Menschen statt Kühe

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Mehr Kühe als Menschen Landbesitz ist in Kolumbien stark konzentriert (Foto: Aris Gionis via Flickr (CC BY-NC 2))

Eine der erklärten Prioritäten der Regierung unter Präsident Petro ist es, eine Agrarreform durchzusetzen, die im ersten Punkt des Friedens­abkommens zwischen der FARC-Guerrilla und der Santos-Regierung 2016 beschlossen wurde. Laut dem Abkommen sollen drei Millionen Hektar von Großgrundbesitzer*innen umverteilt und Landtitel über sieben Millionen Hektar Land an die landlose kleinbäuerliche Bevölkerung vergeben werden. „Die Agrarreform ist der Weg, um die Gewalt auf dem Land zu vermeiden”, schrieb Petro im Juni auf der Plattform X. Dabei geht es nicht nur oder vorrangig um die Landrückgabe an intern Vertriebene. Dafür ist das Landrückgabeprogramm des 2011 verabschiedeten Opfergesetzes zuständig. „Landrückgabe ist keine Landreform. Sie ist einfach nur Gerechtigkeit“, so Petro. „Bei der Landreform geht es darum, dass Landlose oder Bauern mit zu wenig Land Landtitel bekommen. Und das geschieht durch eine Änderung der Grundbesitzverhältnisse.”

Um die ambitionierten Pläne der Regierung besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte der ungleichen Landverteilung in Kolumbien, die ein Erbe der spanischen Kolonialzeit ist. „Der König oder sein Delegierter vergaben die Ländereien an die Kolonisatoren. Diese wurden von Generation zu Generation weitergegeben und bleiben so in den gleichen Händen”, erklärte der Lateinamerikaforscher Juan Guillermo López von der Freien Universität Berlin den LN. „Wir haben es in Kolumbien noch nicht geschafft, ein Kataster (Register über die Landbesitzverhältnisse, Anm. d. Red.) einzurichten. Oft haben Kleinbauern informell Land gekauft, sie haben keine Eigentumstitel. Es ist also sehr schwierig nachzuweisen, welches Land wem gehört, wenn es um die Agrarreform geht. Das ist das große Landproblem”, so López. Diese unklaren Besitzverhältnisse führten im Zusammenspiel mit einer gescheiterten Agrarpolitik im 20. Jahrhundert, dem bewaffneten Konflikt und illegalem Landkauf infolge paramilitärischer Gewalt zu einer stetig größer werdenden Landkonzentration. Die Folge: Millionen von landlosen Bäuer*innen. Die Bemühungen um die Umverteilung von Land begannen vor fast einem Jahrhundert mit den liberalen Reformen von Präsident Alfonso López Pumarejo im Jahr 1936 und jenen von Präsident Alberto Lleras Camargo im Jahr 1961. Wären sie umgesetzt worden, hätten sie einen bedeutsamen Einfluss auf die Landverteilung gehabt. Ihr Erfolg war jedoch sehr begrenzt – teils aus konzeptionellen Gründen und teils, weil sie auf den erbitterten Widerstand jener gesellschaftlichen Gruppen stießen, die bis heute von diesen Ungleichheiten profitieren. Eine weitere Reform sah 1994 mit einer staatlichen Deregulierung und verschiedenen Freihandelsabkommen die neoliberale Wirtschaftsöffnung im Land vor. Diese ließ den Agrarsektor schutzlos zurück und Kolumbien entfernte sich mehr und mehr von einer Produktions- und Subsistenzwirtschaft. Es folgten ein rasanter Anstieg im Bergbau- und Wasserstoffsektor, ebenso wie beim Import von Agrarprodukten, die die kleinbäuerliche Bevölkerung größtenteils selbst hätte produzieren können. Diese konnten im freien Markt nicht mithalten, auch angesichts der fehlenden Infrastruktur, der Gewalt im Land und dem fehlenden staatlichen Schutz. Auf jeden Versuch einer Agrarreform folgte eine (gewaltvolle) Gegenreform, die zu mehr Landkonzentration führte.


Landbesitz bedeutet wirtschaftliche und politische Macht

In Kolumbien bedeutet Landbesitz vor allem eines: wirtschaftliche und politische Macht. Wer nach feudaler Art landlose Arbeiter*innen die eigenen Ländereien bewirtschaften lässt, hat die Kontrolle über sie. Großgrundbesitzer*innen beeinflussen daher unter anderem Wahlergebnisse und die regionale Politik. Eben deshalb steht die Landfrage im Mittelpunkt des jahrzehntelangen Konflikts in Kolumbien.

Dabei wird der größte Teil der potenziellen Anbauflächen gar nicht genutzt – und wenn, dann hauptsächlich für den Export: Kolumbien verfügt über 11,9 Millionen Hektar Agrarfläche. Davon werden nur 3,9 Millionen Hektar bewirtschaftet. Ein Großteil liegt dagegen brach, ist nicht wirtschaftlich ertragreich und wird für die extensive Rinderzucht genutzt. Im Durchschnitt steht auf einem Hektar Land in Kolumbien etwas mehr als eine halbe Kuh. Denn Reichtum entsteht hier nicht durch Landwirtschaft, sondern durch Spekulation: Landbesitz ist eine Kapitalanlage – das reale Geschäft der Großgrundbesitzer*innen.

Eben diesen „unproduktiven Ländereien“ will die Petro-Regierung entgegentreten – und macht sich damit mächtige Feinde. Eine Agrarreform widerspricht den Interessen der herrschenden Klasse in Kolumbien, traditionell Besitzerin des Landes und bis vor kurzem mit ihren Vertreter*innen stets an der Spitze des Staates. Während dem Präsidentschaftswahlkampf verbreitete die heutige Opposition die Lüge, Gustavo Petro würde Land, Eigentum, Häuser und Unternehmen der gesamten Bevölkerung enteignen.

Dabei steht der gesetzliche Rahmen schon seit fast einem Jahrhundert. Rechtlich gilt: Wer in Kolumbien Land besitzt, muss dieses produktiv nutzen, es muss eine „öffentliche Funktion“ erfüllen und darf kein Spekulationsobjekt sein. Ist das nicht der Fall, hat der Staat das Recht, diese Ländereien zu enteignen. Aus eben diesem Grund betreiben Großgrundbesitzer*innen Viehzucht. „Wenn ein Großgrundbesitzer eine Kuh hält, gilt er bereits als Viehzüchter. Das Problem ist also, dass sie eine einzige Kuh auf fünf Hektar stellen können und damit zeigen, dass sie das Land produktiv nutzen”, erklärt der Forscher Juan Guillermo López. Die Funktion der Rinder ist also nicht vorrangig deren Vermarktung. Sie erfüllen lediglich die Rolle der Platzhalter und Wächter über den Landbesitz.

Die Bemühungen der Regierung um eine umfassende Agrarreform begannen mit einer politischen Vereinbarung mit dem Viehzüchterverband (Fedegán) im Oktober 2022. Die Vereinbarung über den Staatsankauf von drei Millionen Hektar zu Marktpreisen ist ein wichtiger Meilenstein, denn seit jeher stellt sich der mächtige Verband gegen jede Landreform. Jose Felix Lafaurie, Präsident des Verbands, und Petro sind seit Jahren erbitterte Gegner. Fedegán steht zudem historisch in Verbindung mit Anti-Restitutionsarmeen und rechten paramilitärischen Gruppen.

Mit dem millionenschweren Verkauf würde Fedegán zum ersten Mal eine Agrarreform unterstützen. Zwar entbindet die Vereinbarung den Verband von seiner historischen, sozialen und rechtlichen Verantwortung, das Land zurückzugeben. Sie könnte jedoch relativ schnell greifbare Ergebnisse garantieren und das Risiko gewaltsamer Opposition reduzieren. Ihre Umsetzung gestaltet sich allerdings schleppend: Seit der Unterzeichnung der Vereinbarung bis Mai 2024 hat Fedegán erst 821.114 Hektar Land zum Kauf angeboten, von denen nur 208.512 brauchbar sind – das entspricht etwa sieben Prozent des Gesamtziels. In vielen Fällen sind die angebotenen Grundstücke unfruchtbar, schwer zugänglich und abgelegen, oder die Legitimität des Erwerbs ist nicht gewährleistet. Und auch nach dem Kauf gibt es weiterhin Verzögerungen bei der Übergabe der Ländereien.

Für die Reform greift Petro auch auf Mechanismen zurück, die bereits seit 30 Jahren festgelegt, jedoch nie umgesetzt wurden. Dazu gehört das Nationale System für Agrarreformen. Darin sind Ziele verankert, die weit über die Landverteilung hinausgehen. Es handelt sich um ein umfassendes Projekt zur ländlichen Produktivität, das auf einer gerechten Struktur des Besitzes von Land und Produktionsmitteln basiert: Durch Ausbau der Infrastruktur, Industrialisierung und Wertschöpfung vor Ort, Anbindung an die Märkte, freiwillige Substitution von Koka-Anbaukulturen durch Nahrungsmittelproduktion, Investitionen in Bildung und Gesundheit sowie Zugang zu Krediten sollen die Bedingungen geschaffen werden, damit Bäuer*innen Subsistenzwirtschaft betreiben und Überschüsse verkaufen können. Dadurch soll ein produktiver und technologischer Schwung in den kolumbianischen Agrarsektor gebracht werden, damit das Land seine Ernährungssouveränität wiedererlangt.

Eine Grundlage dafür existiert bereits: Die Bauernschutzzonen (ZRC) sind selbstverwaltete Gebiete, in denen der Staat die kleinbäuerliche Bevölkerung als Rechtssubjekte anerkennt und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse und so auch ihrer traditionellen Lebensweise garantiert. In diesen Zonen sind Obergrenzen für Landbesitz festgelegt, die je nach Bodenbeschaffenheit und Marktanbindung variieren. Der rechtliche Rahmen für die ZRC wurde im Gesetz 160 von 1994 festgelegt. „Die Zonen wurden während der Uribe-Regierungen als Guerrilla-Hochburgen stigmatisiert und blockiert. Auch während der Duque-Regierung hatten sie keine echte Unterstützung. Die haben sie erst mit Petro erfahren”, so Juan Guillermo López. Gegenwärtig gibt es 14 solcher Schutzzonen, sieben davon wurden erst in Petros Regierungszeit anerkannt

Kampf gegen die Ungleichheit Auch Kleinbäuer*innen sollen eine Chance gegen Großgrundbesitzer*innen haben (Foto: MinAgricultura y Desarrollo Rural retrieved from Presidencia)

Bedeutende Schritte nach vorn, aber Gegenwind im Kongress

Trotz gewaltigen Widerstands sind bereits bedeutende Fortschritte in der Agrarreform zu beachten. Im Juni 2024 wurde die Anerkennung von Kleinbäuer*innen als Rechtssubjekte im Kongress beschlossen. Diese Gesetzesänderung hebt ihre Rolle als zu schützende politische Subjekte hervor, die eine aktive Rolle in der Agrarreform spielen. „Die bäuerlichen Gemeinschaften haben eine besondere Beziehung zum Land, die auf der Nahrungsmittelproduktion beruht”, so das Gesetz. Auch sollen sie dadurch Rechte auf vorherige Befragungen bekommen, die zuvor nur Angehörigen indigener Gemeinschaften galten.

Am selben Tag stimmte die Senatskammer der Einrichtung einer Agrar- und Landgerichtsbarkeit (JAR) zu. Die Entscheidung gilt nach sechs Jahren als bedeutendster Fortschritt bei der Umsetzung des Friedensabkommens. Die JAR soll spezialisierte Richter*innen in konfliktträchtigen Gebieten installieren und den Zugang der Landbevölkerung zur Justiz verbessern. Solle der Frieden auf dem Land durch den Rechtsweg erreicht werden. „Somit können alle Streitigkeiten, die wir über Landrechte, Brachland und öffentliches Eigentum haben, bearbeitet werden“, so die inzwischen ehemalige Agrarministerin Jhenifer Mojica. Allerdings muss dafür noch ein weiteres Gesetz durch den Kongress gebracht werden, welches die Zuständigkeiten der Agrargerichte definiert und schnellere Verfahren zur Streitbeilegung festlegt. Das Projekt trifft momentan auf starken politischen Widerstand. Die taktischen Verzögerungen der Opposition könnten das Projekt letztlich scheitern lassen, was das Vertrauen der ländlichen Bevölkerung in die Institutionen erschüttern würde.

Insgesamt wurden bis Mai 2024 laut dem Agrarministerium 1.065.109 Hektar Land für die Agrarreform gewonnen. Diese Fläche setzt sich aus gekauftem Land, formalisierten Landtiteln sowie Land zusammen, das der Staat von Drogenhändlern beschlagnahmt hat. Kritiker*innen der Regierung heben die langsame Umsetzung der Umverteilung von Land und der Vergabe von Landtiteln hervor. Fakt ist jedoch auch, dass die landlose kleinbäuerliche Bevölkerung, historisch Opfer des Konflikts, zum ersten Mal von einer Regierung anerkannt wird und sich ein neues Narrativ in Bezug auf die extrem ungerechte Realität der Akkumulation von Land durchsetzt.

Petro-Regierung legt Grundsteine

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Im Juni 2024 wurden Landtitel von 800 Hektar an 35 Familien in El Aro in der Region Ituango vergeben. Am 27. Oktober 1997 hatte das Paramilitär in der Gemeinde ein Massaker verübt, das die Vertreibung von mehr als tausend Kleinbäuer*innen zur Folge hatte. Der Interamerikanische Menschenrechtshof verurteilte den kolumbianischen Staat 2006 und verpflichtete ihn dazu, die Opfer von El Aro zu entschädigen. Das Urteil war bis jetzt von allen Regierungen ignoriert worden. Weitere über 2.000 Hektar Land, die zuvor von der Mafia beschlagnahmt wurden, wurden im Juni an 181 Familien in den Regionen Bolívar, Sucre und Cesar übergeben. Die Gebiete, die stark unter Gewalt und Landraub gelitten haben, sollen nun den Landwirt*innen und Friedensunterzeichner*innen zugutekommen. Im Mai 2024 hat die Regierung in sieben Departamentos über 3.000 Hektar kollektive Landtitel an afro-kolumbianische Gemeinschaften formalisiert. 1.046 Familien profitierten von dieser Maßnahme. In Santa Bárbara de Punto im Departamen­­to Magdalena vergab die Regierung Kleinbäuer*innen 658 Hektar Land, das sie zuvor von einem Viehzüchter gekauft hatte. Zweifellos steht die Landfrage im Mittelpunkt des Konflikts in Kolumbien. Deshalb ist die Agrarreform eine Voraussetzung für einen zukünftigen Frieden. Es wird immer deutlicher, dass die Petro-Regierung in ihrer Amtszeit lediglich die Grundsteine für die Agrarreform legen kann. Ihr langfristiger Erfolg oder Misserfolg hängt von der Kontinuität eines progressiven politischen Projekts ab. Selbst wenn alle im Friedensabkommen festgelegten Ziele der Agrarreform erreicht werden würden, hätte die kleinbäuerliche Bevölkerung noch nicht genug Land pro Kopf, um davon würdevoll leben zu können. Eines steht zumindest fest: Kolumbiens aktuelle Regierung macht nach Jahrzehnten der negativen Entwicklungen einen ersten Schritt, damit in Zukunft Menschen statt Kühe über die Felder verfügen.


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100 TAGE PETRO

Neuanfang Feier nach dem Wahlsieg von Gustavo Petro (Foto: Fredy Henao)

Der Regierungsplan stellte eine lange Liste an Verbesserungen mit Schwerpunkt auf der Stärkung des staatliche Renten- und Gesundheitssystems, der Einleitung der Energiewende und der Umsetzung der Agrarreform vor. Allesamt Pläne, die eine umfangreiche Finanzierung benötigen. Deshalb war es für die Regierung oberste Priorität, mit der Steuerreform durchzustarten. Anfang November wurden die Hauptinhalte der Reform diskutiert: die Einführung von Steuern auf gesundheitsschädliche Lebensmittel mit hohem Zuckergehalt, auf den Export von Öl und Kohle, die Steuer auf Renten und auf die Kirche. Die Reform zielte zunächst darauf ab, 25 Milliarden kolumbianische Pesos zu sammeln.

„Die zentrale Philosophie der Steuerreform als solche besteht aus zwei Aspekten: erstens, die Zahlungsfähigkeit des Landes zu erhöhen und zweitens, die soziale Gerechtigkeit in Kolumbien zu steigern “, teilte Präsident Gustavo Petro CNN mit, nachdem über die Reform in der Senatskammer abgestimmt wurde. Dafür soll in die Beseitigung von Armut und Ungleichheit investiert werden – beginnend mit einer Umverteilung der steuerlichen Last. Im Unterschied zur Politik unter der vorherigen Regierung sollen diejenigen mit einem höheren Einkommen nun auch mehr Steuern zahlen. Des Weiteren sollen Steuervergünstigungen für Unternehmen abgeschafft und Steuerhinterziehung stärker bekämpft werden.
In zwei parallelen Plenarsitzungen verabschiedete der Kongress die meisten der Artikel, die eine Steuererhöhung ausmachen. Die Regierung rechnet damit, ab 2023 mit rund 20 Milliarden Pesos etwa 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zusätzlich an Steuern einzunehmen. Kolumbien ist eines der Länder, das unter den mittleren und großen Volkswirtschaften Lateinamerikas am wenigsten Steuern erhebt: laut OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, erhält der Staat Kolumbien auf diesem Weg 13 Prozent des BIP, während der Durchschnitt in Lateinamerika bei 16 Prozent liegt.

Dennoch traf die Reform bereits während der Verhandlungen auf Kritik von der Opposition, besonders in Bezug auf die zunehmende Versteuerung von Einwegplastik beim Verkauf von Nahrungsmitteln. Die Parteien Centro Democrático und Liga Anticorrupción sehen die Steuer als eine unnötige und weitere finanzielle Last für Kolumbianer*innen, die bereits durch die Inflation von hohen Lebensmittelpreisen betroffen sind.

Die Agrarreform und der „allumfassende Frieden“

Unter anderem soll die neue Steuerreform die Finanzierung von einem der wichtigsten Projekte der Regierung sichern: die Agrarreform. Petro setzt dafür auf den Kauf von ungenutzten Ländereien von Großgrundbesitzer*innen. Das erworbene Land ist für Bauern und Bäuerinnen ohne eigenen Grundbesitz vorgesehen und soll den Landfonds, der im Rahmen des Friedensabkommens geschaffen wurde, teilweise aufstocken. So soll die Reform der Steigerung der Agrarproduktion dienen und gleichzeitig den Friedensprozess fördern.

Nach einer Studie des Wohlfahrtsverbands Oxfam besitzt in Kolumbien derzeit ein Prozent der Bevölkerung über 80 Prozent der privaten Agrarflächen. Die Notwendigkeit einer Agrarreform, die eine gerechte Umverteilung des Landbesitzes wurde bereits im Friedensabkommen im Jahr 2016 festgehalten. Hinzu kommt das 2011 verabschiedete Gesetz für Opfer und Landrückgabe, welches die Rückgabe der Ländereien an Bauern und Bäuerinnen vorsieht, die von Landraub und gewaltsamer Vertreibung betroffen sind. Die Landrückgabe schreitet jedoch nur langsam und keineswegs konfliktfrei voran. Unter anderem wurden mehrere Grundstücksbesitzende, die ihr Land einforderten, bedroht, erneut vertrieben oder gar ermordet. So bleibt die Reform auch in Hinsicht auf den bewaffneten Konflikt und die dadurch verursachte Enteignung von Kleingrundbesitzer*innen ein aufgeladenes Thema, das über reine Wirtschaftsbedenken hinausgeht.

Bereits in der letzten Ausgabe (LN 580/581) berichteten LN über die gelungene Kooperation mit der Föderation von Viehzüchtern Fedegán. Die Föderation erklärte sich bereit, drei Millionen Hektar Weideland an die Regierung zu verkaufen. Hierfür wurden drei Milliarden kolumbianische Pesos (645 Millionen Euro) bereitgestellt. An sich verheißt dieses Abkommen den Auftakt einer lang erwarteten Reform. Diana Salinas, Mitgründerin des Onlinemediums Cuestión Pública, betrachtet im Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung diesen historische Pakt jedoch mit Skepsis. Fedegán sei eine der wichtigsten Lobbyorganisationen Kolumbiens, die sich weigerte an den Friedensgesprächen von 2013 teilzunehmen. Die Zusammenarbeit könne sich daher als eine für alle Seiten pragmatische, vorteilhafte Strategie erweisen. Dennoch bleibe sie problematisch, da Fedegáns Rolle in der Fortsetzung des Konflikts umstritten ist. „Das kann sich als sehr intelligente Strategie erweisen, aber auch zum Bumerang einer Amnestie durch die Hintertür werden“. Nun stellt sich die Frage, wie sich die Regierung dahingehend positionieren wird. In einem Bericht von amerika21 hat sich Landwirtschaftsministerin Cecilia López dazu geäußert: Viehzüchter*innen von Fedegán müssen vor der Übergabe ihrer Grundstücke beweisen, dass sie die legitimen Besitzer der Ländereien seien. Das soll verhindern, dass enteignete Grundstücke zum Verkauf gestellt werden.

Es bleibt also abzuwarten, was für Entwicklungen die Agrarreform wirklich mit sich bringen wird. Doch laut Salinas könnte die Zusammenarbeit mit Fedegán mehr Bewegung in die Verhandlungen mit paramilitärischen Akteuren bringen – ein Vorteil zugunsten des Friedensprozesses. Denn im Rahmen des Gesetzes „Ley de Paz Total“ möchte die Regierung den Kontakt mit allen noch aktiven bewaffneten Gruppen und mögliche Friedensverhandlungen mit diesen (wieder-)aufnehmen.

Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den FARC im Jahr 2016 war die Gewalt im Rahmen des Konflikts drastisch zurückgegangen. Nach Angaben des Instituts für Entwicklungs- und Friedensstudien Indepaz ging die Zahl der Morde von 12.665 im Jahr 2012 auf 1.238 im Jahr 2016 zurück – eine fragile Entwicklung, die für viele kein Ende der Gewalt verheißt: „Die ging auch nach dem Friedensabkommen mit der FARC weiter“, erklärte Aktivist José Roviro López Rivera im Interview mit LN. Die Situation hat sich seitdem nur verschlimmert. Denn seit zwei Jahren haben paramilitärische Gruppen und kriminelle Organisationen ihre Präsenz in verschiedenen Regionen Kolumbiens ausgebaut. Dem UN-Bericht von 2022 zu Folge seien diese häufig in illegale Aktivitäten wie Drogenhandel und illegalen Bergbau verwickelt. Mord, sexuelle Gewalt, Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen und Erpressung sind einige der Mechanismen, die sie nutzen, um die Bevölkerung zu unterdrücken. Hinzu kommen die Vertreibungen und die Enteignungen, die weiterhin in den ländlichen Gebieten stattfinden. Indigene und afrokolumbianische Gemeinden machen nach Einschätzungen des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten UNOCHA 57 Prozent der vertriebenen Bevölkerung aus.

Paradigmenwechsel im Kabinett

Weitere Entscheidungen in der Besetzung des Kabinetts richteten sich nach den sozialen Aspekten des Regierungsplans. Schon im ersten Kapitel des Wahlprogramms kündigte Petro an, sich für die Rechte der kolumbianischen Frauen einzusetzen und ihre Teilhabe in politischen Prozessen zu erhöhen. Mit einem intersektionalen Fokus soll Diskriminierung sowohl auf der politischen, als auch der wirtschaftlichen Ebene bekämpft werden. Deshalb sollen bei der Repräsentation nicht nur Frauen, sondern auch andere ausgegrenzte Gruppen wie Jugendliche, indigene Gemeinschaften, Afrokolumbianer*innen, die LGBTIQ+ Community und die kleinbäuerliche Bevölkerung stärker miteinbezogen werden.

Der Grundstein dafür wurde mit der Besetzung seines Kabinetts gelegt. Zum ersten Mal sind indigene Frauen im Kabinett vertreten: Arhuaco-Aktivistin Leonor Zalabata Torres als Botschafterin bei den Vereinten Nationen und Anwältin Patricia Tobón Yagari als Direktorin der nationalen Opfereinrichtung sowie als Leiterin der Einrichtung für Landrückgabe. Ein weiteres Anliegen, das in Zukunft dem Schutz ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen dienen soll, ist die Schaffung eines Gleichberechtigungsministeriums. Der Gesetzentwurf dafür wurde am 18. Oktober vorgelegt und Vizepräsidentin Francia Márquez soll das neu zu schaffende Gleichberechtigungsministerium leiten. Das neue Ministerium soll unter anderem auch die Organisationstruktur der Regierung ändern. Der Frauen- und der Jugendrat, die bisher dem Präsidenten unterstanden, werden abgeschafft und gehen in die Zuständigkeit des neuen Ministeriums über. Während sich die Regierungsstruktur ändert, scheint die Opposition auf der Strecke zu bleiben. Momentan schafft sie es nicht, eine geschlossene Front zu bilden, berichtet El País. In der Senatskammer haben sich die Handlungen des Centro Democrático darauf begrenzt, den Vorschlägen der Regierung entgegenzuwirken. Dafür zeigt Gustavo Petro eine gewisse Kompromissbereitschaft mit der Opposition, und der Ex-Präsident Álvaro Uribe fungiert hierfür als Sprachrohr. Uribes Position ist durch seine Justizprobleme, den politischen Linksruck des Landes und seine von vielen Bürger*innen abgelehnte Nähe zur traditionellen politischen Klasse geschwächt. Sein positives Image erreicht laut der letzten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Invamer keine 25 Prozent. Im Kontrast dazu hat Petro nach seinen 100 Tagen im Amt bei den Kolumbianer*innen mit einem positiven Image von 61 Prozent in der letzten Umfrage vom Nationalen Beratungszentrum Uribe klar an Beliebtheit übertroffen.

Er war nicht in der Lage, seine Partei so zu organisieren, dass sie eine solide Opposition bildet, berichtete El Espectador. In gewisser Weise sei er für die Spaltung verantwortlich, indem er Miguel Uribe Turbay zum Listenführer des Senats wählte, anstelle langjähriger Persönlichkeiten der Partei Centro Democrático. „Es gibt immer noch keine klare Führung“, sagt Andrés Forero, Vertreter des Centro Democratico für die Zeitung El País „Und ich weiß nicht, ob es in den nächsten vier Jahren eine geben wird“. Und doch kann sich das in Zukunft ändern. Der wachsende Wirtschaftsdruck stellt die neue Regierung vor eine noch härtere Probe, aus der die Opposition neue Kraft ziehen könnte.


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„WIR WÜNSCHEN UNS EINEN BOYKOTT”

LUANA CARVALHO AGUIAR LEITE
vertritt den Bundesstaat Rio de Janeiro in der nationalen Direktion der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), eine der größten sozialen Bewegungen Lateinamerikas. Carvalho hat Agrarwissenschaften und Pädagogik studiert und ist seit zwölf Jahren in der MST aktiv, wo sie sich besonders der kleinbäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft sowie der Bildung im ländlichen Raum des Bundesstaats von Rio de Janeiro widmet.
(Foto: privat)


Wie bewertet die MST die Gesetzesänderungen der Bolsonaro-Regierung?
Bolsonaro agiert auf verschiedenen Ebenen, um Brasilien zu einem autoritären Staat zu machen: die Veränderungen in der Rentenversicherung, die Rücknahme von Arbeitsrechten, die Attacken auf das öffentliche, kostenlose und laizistische Bildungswesen. Eine ganze Reihe von Privatisierungen liefert außerdem unsere Souveränität dem internationalen Kapital unter Führung der USA aus. Auch die Militärbasis Alcântara in Maranhao, über die ein Abkommen mit den USA abgeschlossen werden soll, ist Ausdruck dessen.

Welche Veränderungen treffen die MST am stärksten?
Bolsonaro versucht, einen Wertekonsens in der Gesellschaft zu erzeugen, der nicht nur Linke, sondern alle Regierungskritiker kriminalisiert. Uns direkt betrifft vor allem Bolsonaros Legitimierung von Gewalt, etwa wenn er betont, dass ein Großgrundbesitzer sich mit Gewalt „verteidigen“ darf, wenn er sich von einer Landbesetzung bedroht fühlt. Alte Fälle von vor 20 Jahren werden plötzlich wiederaufgenommen, zwei unserer Mitstreiter müssen sich jetzt wegen der „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation” verantworten – ein ganz anderer juristischer Vorwurf als Landfriedensbruch. Alles mit dem Ziel, die MST weiter zu kriminalisieren

Und im Bereich der Agrarreform?
INCRA, das staatliche Organ zur Umsetzung der Agrarreform, soll ins Landwirtschaftsministerium überführt werden, dessen Leiterin – selbst Vetreterin der Agrarindustrie – gegen die Reform ist. Heute ist die Hauptaufgabe der INCRA, die bestehenden Agrarreform-Siedlungen zu privatisieren. Es gibt eine Direktive, dass die INCRA die langwierigen Enteignungsprozesse von Großgrundbesitzern einfach ruhen lässt, obwohl genau das ihre Aufgabe wäre. Die INCRA verhält sich bei vielen Anträgen auf Rückübereignung „neutral”, anstatt Widerspruch einzulegen. Kürzlich habe ich erfahren, dass im Bundesstaat Pernambuco die Rückübereignung des Landes des seit 21 Jahren bestehenden Assentamentos Paulo Freire vor Gericht beantragt wurde. In Siedlungen wie diese hat der Staat investiert und eine gewisse Infrastruktur geschaffen: Straßen, Strom oder Wasserversorgung. Plötzlich besteht die Möglichkeit, dass sich die ehemaligen Besitzer dieses aufgewertete Land wiederaneignen können.

Was können die sozialen Bewegungen jetzt tun?
Wir mussten eine ideologische Niederlage hinnehmen. Deswegen müssen wir jetzt gemeinsam mit den Landarbeitern die Idee der sozialen Transformation rekonstruieren. Es wird langfristig nicht reichen, Bolsonaro zu entfernen. Wir befinden uns in der Phase eines konsistenten Projektes der Rechten und des internationalen Kapitals, die aus der Krise von 2008 resultiert. Brasilien ist für die Bewältigung dieser Krise entscheidend, denn es besitzt natürliche Bodenschätze im Überfluss. Wir müssen jetzt mit Konfrontation und sehr viel Basisarbeit reagieren und mit einer Bildungsoffensive, um die mystische Vision des Projektes der Arbeiterklasse zurückzugewinnen.

Wie kam es zu dieser ideologischen Niederlage?
Damit meine ich nicht erst den Wahlsieg Bolsonaros im Jahr 2018. Schon seit der zweiten Amtszeit von Dilma Rousseff 2014 hat sich die Rechte mit der extremen Rechten und dem internationalen Kapital verbündet, um die Macht zu übernehmen.
Ein symbolischer Moment war die Ermordung von Marielle Franco Anfang 2018, symbolisch, weil der Linken die Botschaft übermittelt wurde, dass das neoliberale Projekt ohne Rücksicht auf Verluste umgesetzt wird. Dass die Menschenrechte nur noch eine untergeordnete Bedeutung haben. Nicht einmal einen Monat später wurde der ehemalige Präsident Lula da Silva verhaftet. Der Prozess gegen ihn war ein Scheinprozess, eine Attacke gegen die noch junge und instabile brasilianische Demokratie, die der kapitalistische Staat in Zeiten der Krise dekonstruieren möchte.

Was erwartet die MST von Europa?
Die Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen und der Protest dagegen sind von fundamentaler Bedeutung. Unsere internationalen Netzwerke dienen uns als Sicherheitsnetz. Weil Bolsonaro sich nicht um internationale Vereinbarungen schert, verhindert auch nur der internationale Protest bestimmte Aktionen der Regierung. Im Fall der Brände in Amazonien gab es schnell internationale Reaktionen, sodass sich Bolsonaro dazu verpflichtet fühlte, bald ein Statement in den sozialen Medien abzugeben.
Wir würden uns außerdem wünschen, dass über einen Boykott von brasilianischen Produkten nachgedacht wird. Die Exportprodukte der Agrar­­industrie – Fleisch, Soja, Mais, Zellulose – sie repräsentieren aus unserer Sicht die heutige Regierung. Sie sind Produkte des Rassismus, des Machismus, der Gewalt auf dem Land und der sozialen Ungleichheit. Jetzt wäre genau der richtige Moment für eine große internationale Boykott-Kampagne dieser Exportprodukte.
Die europäischen Regierungen sollten besser reflektieren, dass Bolsonaro zwar demokratisch gewählt wurde, wir aber heute in einem sehr autoritären Staat leben. Man kann nicht von Faschismus reden, aber dieser Staat trägt sehr viele Kennzeichen des Faschismus: Wir haben keinen demokratischen Rechtsstaat mehr, die Menschenrechtsverletzungen finden auf einem ganz anderen Niveau statt, Bolsonaros Maßnahmen sind nicht von der Verfassung, von der Justiz oder den Gesetzen gedeckt. Deshalb sind wir auch gegen das Mercosur-Abkommen und erwarten von den europäischen Staaten, dass sie diesen Vertrag nicht unterzeichnen. Stattdessen sollten sie Sanktionen erlassen. Denn wenn es sich auf die Einnahmen auswirkt, wird gerade das Agrobusiness Bolsonaro unter Druck setzen. Sie wissen, bis zu welchem Punkt sie gehen können und dass die internationalen Gesetze respektiert werden müssen.

 


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EIN ALTER LANDKONFLIKT ESKALIERT

Man geht vom Schlimmsten aus. Die Menschen leben in der ständigen Angst, von bewaffneten Gruppen angegriffen zu werden. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas (Frayba) ist in der Region aktiv und warnt vor einer weiteren Eskalation. „Laut unseren Informationen werden Waffen gekauft, sie [Paramilitärs] belagern die Gemeinden und terrorisieren sie“, sagte der Direktor der Organisation Pedro Faro Ende November 2017. Über 5.000 Menschen sind aus den Gemeinden der Munizipien Chenalhó und Chalchihuitán in die Berge geflohen. Viele haben mit dem Konflikt gar nichts zu tun, müssen sich aber in den Bergen verstecken, bei Kälte, mit wenig Essen, von den Angreifer*innen eingekesselt und von der Außenwelt durch blockierte Straßen abgeschnitten.

Immer wieder flammt der Konflikt auf, „vor vier Jahren flohen wir und auch vor drei Jahren. Jetzt sind wir wieder Vertriebene. Wir leiden sehr, es gibt alte Menschen und es ist sehr kalt. Die Kinder sind krank“, beschreibt eine betroffene Frau die Situation.

Seit im Oktober 2017 Samuel Pérez Lunain in der Region von Chalchihuitán bei der Arbeit auf seinem Feld erschossen wurde, häufen sich die Angriffe – auch in der Region Chenalhó. „Als sie auf uns schossen, schliefen wir. Die Kugel ging über uns durch die Luft“, schildert eine Mutter den nächtlichen Angriff auf ihr Haus. Zwischen den bewaffneten Gruppen kommt es immer wieder zu Schießereien. Enige Häuser wurden verbrannt. Die Menschen fürchten um ihre Tiere und Ernten, ihre Lebensgrundlagen.

Der Konflikt begann im Jahr 1973 mit einer Agrarreform. Damals wurde die Grenze zwischen Chenalhó und Chalchihuitán anhand eines Flussverlaufes gezogen. 1981 verschoben Bewohner*innen Chalchihuitáns diese Grenze durch Mauern und Zäune auf die Seite Chenalhós und vereinnahmten den Zugang zum Fluss. In der Folge rissen Bewohner*innen Chenalhós die Grenzbefestigung ein. In kurzer Zeit entwickelte sich daraus ein bewaffneter Konflikt. Chalchihuitán reklamierte 800 Hektar von Chenalhó, in beiden Munizipien bildeten sich bewaffnete Gruppen und Familien wurden vertrieben. Laut dem Menschenrechtszentrum Frayba präsentierte eine Kommission im vergangenen Jahr einen Lösungsvorschlag, doch die Regierung habe die Voraussetzungen für ein Übereinkommen mit den Betroffenen nicht geschaffen. Auch seien die Betroffenen nicht in den Prozess eingebunden worden.

„Man weiß nicht, welche Interessen es dort sind, diese Region wieder in einen Krieg zu stürzen. Unsere Erklärung ist, so weit wir es einschätzen können, dass seit dem Massaker in Acteal (1997 wurden dort 45 Menschen ermordet, Anm. d. Red.) ein Klima der Straffreiheit geschaffen wurde. Die Akteure mit Verbindung zur Regierung können machen was sie wollen“, schildert Direktor Faro. Mit einer öffentlichen Erklärung und einer Eilaktion versucht Frayba nu,n auf das Risiko für Leben und Sicherheit der Gemeinden aufmerksam zu machen.

Die Regierung von Chiapas reagierte inzwischen mit medizinischer Hilfe und Polizei- und Militärpräsenz, einen Monat nach dem Beginn der Auseinandersetzung und nach einem Aufruf der UNO an die mexikanische Regierung, die humanitäre Krise zu beachten.

Darüber hinaus äußerte die UN-Sonderbeauftragte für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, nach einem Besuch der Region Mitte November ihre generelle Sorge über systematische Menschenrechtsverletzungen in Mexiko. Sie habe „schwerwiegende Muster von Ausgrenzung und Diskriminierung“ beobachtet, „die das Fehlen von Zugang zur Justiz und andere Menschenrechtsverletzungen reflektieren.“

 


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