Wechselspiel im Kabinett

Muss sich großen Herausforderungen stellen Präsident Boric bei der Eröffnung eines Theaterfestivals im Januar (Foto: Ministerio de las Culturas, las Artes y el Patrimonio)

Es war das Gegenteil eines Geschenks: Kurz vor dem ersten Jahrestag des Amtsantritts von Gabriel Boric Anfang März lehnte das chilenische Abgeordnetenhaus die Steuerreform der Regierung ab. Nur wenige Ja-Stimmen hatten gefehlt und ausgerechnet linke Parlamentarier*innen hätten den Unterschied machen können: Die Abgeordnete Viviana Delgado vom grünen Partido Ecologista Verde hatte aus Wut über einen Konflikt mit Borics Bildungsminister den Sitzungssaal verlassen, weitere Abgeordnete hatten sich angeschlossen.

Die Steuerreform war eines der großen Versprechen in Borics Wahlkampf gewesen und sollte wichtige Teile seines Regierungsprogramms finanzieren. Im Juli 2022 hatten er und Finanzminister Mario Marcel das Reformprojekt vorgestellt. Ziel war es, durch die höhere Besteuerung von Privat- und Unternehmensgewinnen Gelder für dringend nötige Sozialprogramme zu schöpfen, darunter ein Familienzuschuss sowie Verbesserungen im staatlichen Gesundheitssystem. Dass nur Chilen*innen mit höherem Einkommen und große Unternehmen sich im Zuge der Reform auf höhere Steuern hätten einstellen müssen, hatten auch linke Abgeordnete bezweifelt und deswegen gegen die Reform gestimmt, darunter Pamela Jiles. Nach der Entscheidung kann ein erneuter Anlauf erst 2024 diskutiert werden.

Finanzminister Marcel reagierte der Presse gegenüber verärgert. Feiern würden nun Rechte, „Steuerhinterzieher und jene, die sie beraten“. Abgesehen von der jüngsten Niederlage schlägt sich Borics Finanzminister nicht schlecht: Der chilenische Peso ist stabil und die Inflationsrate ging im März seit 27 Monaten zum ersten Mal leicht zurück. Das Wirtschaftswachstum ist derzeit zwar nur leicht positiv, werde sich aber weiter erholen, so Marcel gegenüber El País. Der Finanzminister gehört Cadem-Umfragen von Anfang März zufolge zu den beliebteren Minister*innen in Borics Kabinett.

Letzteres ist wohlbemerkt kein großes Kunststück. Sowohl Boric als auch viele seiner Minister*innen sind bei weiten Teilen der Bevölkerung unbeliebt. Der Präsident hält sich derzeit bei Zustimmungswerten von gerade einmal 35 Prozent – wobei diese über den Frühsommer noch deutlich niedriger lagen. Als dann auch noch die Steuerreform scheiterte, reagierte Boric mit einer umfassenden Kabinettsumstellung – bereits die zweite nach Amtsantritt. Fünf Ministerien werden nun von neuem Personal geführt.
Auch 15 Staatssekretär*innen wurden ersetzt, darunter Haydee Oberreuter, die bis zum 10. März Staatssekretärin für Menschenrechte war. Menschenrechtsorganisationen und Vereinigungen von Opfern der Diktatur, ehemaligen politischen Gefangenen und ihren Angehörigen kritisierten ihre Absetzung in einem offenen Brief an Boric. Oberreuter selbst hatte unter der Diktatur politische Haft und Folter erfahren und als Staatssekretärin einen landesweiten Aktionsplan zur Suche nach den Verschwundenen der Diktatur verkündet.

Mit der Kabinettsumstellung wendet sich Boric weiter der Mitte des politischen Spektrums zu. Drei der fünf neuen Minister*innen hatten bereits unter Michelle Bachelet politische Posten inne. Borics Gefährt*innen aus Zeiten der Studierendenproteste und langjährige Aktivist*innen wie Oberreuter rücken dahingegen weiter in den Hintergrund. Ob das Wechselspiel im Kabinett in der Bevölkerung auf Anklang stößt, ist bislang unklar. Fest steht, dass Boric sich weiter kompromissbereit und handlungsfähig zeigen muss. Pluspunkte machte er in den vergangenen Monaten vor allem durch seinen Kampf gegen die Folgen der großflächigen Waldbrände im Hochsommer. Angesichts einer betroffenen Waldfläche von 600.000 Hektar (fast sieben Mal so groß wie Berlin) und der Zerstörung von mindestens 1.500 Häusern hatte der Präsident seinen Urlaub abgebrochen, die betroffenen Regionen besucht und schnelle finanzielle Hilfen versprochen. Auch Borics Positionierung in Menschenrechtsfragen wie die Kritik an den Regierungen von Nicaragua und Venezuela stoßen in weiten Kreisen auf Zufriedenheit – bis hin ins rechte Lager.

Borics Misserfolge kann vor allem die rechte Opposition ausnutzen

Vom Kabinettswechsel nicht betroffen war unter anderem Bauminister Carlos Montes, der Anfang März einen Notfallplan für den sozialen Wohnungsbau vorlegte. In diesem Rahmen sollen in den kommenden zweieinhalb Jahren 260.000 Wohnungen fertiggestellt werden. Diese werden fünf Jahre lang unter Sozialbindung vergeben, gehen danach aber in den freien Markt über. Es bleibt also fraglich, ob das Programm dem Problem der Wohnungsnot in Chile langfristig Abhilfe verschaffen kann. Schätzungen zufolge fehlt es im Land derzeit an 640.000 Wohnungen.

Ein weiteres Regierungsprojekt hat mit der einstimmigen Annahme durch den Senat eine wichtige Hürde genommen. Bereits im Jahr 2017 hatte Camila Vallejo – die Politikerin der Kommunistischen Partei (PC) war damals noch Abgeordnete und ist inzwischen Regierungssprecherin – einen Gesetzentwurf zur Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 45 auf 40 Stunden vorgelegt. Arbeitsministerin Jeanette Jara griff das Projekt nun wieder auf. Dem Entwurf zufolge soll die Arbeitszeit innerhalb von fünf Jahren schrittweise erst auf 44, dann 42 und schließlich auf 40 Wochenstunden reduziert werden. Das Projekt geht nun ins Abgeordnetenhaus, wo es noch vor dem Internationalen Tag der Arbeit verabschiedet werden könnte: „Wir hoffen, dass die Arbeiter schon am 1. Mai die 40-Stundenwoche gesetzlich festgeschrieben haben“, sagte Jara nach der Abstimmung im Senat. Die wöchentliche Arbeitszeit war zuletzt vor 18 Jahren gesenkt worden: von 48 auf 45 Stunden.

Trotz dieser positiven Entwicklungen überwiegt dem Politikwissenschaftler Marco Moreno zufolge, ein Jahr nach Amtsantritt die Ansicht, die Regierung würde Schwierigkeiten haben, die größten Probleme des Landes anzugehen: öffentliche Ordnung, Sicherheit, Migration und Wirtschaft. Dabei ließen sich drei konkrete Schwierigkeiten erkennen, zuallererst „die mangelnde Erfahrung in der Regierung“, die nötig wäre, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Außerdem habe das Kabinett „bisher nicht bewiesen, dass es im Team spielen kann. Stattdessen verliert es sehr leicht die Kontrolle über die Agenda“. Drittens gebe es ein „Defizit an Regierungskommunikation“, so Moreno gegenüber der uruguayischen Zeitung la diaria. Auch die Politikwissenschaftlerin Mireya Dávila von der Universidad de Chile betont die Schwierigkeiten zweier Regierungskoalitionen und Borics Minderheit im Parlament. Außerdem laste das verlorene Verfassungsreferendum vom September noch immer auf der Regierung: Eine solche Niederlage gehöre „zu den Ereignissen, die die Politik eines Landes grundlegend prägen“, so Dávila bei la diaria.

Dass es Boric bislang kaum gelingt, mit eigenen Projekten und Erfolgen die öffentliche Agenda zu bestimmen, kann vor allem die politische Rechte ausnutzen, um Druck auf die Regierung aufzubauen und ihre Themen zu setzen: öffentliche Sicherheit, Kriminalität und Migration. Gegen Letztere geht die Mitte-links-Regierung nun aktiv vor: Seit Anfang März und voraussichtlich für 90 Tage ist das chilenische Militär an den Nordgrenzen zu Peru und Bolivien stationiert. Möglich macht das ein Gesetz zur Sicherung kritischer Infrastruktur, das rechte wie linke Parteien im Januar 2023 verabschiedeten.

Die Schwierigkeiten der Regierung verheißen nichts Gutes

Beim Thema Sicherheit ist die in Borics Wahlkampf angekündigte Reform der Militärpolizei Carabineros in den Hintergrund gerückt, stattdessen dominiert das Thema Verbrechen den medialen Diskurs. Seit einigen Wochen steht Boric außerdem wegen mehrerer Fälle getöteter Carabineros in der Kritik. Die Opposition nutzt die Aufmerksamkeit und stellt die Getöteten als Märtyrer dar. Boric und seine Regierung würden nicht genug tun, um die Kriminalität im Land zu bekämpfen und Mitglieder der Polizei zu schützen, heißt es.

Darüber hinaus wird der Sozialdemokrat Boric gerne in die linksextreme Ecke gerückt. So beherrschte Mitte März vor allem das Thema der Begnadigung der politischen Gefangenen der Revolte von 2019 die politische Debatte. Ende vergangenen Jahres hatte Boric zwölf politische Gefangene begnadigt, darunter auch den Ex-Guerrillero der Untergrundorganisation Frente Patriótico Manuel Rodríguez, Jorge Mateluna. Oppositionsparteien hatten gegen die Begnadigung in sieben Fällen Anklage vor dem Verfassungsgericht erhoben. Diese lehnte das, derzeit mit leichter linker Mehrheit besetzte, Gericht jedoch am 21. März ab. Ein Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus beschäftigt sich allerdings weiterhin mit dem Thema.

Auch nach einem Jahr bleibt Borics Präsidentschaft also von Schwierigkeiten geprägt. Die Ablehnung der Steuerreform hat erneut bewiesen, dass der Präsident keine Parlamentsmehrheit und auch die doppelte Regierungskoalition ihre Tücken hat. Nun braucht Boric schnell neue Finanzierungsmodelle und ein klares Regierungsprogramm, wenn er zeigen will, dass Chile ein sozialer Rechtsstaat sein kann, ohne in die wirtschaftliche Instabilität zu rutschen. Und auch wenn der Präsident derweil Distanz zum neuen Verfassungsprozess hält, verheißt dieser, gepaart mit den Schwierigkeiten der Regierung, nichts Gutes. Beide Themen beschäftigen seit Ende März auch ein Bündnis aus Akademiker*innen, Politiker*innen, Gewerkschaftsleuten und Aktivist*innen. Unter dem Slogan #YoAnulo rufen sie nicht nur dazu auf, bei der Wahl zum Verfassungsrat am 7. Mai ungültig zu wählen, sondern teilen auch gehörig gegen Boric aus: „Die Rechte hat alles dafür getan, Unternehmensgewinne zu schützen und das infrage gestellte ‚Chile der 30 Jahre‘ zu verteidigen. Nun hat sich die Regierung von Gabriel Boric den traditionellen Parteien angeschlossen“, heißt es in der Erklärung. Gemeint sind die 30 Jahre nach Ende der Diktatur, in der auch die Mitte-links-Regierungen der Concertación neoliberale Strukturen weiterführten. Diese sollten die Revolte und die neue Verfassung ein für alle Mal beenden. Dass der Präsident heute mit Vertreter*innen der ehemaligen Concertación regiert und rechtes Agendasetting einfach hinnehmen würde, verurteilen die Unterzeichnenden. Stattdessen rufen sie zur Selbstorganisation im Kampf gegen das „Chile der 30 Jahre“ und seine Vertreter*innen auf. Hoffnung in die Regierung setzen sie offenbar keine.

MIT CACEROLAZOS AUS DEM TIEFSCHLAF

Foto: Yesid Sandoval

Laut und kreativ war der Protest, als die Menschen sich für den Auftakt des Generalstreiks in Bogotá versammelten. Im Takt des Trommelwirbels tanzten Jung und Alt vor der nationalen Universität, im Simón Bolivar Park und vor der Casa Nariño, dem Regierungssitz, mitten in der Hauptstadt. „Ich will in einem Land in Frieden und ohne Angst leben“, „Unsere Kinder sind kein militärisches Ziel“ oder „Basta ya“ („Es reicht“), stand auf den Plakaten der Demonstrant*innen, die ihren Unmut gegen die Regierung von Präsident Iván Duque zum Ausdruck brachten.

Damit war es allerdings vorbei, als am frühen Nachmittag Polizist*innen der Aufstandsbekämpfungseinheit (ESMAD) mit Tränengas den gewaltlosen Protestzug, der zum Flughafen führen sollte, unterbrachen. „Ich habe mich in die Enge getrieben gefühlt. Wir waren Tausende, die versuchten in irgendeiner Ecke Schutz zu finden. Einige rannten los, andere stellten sich der ESMAD entgegen, wieder andere versuchten über das Geschehen zu berichten. Ich habe gesehen, wie die Wut und Angst nicht mehr zu bändigen waren“, schildert Daniela Quintero, Journalistin der Stiftung für Frieden und Versöhnung, die Eskalation der Proteste.

Auch die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Vermummten und der mobilen Einheit zur Aufstandsbekämpfung (ESMAD) in Bogotá und Cali überschatteten die friedliche Stimmung und die vielfältigen Forderungen der Protestierenden. Vermummte warfen Steine auf Busstationen des öffentlichen Nahverkehrs und Molotov-Cocktails auf Polizist*innen. In beiden Städten wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Die Polizei verbreitete eine Warnung vor Raubzügen von Kriminellen – die aber nie eintrafen

Die Polizei reagierte mit brutaler Härte. Militärs und Polizist*innen patrouillierten entlang der Straßen der ärmeren Bezirke Bogotás und Calis und warfen Steine auf Häuser und umliegende Gebäude, während die Bewohner*innen von drinnen die Ausschreitungen filmten und ins Internet hochluden. Als die Polizei in der Nacht zum 22. November die falsche Warnung von massenhaften Raubzügen durch Gated Communities verbreitete, bewaffneten sich einige Anwohner*innen mit Pistolen, Messern und Besen, um sich gegen die Kriminellen zu verteidigen, die aber nie eintrafen.

Andere Bürger*innen ließen sich währenddessen ihr Recht auf Protest nicht verbieten. Viele schlugen von ihren Wohnungen und Balkonen aus auf Töpfe und trotz der nächtlichen Ausgangssperre versammelten sich die Bogotaner*innen auf den Straßen und tanzten dort zum Takt der ersten landesweiten cacerolazos (Protestform, bei der durch Schlagen auf Kochtöpfe Krach gemacht wird). Sogar vor dem Haus des Präsidenten im Norden der Hauptstadt schlugen Hunderte auf ihre Kochtöpfe, während drinnen Iván Duque eine Fernsehansprache hielt. „Heute haben die Kolumbianer*innen gesprochen, wir hören ihnen zu. Der soziale Dialog war schon immer ein Aushängeschild dieser Regierung und wir müssen ihn mit allen Sektoren der Gesellschaft vertiefen“, sagt der Präsident, der bis jetzt keinen ernstzunehmenden Dialog mit dem Streikkomitee eingegangen ist. „Das kolumbianische Volk kann sicher sein, dass wir es nicht erlauben werden, dass Vandalen und Gewaltbereite die Gesellschaft erschrecken und vor allem die Möglichkeiten uns auszudrücken einschränken“, erklärte Duque weitergehend.

Es war dann aber die ESMAD, die den Protest blutig niederschlug und mit Wasserwerfern und Tränengas auflöste. Die Gewalt eskalierte, als am Samstag, dem 23. November in Bogotá ein Polizist dem 18-jährigen Dilan Cruz aus einer Entfernung von zehn Metern mit illegaler Munition den Kopf zertrümmerte. Aufgrund des Schädelbruchs wurde er sofort ohnmächtig. Drei Tage später erlag Cruz in einem Krankenhaus in Bogotá seinen Verletzungen, dem Tag seines offiziellen Schulabschlusses. Seitdem wird bei den Protestaktionen immer wieder betont: Dilan ist nicht gestorben, er wurde von der Polizei ermordet.


Mit Töpfen gegen die Regierung Im November fanden das erste Mal Cacerolazos in Kolumbien statt (Foto: Kolumbienkampagne Berlin)

Diese wird jedoch, wie zu erwarten, von der Politik in Schutz genommen. Unter dem Hashtag #NoPudieron schrieb die Innenministerin Nancy Patricia Gutiérrez, die 2011 wegen Vorteilsgewährung zu Hausarrest verurteilt wurde, auf Twitter: „Die Polizei wurde attackiert, damit sie reagiert und ihr später vorgeworfen werden kann, dass sie Menschenrechtsverletzungen begeht.“ Mitglieder der rechtsgerichteten Partei Demokratisches Zentrum (CD) gingen noch weiter und nahmen den ermordeten Schüler ins Visier: „Es wurde festgestellt, dass Dilan Cruz ein Randalierer war“, behauptete die Senatorin Paloma Valencia in einem Interview der Zeitschrift Semana. In der ersten Woche des Streiks wurden 769 Menschen (darunter 397 Polizist*innen) verletzt und 914 Menschen willkürlich verhaftet.

Dass ausgerechnet ein Reformpaket der Regierung das Fass zum Überlaufen brachte, mag zunächst verwunderlich klingen. Doch seine zum Teil gravierenden Folgen für die Lebensbedingungen der Kolumbianer*innen erklären, warum so viele unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche dem Aufruf der Gewerkschaften folgten. Es wird zu Recht befürchtet, dass damit ein System weiter gefestigt wird, das Wachstum und Wirtschaftsinteressen vor die Arbeitsrechte der Bürger*innen stellt.

Trotz andauernder Proteste gegen die Reformvorschläge der Regierung wurde deren paquetazo (Gesetzespaket) in Windeseile im Senat durchgewunken. Ein Teil dessen ist die Steuerreform, die am 4. Dezember von der ersten Kammer des Senats ratifiziert wurde und die steuerliche Ungerechtigkeit in Kolumbien weiter vertiefen wird. Die darin enthaltene Steuersenkung von umgerechnet 264 Millionen Euro bei Megainvestitionen und der Steuererlass beim Kauf von Immobilien über 230.000 Euro sind ein sattes Weihnachtsgeschenk für Unternehmen und Superreiche. Populistisch ist dagegen der versprochene Erlass der Mehrwertsteuer an drei Tagen im Jahr, den Duque vorschlug, als die Proteste auf den Straßen über sieben Tage andauerten.

„Dilan ist nicht gestorben, er wurde von der Polizei ermordet“

Besonders groß ist die Ablehnung gegenüber der von der Regierung vorgeschlagenen Arbeits- und Rentenreform, welche die informelle Arbeit, die steigende Arbeitslosigkeit und Altersarmut bekämpfen soll. Stundenverträge statt unbefristeter Verträge, so lautet die Zauberformel der Regierung, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese Flexibilisierung wird allerdings zu einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse bei gleichzeitigem Verlust von Arbeitsrechten führen. Denn die sozialen Leistungen werden infolgedessen gekürzt, die Sozialversicherungs­beiträge nach Stunden berechnet und die gesundheitlichen und sicherheitsrelevanten Arbeitsnormen gesenkt.

Auch die geplante Fusion der privaten und staatlichen Rentenunternehmen bereitet große Sorgen. Um zwölf Prozent soll das Budget des neuen Rentensystems wachsen. Bis jetzt ist allerdings noch nicht klar, wie die Integration privater und staatlicher Rentenkassen funktionieren soll. Dazu ist es sehr wahrscheinlich, dass zu wenige Menschen von dem erhöhten Budget profitieren. Vor allem wenn man beachtet, dass nur zwei von zehn Kolumbianer*innen überhaupt rentenberechtigt sind.

Trotz lautstarker Kritik von den Gewerkschaften und Akademiker*innen, beharrt die zuständige Ministerin Duques auf einen positiven Effekt dieser Arbeits- und Rentenreform. Denn für diese taube Regierung sind die Prioritäten klar: „Das wichtigste ist, dass das wirtschaftliche Wachstum und die Produktivität erhöht wird“, behauptete die Arbeitsministerin Alicia Arango (CD) im Interview mit der Wirtschaftszeitung El Portafolio.
Ursprünglich beinhaltete die von der Regierungspartei vorgeschlagenen Arbeitsreform eine Kürzung des Mindestlohns auf 160 Euro statt bisher 208 Euro für Menschen unter 25 Jahren. Der sogenannte differenzierte Mindestlohn sollte die Arbeitgeber entlasten und einen Anreiz darstellen, Menschen mit weniger Arbeitserfahrung einzustellen. Angesichts des lautstarken Protests von Studierenden, die ohnehin schon schwindelerregende Semestergebühren für das Studium bezahlen müssen, wurde der Vorschlag zurückgezogen. Ob es dabei bleibt, ist noch offen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Regierung entgegen ihrer Versprechungen handelt.

Währenddessen schmieren Duques Zustimmungswerte bei der Bevölkerung weiter ab. Nach 15 Monaten im Amt ist die Unbeliebtheit des Präsidenten mit 69 Prozent höher als die aller seiner Vorgänger. Von Beginn seiner Regierungszeit an wurde Duque als eine Marionette seines politischen Vaters, Alvaro Uribe Vélez, verlacht. Mit 19 Auslandsreisen in seinem ersten Jahr als Präsident wird Duque als ein abwesendes und dazu sehr ungeschicktes Staatsoberhaupt wahrgenommen, das die Realität des Landes verkennt. Er erklärte den „breiten gesellschaftlichen Dialog“ zum Ziel seiner Regierung, brach dann aber Anfang 2019 die Verhandlungen mit der nationalen Befreiungsarmee (ELN) ab und ließ als „Strategie“ schlicht internationale Haftbefehle auf ihre Anführer ausstellen.

Indem Duque die Friedensverhandlungen mit der ELN von der bedingungslosen einseitigen Waffenruhe abhängig machte, verspielte er die historische Chance auf ein Kolumbien ohne Aufständische. Der Abbruch der Friedensverhandlungen hat zu einem Erstarken der nun ältesten aktiven Guerilla des Kontinents geführt.

Nach der Entwaffnung der revolutionären bewaffneten Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee (FARC-EP) war zu befürchten, dass das Machtvakuum in den ländlichen Regionen von der ELN und paramilitärischen Gruppierungen gefüllt wird. Und da es offensichtlich keine Ambitionen gab, die Situation weiterzudenken, löste dies einen regelrechten Kokain-Boom in Kolumbien aus, der zu einem neuen Rekord in der Produktion des weißen Pulvers führte. Laut den Vereinten Nationen wird derzeit 70 Prozent des weltweit verkauften Kokains in Kolumbien hergestellt. Doch anstatt Programme zur freiwilligen Vernichtung der Koka-Plantagen zu stärken, beharrt die Regierung auf die Zwangsvernichtung der Plantagen durch eine Sondereinheit der Armee. Im Krieg gegen die Drogen 3.0 wurde das Land nun wieder weiter militarisiert, mit einer Armee, die den Befehl hat, im Zweifel auch zu schießen (siehe S. 18-20).

Obwohl eigentlich der Kampf gegen die grassierende Korruption angesagt wäre, sah Präsident Duque unbeteiligt zu, als seine Partei ein Gesetz zur Korruptionsbekämpfung im Senat immer wieder verhinderte und schließlich endgültig zum Scheitern zwang. Das im November 2016 unterzeichnete Friedensabkommen mit den bewaffneten Streitkräften Kolumbiens (FARC) wurde zu einer Zielscheibe von Uribes CD-Partei. Aufgrund von mangelndem politischen Willen wurde die integrale Zusammensetzung der Vereinbarungen torpediert und ihre Umsetzung bewusst verlangsamt.
„Was wir heute erleben, ist etwas, das es noch nie in der kolumbianischen Geschichte gab: die Cacerolazos, die empörten Leute auf der Straße, die Menschen, die immer noch von der Regierung klare Lösungen und Antworten fordern“, sagt Alejandro Palacio Restrepo, Mitglied des kolumbianischen Verbandes der Studierendenvertreter*innen (Acrees). Die andauernden Aktionen mit der Beteiligung von Aktivist*innen, Künstler*innen und Musiker*innen sind ein noch nie dagewesener Impuls für einen übergreifenden sozialen Dialog über Ungerechtigkeiten und Privilegien. Und dieser historische Moment wäre ohne die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC-Guerilla vor drei Jahren und ihrer darauf folgenden Entwaffnung nicht möglich.

Dass Frieden in Kolumbien dennoch weiter eine gedachte Größe bleibt, die nur auf dem Papier gilt, ist ein Affront gegenüber den Opfern des bewaffneten Konflikts, den entwaffneten Guerillerxs und einer Zivilgesellschaft, die nach dem Nein im Referendum zum Friedensabkommen wach geworden ist. Die Welle willkürlicher Tötungen von Zivilist*innen, gezielter Ermordungen von Menschenrechtsaktivist*innen und entwaffneten FARC-Guerillerxs können im heutigen Kolumbien nicht mehr versteckt und geleugnet werden. Zum ersten Mal schaut die entpolitisierte kolumbianische Gesellschaft nicht mehr weg, sondern versöhnt sich mit der eigenen Geschichte voller Vertreibungen, Entführungen und Tod.

LAHMGELEGTES LAND

Taxifahrer*innen in Sorge Proteste gegen Uber verschmelzen mit Streiks der Staatsbediensteten (Foto: Hakan S. Krohn/Wikimedia.org CC-BY-2.0)

Es ist eine illustre Gruppe, die sich dort an der Absperrung trifft: Neugierige Tourist*innen, genervte LKW-Fahrer*innen und entspannte Busfahrer*innen. Sie alle sind zum Stauanfang gekommen, um zu sehen, was der Grund für die lange Wartezeit ist. Auf der anderen Seite der Absperrung steht eine Gruppe von etwa 200 Menschen. Eine Band spielt Musik, es gibt Grills und eine kleine Bühne. Was wie ein Volksfest wirkt, hat einen ernsten Hintergrund: Die Staatsbediensteten streiken. Und nicht nur das – die Angestellten des öffentlichen Dienstes blockieren die großen Verkehrsstraßen des Landes. In kleinen Gruppen versperren sie bevorzugt Brücken, also jene Engpässe, an denen es keine alternativen Routen gibt. Für das wirtschaftlich von Tourismus und Fruchtexport abhängige Land kommt das einer Erpressung gleich. Grund der Streiks ist die aktuelle Steuerreform. Die verheerende Haushaltslage des Landes verlangt nach Lösungen. Im laufenden Jahr droht eine Neuverschuldung von über sieben Prozent des BIP. Die Reform ist kein leichtes Unterfangen. Eine Besonderheit Costa Ricas ist die verfassungsrechtliche Regelung einiger Haushaltsposten. Insgesamt 34 Prozent des Staatshaushaltes sind von solchen festen Quoten, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich, betroffen. Gemeinsam mit den 53 Prozent für die Schuldentilgung stehen damit 87 Prozent des Haushaltes nicht zur freien Verfügung. Was übrig bleibt, reicht nicht mehr für politische Projekte und die öffentlichen Angestellten. Deshalb sei die Reform laut Präsident Alvarado zwar eine „bittere Pille“, aber unabdingbar für den Schutz des sozialstaatlichen Modells des Landes. Kernelement der Steuerreform ist eine allgemeine Mehrwertsteuer in Höhe von 15 Prozent, die die aktuelle Konsumsteuer von 13 Prozent ersetzt. Damit fallen auch Dienstleistungen unter diesen Steuersatz. Mit einem Prozent werden erstmals auch Grundnahrungsmittel wie Reis und Bohnen besteuert. Zudem werden neue Steuern auf hohe Verbrauchsmengen an Wasser, Strom und Wohnraum erhoben, wovon jedoch über 90 Prozent der Bevölkerung nicht betroffen sein werden.

Die Blockaden kommen einer Erpressung gleich

Das allein wird nicht reichen, um den Haushalt zu konsolidieren. „Im Rahmen der Krise suchten wir nach konkreten Einsparmöglichkeiten“, erklärt Silvia Artavia, Journalistin der Tageszeitung La Nación. „Dabei stießen wir auf horrende Ausgaben im öffentlichen Sektor, wie Luxusrenten, Bonuszahlungen und Privilegien“. Auch für Präsident Alvarado steht seit Beginn seiner jungen Amtszeit fest, dass „wir auch Ausgaben reduzieren und effizienter werden müssen.“ Deshalb sieht die Reform u.a. auch neue Obergrenzen für Gehälter im öffentlichen Dienst und leistungsbedingte Rentenzahlungen vor. Dieser Diskurs treibt seine Angestellten auf die Straße. Im Namen der Allgemeinheit kämpfen sie gegen die Politik „für die Wahrung unserer Würde“, wie ein Spruchband verrät. An der Absperrung gehen die Meinungen über die Blockade weit auseinander. Juan Pablo, ein Busfahrer, kann die Bewegung nachvollziehen. „Es gibt keine andere Weise, sich Gehör zu verschaffen. Viele Bürger*innen sind gegen die Steuerreform, aber nur der öffentliche Sektor hat die Möglichkeit zu streiken.“ Ein Truckfahrer regt sich auf: „Sollen sie doch streiken, aber den Rest des Landes seine Arbeit machen lassen.“ Melanie, eine junge Studentin, sieht die Demonstranten als Teil des Problems. „Warum haben sie nicht gestreikt, als der Haushalt in Schieflage geriet? Weil sie gut bezahlt werden. Sie haben sich ihr Schweigen teuer bezahlen lassen. Jetzt müssen sie die Konsequenzen für ihr korruptes Verhalten tragen.“ Zwischen den Fahnen der Protestierenden tauchen auch Taxifahrer*innen auf, die sich am Streik beteiligen. Ihr Motiv ist nicht direkt die Steuerreform, sondern der App-Anbieter Uber. Wie in vielen Teilen der Welt stören sie sich am preiswerten Personentransport, den die App ermöglicht. Seit drei Jahren existiert er in Costa Rica. Seitdem hat sich die Causa Uber zu einem weiteren Präzedenzfall jener ineffizienten Arbeitsweise von Politik und Verwaltung entwickelt, der der Präsident indirekt eine Mitschuld an der Krisensituation gibt.

Ein weiterer Präzedenzfall ineffizienter Arbeitsweise von Politik und Verwaltung

Wie in vielen lateinamerikanischen Ländern ist Uber in Costa Rica ein großer Erfolg. In dem Land mit knapp 5 Millionen Einwohner*innen bieten nach eigenen Angaben bereits 21.000 Fahrer*innen 800.000 Nutzer*innen Fahrten an. Die Attraktivität hat mehrere Gründe. Die Mehrheit der Costa-Ricaner*innen lebt in der Hauptstadtregion um San José, die ein Abbild des autozentrierten Stadtmodells der Vereinigten Staaten ist. Fußgänger*innen oder Radfahrer*innen finden darin keinen Platz, während der öffentliche Nahverkehr höchst ineffizient ist. Wer kein eigenes Auto besitzt, nutzt das Taxi – oder eben Uber. Taxifahrer*innen genießen aber einen schlechten Ruf. Das jahrzehntealte Monopol und lasche Kontrollen haben eine Servicewüste hinterlassen. Fahrten ohne Taximeter, Umwege und Belästigungen machen Uber zur sicheren Alternative. Das ausschlaggebende und zugleich umstrittenste Argument ist der Preis: Uber ist günstiger als die offiziellen Taxis. Der niedrige Preis ist jedoch durch die Illegalität der Dienstleistung teuer erkauft. Taxifahrer*innen organisieren sich in Genossenschaften, sie benötigen eine staatliche Lizenz und zahlen Steuern. Die Fahrer*innen von Uber überlassen 25 Prozent ihrer Einnahmen Uber, der Rest ist für sie. Trotz Ubers Wachstums und mehrerer Streikwellen der Taxifahrer*innen ist seitens der Politik wenig passiert. Die vergangene Regierung hat Uber offiziell für illegal erklärt, in der Praxis ist der Betrieb aber weitestgehend geduldet. In dieser unkontrollierten Illegalität sieht der Abgeordnete Enrique Sánchez der regierenden Partei der Bürgerlichen Aktion (PAC) den falschen Weg. Er ist einer der wenigen Abgeordneten, die öffentlich Lösungen präsentieren. Für ihn ist Uber mehr als ein Taxiunternehmen. Es ist der Vorbote neuer Arbeitsformen und Unternehmensmodelle. „Wir müssen uns entscheiden. Glauben wir, dass sich der Fortschritt an unsere Gesetze anpasst oder passen wir diese lieber an den Fortschritt an?“ Letztendlich gäbe es zwei Wege, mit Uber umzugehen: Ein komplettes Verbot oder die Legalisierung. In Costa Rica liefe es aber stets auf einen dritten Weg, einen „faulen Kompromiss“, hinaus. Sánchez macht sich für eine Liberalisierung des gesamten Personentransportes stark. Derzeit leiden auch die Taxifahrer*innen unter einer ausufernden Bürokratie und als Folge dessen an einem informellen Handel mit Lizenzen. „Nutzen wir die Gelegenheit und schaffen ein neues Lizenzverfahren für alle!“ Das legalisiere jede geleistete Arbeit, besteuere sie und biete allen den staatlichen Versicherungsschutz. „Dadurch öffnen wir Innovationen die Tür, schaffen mehr Wettbewerb und die Fahrer*innen können frei entscheiden, für welchen Anbieter sie fahren. Wir lösen das Problem langfristig und gerecht – auch für Technologien, die noch kommen.“

In Costa Rica läuft es stets auf einen faulen Kompromiss hinaus

Die Idee einer weitreichenden Reform der Lizenzstruktur trifft jedoch auf Widerstand. Das federführende Transportministerium fürchtet einen Bedeutungsverlust. Und der Vorsitzende der Taxigewerkschaft, Rubén Vargas, hält am Verbot von Uber fest. „Sie zerstören die Arbeitsplätze derer, die Steuern zahlen und ersetzen sie durch illegale Billigarbeit. Und am Ende gehen die Einnahmen in die USA. Ist das etwa die moderne Welt?“ Uber hält dem entgegen, dass es kein Transportunternehmen sei, sondern die Fahrten lediglich vermittele. Daher wäre eine Gleichstellung mit Taxiunternehmen nicht rechtens. Darüber hinaus gibt sich das Unternehmen öffentlichkeitsscheu, Kommunikationsexpert*innen wimmeln Presseanfragen ab. Man präferiert den direkten Draht zur Politik.

Dort wird im Transportministerium der Kompromissvorschlag verhandelt. Enrique Sánchez kennt und erklärt ihn: „Statt einer Gleichstellung mit den Taxiunternehmen verpflichtet sich Uber, 3Prozent seiner Einnahmen in einen Mobilitätsfonds zu zahlen und seine Fahrer*innen staatlich zu versichern.“ Den Taxifahrer*innen werde der Erwerb der Lizenz erleichtert. „Dieser Entwurf findet wahrscheinlich eine politische Mehrheit, löst aber die eigentlichen Probleme nicht.“ Statt einer weitreichenden Reform, wie Sánchez sie fordert, fördert der Entwurf die bestehenden Strukturen. Er geht nicht die vernachlässigten Kontrollen, die komplizierte Überregulierung und das autozentrierte Stadtmodell an – alles Aufgaben des Transportministeriums, das auch den neuen Mobilitätsfonds verwalten wird. Damit besteht die Gefahr, dass sich um ihn jene bürokratischen Hürden entwickeln, die die Modernisierung bremsen. Und, dass die Mittel aus dem Fonds eher in den Straßenbau als in den öffentlichen Nahverkehr investiert werden. Zudem fehlen wichtige argumentative Stützen des Kompromisses. Sánchez kann nicht sagen, wie die drei Prozent zustande kamen. Als Vorbild dienen ähnliche Gesetze z.B. aus Chile. Costa-ricanische Eigenheiten, wie das Sozialstaatssystem, werden dabei nicht berücksichtigt. Da Uber derzeit illegal ist, liegen auch keine Zahlen vor. Es ist offen, was diese drei Prozent ausmachen und wie sie mit potenziellen Schäden der Volkswirtschaft durch einen reduzierten Taxisektor im Verhältnis stehen. Es ist daher schwer zu sagen, ob die drei Prozent „Steuern“ angemessen sind – und gemessen woran? Gerade im Rahmen der aktuellen Krise hätten makroökonomische Argumente der Debatte helfen können, der vom Präsidenten geforderten Effizienzsteigerung ein Gesicht zu verleihen.

Das wäre etwas Neues: Radwegebau statt Straßenausbau

Der benötigte Erneuerungsprozess droht daher an den internen Strukturen der Ministerialbürokratie zu scheitern. Auch deren Mitarbeiter*innen stehen neben den Taxifahrer*innen und gemeinsam legen sie das gesamte Land lahm im Kampf um ihre Würde. Eine wahrlich illustre Zusammenkunft also, auf beiden Seiten der Absperrung, mündet in einer konfusen Rollenverteilung bezüglich Problem, Verantwortlichkeit und Opfer. Doch plötzlich regt sich was an der Streikfront. Die Polizei räumt die Barrieren beiseite. Wird die Blockade geöffnet? „Ja“, erklärt Juan Pablo, der Busfahrer. „Es ist 16 Uhr. Der Streik ist für heute vorbei. Ab jetzt haben wir freie Fahrt bis San José.“ Ein bisschen Ordnung herrscht also doch: Selbst, wenn es um die eigene Würde geht, macht der öffentliche Dienst pünktlich Feierabend.

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