PERU VERSINKT IM NACHWAHLCHAOS

Nach den Wahlen am 26. Januar ist das peruanische Parlament zersplittert. Wahlsieger wurde die konservative Acción Popular (AP) – mit gerade einmal 10,2 Prozent der Stimmen. Damit stellt sie im kommenden Kongress nur 25 der 130 Abgeordneten. Die anderen acht Parteien, die den Einzug geschafft haben, liegen mit jeweils fünf bis acht Prozent nur knapp dahinter. Die rechtspopulistische FP von Keiko Fujimori, der Tochter des Ex-Diktators Alberto Fujimori, stürzte mit 7,2 Prozent der Stimmen auf 15 Sitze ab und verlor ihre Dominanz im Parlament – 2016 hatte sie mit 73 Sitzen die absolute Mehrheit errungen.

Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im künftigen Kongress sorgen nun für neue Allianzen. Derzeit laufen die Vorbereitungen zur Wahl des Parlamentspräsidiums auf der konstituierenden Sitzung Anfang März. Wie die Nachrichtenagentur Andina berichtete, haben vier Parteien vor, einen gemeinsamen Vorschlag an Kandidat*innen für die Besetzung des obersten Gremiums der Legislative einzureichen. Das Bündnis besteht aus der AP, der Mitte-rechts Parteien Alianza para el Progreso (APP) und Somos Perú sowie der populistischen Podemos Perú (PP). Zusammen haben sie eine rechnerische Mehrheit von gerade einmal vier Stimmen. „Wir suchen nicht nach Bündnissen, sondern nach einer Agenda für die Regierbarkeit“, kommentierte Manuel Merino de Lama die Verhandlungen. Merino, Abgeordneter der konservativen Acción Popular (AP) im neuen peruanischen Parlament, kann sich gute Chancen auf das Amt des Parlamentspräsidenten ausrechnen.

Abschaffung der parlamentarischen Immunität

Die FP von Keiko Fujimori wurde in den Vorgesprächen der sich abzeichnenden Koalition bewusst nicht berücksichtigt. Gegen Keiko Fujimori laufen derzeit Ermittlungen aufgrund nicht deklarierter Wahlkampfspenden durch das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht. Die 44-jährige Politikerin sitzt seit Ende Januar erneut in Untersuchungshaft, aus der sie im vergangenen November entlassen worden war.

Die Fragmentierung des Parlaments treibt teils bizarre Blüten. Der gewählte Abgeordnete Posemoscrowte Chagua der ethnonationalistischen Unión por el Perú (UPP) erklärte Anfang Februar gegenüber der Zeitung Peru 21, seine Partei befinde sich mit der linken Frente Amplio (FA) und der Frente Popular Agrícola (FREPAP), die eine krude Mischung aus evangelikalen und indigenen Positionen vertritt, in Verhandlungen über eine eigenen Vorschlag für die Besetzung des Parlamentspräsidiums. FREPAP hat einen beachtlichen Wahlerfolg errungen und war aus dem Stand auf 15 Mandate gekommen. Zuletzt hatte die theokratische Sekte, die ihren Gründer Ezequiel Ataucusi wie einen Messias verehrt im Jahr 2000 zwei Sitze im Kongress erhalten. Der gemeinsame Vorschlag kam jedoch nicht zustande, die FA machte stattdessen einen eigenständigen Vorschlag für das Präsidium.

Ein Ziel der UPP ist die Freilassung von Antauro Humala, dem jüngeren Bruder des ehemaligen Präsidenten Ollanta Humala. Er durfte nicht wie geplant als UPP-Spitzenkandidat in Lima zur Wahl antreten, da er derzeit im Gefängnis sitzt. Dort befindet er sich seit 2005, weil er damals 150 Anhänger, vor allem Reservisten, in einem später als „Andahuaylazo“ bekannt gewordenen bewaffneten Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Alejandro Toledo geführt hatte. Der Aufstand in dem Andenstädtchen Andahuaylas wurde nach drei Tagen beendet, vier Polizisten und zwei Aufständische starben. Begründet hatte Humala den Aufstand mit der Ideologie des Ethnocacerismus. Diese fordert eine Wiederherstellung des Inkareiches durch militärische Expansion und Vorherrschaft der als cobriza deklarierten Ethnie, die laut Humala aus Mestiz*innen, Indigenen und Teilen der asiatischen Bevölkerung besteht.

Alle 20 Tage ein Rücktritt

Ein wichtiges Anliegen vieler Fraktionen in der aktuellen Legislaturperiode, die nur bis zu den turnusmäßigen Wahlen 2021 dauert, ist die Abschaffung der parlamentarischen Immunität. Die meisten der im Kongress vertretenen Parteien, ausgenommen die AP, die FA und die Fujimorist*innen der FP, stehen einer solchen Änderung offen gegenüber. Auch die Gegner*innen einer vollständigen Abschaffung fordern zumindest deren erleichterte Aufhebung. Antauro Humala ging sogar soweit, die Todesstrafe für Korruption zu fordern.

Derweil erreichte der Korruptionsskandal um Odebrecht die Regierung des Interimspräsidenten Martín Vizcarra. Allein in der zweiten Februarwoche gaben zwei Minister*innen deswegen ihren Rücktritt bekannt, der Energieminister Juan Carlos Liu und die Justizministerin Ana Teresa Revilla. Seit der Parlamentsauflösung im vergangenen September haben bereits sieben Minister*innen ihr Amt geräumt, im Durchschnitt eine*r alle 20 Tage. Liu, der im Oktober sein Amt antrat, war während seiner Beratertätigkeit für das Ministerium zwischen 2010 und 2014 auch als privater Berater für Odebrecht tätig. 2013 erstellte er im Auftrag des Ministeriums eine Studie, die ein Finanzierungsmodell für eine Gaspipeline empfahl, deren Konzession an Odebrecht ging. Der Vertrag wurde 2017 aufgrund von Finanzierungsproblemen des Baukonsortiums um Odebrecht seitens der Regierung gekündigt. Seitdem ruhen die Arbeiten. Zwei Jahre später einigte sich Odebrecht in den Korruptionsfällen mit dem peruanischen Justizministerium per Vergleich auf eine Strafzahlung von 182 Millionen US-Dollar und kann seitdem die Geschäfte fortführen. Dessen ungeachtet verklagte Odebrecht wegen des Baustopps der Gaspipeline die peruanische Regierung auf 1,2 Milliarden Dollar Entschädigungszahlungen vor dem CIADI, einem Schiedsgericht der Weltbank. Liu hatte sich vorher mit Vertreter*innen von Odebrecht und dem zuständigen Staatsanwalt Jorge Ramírez getroffen.

Die Justizministerin Ana Teresa Revilla hatte laut den Aussagen von Liu und Ramírez vorab Kenntnis von Odebrechts Klagevorhaben, ohne den Präsident Vizcarra zu informieren. Revilla kündigte daraufhin ihren Rücktritt an. Der mittlerweile ebenfalls zurückgetretene Jorge Ramírez behauptete anschließend, Vizcarra selbst sei über die Treffen mit Odebrecht informiert gewesen, was dessen Premierminister Vicente Zeballos umgehend bestritt. Vizcarra, der eigentlich guten Rückhalt in der peruanischen Bevölkerung genießt, büßte im Nachgang der Ereignisse weiter an Vertrauen ein. Umfragen zufolge befürworten nur noch 53 Prozent der Peruaner*innen seine Regierung. Nach der Parlamentsauflösung im vergangenen September waren es noch 79 Prozent gewesen. Seitdem fielen die Zustimmungswerte kontinuierlich. Ob und wie Vizcarra seinen Antikorruptionskurs weiter fortsetzen kann, bleibt angesichts der neuesten Enthüllungen fraglich. Der Ex-Parlamentarier und Vorsitzende der FA, Marco Arana, warnte im Interview mit Canal N vor einer allgemeinen Regierungskrise, von der korrupte Kreise profitieren könnten: „Was sie wirklich tun wollen, ist, die geringen Anstrengungen und die Unklarheiten anzugreifen, die manchmal in dieser Regierung in Bezug auf den Kampf gegen die Korruption bestehen.“ Er forderte stattdessen eine parlamentarische Untersuchungskommission. In Sicht ist die nicht.

MACHT, MEUTE UND MILIZEN

(Foto: Senado Federal /Flickr CC bY 2.0)

Nur zwei Tage ist die Regierung Bolsonaro im Amt und schon hagelt es Nominierungen, Rückzüge von Nominierten, Ankündigungen des Präsidenten, der zwanzig Minister und zwei Ministerinnen, Rücknahmen von Ankündigungen, sich widersprechende Statements verschiedener Regierungsmitglieder, Dekrete, Reform- und Gesetzesvorlagen – ein wahrer Hagelsturm schlechter Nachrichten für Demokratie und Menschenrechte.

Auch einen ersten echten Skandal gab es bereits am Tag 18 der Präsidentschaft: War Bolsonaro im Wahlkampf immer mit seinen beiden Söhnen Flávio und Eduardo als Kämpfer gegen die Korruption aufgetreten, werden nun anonyme Bareinzahlungen auf das Konto von Flávio in seiner Zeit als Abgeordneter in Rio de Janeiro untersucht. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen seinen ehemaligen Berater, Fabrício Queiroz, wegen ungewöhnlicher Finanztransaktionen, eine davon ging an die neue First Lady. Doch es kommt noch schlimmer: Fabrício Queiroz hat Verbindungen zum mutmaßlichen Auftragsmörder der linken Stadtverordneten Marielle Franco, der aus den sogenannten „Milizen“ stammt. Aktuell werden auch Verbindungen von Flávio Bolsonaro zu den Milizen bekannt. Und dieser verschiebt erfolgreich seine Aussage zu Queiroz auf nach dem 1.2.2019, wenn er als Senator bereits parlamentarische Immunität genießt.

Mit Jean Wyllys (PSOL) hat am 24. Januar offiziell der erste linke Abgeordnete des Kongresses das Land verlassen. Der offen schwule Aktivist erhielt zuletzt so massive Todesdrohungen, dass er – im Gegensatz zu einem offiziellen Statement der Regierung – um sein Leben fürchten musste. Der Präsident twitterte sofort: „ein großer Tag“, was allgemein als Verhöhnung von Wyllys aufgefasst wurde. Weniger spektakulär, aber nicht weniger bedrohlich ist die zunehmende Gewalt auf dem Land und in den indigenen Gebieten. Die „Inwertsetzung“ Amazoniens ist ein zentrales Projekt der Regierung Bolsonaro. Sie wurde propagandistisch vorbereitet und wird jetzt durch Repression und nackte Gewalt, eine Schwächung indigener und Umweltschutz-Organisationen, Gesetze und Investionen in die Wege geleitet. Bei so etwas immer gerne mit dabei: große deutsche Unternehmen, die die Amtsübernahme Bolsonaros sehr positiv beurteilten.

Vier kurze Artikel loten auf den folgenden Seiten die Abgründe der brasilianischen Politik unter Bolsonaro aus. „Es ist die Zeit des Trauergesangs auf die Neue Republik“ Brasiliens, wie der bekannte Philosoph Vladimir Safatle vor wenigen Tagen feststellte…

 

WIEDER EIN KORRUPTER DIEB

Protestcamp vor dem Verfassungsgericht Der Zivilgesellschaft ist Korruption ganz und gar nicht egal (Foto: Nis Melbye)

Angesichts des drohenden Strafverfahrens gegen Guatemalas Präsidenten Jimmy Morales, äußerte dieser in Bezug auf die Justiz: „Wenn jemand korrupte Taten begeht, sollen sie das Delikt verfolgen, nicht aber die Personen, denn die Justiz ist dazu da, Delikte zu verfolgen und nicht die Personen“. Kurz darauf reagierte er mit der Ausweisung des Leiters der internationalen Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG), Iván Vélasquez, welchen er zur unerwünschten Person erklärte. Die CICIG ist eine Institution der Vereinten Nationen, welche die Strafverfolgungsbehörden in Guatemala bei der Bekämpfung der Korruption und bei der Aufdeckung von Verstrickungen zwischen den politischen Eliten und der organisierten Kriminalität unterstützt.

Dem “Pakt der Korrupten” wurde vor dem Kongress Paroli geboten.

Diese Institution hatte den Anstoß zu dem aktuellen Verfahren gegen Morales gegeben. Die Ausweisung von Vélasquez wurde zwar noch durch das guatemaltekische Verfassungsgericht gestoppt, die anschließende Erneuerung seines Visums wurde jedoch mit einer Note übergeben, in welcher er aufgefordert wurde, sich nicht in interne Angelegenheiten des guatemaltekischen Staates einzumischen. Eine Aufforderung, welche klar im Widerspruch zum Mandat der CICIG steht. Vélasquez ist in Guatemala ein Symbol für die Bekämpfung der Korruption. Unter keinem ihrer bisherigen Leiter war die CICIG so erfolgreich in der Aufdeckung von kriminellen Strukturen und Verstrickungen zwischen der organisierten Kriminalität und den politischen Eliten, wie unter dem Kolumbianer. Vélasquez war mit der in Guatemala vorhandenen Verstrickung von Militärs, Oligarchie und organisierter Kriminalität bereits aus seinem Heimatland bestens vertraut, wo er als Staatsanwalt ein Netzwerk von Kongressabgeordneten und Paramilitärs, auch bekannt als „Parapolítica“, aufdeckte. In diesem Verfahren wurden bereits etwa 50 Abgeordnete verurteilt, während weitere Verfahren gegen Abgeordnete noch anhängig sind.

Eine Aufhebung der Immunität von Morales wurde mit den Stimmen von zwei Dritteln der Parlamentsabgeordneten abgewendet. Ein fraktionsübergreifendes Bündnis stimmte gegen die Aufhebung der Immunität des Staatspräsidenten. In den sozialen Netzwerken wird es als „Pakt der Korrupten“ bezeichnet.

Um dem Strafverfahren gegen Morales und weiteren Verfahren gegen Abgeordnete die rechtliche Grundlage zu entziehen, beschloss der Kongress im September 2017 mit 107 Stimmen der insgesamt 158 Kongressabgeordneten eine „Reform“ des guatemaltekischen Strafgesetzbuches, nach welcher die entsprechenden Straftatbestände gleich ganz entfallen oder die Strafen für die Delikte auf eine Geldbuße reduziert werden. Nach massiven Protesten der Zivilgesellschaft – so blockierten Demonstranten im September 2017 über sieben Stunden den Kongress und hinderten die Abgeordneten am Verlassen des Gebäudes – und auf Druck inter­nationaler Akteur*innen nahm die Mehrheit der Abgeordneten jedoch wieder Abstand von der geplanten „Strafrechtsreform“.

Gegen mindestens 61 Kandidat*innen der letzten Kongresswahlen wurden Strafverfahren eingeleitet.

Im guatemaltekischen Kongress befindet sich Morales, der vor seinem Eintritt in die Politik noch als TV-Komiker tätig war und der als der am besten verdienende Staatspräsident Lateinamerikas gilt, in guter Gesellschaft, denn gegen mindestens 61 der bei den letzten Kongresswahlen angetretenen Kandidat*innen wurden seit der Wahl Strafverfahren eingeleitet.

Auch Morales’ Amtsvorgänger Otto Pérez Molina verabschiedete sich vorzeitig aus seinem Amt und wird in zwei Fällen wegen Zollbetrugs, Korruption und Steuerhinterziehung angeklagt. Seit seinem Rückritt Ende 2015 befindet er sich in Untersuchungshaft. Den Anstoß zu den Verfahren hatte ebenfalls die CICIG gegeben. Bereits im guatemaltekischen Bürgerkrieg während der Herrschaft von Efraín Rios Montt, der sich zurzeit erneut in einem Verfahren wegen Genozids verantworten muss, war Molina als Armeekommandant in der Region Ixil tätig und könnte somit für einen Großteil der in dieser Zeit dort verübten Massaker mitverantwortlich sein.

Dessen Amtsvorgänger Álvaro Colom Caballeros wiederum muss sich wegen der Bereicherung an dem Aufbau des „Transurbano“, dem Personennahverkehr mit Bussen in der Hauptstadt, verantworten. In seiner ersten Anhörung äußerte Colom, „die Staatsanwaltschaft und die CICIG sollten lieber die Maras verfolgen, als sich mit administrativen Kleinigkeiten aufzuhalten“.

Indessen erhält Präsident Morales unter anderem Unterstützung von Álvaro Arzú, dem Bürgermeister von Guatemala Stadt, der der guatemaltekischen Oligarchie angehört. Gegen ihn wird wegen Korruption und Veruntreuung ermittelt. Er hatte in der Zeit von 1996 bis 2000 das Amt des Staatspräsidenten inne. In diesen Zeitraum fällt auch der Mord an dem Bischof Juan Gerardi am 26. April 1998, mit welchem der Bürgermeister aufgrund neuer Beweise nun als Hintermann in Verbindung gebracht wird. Der Haupttäter Byron Lima, der Mitglied der Präsidentengarde (Estado Mayor Presidencial) war, baute nach seiner Verurteilung im Gefängnis ein kriminelles Netzwerk auf und wurde im Juli 2016 selbst bei einem Gefängnisaufstand getötet.

Bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit Morales vor Reservisten der guatemaltekischen Armee am 31. Januar 2018 brachte Arzú seine Ablehnung gegenüber den kritisch über die Korruption im Land berichtenden Journalist*innen zum Ausdruck und sagte, „wir müssen über die Köpfe der negativen Medien hinweg gehen“.

Da wundert es kaum, dass zwei Tage später auf dem Gelände der Finca Santo Domingo in Suchitepéquez die Journalisten Laurent Ángel Castillo Cifuentes und Luis Alfredo de León Miranda tot aufgefunden wurden. „Hier gibt es eine doppelte Verletzung von Rechten. Das Recht auf Leben der Person und das Recht auf Information, der Gesellschaft“ äußerte Edison Lanza, Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, zu dem Vorfall. Angesichts der geringen Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten in Guatemala von gerade einmal 1,6 % erscheint es wenig wahrscheinlich, dass der Tod der Journalisten aufgeklärt wird.

Auch die Justiz wird von der Korruption erfasst. In einem von der CICIG als „Manipulation der Justiz“ bezeichneten Fall wurde im Februar 2018 Rony López, der ehemalige Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität, festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, während der Ermittlungen zu einem anderen Mord an dem General José Armando Melgar Moreno eine parallele Ermittlung gegen unschuldige Personen durchgeführt zu haben. Er soll im Auftrag des Sohnes des ermordeten José Armando Melgar Moreno Zeugen und Beweise manipuliert haben, um die tatsächlich Verant­wortlichen zu schützen und die Verurteilung Unschuldiger zu erwirken.

Die Baufirma Odebrecht soll 17,9 Millionen US-Dollar Schmiergelder an guatemaltekische Politiker*innen gezahlt haben.

Wie die Korruption in Guatemala auch die Entwicklung behindert, zeigt sich an dem Fall der brasilianischen Baufirma Odebrecht. Diese soll 17,9 Millionen US-Dollar an Schmiergeldern über verschiedene Offshore-Firmen an guatemaltekische Politiker*innen gezahlt haben, um den Zuschlag für den Bau von 140 Kilometern der Autobahn Centroamericana mit einem Auftragsvolumen von 384,3 Millionen US-Dollar zu erhalten. Die Autobahn, für die Odebrecht 249,8 Millionen US-Dollar an Vorschuss kassierte und welche die südliche Küste Guatemalas mit Tecún Umán, einer Stadt an der Grenze zu Mexiko, verbinden sollte, wurde jedoch nur zu 30% fertig gestellt.

Viele der Strafverfahren gegen korrupte Politiker*innen kommen seit Jahren kaum voran. Eine der wesentlichen Ursachen ist der umfang­reiche Gebrauch von Verfassungsbeschwerden und anderen juristischen Hilfsmitteln durch die Verteidigung, mit dem Ziel, die Verfahren zu verschleppen. Begünstigt wird dies dadurch, dass die guatemaltekischen Gerichte häufig nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen ihre Entscheidungen verkünden und bis zu 22 Monate in Verzug geraten. Mit den langen Verfahrensdauern der guatemaltekischen Justiz beschäftigte sich zuletzt auch der Bericht „Running out the Clock“ von Human Rights Watch.

Mehrere Berichte erwähnen, der auf Richter*innen und Staatsanwält*innen ausgeübte Druck, ihre Aufgaben parteiisch auszuführen, sei sehr hoch. So gaben bei einer Umfrage 35 Prozent der befragten Richter*innen an, sie hätten selbst unzulässige Beeinflussungen erfahren. Auch direkte Drohungen oder Gewalt werden als Mittel gegenüber Richter*innen eingesetzt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission registrierte zwischen 2002 und 2012 insgesamt 640 Bedrohungen und Einschüchterungen, 24 Angriffe, 5 Entführungen und 11 Morde von Richter*innen in Guatemala.

Im Mai 2018 steht nun die Ernennung einer*s neuen Generalstaatsanwalts*anwältin an. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist muss zunächst die Bewerbungs-kommision aus den 39 Kandidat*innen eine Liste mit 6 Personen erstellen, aus welcher Präsident Morales im Mai den*die neue*n Generalstaatsanwalt*anwältin auswählt.

Die amtierende Generalstaatsanwältin Thelma Aldana steht nach Ablauf ihrer vierjährigen Amtszeit nicht erneut für das Amt zur Verfügung. Sie erklärte bezogen auf die Zusammenarbeit mit Morales: „Ich sehe in dem Präsidenten keinen Verbündeten gegen die Korruption“.
Mit der anstehenden Ernennung des*der Generalstaatsanwalts*anwältin entscheidet sich, ob es in Zukunft noch eine wirksame Bekämpfung der Korruption in Guatemala geben wird. Der Druck der noch recht schwachen Zivilgesellschaft und der großen guatemaltekischen Zeitungen auf Morales, einen integren Kandidaten auszuwählen, wächst zunehmend. Auch auf internationaler Ebene versuchen die Akteure die Auswahl zu beeinflussen. So äußerte der Botschafter der Vereinigten Staaten, Luis Arreaga, im Februar 2018 vor Student*innen der Universität Rafael Landívar in Guatemala Stadt „Wenn eine Gesellschaft die korrupten Praktiken als Normalität akzeptiert, wird es niemals möglich sein, eine Kultur des Rechtsstaats zu etablieren“. Der neue schwedische Botschafter Anders Kompass erklärte im Januar 2018 bezüglich der Korruption in Guatemala, „das Problem sind dysfunktionale öffentliche Institutionen, nicht die Menschen“, und wurde prompt vom guatemaltekischen Außenministerium einbestellt.

Mit der Wahl des neuen Kongresspräsidiums am 13. Januar 2018 unter dem Vorsitz von Álvaro Arzú Escobar, dem Sohn von Álvaro Arzú, stärkte unterdessen der sogenannte „Packt der Korrupten“ seine Position. Zwar musste die Wahl nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes eine Woche später wiederholt werden, da die Wahl einiger Mitglieder des Präsidiums unzulässig war. Die Neuwahl brachte aber keine wesentlichen Änderungen mit sich.

Gegen die Wahl des neuen Präsidiums demonstrierten am darauffolgenden Sonntag einige hundert Menschen vor dem weiträumig abgesperrten Kongressgebäude, in dem Morales den Regierungsbericht seines zweiten Amtsjahres vorstellte. Bei einem Redebeitrag wurde der Regierung vorgeworfen: „Das einzige was Sie erreicht haben, ist sich zu bereichern und einen Pakt der Korrupten zu schließen!“ Bezüglich der öffentlichen Kritik an der Wahl des neuen Kongresspräsidenten äußerte Präsident Morales: „Die legitime republikanische Gewalt wird an den Urnen vom Volk gewählt, und diese Gewalt sollte von den Gewählten, nicht durch medialen oder faktischen Druck, ausgeübt werden“.
Die Demonstrant*innen setzten ihren Protest auch am folgenden Montag mit mehreren dezentralen Demonstrationszügen fort. Auch viele der sozialen Bewegungen, die gegen infrastrukturelle Megaprojekte oder um ihre Landrechte kämpfen, nehmen sich des Themas der Korruption an. Denn sie haben erkannt, dass sie eines der wesentlichen Hindernisse in der Durchsetzung ihrer Rechte ist. So erklärt eine Gruppe von campesinxs in Casillas, die sich gegen die Silbermine El Escobal in San Rafael Las Flores wehren:„Wir haben gute Gesetze in Guatemala. Diese Gesetze werden aber infolge der Korruption nicht gut angewendet“.

Der Kampf gegen die Korruption in Guatemala ist eine wesentliche Grundlage für die fehlende gerechte Entwicklung des Landes. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut und ein Viertel sogar in extremer Armut. Damit sich an dieser Tatsache langfristig etwas ändern kann, ist zunächst eine Eindämmung dieser Korruption erforderlich, denn sie behindert wichtige strukturelle Reformen, etwa im Bereich der Besteuerung und im Justizsystem.

VOR DEM GESETZ IST NIEMAND GLEICH

„Vor dem Gesetz sind alle gleich“, lautet der Untertitel des Films Lava Jato („Autowaschanlage“), der Anfang des Monats in Brasilien in den Kinos anlief. Thema des Films ist die gleichnamige Untersuchungsoperation, welche die brasilianische Bundespolizei und Bundesstaatsanwaltschaft gegen korrupte Netzwerke in Politik und Wirtschaft seit nun über drei Jahren führt. Im Film werden unbestechliche Richter*nnen, Staatsanwält*innen und Bundespolizist*innen als Helden dargestellt, die der korrupten Regierung der Arbeiterpartei PT zu Leibe rücken. Mit der Realität habe der Film eher wenig zu tun, waren sich die meisten Kritiker*innen einig. Auch die Zuschauer*innen laufen die Kinosäle nicht gerade ein, um die tendenziöse Räuberpistole anzusehen.

Im echten Leben gehen derweil die Untersuchungen der Operation Lava Jato weiter und beschränken sich beileibe nicht nur auf Politiker*innen der abgesetzten PT-Regierung. So wurden auch die zahlreichen Schmiergeldzahlungen des Baukonzerns Odebrecht in verschiedenen lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern bekannt. In Ecuador wird gegen den gerade erst gewählten Vizepräsidenten Jorge Glas ermittelt, in Peru scheinen alle Regierungen seit 1990 von dem Konzern Geld angenommen zu haben. Politiker*innen aller Couleur ließen sich von Odebrecht finanzieren und vergaben dafür lukrative öffentliche Aufträge an den Bauriesen.

Inzwischen ist auch das Internationale Olympische Komitee in die Untersuchungen verwickelt. Laut Staatsanwaltschaft soll der Chef des brasilianischen Olympischen Komitees, Carlos Arthur Nuzman, gemeinsam mit dem ehemaligen Gouverneur Sérgio Cabral Geld von Unternehmen gesammelt haben, um afrikanische IOC-Mitglieder zu bestechen, damit diese für Rio de Janeiro als Austragungsort der Olympischen Spiele 2016 stimmen. Die Unternehmen sollen im Austausch lukrative Aufträge für die Logistik der Spiele erhalten haben. Nuzman wurde Anfang des Monats in Untersuchungshaft genommen, Cabral sitzt wegen anderer Korruptionsvorwürfe bereits seit zehn Monaten rechtskräftig verurteilt im Gefängnis.

Im Zentrum der Untersuchungen von Lava Jato stehen derzeit vor allem Politiker*innen der Partei PMDB, der auch der amtierende Präsident Michel Temer angehört. Temer war Vizepräsident von Dilma Rousseff (PT), bis diese im April vergangenen Jahres abgesetzt wurde. Am 12. September 2017 sind erneut Korruptionsuntersuchungen gegen Temer eingeleitet worden. Die Gleichheit vor dem Gesetz sei „eines der republikanischen Fundamente unserer Verfassung“, erklärte der brasilianische Bundesrichter Luís Roberto Barroso, als er die neue Untersuchung gegen Temer zuließ. Diesmal wirft die Generalstaatsanwaltschaft dem Staatschef vor, ein Dekret vom 10. Mai zugunsten des Logistik-unternehmens Rodrimar verändert und dafür Gelder erhalten zu haben. Mit dem Chef von Rodrimar hatte Rodrigues Rocha Lourdes, Abgeordneter und Vertrauter des Präsidenten, am 4. Mai telefoniert, die Bundespolizei hörte das Gespräch ab. Durch die Veränderung des Dekrets konnte das Unternehmen seine Konzession für den Hafen von Santos, dem größten Südamerikas, leichter erneuern. Der Deal soll dem Unternehmen umgerechnet 350.000 Euro Wert gewesen sein.


Gegen Temer bestehen noch eine ganze Reihe weiterer Korruptionsvorwürfe, doch er genießt Immunität.

Gegen Temer bestehen noch eine ganze Reihe weiterer Korruptionsvorwürfe, doch er genießt Immunität. Nur das Oberste Bundesgericht kann gegen den Präsidenten Untersuchungen einleiten. Damit eine Klage erhoben werden kann, muss das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit die Immunität entziehen. Bereits einmal strengte die Bundesstaatsanwaltschaft eine Klage gegen Temer an, doch das Parlament stimmte am 2. August mit 263 zu 227 Stimmen gegen den Entzug der Immunität.

Dabei wiegen die Vorwürfe gegen den Staatschef schwer: Gegen den Präsidenten sind mehrere Anklagen wegen Korruption, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung anhängig. Zudem wird Temer Behinderung der Justiz vorgeworfen: Er soll ein Netzwerk kommandieren, um die Aufklärung der Korruption zu verhindern. Auf einer Präsentation zeigte die Bundespolizei Anfang September ein Organigramm der Mafia, die Mitglieder der Partei PMDB und verbündeter Parteien im Parlament gebildet haben sollen. Im Zentrum zeigt es Michel Temer und den ehemaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer Eduardo Cunha (PMDB), der seit Oktober vergangenen Jahres im Gefängnis sitzt.

Immer mehr Vertraute Temers und ehemalige Minister sitzen im Gefängnis oder in Untersuchungshaft. Lourdes Rocha wurde am 3. Juni in flagranti festgenommen, nachdem er umgerechnet 130.000 Euro Schmiergeld von einem Direktor des Agrar- und Fleischunternehmens JBS entgegengenommen hatte. Geddel Vieira Lima (PMDB), der verschiedene Ministerposten sowohl in der Regierung der Arbeiterpartei PT als auch der aktuellen Regierung innehatte, wurde am 8. September aus seinem Hausarrest heraus wieder in Haft genommen – es bestand die Gefahr der Verschleierung. In einem seiner Apartments hatte die Bundespolizei 51 Millionen Reais (rund 14 Millionen Euro) in bar gefunden, das mutmaßlich aus verschiedenen Schmiergeldzahlungen stammt. Die Bundespolizei erklärte am Mittwoch vergangener Woche, Geddel, Lourdes Rocha und andere wegen Korruption inhaftierte Politiker seien „der verlängerte Arm“ von Temer. Insgesamt soll die Bande 587 Millionen Reais (rund 158 Millionen Euro) an Bestechungsgeldern angenommen haben. Am 14. September reichte der Bundesstaatanwalt Rodrigo Janot erneut eine Klage gegen Temer als mutmaßlichem Anführer dieser Mafia ein.

Während sich die Schlinge um die Regierung immer mehr zuzuziehen scheint, stellt sich Temer konsequent stur. Er bestreitet alle Vorwürfe und legt den Untersuchungen um Lava Jato Steine in den Weg: Er kürzte die Mittel für die Bundespolizei, so dass die Beamten kaum noch ihre Operationen durchführen können.

Das von rechten Parteien dominierte Parlament hält weiter zur Regierung.

Das von rechten Parteien dominierte Parlament hält weiter zur Regierung. Dies steht im krassen Gegensatz zum Verhalten des Parlaments gegenüber Temers Amtsvorgängerin Dilma Rousseff. Diese wurde wegen angeblicher Haushaltstricksereien – deren Illegalität immer noch öffentlich umstritten ist – vom Parlament abgesetzt. Konkrete Korruptionsvorwürfe gegen Rousseff bestehen bislang nicht.

Dies könnte sich bald ändern. Der Kabinettschef der Regierung Rousseff, Antonio Palocci, hat vor Gericht schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva (PT) und Dilma Rousseff erhoben. Der frühere enge Vertraute von Lula da Silva war Finanzminister in dessen Regierung und wurde im Juni zu zwölf Jahren Haft wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Am 6. September sagte er vor dem Untersuchungsrichter Sergio Moro über die Korruption zwischen Regierung und dem Bauunternehmen Odebrecht aus. „Die Verbindungen zwischen Regierung und Odebrecht waren immer sehr flüssig und informell“, erklärte Palocci. Insbesondere in der Zeit des Regierungs-wechsels von Lula da Silva zu Rousseff sei die Unternehmensführung sehr besorgt gewesen, dass diese guten Beziehungen zwischen Regierung und Bauunternehmen erhalten bleiben. Vor allem habe Odebrecht die Aufträge für den Bau von zwei großen Wasserkraftwerken an den Staudämmen Santo Antonio und Jirau an der bolivischen Grenze erhalten wollen. Emilio Odebrecht, Vater des inhaftierten Konzernchefs Marcelo, habe deshalb für den Wahlkampf Rousseffs 300 Millionen Reais (rund 81 Millionen Euro) zugesagt. Am 13. September sagte Lula da Silva zu diesen Vorwürfen vor dem Richter Moro aus. Erwartungsgemäß wies er alle Anschuldigungen seines ehemaligen engsten Vertrauten von sich.

In der PT-nahen Onlinezeitung Brasil 247 diskreditierten mehrere hochrangige Politiker*innen der Arbeiterpartei die Aussagen Paloccis und die Korruptionsermittlungen insgesamt. Gleisi Hoffmann, Senatorin und Präsidentin der PT, schrieb, dass die Operation Lava Jato den Eliten nur dazu diene, die Linke zu diskreditieren. In verschiedenen Kommentaren auf Brasil 247 ergehen sich Anhänger*innen der PT in Verschwörungstheorien: Lava Jato sei ein Instru-ment des US-Imperialismus, um die Bau- und Agrarindustrie des Landes zu schwächen. Von Selbstkritik ist im PT-Umfeld nichts zu spüren.

Dies zeigt einmal mehr das fundamentale Problem der PT-Regierungen: Lula da Silva und Rousseff glaubten, ein Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie bilden zu können. Doch gerade von der Bau- und Agrarindustrie gehen massive Verbrechen gegen die Bevölkerung aus: Menschen werden für agro-industrielle Landwirtschaft und große Infrastrukturprojekte vertrieben, Proteste dagegen werden kriminalisiert. Anstatt diese Kräfte zu bekämpfen, suchte die PT den Schulterschluss mit ihnen. Und auch zur neuen Regierung hegen diese Industrien beste Beziehungen, um straflos zu agieren. In Brasilien sind bis auf weiteres eben nicht alle vor dem Gesetz gleich.

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