MIT MUSIK BEWUSSTSEIN SCHAFFEN

Was hat euch dazu motiviert, zu eurem fünfzehnjährigen Jubiläum ein Best-Of Album aufzunehmen?
Unser Hauptmotiv ist, dass heute kaum noch Alben erscheinen. Alle veröffentlichen nur noch Singles. Deshalb haben wir uns entschieden, alle unsere Klassiker neu aufzunehmen, denn viele kennen diese gar nicht mehr. Wir wollten die Klassiker mit Gastmusiker aufnehmen, die für uns sehr wichtig sind, und drei neue Lieder auf dieser CD veröffentlichen. Das ist unsere Art und Weise, wie wir die Romantik der Veröffentlichung von Alben beibehalten. Heute werden ja kaum noch komplette CDs gehört werden. So haben wir einen Mix aus der alten und neuen Schule gemacht. Wir sind super zufrieden mit diesem Projekt. Die neuen Versionen unserer Klassiker haben die Lieder wirklich auf ein anderes Niveau gehoben.

Ihr habt euren Stil in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt. Welche musikalischen Einflüsse haben euch zu den neuen Liedern und den neuen Versionen eurer Klassiker inspiriert?
Einflüsse … Also, zuerst einmal war das Che Sudaka selbst. Denn wir haben eigentlich ganz viele Coverversionen unserer eigenen Lieder gemacht, die wir mit unsere „Mákina Punk” dem aktuellen Stil der Band angepasst haben. Dabei zählten wir auf die Zusammenarbeit mit den Leuten von Massilia Sound System aus Frankreich, auf die Zusammenarbeit mit Grupo Chontaduro aus Barcelona. Das sind Kolumbianer, die Trommeln spielen. Es war also ein Mix aus Folk, Elektronik und Rock. Alle Leute, die mitgearbeitet haben, waren eine Inspiration: Manu Chao, Dr. Ring Ding, Amparo, BNegão aus Brasilien – sie alle waren große Einflüsse für dieses Album. Auch Facundo Cabral, der auf der CD mit ein paar Wortbeiträgen erscheint, ist so etwas wie unsere spirituelle Referenz, wenn wir Musik machen. All die, die uns hierher gebracht haben, sind eigentlich auch unsere heutige Referenz.

Wie habt ihr mit den anderen Künstler*innen zusammengearbeitet?
Wir kennen die schon seit vielen Jahren und wir hatten Glück, dass sie gerade Zeit hatten, mitzuarbeiten. Das Resultat ist dann sehr schön geworden. Die meiste Zusammenarbeit ist aus einer räumlichen Distanz entstanden – moderne Technik machts möglich – BNegão und Amparo sind in unser Studio gekommen, und es war toll, sie dort zu empfangen. Die CD wurde komplett in unserem eigenen Studio Cavernícola Records aufgenommen und gemischt. Sergio, unser Akkordeonspieler, hat sie produziert. Mit Manu, Dr. Ring Ding, Hugo Lobo und anderen war es eine Zusammenarbeit aus der Ferne. Sie waren zwar nicht hier, aber trotzdem waren wir uns nahe und bestimmt werden wir uns bald treffen und diese Dinge persönlich teilen.

Welchen Beitrag kann die Musik deiner Meinung nach leisten, um ein Bewusstsein für politischen Themen zu schaffen?
Wir glauben, dass die Musik eine unglaubliche Kraft hat, und darauf setzen wir. Die Musik hatte für uns schon immer die Aufgabe, Bewusstsein zu schaffen. Unser ganzes Leben lang, seit wir angefangen haben, Musik zu hören, hat sie uns geprägt. Wenn du größer wirst, verstehst du auch ein bisschen besser, was dir die Musik eigentlich sagen will. Aber sie war schon immer eine Schulung des Bewusstseins. Zum Beispiel im Fall von Bob Marley hat uns seine Musik schon immer gefallen, aber wir kannten seine Aussagen nicht, da wir kein Englisch sprachen. Als wir seine Texte dann verstehen konnten, sagten wir: Klar, dass sie uns gefallen hat! Darauf beziehen wir uns ein bisschen, um zu sagen, was wir sagen und zu singen, was wir singen, und zum Beispiel in Deutschland zu spielen. Uns ist klar, dass die Menschen vielleicht nicht verstehen, was wir sagen. Aber sie werden es vielleicht in einem anderen Moment verstehen. Sie bekommen das Gefühl, dass gerade etwas passiert.

In den vergangenen Jahren hattet ihr die Möglichkeit, nach Lateinamerika zurückzukehren und dort Musik zu machen. Wie war diese Erfahrung für dich?
Das war wirklich aufregend. Vor allem die Tatsache, dass die Leute nicht nur das verstehen, was das deutsche oder französische Publikum zum Beispiel versteht, sondern auch die Nachricht dahinter. Vielleicht verstehen sie diese Nachricht nicht einmal in Spanien, obwohl sie die gleiche Sprache sprechen wie wir. In Lateinamerika dagegen wissen alle, was wir sagen wollen. Denn wir kommen von dort und unsere Worte sprechen die Sprache Lateinamerikas. Von Mexiko bis Ushuaya in Argentinien, nicht wahr? In Lateinamerika werden wir verstanden, wir teilen alle eine Geschichte. Wenn man mal darüber nachdenkt, dann ist die Geschichte Lateinamerika doch eins. Abgesehen von ein paar Unterschieden haben wir alle das Gleiche erlebt. Unsere Nachricht kommt dort also ungefiltert an. Und das kam auch zu uns zurück, denn wenn du auf einer Bühne stehst und etwas kreierst, kommt das wie eine Welle wieder zu dir. Und es war sehr gewaltig, was uns da erreichte. Das hat uns viel Kraft gegeben, nach Europa zurückzukehren und zu versuchen, so etwas auch hier zu erreichen. In jüngster Zeit entsteht so eine Stimmung auch hier immer mehr, und das haben wir unserer Rückkehr nach Lateinamerika zu verdanken.

Vor fünfzehn Jahren habt ihr als Band angefangen, auf der Straße zu spielen. Heute reist ihr um die ganze Welt und gebt Konzerte – wie haben euch diese Anfänge als Straßenmusiker geprägt? Was ist davon übrig geblieben?
Um darauf zurückzukommen, was uns beeinflusst hat: Es gab ein Lied von Facundo Cabral, in dem er sagt „Kein Genie geht verloren, ich trage alles bei mir”. Wir haben nichts verloren, alles begleitet uns. Was sich vielleicht etwas verändert hat, ist die Gegenwart von Che Sudaka, denn wir sind an immer mehr verschiedenen Orten und unsere Nachricht erreicht immer mehr Menschen, die kommen, um uns zu sehe, und die etwas von uns erwarten. Aber der Geist der Straße hält uns als unabhängige Band auf den Beinen, obwohl es manchmal schwierig ist, weil du ein bisschen mehr arbeiten musst als wenn dir jemand sagt, was zu tun ist. Aber das erlaubt dir erstens, zu sagen, was dir in den Sinn kommt und was du fühlst, und zweitens ist da der Stolz, die Dinge auf eine – naja- sagen wir, natürliche Art zu machen. Man wird so etwas wie der Bauer der Musik, der früh aufsteht, um die Samen zu einzupflanzen und der aufsteht, um sie zu ernten. Alles braucht seine Zeit. Wenn wir also nie auf der Straße gespielt hätten, dann hätten wir dieses Bewusstsein nicht. Glücklicherweise begann es alles genau so.

Wie erlebst du, vor allem in deinem persönlichen Kontext als argentinischer Migrant in Barcelona, den Unabhängigkeitsprozess in Katalonien?
Ehrlich gesagt, ist uns die Unabhängigkeit des Individuums wichtiger als die Unabhängigkeit eines Landes, egal von welchem. Denn wenn das Individuum nicht unabhängig ist, kann es auch wenig für den Rest machen. Wenn die Unabhängigkeit eines Landes eine positive Veränderung zur Selbstverwaltung beitragen kann, ist sie herzlich willkommen. Ich weiß aber nicht, wie es wäre, wenn das hier passiert. Deshalb kann man in diesem Fall nicht von außen urteilen, denn wir leben zwar hier, aber mit kühlem Kopf. Wir ergreifen nicht Partei – wir können gar nicht Partei ergreifen! Denn du hast einen Freund, der hat die eine Meinung, und ein anderer hat eine andere. Was machst du da also? Kämpfst du den einen Tag mit einem und den anderen Tag mit dem anderen? Oder du versuchst, einfach menschlich zu sein und die Kompromisse zwischen den Menschen zu fördern.

Und was meinst du, was in Zukunft mit Menschen passieren könnte, deren Aufenthaltstitel unsicher ist und die keine Dokumente haben?
Die Leute ohne Papiere werden weiterhin ohne Papiere sein. Denn die Veränderungen, die auf Regierungsebene passieren, passieren nicht auf der Straße. Da wird dann einfach eine Verfügung in Brüssel erlassen, oft auch im Auftrag großer, multinationaler Unternehmen. Deshalb glaube ich, dass wir da gar nicht viel machen können. Wenn wir da etwas beitragen könnten, würden wir das ohne zu zweifeln tun. Aber im Moment glauben wir, dass wir nur positives Denken zum Geist der Einheit aller Menschen beitragen können. Egal, welche Flagge sie tragen. Aber, ehrlich gesagt, glauben wir nicht an Flaggen.

DER REBELLION NICHT MÜDE

Als „punk reggae party“ bezeichnen die Musiker von Che Sudaka ihren eigenen Stil. Und unter diesem Motto steht auch das neue Album der Band aus Barcelona (siehe LN Interview). Die meisten Stücke darin sind nicht neu: Es enthält viele bekannte Klassiker wie „Mentira Polítika“, „La risa bonita“ oder den Titelsong „Almas Rebeldes“. Jedoch ist das Album weit ab von einem schnell zusammengewürfelten Best-of Album, für das sich Künstler*innen entscheiden, wenn sie plötzlich knapp bei Kasse sind. Almas Rebeldes verfolgt mit viel Aufmerksamkeit für jedes Detail ein Gesamtkonzept: In neuen Versionen eingespielte, alte Stücke sind mit neuen Liedern bewusst aufeinander abgestimmt. Jeder Song geht flüssig in den nächsten über, sodass Übergänge manchmal gar nicht zu merken sind.

Bei vielen Liedern sind andere Musiker*innen zu Gast: So etwa der deutsche Ska- und Reggae-Künstler Dr. Ring Ding, die ehemalige Frontfrau der Band Amparanoia Amparo Sánchez oder Manu Chao. Mit manchen der Künstler*innen haben Che Sudaka schon häufiger zusammengearbeitet und wurden von ihnen in ihrem musikalischen Werdegang beeinflusst. Viele der Features sind aber auch zum ersten Mal dabei und geben den Liedern einen ganz neuen Charakter.

Almas Rebeldes ist, sowie auch die bisherigen CDs von Che Sudaka, ein politisches Album. Es handelt von sozialen Bewegungen und Protest, Polizeigewalt und Repression, sozialer Ungleichheit und fehlendem Vertrauen in Politik und Staat. Vor allem die Themen Saatgut und bäuerliche Autonomie stehen im Mittelpunkt und werden von Anfang bis Ende des Albums immer wieder angesprochen. Der Aufruf zum Widerstand („almas rebeldes levántense“) zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album. Sogar das CD-Cover, das von dem Künstler Pablo Kalaka entworfen wurde, spiegelt diese Nachricht wider und ist Aussagen der Band zufolge eine Hommage an alle Bäuerinnen und Bauern, welche für sie die Hoffnung auf eine bessere Welt repräsentieren.

Dieser ernsthafte Charakter wird aufgelockert von Stücken, die die Freude am Leben feiern, wie etwa „La risa bonita“ oder „El libro de los abrazos“. Mal haben die Songs mehr Cumbia- oder Rumba-Rhythmen, mal geht es rockiger zu, öfters sind Hip-Hop Elemente dabei. Das ganze Album wirkt sehr energisch, die neuen Auflagen der Klassiker sind meist schneller und werden durch elektronische Komponenten dem neueren Stil der Band angepasst. Die Musik von Che Sudaka lässt sich noch immer schwer in feste Genres einordnen und hat sich über die Jahre zu einem ganz eigenen Stil mit verschiedenen Einflüssen entwickelt. Gesungen wird auf fünf Sprachen, überwiegend auf Spanisch, aber auch Portugiesisch, Französisch, Englisch und Kibunda.

Almas Rebeldes reißt einen beim Hören mit und regt zum Tanzen, zum Abschalten, aber auch zum Nachdenken an. Es ist ein rundes und sehr gelungenes Album einer Band, die sich seit ihrer Gründung immer weiterentwickelt hat und sich kontinuierlich neu ausprobiert. Diesen Prozess mit zu verfolgen und sein vorläufiges Ergebnis auf diesem Album zu erleben macht Spaß – und vor allem bekommt man Lust auf mehr von dieser Band, die auch nach 15 Jahren nicht müde wird, sich und die Welt immer wieder neu erfinden zu wollen.

 

LAUT GEGEN DAS SCHWEIGEN

Im Weltraum schwebende Babykatzenköpfe, ein regenbogenfarbenes Bällebad und die Virgen de Guadalupe auf einem Baseballcap – schon die äußere Gestaltung von Rebeca Lanes drittem Soloalbum Alma Mestiza spiegelt die Heterogenität der CD wider. Mit einer Mischung aus Old-School-Hip-Hop, Reggae-Rhythmen, jazzigen Klaviersamples und Cumbia nähert sich die Rapperin mit viel Lust und Mut politischen Themen einer großen Spannweite an. Auch wenn die Texte selten so bonbonbunt und grell wie das Cover sind, steht doch auch immer wieder der Spaß im Fokus, auch an der Rebellion. Selbst schon lange Aktivistin, weiß sie dabei auch sehr genau, wovon sie spricht.

Bis vor fünf Jahren organisierte Rebeca Lane noch selbst Musikveranstaltungen und begann dann eher zufällig ihre Karriere als aktive Rapperin, nachdem sie gebeten wurde, etwas Bühnenzeit zu füllen. Mittlerweile ist sie längst über die Grenzen Guatemalas bekannt und tourt dieses Jahr auch durch Spanien und Deutschland (siehe unten). Als Mitbegründerin der Initiative „Somos Guerreras“ („Wir sind Kriegerinnen“) reiste sie 2016 durch Mittelamerika und versuchte, Frauen* mit Hip-Hop und Breakdance zu empowern.

Praktischer Feminismus ist auch auf Alma Mestiza ein großes Thema. Ob im Song „Este cuerpo es mío“ oder in „Ni encerradas, ni con miedos“ pendeln die Texte dabei zwischen einer Einfühlung in von Geschlechtergewalt Betroffenen und einer Anklage und Kampfansage an die machistischen und patriarchalen Gesellschafts­strukturen. Rebeca Lane benennt die strukturelle Geschlechtergewalt in Guatemala, einem der Länder mit der höchsten Anzahl von Feminiziden und Gewalt an Frauen*, und ermutigt gleichzeitig Frauen* aus der Isolation und gewaltvollen Beziehungen auszubrechen. Aber auch die Lust am Leben und sich selbst feiern kommen nicht zu kurz, wie „Libre, atrevida y loca“, einer der tanzbarsten Songs des Albums, zeigt.

Ein weiteres großes Thema von Alma Mestiza ist die fehlende Geschichtsaufarbeitung Guatemalas. Zwanzig Jahre nach dem Ende des 36 Jahre währenden Bürgerkriegs läuft die Aufklärung der vor allem an Teilen der indigenen Bevölkerung verübten Massaker nur langsam an. Statt einer Erinnerungskultur gibt es eine des Totschweigens. Dieser setzt Rebeca Lane eine laute Stimme entgegen, ruft die Namen von Verschwundenen in Erinnerung und prangert den gesellschaftlichen Rassismus an.

In diesem Zusammenhang stellt sie auch ihre eigene Identität und das Konzept von Identität im Allgemeinen zur Disposition. Als mestiza, wie sie sich selbst nennt, reflektiert sie zum Beispiel im titelgebenden Track *Alma Mestiza* einerseits das Erbe der Kolonisatoren, das sie notgedrungen in sich trägt und feiert andererseits die Mythologie und Kultur der Maya als etwas sehr Gegenwärtiges. Damit setzt Rebeca Lane auch einen klaren Kontrapunkt zum rassistischen Diskurs, in dem die „mestizische Mehrheitsgesellschaft“ indigene Kultur vielleicht folkloristisch feiert und historisiert, die Indigenen selbst aber an den Rand gedrängt werden.

Zwar könnte es manchmal ein bisschen weniger Reggaerythmen und Loungegedudel sein, doch machen die starken Texte und die klare Botschaft auch diesen Wermutstropfen wieder wett. Und mit ihrer musikalischen Offenheit ist Rebeca Lane, die im Übrigen fabelhaft rappen kann, vielleicht auch leichter für Menschen zugänglich, die Hip-Hop nicht zu ihrer Lieblings­musik zählen.

 

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