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, denn nur so können wir endlich vorankommen.


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„EL RETO ES QUE LAS FUERZAS DE LOS PUEBLOS SE ARTICULEN”

Conectar luchas indígenas Mural en el Centro de Derechos Humanos Miguel Agustín Pro Juárez en la Ciudad de México (Foto: Claudia Fix)

 

Este verano, después de varios escándalos de corrupción, Guatemala ha visto grandes protestas. ¿Cómo evalúa la situación?
Estas manifestaciones comenzaron por el comportamiento corrupto del Estado que sólo busca el beneficio de los sectores poderosos que han manejado la economía y la política en el país. El gobierno empezó a solicitar préstamos sólo para servir los intereses empresariales y de los gobernantes para sus negocios. Otra razón es el mal manejo de la pandemia. Hay todo un caso que aún no se resuelve, alrededor de todas las inversiones que ha habido en las vacunas para el país.

Las manifestaciones son la muestra de la resistencia y de la lucha de los pueblos, y del rechazo a este Estado que ha excluido históricamente a los pueblos indígenas. Las exclusiones, los despojos, los sometimientos de los pueblos se vienen dando desde la época de la invasión.

En los últimos años en Guatemala se habían desmantelado estructuras corruptas. Pero en la actualidad quieren desmantelar una institución que persigue la corrupción (la Fiscalía Especial Contra la Impunidad, nota de redacción). Cuando se da la destitución de Juan Francisco Sandoval, el fiscal al frente de esta institución, es cuando empiezan a fortalecerse las manifestaciones en los distintos sectores.

¿Nos puede hablar de su organización, el Consejo del Pueblo Maya (CPO), y del papel que jugó en el paro plurinacional el 29 de julio?
Como CPO surgimos más o menos en el año 2005 a partir de la lucha y defensa por los territorios y el desarrollo de las consultas comunitarias. Por el momento se han realizado alrededor de unas 80 consultas en todo el país para reivindicar los derechos de los pueblos sobre sus territorios; esto porque las transnacionales llámese mineras, hidroeléctricas y monocultivos están invadiendo los pueblos sin su consentimiento y en este ejercicio surgimos nosotros como CPO. Nos consideramos como un movimiento político que articulamos el pueblo Maya y promovemos la construcción de un nuevo Estado para Guatemala.

Hicimos un llamado a las poblaciones para sumarse a las diferentes convocatorias de diferentes estructuras de pueblos y de movimientos sociales. El 29 del julio fue el caso más emblemático. Las manifestaciones dan cuenta de la resistencia y la lucha de los pueblos, pero también del rechazo a este Estado racista.

¿Cómo es la situación actual de los pueblos Mayas en Guatemala?
Desde que se fundó el Estado en 1524 y se consolidó en 1821, los pueblos no participamos en este Estado, no tenemos representación en las estructuras gubernamentales, no decidimos sobre el presente y el futuro de nuestros pueblos y generaciones. Si vemos el Congreso de la República hay representación civil y hay algunos indígenas, pero representan los intereses de los partidos políticos, que son dirigidos por la oligarquía. También cuando hablamos de racismo, nosotros vemos cuatro grandes despojos.

Cuando se da la invasión, despojan a los pueblos de sus territorios. Luego en la época liberal cuando el gobierno reparte tierras comunales de nuestros pueblos a terratenientes y empresarios, se esclaviza a las poblaciones para el trabajo forzado en el cafetal, o en las algodoneras. En el conflicto armado pasa el tercer despojo, porque denuncian a todos los pueblos como comunistas, como guerrilleros, los desplazan y los eliminan. Hay comunidades completas eliminadas y que se van buscando refugio a México y a otros lugares. Cuando regresan a su tierras, están ocupados por altos funcionarios de gobierno o por el ejército. Sucesivamente hoy en Cobán, en Petén, en Izabal, ex funcionarios del gobierno, del ejército e incluso del narcotráfico ocupan estos lugares. El cuarto despojo es la actual imposición del modelo extractivista en nuestros territorios. Se instalan mineras, la extracción del petróleo o las hidoeléctricas que son impuestas en los ríos que cuidan los pueblos y luego nos venden la energía a precios muy altos. Esos son los proyectos que se están imponiendo sin respetar el consentimiento de los pueblos. Esto es una violación de los derechos colectivos de los pueblos que son, entre otros, la libre determinación y el derecho a la consulta, pero también tiene más implicaciones: la falta de salud, de educación, de vivienda, de carretera, de todo eso. Esto demuestra que vivimos en un país en el que los pueblos indígenas no son protagonistas de su vivir.

¿Cómo se unen los diferentes sectores de la sociedad en las protestas?
Hay una situación lamentable. El gobierno mantiene una diversidad de estrategias a través de las mimas leyes y de la institucionalidad y sus operadores como el ejército, la policía, los medios de comunicación y los partidos políticos, de imponer un estado de sitio, de prevención o de emergencia para ir bajándole volumen a las reivindicaciones de los pueblos. Así han fragmentado a la sociedad.

Hay movimientos de estudiantes, mujeres, jóvenes, pueblos indígenas, campesinos, pero aún no hay una unidad, no hay una articulación solida de estos movimientos. Únicamente se articulan a partir de coyunturas como sucedió recientemente, alrededor del tema de la corrupción. Además el Estado tiene infiltrados en las comunidades sus operadores, quienes a partir de ofrecimientos de pequeños regalos o proyectos callan a los liderazgos. La estrategia histórica ha sido criminalizar a los liderazgos, perseguirlos, silenciarlos a partir de las propias leyes. Hay una ley que no permite la asociación libre de las comunidades y de las organizaciones sociales y su articulación. Asimismo, hay estructuras como la Fundación Contra el Terrorismo que califican a los pueblos de terroristas y de criminales cuando estos reivindican derechos o salen a las calles a manifestarse.

¿Tienen estrategias como movimiento para responder a estas medidas?
Como CPO, nuestra estrategia no solamente son las manifestaciones, sino que apostamos a un proyecto político de transformación más profunda. Nuestra estrategia es estar muy cerca de las organizaciones comunitarias y articularlas. También avanzamos en formación política para que la propuesta de cambiar el país llegue hasta las comunidades. Lo que tratamos es de crear una fuerza desde la comunidad y no solamente una fuerza en las calles.

¿Cómo ve las protestas recientes en comparación con otras protestas de los últimos años?
Por un lado, hoy existe la necesidad de construir alianzas. Nosotros como CPO estamos promoviendo un pacto de unidad entre los distintos movimientos y sectores para impulsar un solo proyecto para los pueblos. Es muy complejo ya que los movimientos se han quedado rezagados en la resistencia, sin avanzar a otro nivel. Por otro lado, existe la necesidad de construir un nuevo Estado para Guatemala y afortunadamente diferentes movimientos han ido abrazando el planteamiento del Estado plurinacional. Creemos que esa parte es lo novedoso, no quedarse solamente en la queja, sino que también en la propuesta.

¿Qué significa el concepto de Estado plurinacional para Guatemala?
Desde que se creo el CPO nos planteamos la construcción de un nuevo Estado incluyente porque en Guatemala convivimos cuatro pueblos: los pueblos Maya, Xinca, Garífuna y Mestizo. O sea, este proyecto no es sólo para el pueblo Maya, no es indigenista. Partimos desde las experiencias propias de nuestros pueblos. Hay pueblos como el pueblo Maya K’iche’ y Kaqchikel que están cogobernando sus territorios, por muy pequeños que sean. Está demostrado que sí se puede avanzar en una cultura plurinacional. Además hay referencias de Latinoamérica como en Bolivia o Ecuador, incluso hay antecedentes de este modelo de Estado en Europa. Nosotros lo estamos consolidando a partir de nuestro propio contexto como Guatemala, considerando cuatro cambios que hay que consensuar que hemos llamado los cuatro pactos necesarios para avanzar hacia un Estado plurinacional.

El primer pacto es político. En la nueva constitución plurinacional queremos incluir la democracia comunitaria que ha sido desconocida históricamente. Ahora las decisiones vienen desde las estructuras de gobierno y van hacia las comunidades y nosotros queremos revertir esta situación porque nuestras comunidades funcionan a través de las asambleas comunitarias, de las consultas y de los consensos que se dan. Queremos mejorar la ley electoral para que en el congreso estén representados los cuatro pueblos de manera proporcional. Planteamos dos maneras de elegir congresistas: desde el sistema político oficial y desde la propia dinámica de los pueblos a partir de las asambleas, o sea, que los pueblos en ejercicio de su libre determinación puedan elegir congresistas.

El segundo pacto es económico. La economía tiene que tener como centro el buen vivir de los pueblos que nosotros le llamamos el Tb’anel Chwinqel en Mam, o el Utz K’aslemal en K’iche’. Todos los pueblos con los que convivimos aquí buscamos este horizonte del buen vivir en el sentido de tener vida plena en armonía con la naturaleza y con el universo. Ahora se impone una economía que está regulada por el mercado, nosotros planteamos que sea regulada y decidida por la comunidad. Eso significa cambiar las leyes en el país, que haya transparencia en el manejo de lo que se recauda en el país, y no que llegue a la bolsa de las empresas o de los corruptos que tenemos ahora. También queremos que los bienes comunes naturales y sociales como la energía, los bosques y los ríos sean de dominio público y para el beneficio de las mayorías y no privatizados y controlados por las transnacionales.

El tercer pacto es la cultura, necesitamos impulsar una cultura plurinacional. La educación que tenemos ahora es diseñada para mantener el sistema. El centro de nuestros planteamientos es la descolonización del pensamiento, es impulsar una cultura de convivencia, de armonía, de productividad, de participación política de hombres y mujeres.

El último pacto es la justicia. La justicia tiene que reconocer en igualdad de condiciones los sistemas propios de los pueblos para ejercer justicia y autoridad. Planteamos reconocer ese pluralismo jurídico. La justicia propia de los pueblos es reparadora, no persigue, criminaliza, mata o castiga a los implicados. Sobre todo no es solamente una justicia para resolver conflictos, sino tiene que atender la justicia social que significa tener educación, salud, vivienda y todo lo que implica el buen vivir de los pueblos.

Esos cuatro elementos son los que sostienen un Estado plurinacional. Para lograrlas no queremos parchar esta constitución excluyente, sino la ruta que planteamos es la instalación de una asamblea plurinacional constituyente. Para esto necesitamos fuerza en el Congreso de la República. Esto significa llevar una fuerza política de los pueblos al congreso y que estos estén con mucha claridad sobre este proyecto. A partir de allí se puede modificar la ley electoral y de partidos políticos para que dé cabida a la asamblea plurinacional constituyente.

Guatemala tiene un alto porcentaje de población indígena, pero parece estar todavía lejos de tener una articulación de los pueblos indígenas para poder disputar el gobierno como en Bolivia o Ecuador. ¿Que condiciones faltan?
La situación es la consecuencia de muchos años de sometimiento ideológico de los pueblos. Todas esas fuerzas vivas que hay en el país, entre otras las propias organizaciones y autoridades comunitarias, las fuerzas económicas comunitarias, los estudiantes, la juventud, los académicos, ahora están muy fragmentados y dirigidos a partidos políticos. Incluso la izquierda en Guatemala es muy pobre en el sentido de que su planteamiento ha sido un proyecto político y no un proyecto de país. El reto grande es que estas fuerzas progresistas, estas fuerzas vivas de los pueblos, se articulen y apuesten a un solo proyecto de transformación. Eso implica también dejar de promover los partidos politícos de derecha tradicionales que vienen cada 4 anos a engañarnos. Sí hay un gran potencial desde los pueblos indígenas, pero estamos desarticulados. Por eso, quisiera enviar un mensaje, una invitación, un llamado a todos los movimientos de los pueblos y movimientos sociales en Guatemala para que sigamos construyendo este caminar de manera conjunta y sobre todo unificar criterios consensuales para el proyecto político para el país, y por supuesto trabajar con todas las comunidades porque solo ahí es donde se puede empezar a caminar.


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LYRIK AUS LATEINAMERIKA

U tuuch in lu’umil

Kanti’its yaan tu wíinklil in lu’umil,
chúumuk yaan
u ka’anakabil u tuuch,
“múul aajo’ob” u k’aba’intmaj.

Lak’iin ku tíip’il
u chakjole’enil tóokik sijnalo’,
táan u yáalkabeensik cháak,
táan u yibik u batilo’ob k’a’ak’náab.

Chik’iin ku ek’joch’e’ental
u wi’ija’anil aj xak’al xook,
pakláan kíinsaj yéetel loobitajil
u yáak’abil u yóol u máan yich.

Xaman ku síistal t’a’ajil,
ti’ ku ke’eltal Yuumtsili’,
ti’ ku k’oja’antal tooj óolali’,
ti’ ku sakt’áajta u yiich ch’úuki’.

Nojol ku suuytal iik’,
ti’ ku nu’ukbesaj taak’ini’,
yaan pakláan takpolili’,
ts’u’util ku máan tak ich láak’tsilili’.

Ti’ ala’an in wóol tu tuuch in lu’umile’,
ti’ u xachmubáa u chuun xya’axche’i’
tu moots ku bin u táabal in ch’i’ibal,
tu niik ku k’i’itpajal u yalab in náay.

 


El ombligo de mi territorio

Cuatro extremidades tiene mi territorio
en el centro yace
la cuenca de su ombligo,
múul aajo’ob se ha autonombrado.

Del oriente despunta
el enfurecido fuego consumidor,
exilia la lluvia del verano,
funde el hielo polar del mar.

Del poniente arriba la oscuridad,
es la mirada apetitosa,
muerte y violencia
es su nocturno allanamiento.

Del norte se congela la militancia,
es el invierno de Yuumtsil,
es la afección del vigor,
es la nube cegadora del ojo rastreador.

Del sur se entorna el viento
dividendo del botín,
matriz de la traición,
egoísmos que llevan los mismos apellidos.

Mi credo está en el ombligo de mi territorio
ahí se ha sentado el tronco de mi ceiba
en su raíz se extiende mi estirpe,
y su polinización desparrama mi sueño.

 

Explicación de términos del Maaya t’aan / Maya Yucateco:
múul aajo’ob: Nombre de un cenote que significa „despertaron juntos”.
Yuumtsil: Padre, Señor, Dios.

 


Der Nabel meines Territoriums

Vier Extremitäten hat mein Territorium
in der Mitte ruht
das Becken seines Nabels,
es hat sich selbst den Namen múul aajo’ob gegeben.

Von Osten her erhebt sich
das wütende, verzehrende Feuer,
vertreibt den Sommerregen,
schmilzt das Polareis des Meeres.

Aus dem Westen bricht die Dunkelheit herein,
es ist der appetitreiche Blick,
Tod und Gewalt
ist ihr nächtlicher Raubzug.

Von Norden her friert der Kampfesgeist ein,
es ist der Winter von Yuumtsil,
das Leiden der Widerstandskraft,
die Wolke, die das spähende Auge vernebelt.

Aus dem Süden weht der Wind
Dividende der Beute,
Quelle des Verrats,
Egoismen mit denselben Nachnamen.

Mein Glaubensbekenntnis liegt im Nabel meines Territoriums
dort hat sich der Stamm meines Ceiba-Baumes angesiedelt
in seiner Wurzel breitet sich meine Abstammung aus,
und seine Bestäubung verbreitet meinen Traum.

 

Erklärung von Begriffen aus dem Maaya t’aan / Maya Yucateco:
múul aajo’ob: Name eines Cenote (offene Karsthöhle), der bedeutet: „Sie sind zusammen aufgewacht“.
Yuumtsil: Vater, Herr, Gott.


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„WILLKOMMEN ZU HAUSE, BRÜDER UND SCHWESTERN!“

Elva Cutz erinnert sich noch gut an die kühle, vorletzte Nacht des Jahres 1996. „Meine Mutter und ich gingen zur Plaza de la Constitución im Zentrum von Guatemala-Stadt und sahen da Teile der Friedensverkündung. Aber ich habe das damals gar nicht verstanden. Ich sah nur Menschen, die weinten, Menschen, die sich vor Glück umarmten, und die vielen Parolen des Friedens dort auf dem riesigen Platz.“ Zwanzig Jahre sind vergangen seit jener Nacht. Auf der Plaza de la Constitución, dem Platz der Verfassung, dem wichtigsten Platz Guatemalas, hatten sich tausende Menschen versammelt. Sie jubeln, als der damalige Präsident Álvaro Arzú verkündet, dass über 35 Jahre Krieg zu Ende seien. Elva war damals noch zu klein, um zu begreifen, was dort passierte und welche Bedeutung dieser Tag für Ihr weiteres Leben haben sollte. Die Erwachsenen hatten es geschafft, für sie, wie für viele Kinder Guatemalas, eine Welt fern der schlimmen Erlebnisse zu schaffen, die sie selbst geprägt hatten. „Ich habe als Kind viele Geschichten gelesen“, erzählt die indigene Aktivistin Andrea Ixchiú. „Eine dieser Geschichten hieß Blutbad im Wald, von Ricardo Falla, einem jesuitischen Priester. Ich wollte wissen, warum die Geschichten der Erwachsenen so traurig und schrecklich sind. Ich erinnere mich, dass mein Vater sich zu mir gesetzt hat und sagte: Das sind keine Märchen, das ist wirklich passiert in Guatemala. Dass es einen Krieg gab, in dem schlimme Sachen passiert seien, aber dass das Land dann begonnen habe, Frieden zu schließen.“

Die, die damals schon älter waren, erinnern sich sehr wohl. Rafael Herrarte, Jahrgang 1959, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Straßenarbeiter, seine Mutter besaß ein kleines Geschäft. Als Jugendlicher war Rafael Mitglied einer Kirchengruppe, später dann Gewerkschafter. „Meine Generation ist gezeichnet durch die Morde an Intellektuellen in den 1970er Jahren. 1980 dann stürmte die Polizei eine nationale Arbeiterversammlung und verschleppte 39 Gewerkschafter – Menschen, für die ich größten Respekt empfinde und die ich nie wieder gesehen habe. Das hat in mir den endgültigen Bruch mit dem ausgelöst.“

Community-Radios im Hochland: Radioaktivist Tino in Aktion (Fotos: Voces Nuestras)

1944 hatten die Guatemalteken den letzten einer langen Reihe von Diktatoren gestürzt. Bis dahin war Guatemala ein Feudalstaat gewesen, in dem Bäuerinnen und Bauern zur Arbeit auf den Kaffee- und Bananenplantagen gezwungen wurden und Arbeiter*innen kaum Rechte hatten. Die folgenden zehn Jahre der beginnenden Demokratie gelten bis heute als der „guatemaltekische Frühling“, eine Zeit des Aufbruchs, der Modernisierung. Nicht nur die Frauen erhielten das Wahlrecht, auch Analphabet*innen und damit ein Großteil des ländlichen und indigenen Guatemalas. Die demokratischen Regierungen machten sich an die Arbeit: Über den Ausbau der Universitäten, den Aufbau eines Gesundheitssystems, durch Bildungsreformen und Infrastrukturprojekte sollte Guatemala in das 20. Jahrhundert katapultiert werden.

Die Pläne für eine Landreform berührten jedoch direkt die Interessen der Großgrundbesitzer und des US-amerikanischen Bananenkonzerns United Fruit, bekannt vor allem durch seine Marke Chiquita. United Fruit kontrollierte damals riesige Ländereien in Guatemala und hatte beste Verbindungen zur US-Regierung des damaligen Präsidenten Dwight D. Eisenhower und zur CIA. Der Putsch gegen den gewählten Präsidenten Jacobo Árbenz kam schließlich im Juni 1954.

Die Militärs ergriffen mit US-Unterstützung für Jahrzehnte die Macht und gingen gegen Widerstand zunehmend brutal vor. In den 1970er Jahren vernichteten politische Morde einen Großteil der intellektuellen Klasse von Guatemalas, in den 1980er Jahren wurde das Land Schauplatz des schlimmsten Völkermordes der westlichen Hemisphäre seit dem Zweiten Weltkrieg – mit über Hunderttausend Toten, Verschwundenen, Vertriebenen.

Gerade auf die indigene Beteiligung am Aufstand reagierte die Militärdiktatur mit brutalster Gewalt. Ilom, Chel, Chisis, Acul, Río Negro, Sacuchum Dolores, San José und San Antonio Sinaché: es sind heute nicht nur Namen von indigenen Dörfern, sie stehen auch für die Massaker, die Guatemalas Armee und Todesschwadronen an der indigenen Bevölkerung begangen haben. Vor allem ein Name steht für die Gräueltaten der jahrzehntelangen Militärdiktatur: Efraín Ríos Montt. Als Junta-Chef von 1982 bis 1983 soll er mindestens elf Massaker an indigenen Dorfgemeinschaften befohlen haben.

Die guatemaltekische Politik hat jedoch bis heute kaum ein Interesse, die Konfliktursachen anzugehen, geschweige denn Verantwortung für die vom Staat begangenen Verbrechen zu übernehmen. Doch ein Staat, der seine Kriegsverantwortung nicht anerkennt, kann kaum den Frieden gestalten. Rafael Herrarte, dessen Jugend durch die Morde der Militärs geprägt war, ist heute Chef des Forensischen Institutes CAFCA. CAFCA hat nach dem Friedensschluss vor 20 Jahren, auch mit europäischer Unterstützung, Dutzende Massengräber aufgespürt und untersucht. Die meisten Massaker hatte die Armee angerichtet, in den Gräbern liegen die Skelette vieler Kinder. Viele Frauen waren vor ihrer Ermordung vergewaltigt worden. Wunden, die nur schwer verheilen.

In den 1990er Jahren änderte sich die Lage. Guatemala war aufgrund der Schreckensmeldungen international zunehmend isoliert. Dies ging der dominierenden Unternehmer- und Großgrundbesitzerkaste, den ehemals großen Unterstützern der Militärdiktatur, zunehmend ans Geld. Um wieder Geschäfte machen zu dürfen, musste der Staat auf internationalem Parkett wieder eine gewisse Legitimität zurückgegeben werden. Dazu musste man den Frieden schließen.

Während die einen zurück zu internationalen Märkten wollten, wollten Hunderttausende andere zurück auf ihr Land, zurück nach Hause, zurück zu ihren Familien. Frieden war in den 1990er Jahren die Antwort für alle. 1991 endlich begann Guatemalas Regierung unter Aufsicht der Vereinten Nationen in Mexiko und Skandinavien mit der URNG-Guerrilla zu verhandeln. Im Dezember 1996 wurden schließlich zwölf Friedensabkommen unterzeichnet. Auch César Saloj kann sich noch gut an jenen Tag erinnern. „Wir wohnten damals an der Interamericana, auf der tausende Flüchtlinge in unzähligen Bussen aus dem mexikanischen Exil zurückkehrten. Wir haben Transparente gemalt, wo drauf stand: ‚Willkommen zu Hause, Brüder und Schwestern!’. Wir haben Mandelmilch und Sandwichs verteilt. Mein Vater war sehr bewegt, er ging stundenlang von Bus zu Bus und hieß alle Willkommen. Aber wir Kleinen wussten nicht mal, warum all diese Menschen weggegangen waren.“

„Das sind keine Märchen, das ist wirklich passiert in Guatemala.“


Die zwölf Friedensabkommen handeln von Menschenrechten, von demokratischen Verfassungsreformen, von der Rückführung der Flüchtlinge und der Wiedereingliederung der Guerillakämpfer in die Gesellschaft. Sie versprechen Landreformen, ländliche Entwicklung und indigene Rechte, um die Ursachen des Konfliktes anzugehen. Eine Wahrheitskommission sollte die im Bürgerkrieg von allen Seiten begangenen Verbrechen aufklären. Unter dem Vorsitz des deutschen Völkerrechtlers Christian Tomuschat kam die Kommission 1999 zu dem Ergebnis, dass 93 Prozent der Gräueltaten von der Armee begangen worden und 83 Prozent der Opfer Indigene waren.

Alberto Ramirez, genannt Tino, stammt aus einer Maya-Familie. Als Tinos Vater Anfang der 1980er Jahre von der Armee verschleppt und ermordet wurde, flohen Mutter und Tino zu der Guerilla in die Berge. Aus dem heranwachsenden Tino wurde ein Guerillero – und kämpfte gegen Rassismus und ungleiche Besitzverhältnisse. Aber Tinos Waffen waren weder Gewehr noch Dynamit, sondern ein Mikrofon und ein Fahrrad. Anfang der 1980er war der Guerilla klar geworden, dass sie ein eigenes Medium brauchte – um aufzuklären, anzuklagen, zu mobilisieren. „Mich hat man über die Grenze nach Mexiko geschickt“, erzählt Tino. „Von dort aus habe ich produziert und die Tonkassetten mit dem Fahrrad nach Guatemala geschmuggelt, die wir dann vom Vulkan gesendet haben“. Neun Jahre lang sendete La Voz Popular von den Hängen des Vulkans Tajumulco. Für Tino war das Guerilla-Radio ein Sprachrohr der Stimmlosen, das von den Mächtigen als Bedrohung empfunden wurde. Mehrere Militäroffensiven am Vulkan waren die Folge. Doch der Friedensschluss 1996 bedeutete das Ende von La Voz Popular. Heute lebt der mittlerweile 50-jährige Tino in der Nähe von Quetzaltenango, der zweitgrößten Stadt Guatemalas. Radio macht er weiterhin. Nach dem Friedensschluss gründete Tino zusammen mit anderen ehemaligen Guerillafunker*innen die NGO Mujb’ab’l Yol. Hier produzieren Jugendliche kulturelle, bildungsorientierte und politische Programme. Dem Senderverbund Mujb’ab’l Yol gehören mittlerweile 26 Community-Radios im Hochland an.

„Es kann keine Demokratie ohne freie Meinungsäußerung geben und ohne freie Medien keine freie Meinungsäußerung“, sagt Tino und fügt hinzu: „Aber Sprachrohre der Stimmlosen, die sind auch in sogenannten Demokratien für die Mächtigen eine Bedrohung.“ In Guatemala gebe es eine herrschende Klasse, die nicht wolle, dass Indígenas ihre eigene Entwicklung gestalten. Community-Radios würden aber einen Beitrag zur lokalen Entwicklung, zur Kultur, zur Bildung, auch zur Mobilisierung der Menschen leisten. Vielleicht auch deshalb haben Guatemalas Regierungen nach Friedensschluss die Legalisierung von indigenen Radios verhindert und sie stattdessen kriminalisiert.

„Gestern, heute und immer“: Wandbild im Senderverbund Mujb abl yol

Die Provinz Zacapa liegt zwar im trockenen, heißen Osten des Landes, aber durch zwei große Flüsse ist Zacapa gleichzeitig wasserreich. In Flussnähe werden Bananen, Ananas, sogar Weintrauben angebaut, dazu Tomaten, Paprika und Maniok, die Viehwirtschaft hat große Bedeutung. Die Flüsse speisen sich aus den Bergen in der Umgebung von Zacapa. In  diesen Bergen arbeitet Pfarrer José Pilar Álvarez Cabrera. Die Gemeinde des 54-jährigen zählt 350 Einwohner*innen, fast alle sind Maya Chort’i, Indígenas aus den Bergdörfern.

Die Bergwälder sind bedroht, durch den Bevölkerungszuwachs, vor allem aber durch die Großgrundbesitzer, die hier seit Jahrzehnten abholzen. Heute sind nur noch 20 Prozent intakt. Das Wasser ist spürbar weniger geworden. Es waren die Chort’i-Gemeinden, die sich als erste gegen die Abholzung organisiert und dann mit der katholischen und der lutherischen Kirche eine „Ökumenische und soziale Koordination zur Verteidigung des Lebens” gegründet haben.

Die Bergwälder sollen endlich unter wirksamen Schutz gestellt werden – zum Nutzen aller. Doch was so einleuchtend erscheint, hat eine Welle von Gewalt ausgelöst, gegen die indigenen Gemeinden, in Form von Morddrohungen auch gegen Pfarrer José Pilar selbst. Profite aus illegalem Holzeinschlag scheinen wichtiger als Wasser für alle. Frieden in Guatemala sehe anders aus, meint José Pilar: „Die Friedensabkommen sollten ja die Ursachen des Konfliktes beseitigen – Diskriminierung, den Rassismus, die äußerst ungleiche Besitzverteilung. Aber das hat man schnell beiseite gelegt und die Regierung hat stattdessen einen neoliberalen Kurs eingeschlagen.“ Heute gebe es mehr gewaltsame Todesfälle als während des Krieges, fügt er hinzu.

„Alle haben ganz bewusst Gewalt gegen Frauen als Machtmittel eingesetzt.“


Die Berglandschaft im Osten Guatemalas ist auch die Region, aus der Lorena Cabnal stammt. Sie ist Xinca-Indígena und Feministin. Schon in vorkolumbianischer Zeit habe sich der Machismo der Vorfahren gegen die Frau gerichtet, urteilt sie. Dann kamen Kolonialisierung und Kirche, später Diktaturen und die Aufstandsbekämpfungspolitik während des Bürgerkriegs. Aus Lorenas Sicht „haben sie alle ganz bewusst Gewalt gegen Frauen als Machtmittel eingesetzt. Der Neoliberalismus nach Kriegsende hat diese Situation sogar noch verschärft.“

Heute zählt Guatemala zu den Ländern mit den meisten Fallen von Femiziden auf der Welt: Fast 1.000 Frauen sind allein im letzten Jahr ermordet worden. Auch Lorena hat mehrfach Todesdrohungen erhalten. Die Friedensverträge haben den Frauen in Guatemala also nicht unbedingt etwas gebracht. Oder, vielleicht doch. Lorena verweist auf die heranwachsende, junge Generation, eine Generation, die wortwörtlich die Schnauze voll habe: „Es gibt neue Formen des Protests und neue künstlerischen Ausdrucksformen, Gesichter eines vielfältigen Widerstandes – und zwar sowohl in den Städten wie auf dem Land, in mestizischen wie indigenen Gemeinschaften. Diese neue Generation hat das Potenzial, in Guatemala tatsächlich etwas zu bewegen.“ Und auch Rafael Herrarte, der Chef des Forensischen Institutes CAFCA, sieht deutlich positive Entwicklungen: Die Wiederherstellung der Meinungsfreiheit, dass es heute viel mehr Raum gebe, sich zu organisieren, und etwas zu bewegen. Er verweist auf die Justiz, die in den letzten Jahren einige Militärangehörige zur Verantwortung gezogen hat.

Aber es ist größtenteils der Zivilgesellschaft zu verdanken, wenn sich in den 20 Jahren nach Friedensschluss etwas bewegt hat. Dazu gehören auch die massiven Proteste gegen die Korruption, die im letzten Jahr den Präsidenten Otto Pérez Molina und seine Vizepräsidentin zuerst aus ihrem Amtssitz und schließlich ins Gefängnis beförderten. Aber wesentlich sozialer und gerechter, weniger rassistisch und sexistisch ist Guatemala bis heute nicht. Sechs von zehn Menschen leben in Armut, vier von zehn Kindern sind unterernährt. Menschen wandern in Scharen in die USA aus, zunächst wegen Armut und Perspektivlosigkeit, mittlerweile aufgrund der Gewalt. Heute sterben in Guatemala mehr Menschen eines gewaltsamen Todes als zu Zeiten des Bürgerkrieges. Vielleicht wäre alles anders gekommen, so denken viele Guatemaltek*innen, hätten die USA nicht den guatemaltekischen Frühling weggeputscht, damals, vor über 70 Jahren.


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