Drogenkrieg, Migrationskrise, Frauenmorde – über die dramatische Situation in der US-amerikanisch-mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez wissen selbst in Deutschland nicht wenige Bescheid, dank regelmäßiger sensationalistischer Berichterstattung der Medien und Serien wie Breaking Bad oder Narcos: Mexiko. Diese immer gleichen stereotypen – jedoch nicht gänzlich unwahren – Bilder möchte Kathrin Zeiske mit einer Gegenperspektive kontrastieren. Die freie Journalistin hat nun ein Buch über den „Alltag in der gefährlichsten Stadt der Welt“ vorgelegt. Einen Alltag, den Zeiske bestens kennt, denn Ciudad Juárez ist ihre Wahlheimat, aus der sie seit Jahren berichtet.
Im Stil einer Reportage führt Zeiske durch Ciudad Juárez und lässt durch Begegnungen mit einer Vielzahl an Menschen die mittlerweile fast mythische Stadt lebendig werden. Expert*innen aus Wissenschaft und Journalismus, aber vor allem zahlreiche Expert*innen des Alltags, denen die nordmexikanische Stadt eine Heimat ist, lässt Zeiske zu Wort kommen.
Das Buch ist in sechs thematisch fokussierte Kapitel gegliedert, die sich jeweils als eigenständige Großreportagen lesen. So ist es kein roter Faden, der das Buch strukturiert, sondern ein Fokus, von dem sich die Erzählungen immer wieder in örtliche, thematische oder persönliche Details verästeln, um dann wieder auf das große Ganze im Blick zurückzukommen.
Doch warum sollte man ein Buch über eine US-amerikanisch-mexikanische Grenzstadt lesen? Vielleicht, weil Ciudad Juárez nicht nur von eben jener Stadt handelt, sondern de facto einen stellvertretenden Blick in die Gegenwart Mexikos liefert, wo Traum und Alptraum so nahe beieinander liegen. Oder man könnte daraufhin hinweisen, dass Ciudad Juárez mit seinen 1,5 Millionen Einwohner*innen eine Weltstadt ist. Eine Weltstadt der Armen. Denn hier treffen sich Migrant*innen aus allen möglichen Ländern des Globalen Südens auf ihrem Weg in ein erhofftes besseres Leben in den USA. Hier treffen sich Arbeitsmigrant*innen aus ganz Mexiko, um in den immer weiter anwachsenden Montageanlagen internationaler Unternehmen für Hungerlöhne Waren für den US-amerikanischen Markt zusammenzuschrauben. Und hier schmuggeln die Kartelle die für die Konsument*innen in den nordamerikanischen Metropolen gedachten Drogen aus dem Süden über die Grenze in die USA. Abgesehen davon gibt es noch einen anderen, viel simpleren Grund: Ciudad Juárez ist wunderbar und mitreißend geschrieben. Schon nach wenigen Seiten wird die Liebe Zeiskes zum journalistischen Schreiben und zu ihrer Wahlheimat deutlich. Ein einziges kleines Manko sind einige wenige halbwahre Informationen zur Situation in Mexiko. Beispielsweise die häufig wiederholte Behauptung, dass die Grenze zwischen Mexiko und den USA die militarisierteste der Welt sei. Diverse Grenzen Israels zu Nachbarländern, die zwischen Indien und Pakistan in Kaschmir oder die zwischen Algerien und Marokko und selbst die EU-Außengrenzen sind militarisierter als die US-mexikanische Grenze. Doch für den Zweck des Buchs sind dies verzeihbare Randproblemchen. „Ich hoffe aber, ich kann denen eine Stimme geben, die Unerhörtes zu erzählen, aber keine Zuhörer*innen haben“, schreibt Zeiske. Das von ihr verfasste Buch wird diesem Zweck mehr als gerecht. Möge es möglichst viele Leser*innen finden.
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