Vom “indianischen Versuchskaninchen” zum Selbstbestimmungsrecht der Frau

Das Thema Geburtenkontrolle ist an und für sich schon brisant. Es hat in unserem Kontinent das zweifelhafte Privileg, Debatten polarisiert und das zerbrechliche Gleichgewicht der Staatsräson durcheinandergebracht zu haben. Nebenbei richteten Teile der Politik, der Kirchen, des Feminismus und des medizinischen Sektors Protestaktionen gegen ein sehr präzises Ziel: das, was in einer äußerst agressiven Sprache als der “Yankee-Imperialismus” bezeichnet wird.
Die fünfziger Jahre sind in Lateinamerika nicht wegen des Koreakrieges in trauriger Erinnerung geblieben, sondern wegen dem, was in Puerto Rico geschah: Auf dieser Insel wurde damals eine Versuchsreihe gestartet, um die erste Anti-Baby-Pille zu testen, wobei Hunderte von Frauen als “indianische Versuchskaninchen” benutzt wurden. In den vierziger Jahren von dem Wissenschaftler Gregory Pincus in Nordamerika erfunden, enthielt die Pille zum damaligen Zeitpunkt eine dreimal höhere Hormondosis als heute. Hinzu kam, daß die Frauen, die die Pille benutzten, weder über die Nebenwirkungen informiert wurden noch wußten, daß sie Teil eines Experimentes waren. Diese Tatsache rief eine starke Gegenkampagne auf dem ganzen lateinamerikanischen Kontinent hervor.
Später war Bolivien das Land, in dem durch Yawar Malku, einem realistischen Kurzfilm, ein erbitterter Kampf gegen die Geburtenkontrolle geführt wurde. Yawar Malku, was in der Sprache der Aymara Das Blut des Kondors bedeutet, wurde 1968 von Jorge Sanjines gedreht, um die Zwangssterilisationen indianischer Frauen anzuklagen. Diese wurden von medizinischen Teams vorgenommen, die angeblich mit der nordamerikanischen Organisation Cuerpo de Paz zusammenhingen. Als Resultat der Beschuldigungen, die weltweit bekannt wurden, warf der damalige Präsident Torres diese Organsation aus Bolivien heraus.
Schließlich gab es ähnliche Fälle, bei denen sich der Zwangscharakter und das Antidemokratische einer bestimmten Art von Bevölkerungspolitik manifestierte. Auf diese Art und Weise wurden Mißverständnisse und Mißtrauen gegen eine internationale Kooperation auf diesem Gebiet gesät. Im Laufe der Zeit wuchs das Informationsdefizit, was verhinderte, daß die Bevölkerungsproblematik in ihrer tatsächlichen Dimension erkannt werden konnte.
Trotzdem ist die heutige Debatte um die Legitimität von Geburtenkontrolle aus bevölkerungspolitischen Zielen komplexer geworden. Glücklicherweise hat sie nicht mehr diesen kriegerischen und vielfach vereinfachenden Tonfall wie in der Vergangenheit.
Auf der zweiten Weltbevölkerungskonferenz 1984 in Mexiko-Stadt wurde ein Dokument verabschiedet, das unter anderem feststellte, daß “ein unentwirrbarer Zusammenhang zwischen Bevölkerung, Einkommen, Umwelt und Entwicklung” bestehe. Zu diesem Zeitpunkt war ein entscheidender Faktor für die Ergebnisse der Konferenz die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Frauenbewegung mittlerweile auf dem ganzen Kontinent erreicht hatte – insbesondere in ihrem Kampf um selbstbestimmte Fortpflanzung. Der Spruch “Nein zur Bevölkerungskontrolle: Die Frauen entscheiden!” wurde in den achtziger Jahren zum Motto der Bewegung gegen eine Politik der Geburtenkontrolle, die von einer sexistischen und auf rein quantitative Erfolge ausgerichteten Sichtweise geprägt war.

Feministische Bevölkerungspolitik?

Mittlerweile hat sich die Debatte zwischen der Frauenbewegung und dem medizinischen, staatlichen, wissenschaftlichen und politischen Establishment über die Existenzberechtigung von (staatlicher) Bevölkerungspolitik intensiviert. Innerhalb der Frauenbewegung gibt es einerseits Strömungen, die glauben, daß das Thema Bevölkerungspolitik Frauen nur insofern betrifft, als es um das Prinzip des Rechts auf Selbstbestimmung geht. Andere halten es dagegen für notwendig, die Herausforderung anzunehmen, eine Alternative zu der staatlichen Bevölkerungspolitik zu erarbeiten und so etwas wie eine “feministische Bevölkerungspolitik” zu entwickeln.
Einig sind sich die Frauen der verschiedenen Strömungen darin, daß die Anstrengungen, die heute von Frauen in diesem Bereich unternommen werden, sich darauf konzentrieren müssen, in die Analyse von Bevölkerungspolitik eine geschlechtsspezifische Perspektive hineinzubringen. Das Fehlen dieser Perspektive hat bisher eine Neueinschätzung der Bevölkerungsentwicklung verhindert, die nicht nur aus demographischer Sicht gesehen werden darf. Auch ökonomische Faktoren, wie sie in Lateinamerika zur Zeit durch das herrschende neoliberale Modell vorgegeben werden, spielen eine wichtige Rolle. Ebenfalls von Bedeutung sind die aus Europa importierten und durch die katholische Kirche aufgezwungenen sexuellen Verhaltensnormen und die fundamentalistische Moral, die einzig und allein auf Heterosexualität basiert. Auch die Unterdrückung der Frauen und die Differenzen zwischen verschiedenen Klassen und Ethnien, die das Leben unserer Gesellschaften tief prägen, dürfen als Faktoren nicht ignoriert werden.

Frauenkörper als Objekte

Aber im Kern dieser Debatte befindet sich eine unveränderliche Tatsache: Unsere Körper sind die entscheidenden Objekte, um bevölkerungspolitische Planziele zu erreichen. Immer noch werden Frauen die elementaren Menschen- und Bürgerinnenrechte vorenthalten. So existieren nach wie vor diskriminierende Normen und Gesetze. Im gynäkologischen Bereich gibt es keine Gesundheitspolitik. Gleichzeitig verschlechtert die Kriminalisierung der Abtreibung die Lebens- und Gesundheitsbedingungen von Tausenden von Frauen, deren Körper innerhalb der Ideologie der sogenannten “Familienplanung” keine Wichtigkeit besitzen. Die Lebenssituation lediger Frauen wird ebensowenig berücksichtigt wie die von Jugendlichen.
Die in der Vergangenheit begangenen Fehler in den Empfängnisverhütungsprogrammen werden langsam sowohl von den Entwicklungshilfeorganisationen als auch von den Regierungen zur Kenntnis genommen. Weder die einen noch die anderen wünschen das Scheitern dieser Programme. Gleichzeitig können sie es sich nicht leisten, Kritik zu ignorieren – in diesem Fall von Seiten der Frauenbewegung und aus dem Gesundheitsbereich. Es sind einige Veränderungen zu verzeichnen, die auf einen verstärkten Dialog hinauslaufen und sich ernsthaft der Kritik der Frauenbewegung zu stellen, insbesondere, was die Erforschung und Erprobung neuer Verhütungsmittel angeht. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist hierbei die Arbeit von Feministinnen innerhalb internationaler Institutionen wie der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und Nichtregierungsorganisationen.

Umweltschutz durch Verhütung?

Trotz allem gibt es einen Punkt, über den frau sich innerhalb des kritischen feministischen Diskurses nicht einfach hinwegsetzen darf, nämlich die Verbindung zwischen Bevölkerungswachstum und Umweltkrise. Es steht außer Frage, daß der ursprüngliche Ansatz, die Bevölkerungskontrolle als Allheilmittel gegen die Armut zu sehen, obsolet und kontraproduktiv ist. Genausowenig kann die Zerstörung des Planeten einzig durch die massive Anwendung von Empfängnisverhütungsprogrammen verhindert werden. Diese Sichtweise verschleiert wie gehabt ein Thema, das aufgrund seiner Komplexität eine globale Sicht auf ein neues Zivilisationskonzept erfordert, wie es inzwischen viele Feministinnen diskutieren. Deswegen genügt es nicht, für ein Bevölkerungsgleichgewicht zu kämpfen, um eine gesunde und intakte Umwelt zu fördern. Ebenso reicht es nicht aus, dem
Bevölkerungswachstum lediglich eine strukturelle Entwicklungspolitik entgegenzusetzen, die die Armut bekämpft.
Der Bevölkerungszuwachs ist eine Tatsache, die die gesamte Menschheit betrifft und daher auch von den Feministinnen eine ernsthafte Anstrengung verlangt. Unsere Forderungen nach einer besseren Lebensqualität dürfen nicht einzig auf den Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, das Fehlen von Bildung und die Geschlechterdiskriminierung gerichtet sein. Das zentrale Problem ist nicht nur die Größe der Bevölkerung, sondern deren Einwirken auf das Ökosystem und auf die existierenden Ressourcen, die sich unabhängig von den demographischen Ziffern tagtäglich verringern.

Mythos Mütterlichkeit

Was geschieht mit den kommenden Generationen? Sicherlich ist die Kontrolle über unsere Körper und die Möglichkeit, zu entscheiden, ob und wann wir Kinder haben wollen, Teil des Kampfes für die reproduktive Freiheit. Aber an welchem Punkt kann dieses Recht, das zur Privatsphäre gehört – “Mein Körper gehört mir” – in Konflikt mit den sozialen Interessen geraten? Eine verantwortungsvolle Fortpflanzung kann nicht im Widerspruch zum Anspruch auf Wohlbefinden und Lebensqualität stehen. Das Konzept einer Autononomie per se hat bei Teilen der Frauenbewegung zu einer Mystifizierung der Mütterlichkeit geführt, welcher gegenüber der männlichen Welt eine besondere Macht und Exklusivität zugesprochen wurde. Eine ihres sozialen Charakters entledigte Mütterlichkeit steht im Widerspruch zu dem, was der Feminismus immer gefordert hat, nämlich eine geteilte Verantwortung für die Kindererziehung.
Gleichzeitig haben die Frauen aber auch ambivalente Gefühle hinsichtlich der Mutterschaft und deren Einfluß auf das Unbewußte. Vor allem da die Mehrheit der Frauen Weiblichkeit mit Fruchtbarkeit gleichsetzt. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Mutterschaft weiterhin als Quelle für Selbstwertgefühl und soziale Anerkennung in einer Gesellschaft dient, in der die Frau keinen Zugang zur Macht hat. Zu verneinen, daß diese Faktoren einen schwerwiegenden Einfluß auf große Teile unserer Kritik an der Bevölkerungspolitik haben, hieße, zu ignorieren, daß wir nach wie vor von diesen Wertvorstellungen und Ängsten geprägt sind, die unsere Opferrolle verstärken und unserer Selbstverwirklichung im Wege stehen.

Ein Aymara im totalen Gonismus

Zwischen den Basketballkörben im Coliseo Cerrado in La Paz brennt ein Feuer. Indigene Würdenträger umschreiten es und werfen Cocablätter und andere Gaben hinein, während unter dem Beifall von tausenden von Zuschauern eine Delegation nach der anderen die Halle betritt. Überall wehen die farbenprächtigen Fahnen des Tawantinsuyu, des untergegangenen Reiches der Inkas. Auf vier Sesseln sitzen zwei Männer und zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Für Gonzalo Sanchez de Lozada, aufgewachsen in den USA, ist das Zeremoniell fremd. Immer wieder muß Victor Hugo Cardenas ihm Erklärungen und Anweisungen geben. Daneben die Damen: Ximena Iturralde de Sanchez de Lozada hat sich mit folkloristischen Applikationen auf dem lila Kleid auf das Ambiente eingestellt. Auf der anderen Seite sitzt Lidia Katari de Cardenas in
“manta y pollera”, der traditionellen Kleidung der Aymara-Frauen von La Paz, auf dem Kopf die Melone, symbolhaft für das gewachsene Selbstbewußtsein der Indígenas.
Zum ersten Mal nach 168 Jahren wurde am 5.August eine neue Regierung von Delegationen der indigenen Völker Boliviens als legitim anerkannt, vor wenigen Jahren noch ein undenkbarer Vorgang in einem Land, in dem die indigene Bevölkerungsmehrheit im formalen politischen System fast nie präsent war. Trotz aller farbenprächtigen Trachten geriet die Veranstaltung dabei nie zur folkloristischen Show. Der Vertreter aus Tarabuco bei Sucre im leuchtend roten Poncho trat mit der Aktentasche unter dem Arm auf, eine Delegierte aus dem Tieflanddepartement Beni trug zum Festtagskleid eine Plastiktüte mit unbekanntem Inhalt, und die abgetragenen Anzüge der Vertreter aus Oruro waren unter ihren Ponchos deutlich sichtbar. Den Anwesenden ging es nicht um ein Revival von angeblich “authentischen” Bräuchen, sondern um die symbolische Demonstration der Hoffnung auf ein plurikulturelles Bolivien in der Gegenwart. Die Präsenz der guatemaltekischen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu machte darüberhinaus deutlich, daß es nicht nur um einen abgelegenen Andenstaat, sondern um Perspektiven auch für die Indígenas in anderen Ländern Lateinamerikas geht.
Victor Hugo Cardenas ist ein Aymara-Intellektueller, der sich bis zum Professor für Erziehungswissenschaften und Linguistik an der staatlichen Univerität von La Paz hochgearbeitet hat. Er ist Vorsitzender der “Revolutionären Befreiungsbewegung Tupac Katari” (MRTKL), die mit der alten Revolutionspartei von 1952, der “Nationalrevolutionären Bewegung” (MNR) Sanchez de Lozadas ein Wahlbündnis geschlossen hat. So sehr die Entscheidung Gonis von wahlstrategischen Erwägungen bestimmt gewesen sein mag, hat er mit der Wahl Cardenas zu seinem Partner auch eine politische Option geöffnet. Der MRTKL ist nicht die einzige Partei aus der kataristischen Bewegung, die ihren Namen vom Führer eines Indígenaaufstandes Ende des 18.Jahrhunderts ableitet. Radikalere kataristische Gruppen idealisieren die vorkolonialen indigenen Gesellschaften und fordern die gewaltsame Vertreibung der “Weißen”, um ein rein indigenes Bolivien aufzubauen.
Cardenas dagegen steht für friedliche Reformen, um Staat und Gesellschaft Boliviens für die Indígenas zu öffnen. Jetzt, wenige Wochen nach seiner Wahl zum Vizepräsidenten, hat er die überwältigende Mehrheit der Indígenas hinter sich, während die radikaleren kataristischen Gruppen kaum politisches Gewicht haben. Allerdings haben Sanchez de Lozada und Cardenas außerordentlich große Hoffnungen geweckt. Wenn die Mehrheit der Indígenas in den kommenden Jahren den Eindruck gewinnt, von einer Regierung betrogen worden zu sein, die ihren Vizepräsidenten als Marionette zappeln läßt, stellt sich die Frage nach ihren Reaktionen. Sie werden sich kaum wieder in solchem Ausmaß für eine Regierung in La Paz mobilisieren lassen. Nicht umsonst erinnerten die Autoritäten der indigenen Völker die Gewählten am 5. August an Zarate Willka, den Führer des letzten großen Indígenaaufstandes in Bolivien im Jahr 1899. Der damalige Präsident Pando hatte ihn erst zu seinem Bündnispartner gemacht und ihn und seine Bewegung kurze Zeit später mit Waffengewalt besiegt. Sanchez de Lozada hat durch seine Entscheidung für Cardenas eine Dynamik in Gang gesetzt, von der er eingeholt werden könnte, wenn er sie nicht ernst nimmt.

Stabilität um jeden Preis

“Gonismus” gibt es nicht erst seit dem 6.August. Gonismus steht für die bolivianische Wirtschaftspolitik seit 1985. Damals war Sanchez de Lozada noch unter dem alten Präsidenten und Revolutionsführer Victor Paz Estensoro als Planungsminister der Architekt der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Auch in der Zeit von 1989 bis 1993, als der MNR in der Opposition war, änderte sich nichts Wesentliches am wirtschaftspolitischen Kurs. Alle bekannten Folgen neoliberaler Wirtschaftspolitik waren und sind in Bolivien spürbar. Viele staatliche Minen sind schon seit Jahren geschlossen, ganze Städte in den Minengebieten sind fast ausgestorben. Die offenen Grenzen sorgten dafür, daß viele bolivianische Betriebe der Billigkonkurrenz aus dem Ausland nicht mehr standhalten konnten. Aber Gonismus heißt für die BolivianerInnen auch Stabilität, heißt Rückgang der Inflation von 23.000% in den Jahren 1984/85 auf bescheidene 10%. Und nicht zuletzt steht Gonismus für politische Stabilität. Bolivien hat am 6.August zum dritten Mal in Folge einen verfassungsgemäßen Regierungswechsel erlebt. Von links bis rechts wird gefeiert, daß Bolivien nicht mehr das Land der unzähligen Militärputsche ist. Goni kann darüberhinaus mit dem Pfund seines persönlichen Ansehens wuchern. Er gehört zu den wenigen Politikern, denen die Abneigung gegen Korruption abgenommen wird, abgesehen davon, daß er als Millionär die Korruption persönlich ohnehin nicht nötig hat. Im Wahlkampf war die Korruption ein zentrales Thema, denn unabhängig von der politischen Ausrichtung herrschte Einigkeit darüber, daß unter der letzten Regierung von Jaime Paz und Ex-Diktator Hugo Banzer die Korruption im Staatsapparat nie gekannte Ausmaße angenommen hat.
In der öffentlichen Meinung bis weit hinein in die Opposition gegen Superstar Goni herrscht die Angst vor dem Risiko, die relative Stabilität wieder zu verlieren. Alle wissen, daß die Rahmenbedingungen der bolivianischen Wirtschaftspolitik nicht in La Paz, sondern in Washington gesetzt werden. So sehr Intellektuelle und auch einige GewerkschafterInnen die Abhängigkeit des Landes kritisieren, haben sie doch die gescheiterten Experimente anderer Wege vor Augen: der chaotische Antiimperialismus Alan Garcías in Peru und die eigene Erfahrung mit der Regierung Siles Zuazo zwischen 1982 und 1985. Die Spitze des Gewerkschaftsdachverbandes COB macht massiv Front gegen die neoliberale Politik, aber ihr politisches Gewicht hat seit dem Zusammenbruch der Macht der Minenarbeiter stark abgenommen. Ihre Haltung ist defensiv: Hauptforderung ist der Stop der Privatisierungen. Aber Vorschläge, wie die hyperbürokratisierten Verwaltungsapparate der staatlichen Großbetriebe sinnvoller arbeiten könnten, sind Mangelware. Ersatzweise bedient man sich umso lieber flammender antiimperialistischer Rhetorik. Deren Glaubwürdigkeit allerdings bewegt sich bei der großen Mehrheit der BolivianerInnen nahe dem Nullpunkt.

Beliebte und Beleidigte: Gonis Koalitionstango

Sanchez de Lozada brauchte Koalitionspartner, um sich zum Präsidenten wählen zu lassen. Sein MNR hatte im Bündnis mit Cardenas MRTKL zwar die Wahlen mit Abstand gewonnen, zur absoluten Mehrheit hatte es aber nicht gereicht. In Bolivien gibt es keinen zweiten Wahlgang zwischen den beiden stärksten Kandidaten. Entscheidend ist, wer im Parlament eine Mehrheit zustande bekommt. Die Verlierer der Wahl schieden als potentielle Koalitionspartner aus. Die “Linksrevolutionäre Bewegung” (MIR) des scheidenden Präsidenten Jaime Paz hatte sich in vier Jahren an der Macht ebenso verbraucht wie die “Nationalistische Demokratische Aktion” (ADN) des ehemaligen Diktators Hugo Banzer. Banzer muß nach seiner dritten Wahlniederlage jetzt einsehen, daß er in Bolivien nicht mehrheitsfähig ist.
Drei mögliche Partner blieben: die kleine moderat linke “Bewegung Freies Bolivien” (MBL), eine Abspaltung des MIR, und dazu zwei schillernde Figuren der politischen Szenerie. Carlos Palenque machte sich die größten Hoffnungen auf den Zugang zur Macht. Mit Hilfe seines Fernsehkanals in La Paz hat er vor allem bei den städtischen Aymaras viele Stimmen bekommen, denn im “Canal 4” kommen sie zu Wort. Marktfrauen dürfen fernsehöffentlich ihr Leid über die Probleme des Alltags klagen, um sich dann väterlich vom Compadre Palenque in pastoral getragenen Worten Trost spenden zu lassen. Seit 1988 hat Palenque seine eigene Partei “Bewußtsein des Vaterlandes” (CONDEPA), die inzwischen in La Paz und in der Schwesterstadt El Alto die Bürgermeister stellt. Die Popularität von CONDEPA ist zweifellos Ausdruck des Drangs der städtischen Aymaras nach eigener politischer Repräsentation. Als politische Partei ist CONDEPA aber vor allem Vehikel auf dem Weg der populistischen Vaterfigur Palenque zur Macht. Durch Programmatik ist CONDEPA bisher ebensowenig aufgefallen wie Max Fernandez mit seiner UCS (Bürgerunion Solidarität). Der Brauereibesitzer machte mit sehr viel einfacheren Mitteln Wahlkampf: Lastwagenweise wurde Bier in die Dörfer geschafft und dazu das Blaue vom Himmel versprochen. In einem Fernsehinterview glänzte er mit einer Standardantwort auf nahezu jede Frage: “Wir werden das Problem analysieren und die für das bolivianische Volk beste Lösung finden.” Noch vor einem Jahr wurde Fernandez als möglicher Präsident gehandelt, bei der Wahl mußte er sich allerdings ebenso wie Palenque mit rund 13% der Stimmen begnügen.
Überraschenderweise findet sich Fernandez jetzt in der Regierungskoalition mit MNR, MRTKL und MBL wieder, während Compadre Palenque beleidigt vor der Tür bleibt. Der einfache Grund: Fernandez stellte Sanchez de Lozada weniger Bedingungen, was die Besetzung von Posten und Pöstchen angeht. Wichtig für die politische Szenerie der nächsten Jahre ist daran vor allem, daß der paternalistische Ethnopopulismus Palenques einen Dämpfer bekommen hat. Aus der Regierung heraus hätte er seine Klientel bedienen können, eine zentrale Bedingung für stabile Popularität. Jetzt bleiben ihm die wichtigen Bürgermeisterämter als Machtbasis. Es fragt sich, wie lange noch. Im Dezember finden Kommunalwahlen statt, und der erfolgreiche CONDEPA-Bürgermeister von La Paz, Julio Mantilla, wird bereits heftig von anderen Parteien umworben.

Holpriger Start

Sanchez de Lozada hatte nicht das glücklichste Händchen in seinen ersten Wochen an der Macht. Großartig war die Verkleinerung der Bürokratie mit der Reduzierung des Apparates auf zehn Ministerien angekündigt worden. Dafür nimmt nun die Zahl der Sekretariate und Subsekretariate auf über 30 zu. Die drei neuen Superministerien für “wirtschaftliche Entwicklung” (Wirtschaft, Planung und Finanzen), “soziale Entwicklung” (Soziales, Gesundheit, Erziehung, etc.) und “nachhaltige Entwicklung” (Landwirtschaft, Coca, Umwelt u.a.), in denen viele alte Ministerien aufgegangen sind, bieten bis jetzt ein chaotisches Bild. Bemerkenswert ist die Besetzung dieser Schlüsselministerien. Die drei Amtsinhaber, Fernando Illanes, Fernando Romero und Guillermo Justiniano, sind Unabhängige aus hohen Wirtschaftskreisen. Wirtschaftssuperminister Illanes zum Beispiel war Unternehmerpräsident. Sanchez de Lozada setzt darauf, die Wirtschaftseliten des Landes in seine Regierung einzubinden. Das Verteidigungsministerium ging an den UCS-Vertreter Antonio Cespedes, das Außenministerium an den MBL-Chef Antonio Aranibar. Letzterer bekam schon in der zweiten Woche im Amt einen Vorgeschmack auf seine Rolle als “Linker” im Kabinett: Notgedrungen mußte er der Einreise von 25 US-Beratern in Sachen Drogenbekämpfung zustimmen, noch im Wahlkampf ein absolutes Tabu für ihn und seine Partei.
Nachdem das Fest des Regierungswechsels vorbei ist, werden die Nachrichten aus dem Regierungspalast von Personalentscheidungen und ersten Koalitionsquerelen beherrscht. Victor Hugo Cardenas wird sich den erhofften politischen Einfluß in der Regierung erkämpfen müssen. Fatal für ihn und für Bolivien wäre, wenn das Vizepräsidentenamt bliebe, was es in den letzten Jahren war: Abschiebebahnhof für nicht mehr benötigte Bündnispartner.

Geliebtes Erbe einer verhaßten Zeit

Wenn Leute, die die chilenische Regierung vertreten, heutzutage mit Kolleginnen und Kollegen aus den Nachbarländern diskutieren, vermeiden sie es sorgfältig, von Chile als Modell zu sprechen. Ihnen ist es, egal ob sie aus der Christdemokratischen oder der Sozialistischen Partei kommen, peinlich, als überheblich zu gelten, so als sollte am chilenischen Wesen die Welt ringsum genesen. Und gelegentlich lassen sie auch noch erkennen, daß sie keinem Nachbarland die Opfer wünschen, die die lange Nacht der Pinochet-Diktatur gekostet hat. Sobald sie aber untereinander sind, geht ihnen ganz flott von den Lippen, daß sich ihr Land jetzt in der “zweiten Phase des Exportmodells” befindet. Das soll bedeuten, daß sie die Ergebnisse der unter der Militärdiktatur durchgesetzten neoliberalen Revolution, nämlich eine exportorientierte, aktive Weltmarktintegration des Landes mit allen Konsequenzen für seinen inneren Zustand voll akzeptieren und nur innerhalb dieses Rahmens etwas im Sinne von Demokratie und sozialem Ausgleich ändern wollen. Nicht Chile ist also das Modell, sondern Chile hat sich nur frühzeitig nach einem Modell ausgerichtet, das nach dieser Vorstellung andere Länder – unter möglichst weniger kostspieligen Umständen – auch adoptieren müßten.

Die Linksintellektuellen ohne Alternative

Diese Einschätzung, daß es zu dem herrschenden Wirtschaftsmodell keine wirkliche Alternative gebe, wird heute auch von der Mehrheit der einstmals linken Intellektuellen geteilt, die vor zwanzig Jahren mit Salvador Allende für einen demokratischen Sozialismus kämpften und dann für lange Jahre ins Exil gehen mußten. Diese Position ist in der Koalition, die den Präsidenten Patricio Aylwin trägt, so weit akzeptiert, daß die rechte Opposition derer, die mit der Diktatur sympathisierten, für den kommenden Wahlkampf gar kein rechtes Thema hat und in den Meinungsumfragen hoffnungslos zurückliegt.
Woher aber nun diese freudige Akzeptanz des neuen chilenischen Weges? Woher die Angst vor jeder Abweichung vom Pfad der kapitalistischen Tugend? Woher der Erfolg der Warnung “Keine Experimente!”, ganz im Sinne von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard seligen Angedenkens?
Ein großer Teil der Erklärung liegt in dem relativ hohen Wachstum, das die chilenische Wirtschaft seit Mitte der achtziger Jahre und ganz besonders seit dem Amtsantritt der demokratischen Regierung Anfang 1990 erfahren hat. Chile war – neben Uruguay – eins der ganz wenigen Länder, die im sogenannten “verlorenen Jahrzehnt Lateinamerikas” zwischen 1980 und 1990 nicht einen Rückgang der Wirtschaftsleistung erlebt haben, und überhaupt das einzige Land, dessen Produkt pro Kopf in dieser Zeit spürbar zunahm.
Das folgende Schaubild zeigt, wie sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung in Chile im Vergleich zu den Nachbarländern verändert hat. Während es in Peru von 1980 bis 1992 um gute, genauer: katastrophale 30 Prozent gesunken ist, in Bolivien auf niedrigstem Stand noch nicht einmal das Niveau von 1970 wieder erreicht hat und in Argentinien trotz hoher Zuwachsraten in den letzten beiden Jahren die gut 20 Prozent Schrumpfung seit 1980 immer noch nicht wieder wettgemacht hat, verzeichnet es in Chile seit 1982, als es dort unter den Stand von 1970 zurückgefallen war, ein erst langsames, dann sich steigerndes Wachstum um insgesamt 30 Prozent. Der Abstand zum reicheren Argentinien hat sich erheblich verringert, der zu den ärmeren Nachbarländern Peru und Bolivien erheblich vergrößert. Alle, die sich in Chile den Luxus einer Auslandsreise leisten können, kommen mit dem Eindruck zurück: “Bei uns funktioniert es besser!”
Bisweilen verbindet sich damit der Traum, binnen kurzem den Anschluß an die Entwicklung der Industrieländer zu erreichen, Teil der Ersten Welt zu werden. Und in der Tat: In dem großen, weiträumigen Oberklassenviertel von Santiago können sich die gutsituierten Leute wochenlang über weite Strecken bewegen, ohne der Armut zu begegnen. Modernste Wohnanlagen und schmucke Villen wechseln mit luxuriösen Einkaufspassagen, attraktiven Hotels und postmodernen Bankpalästen, zwischen denen geschniegelte Yuppies mit ihren schlanken Aktenkoffern – eifrig telefonierend – hin und her laufen oder fahren.

Eine gigantische Umverteilung

Dieser konzentrierte und heute offen zur Schau gestellte Reichtum ist aber nicht nur das Ergebnis der Wachstumsraten der letzten Jahre, sondern vor allem Resultat einer gigantischen Umverteilung der Einkommmen zu Lasten der Armen und zu Gunsten der Reichen. Nach Angaben der in dieser Hinsicht sicher unverdächtigen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (CEPAL) ist in Chile zwischen 1970 und 1990 der Anteil der Armen von 17 auf 35 Prozent der Bevölkerung und der Anteil der extrem Notleidenden von sechs auf zwölf Prozent der Bevölkerung gestiegen. Diese gigantische Umverteilung war einerseits das Ergebnis der nach 1973 erfolgten Durchsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells mit der völligen Liberalisierung des Marktes, der totalen Ausrichtung auf den Außenhandel und der drastischen Reduzierung der Rolle des Staates in der Wirtschaft und im Bereich des Sozialen. Andererseits wurde die Umverteilung noch einmal verschärft durch die tiefen Wachstumskrisen von 1975 und 1982, die der Schockbehandlung durch die Chicago Boys unter der Diktatur folgten.
Nimmt man die geamte Zeit seit 1970 bis heute, so ist Chile – bezogen auf den Durchschnitt der Bevölkerung – den Industrieländern keineswegs näher gerückt. Um ganze 1,2 Prozent jährlich ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den 22 Jahren seither gewachsen. Entscheidend für das Bewußtsein der Leute – auch der armen Leute – ist aber, was jetzt passiert; und jetzt boomt die Wirtschaft: Um 10,4 Prozent hat die Wirtschaftsleistung 1992 zugenommen. Wo gibt es das – außer in China – noch auf der Welt? Für 1993 sieht es nicht viel schlechter aus. Und die Inflation sinkt. Und das Auslandskapital strömt herein. Und die Deviseneinnahmen aus dem Export nehmen zu. Und die Investitionsquote steigt.
Unter diesen Umständen setzt auch die Mehrheit der Armen ihre Hoffnung nicht auf die Abschaffung des Wirtschaftsmodells, das ihre Armut erst erzeugt oder noch verschlimmert hat, sondern – unter der demokratischen Regierung – auf einen gerechten Anteil an dem produzierten Wachstum. Regierungsfunktionäre aus dem Planungsministerium haben ausgerechnet, daß tatsächlich im Jahre 1992 die Einkommen der unteren 40 Prozent der Einkommenspyramide um zwei Prozent schneller gewachsen sind als der Durchschnitt. Bei diesem Tempo würde es noch viele Jahrzehnte brauchen, bis eine ähnliche Einkommensverteilung wie im Jahr 1970 wieder erreicht würde; aber die Situation der Armen wird wenigstens nicht noch schlechter.

Liberalismus in den Köpfen

Daß das Wirtschaftsmodell so breit akzeptiert wird, liegt aber auch daran, daß es sich über die neoliberalen sogenannten “Modernisierungen” seit den achtziger Jahren in den Verrichtungen des täglichen Lebens und in den Köpfen niedergeschlagen und festgesetzt hat. Die Privatisierung der grundlegenden sozialen Dienste im Gesundheitswesen und in der Sozialversicherung, die Übertragung des Bildungswesens auf die Gemeinden, die Zerschlagung und Neuordnung der Gewerkschaften durch den sogenannten “Plan Laboral” und die Zerstörung der Berufskammern, alle diese Maßnahmen zielten darauf, die Gesellschaft zu atomisieren und an den Gedanken zu gewöhnen, daß vom Staat nichts zu erwarten ist: “Jede ist ihres Glückes Schmiedin.” Und da unter der Diktatur diesen Ideen der Herrschenden nichts entgegengesetzt werden konnte, wurden sie zu den herrschenden Ideen im Lande. Unternehmerischer Geist kennzeichnet heute nicht nur die UnternehmerInnen, sondern auch die Werktätigen bis hin zu den Bettlern, die sich zur Steigerung der “Effizienz” ihrer Arbeit eine Krawatte umbinden.
Die Ausrichtung auf den Export ist auf den ersten Blick beeindruckend erfolgreich. Immer steigende Deviseneinnahmen haben nicht nur die Finanzierung des Luxus der Oberschicht, sondern auch eine Reduzierung der Auslandsschulden möglich gemacht. Aber auch der Blick auf die endlos erscheinenden neuen Obst- und Weingärten, Kiefern- und Eukalyptuswälder, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die vielgepriesenen “nichttraditionellen” Exporte von Obst und Holz, Wein und Zellulose eben doch insofern sehr traditionell sind, als es sich um Rohstoffe oder wenig verarbeitete, rohstoffnahe Produkte handelt, bei denen die komparativen Vorteile gegenüber den ausländischen Konkurrenten in der Ausbeutung des Bodens und schlecht bezahlter – häufig weiblicher – Arbeitskräfte liegen. An ein dauerhaftes Wachstum dieser Art von Exporten ist nicht zu denken; und unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten wäre es auch gar nicht wünschenswert.
Die Vernachlässigung ökologischer Gesichtspunkte ist ohnehin eins der wesentlichen Kennzeichen des chilenischen Modells. Kaum jemand wagt es, die Argumentation gegen Smog und Pestizide, gegen Monokulturen und Naturwaldvernichtung soweit zu treiben, daß auch die Heilige Kuh des Wachstums um jeden Preis ins Zwielicht geriete. Die Regierung des Präsidenten Aylwin und ihre fast sichere Nachfolgerin unter dem Christdemokraten Eduardo Frei werden froh sein, wenn sie die Fortsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells mit fortgesetztem Wachstum, einem Minimum an Verbesserung im Sinne sozialen Ausgleichs und der Aufrechterhaltung einigermaßen demokratischer Verhältnisse kombinieren können. Für manche Länder in Lateinamerika und Osteuropa mag solches Streben Modellcharakter haben; von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft sind die Verhältnisse in Chile immer noch weit entfernt.

“Yankee” Goni wird Präsident

Diesmal wird der Erste nicht leerausgehen

In den vierten und nach Aussagen von allen BeobachterInnen fairsten allgemeinen Wahlen nach dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie 1982 scheint sich eine bolivianische Eigentümlichkeit nicht zu wiederholen. 1985 und 1989 wurden nicht diejenigen Kandidaten Präsident, die die relative Stimmenmehrheit hatten, sondern durch politische Deals der jeweils geschlagenen Parteien wurden die zweit- oder drittplazierten Kanditaten vomm Parlament zu Präsidenten gekürt. So wurde 1985 die Wahl von Hugo Banzer verhindert. Vier Jahre später hatte Sánchez de Lozada das Nachsehen, weil Banzer und seine rechtsgerichtete Partei ADN (Demokratisch Nationalistische Aktion) und die sozialdemokratische MIR (Bewegung der Revolutionären Linken) ein Bündnis schlossen. Nach monatelangem Hin und Her wurde der Kandidat der MIR, Jaime Paz Zamora, zum jetzt noch amtierenden Präsidenten gewählt, obwohl seine Partei nur knapp 20 Prozent erreicht hatte. Die “Ströme von Blut”, die MIR und ADN aufgrund der Verfolgungen während der Diktatur Banzers in den 70er Jahren trennten, waren plötzlich irrelevant. Daß Hugo Banzer ein Bündnis mit der relativ schwachen MIR einging und Paz Zamora zum Präsidenten machte, war mit einem längerfristigen Kalkül verbunden. Einerseits konnte die ADN dadurch wichtige Schlüsselpositionen in der Regierung besetzen und deren Politik entscheidend mitbestimmen, andererseits hatte die MIR als die Partei des Präsidenten die politische Verantwortung zu tragen. Dem Ex-Diktator stand damit der Weg offen, sich auch im Falle politischer Krisen und der Abnutzung der Regierung in den nächsten Wahlen als unverbrauchter Retter zu profilieren.
Dieses Kalkül hat sich mit der Wahl vom 6. Juni als falsch herausgestellt. Obwohl die Meinungsumfragen andeuteten, daß Banzer allmählich zu Sánchez de Lozada aufschließen kann, erreichte das “Patriotische Bündnis” um Banzer, das diesmal neben der verschlissenen MIR noch die Christdemokraten und die sich links gebärdende Revolutionäre Front umfaßte, nur magere 21 Prozent. Damit ist Banzer auch in seinem fünften Versuch, auf legalem, parlamentarischen Wege Präsident zu werden gescheitert – nachdem er nach 7-jähriger Militärdiktatur 1978 von seinem Generalskollegen Juan Pereda aus diesem Amt geputscht worden war. Vielleicht war die Last der Vergangenheit am Ende doch zu schwer. Es wird wahrscheinlich sein letzter Versuch gewesen sein; er hat schon angekündigt sich bei einer Nichtwahl aus der Politik zurückziehen zu wollen.
Goni hingegen fehlen nur fünf Sitze im Parlament, um am 6. August endgültig von den Abgeordneten gewählt zu werden. Unmittelbar nach der Wahl hat er angekündigt, daß er bereit ist, mit allen im Parlament sitzenden Parteien zu verhandeln, um seine Wahl und darüber hinaus eine längerfristig stabile Regierungskoalition zustandezubringen. In Frage kommen vor allem die erfolgreichen populistisch orientierten Parteien. CONDEPA (Vaterlandsbewußtsein) unter Carlos Palenque, einem Besitzer eines Radio-und Fernsehsenders, der vor allem durch an die städtischen Unterschichten gerichtete Sendungen populär wurde, konnte den spektakulären Erfolg der letzten Wahlen wiederholen und gewann 16 Prozent der Stimmen. CONDEPA war vor vier Jahren eher zufällig entstanden, geriet aber schnell zur politischen Bewegung, in der die marginalisierte Bevölkerung indianischer Herkunft ihren Protest gegen die Diskriminierung durch das “weiße” Establishment artikuliert sieht. Mittlerweile ist die Partei schon stärker etabliert und erweitert allmählich die bisher auf La Paz beschränkte regionale Begrenzung.
Die UCS (Bürgerunion und Solidarität) des schwerreichen Brauereibesitzers Max Fernández enttäuschte dagegen und erreichte als vierte nur 13 Prozent der Stimmen. In den Umfragen lag Fernandez lange Zeit an zweiter Stelle hinter Goni. Auch die UCS existiert erst seit 4 Jahren und rekrutiert ihre WählerInnen tendenziell eher aus dem Milieu der indianisch geprägten Mittelschichten. Populär ist Fernandez vor allem durch zahlreiche “Geschenke” an verschiedene Dörfer und Städte in Form von infrastrukturellen Anlagen wie Krankenhäusern, Fußballplätzen und Trinkwasseranlagen, die er aus der Firmenschatulle seines Brauereiunternehmens finanziert.
Die MBL (Bewegung Freies Bolivien), eine Abspaltung der MIR, erreichte als einzig dezidiert linke Partei, die nicht völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, sieben Parlamentssitze. Im Gegensatz zu den anderen eher orthodox orientierten Linksparteien vertritt sie das Konzept einer sozial orientierten Marktwirtschaft und einer plurikulturellen Nation.

Auf der Suche nach dem sozialen Gesicht des Neoliberalismus

Wie schon 1990/91 bewegte sich im Verlaufe des Jahres die Inflationsrate auf einem niedrigen Niveau bei 10,5 Prozent im Jahr. Das Bruttosozialprodukt stieg um beachtliche 3,7 Prozent. So gesehen scheinen die wirtschaftlichen Daten ein positives, befriedigendes Bild zu geben. Betrachtet man die ökonomische Entwicklung aber differenzierter, löst sich das optimistische Gemälde wirtschaftlicher Stabilität etwas auf. Denn das Wachstum von 3,7 Prozent ist vor allem der enormen Ausweitung des Baugewerbes (+15 Prozent) und des Finanzsektors (+15,6 Prozent) geschuldet, was auf ein vorwiegend auf spekulativen Kapitalanlagen beruhendes Wachstum verweist. Die eigentlich produktiven Sektoren Exportlandwirtschaft, Bergbau und Erdgas schrumpften um ein Prozent. Sinkende Exporte (von 848 Millionen 1991 auf 751 Millionen Dollar 1992) und steigende Importe (plus 42 Millionen Dollar) ergaben 1992 ein Handelsbilanzdefizit von 382 Millionen Dollar.
Wichtiger als die Bewertung der ökonomischen Situation anhand quantitativer Indikatoren ist aber, daß die “Nueva Política Económica” (Neue ökonomische Politik), wie sie von Paz Estenssoro 1985 installiert und von der Regierung von Paz Zamora bis 1993 brav weiterverfolgt wurde, neben relativer Stabilisierung auch die ohnehin krassen sozialen Ungleichheiten weiter verschärfte und die Ressourcen des Landes in immer weniger Händen konzentrierte. Der aktuelle politische Diskurs scheint anzudeuten, daß das Erreichen der “sozialen deadline” heute auch den hegemonialen Block der etablierten Parteien berührt, weil dadurch ein wichtiges Fundament der “Neuen ökonomischen Politik” allmählich untergraben wird: Die politische Stabilität und die formale Demokratie.

Beliebigkeiten der Bündnisse

Diese Beobachtungen korrespondieren auch mit anderen bedeutsamen Veränderungen der politischen Kultur Boliviens. Seit einigen Jahren ist bedingt durch die soziale Krise des Landes das Entstehen neuer sozialer Akteure zu beobachten, die sich ihre eigenen politischen RepräsentantInnen suchen und so einen politischen Erdrutsch der bolivianischen Politik bewirkten. Während die linken Parteien fast völlig von der Bildfläche verschwanden, liefen die marginalisierten Gruppen, wie die städtische Bevölkerung aus dem informellen Sektor (Informales) zu neuen populistischen Parteien über. Die Parteien hängen faktisch von der Popularität ihrer charismatischen Führer ab, sind aber gleichwohl zu Sprachrohren der Armen und Diskriminierten aufstiegen.
Dies gilt für die CONDEPA von Carlos Palenque, in der sich ein guter Teil der armen “Informales” repräsentiert sehen, wie auch für die UCS von Max Fernández, die eher bei den bessergestellten “Informales” aus der Chola-Bourgoisie (indianische Herkunft) ihren Rückhalt hat. Die politische Herausforderung dieser neuen populistischen Parteien zwang auch die traditionellen Parteien zur Annäherung an die neuen sozialen Akteure. Diese Annäherung ist der späten Einsicht der Altparteien geschuldet, daß auch dise sozialen Gruppen potentielle WählerInnen sind, die über die Machtverteilung bei Wahlen mitbestimmen können. Das scheint aber das einzigste Interesse der etablierten Parteien an diesen Menschen zu sein. Die realen Probleme der Informales werden über die rhetorische Phrasen des Wahlkampfs hinaus nur dann Thema der politischen Debatte, wenn sie sich zu sozialen Bewegungen formieren und als unabhängige kollektive, politische Akteure ihre Interessen gegenüber dem politischen Establishment einfordern können.
Eine zweite Tendenz ist die zunehmende Annäherung der traditionellen Parteien MNR, ADN und MIR. Die Politik in Bolivien verliert zunehmend ihre in den Zeiten der Diktaturen so scharfe Links-Rechts-Konturen, alle treffen sich in der mehr oder minder neoliberalen Mitte. Und so entsteht die Möglichkeiten des vorher Undenkbaren. Der neue Zentrismus hat zur Folge, daß jede Koalition und jeder Pakt zwischen politischen Parteien möglich wird. Die Wahl von Paz Zamora von der MIR zum Präsidenten 1989 durch das Bündnis mit seinem vormaligen Todfeind Hugo Banzer (ADN), der ihn und seine Parteigenossen während der Diktatur verfolgt und ins Exil getrieben hatte, war insofern nur eine bestürzende Überraschung über die Normalität von heute.

Ex-Diktator und Ex-Guerillero vereint

Diese Tendenzen wurden auch im zurückliegenden Wahlkampf deutlich. Die Debatten um KandidatInnen, Programme und mögliche Allianzen waren trotz aller pathetisch vorgetragener Kontroversen einer extremen Vereinheitlichung der Themen und Positionen unterworfen. So war es für für das regierende Bündnis der “Patriotischen Übereinkunft” überhaupt kein Problem mit dem Ex-Diktator Banzer und dem knorrigen Ex-Guerillero Oscar Zamora von der Linken Revolutionären Front zusammen als Präsdentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten aufzutreten. Neben Banzer als Garant des herrschenden ökonomischen Modells trat Oscar Zamora als das personifizierte soziale Gewissen auf, galt der ehemalige Arbeitsminister in der Regierung seines Neffen Paz Zamora doch als “sensibler Vermittler” der mit Massenentlassungen verbundenen Privatisierungspolitik.
Ein ähnlich ungewöhnlich scheinendes Gespann schickte die MNR in den Wahlkampf, die 1952 noch die Revolution angeführt hatte, heute aber schon lange zur rechtsnationalistischen Partei mutiert ist, in den Wahlkampf. Überraschend nominierte er Víctor Hugo Cárdenas zum Vizepräsidenten, einen Intellektuellen indianischer Herkunft und Führer der einer wichtigen Bauernbewegung. Auch diese seltsame Symbiose zwischen Minenbesitzer und Bauernführer ist aus der Notwendigkeit der neoliberal orientierten Parteien zu erklären, sich ein menschlicheres Gesicht zu verpassen und zu versuchen, auch bei der marginalisierten ländlichen und städtischen Bevölkerung eifrig Stimmen zu sammeln.
Die gleiche instrumentelle Beliebigkeit drückt sich auch in den Programmen der größeren Parteien aus. Beide, Goni und Banzer, gaben sich besorgt um den “sozialen Frieden” im Lande und ergingen sich in rosaroter Zahlenmalerei bezüglich der Wachstumsprognosen der nächsten vier Jahre. Während Goni von völlig aus der Luft gegriffenen 8 Prozent Wachstum jährlich, von 287.000 neuen Arbeitsplätzen, 1,4 Milliarden Dollar für das Bildungssystem und 3,077 Milliarden für Investitionen im ländlichen Sektor faselte, sprach Banzer eben von 7 Prozent Wachstum und 356.000 Arbeitsplätzen. Beide unterscheiden sich nur in der Frage, wie das postulierte bolivianische Wunder finanziert werden soll. Während Banzer weiterhin die Privatisierung vorantreiben will und auf Privatinvestitionen in gigantischen Höhen hofft, möchte Goni die Staatsbetriebe mit einer Kapitalsumme der Privatwirtschaft ausstatten lassen, die den Wert der Betriebe um das Dreifache übersteigt, sie aber letzlich unter staatlicher Kontrolle lassen.
All diese völlig überzogenen Verlautbarungen sind nach der Wahl nicht mehr sein, als sie es auch vorher waren: in Luft aufgelöste Sprechblasen und bedrucktes Papier.

Mögliche Koalitionen

Obwohl alle Parteien um ein unabhängiges Image vor der Wahl bemüht waren, saßen alle schon in den Startlöchern, um nach der Stimmabgabe ihre Seele dem Teufel zu verkaufen, Allianzen zu schmieden mit wem auch immer, wenn sie nur das Ziel allen Strebens erbringen: die politische Macht. Die Wahl ist vorbei und der nächste Präsident steht fest. Jetzt wird das große Gemauschel um Interessen, Kalküle, Angebote und Ablehnung ausbrechen, das eine längerfristig stabile Koalition hervorbringen soll. Es gibt zwei möglich Szenarien. Entweder die MNR schließt mit der sich anbiedernden CONDEPA und der pragmatischen Linkspartei MBL ein vergleichsweise heterogenes Bündnis, das die UnternehmerInnen, die internationalen GeldgeberInnen wie auch die BäuerInnen und städtischen Unterschichten gleichermaßen als Klientel abdeckt.
Oder es geschieht das, was auch schon den Kommentatoren des Wahlkampfs ins Auge sprang. Die programmatische Nähe, der vorherrschende Pragmatismus und die relative Sanftheit, mit der sich die politischen Häuptlinge Banzer und Goni behandeln, legen eine Erweiterung der “patriotischen Übereinkunft” nahe, diesmal mit der MNR und Goni an der Spitze. Mit einer Koalition von Banzer und Goni wäre auf jeden Fall das vorrangige Ziel des die nationale Politik nach wie vor dominierenden Blocks der weißen Oberschicht abgesichert: die alternativlose Fortführung der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Dabei wird es wohl bleiben. Ein zunehmender Verschleiß und die fortgesetzte Erosion des politischen Systems wird die Folge sein. Das die soziale Grenze der Leidensfähigkeit des bolivianischen Volkes nicht unendlich ist, wird die verantwortlichen Politiker auch in Zukunft nur am Rande interessieren. Bis zur nächsten Wahl.

Ein Tröpfchen auf den glühenden Stein

Die scheinbar gute Nachricht kam Anfang März 1993 aus Bolivien. Den Unterhändlern des Landes ist es gelungen, mittels mehrerer Mechanismen die Schulden gegenüber den ausländischen Privatbanken auf Null zu reduzieren. Im Kern laufen diese Mechanismen darauf hinaus, daß es Bolivien gestattet wird, die Schuldentitel zu einem Preis von 16 Prozent des ursprünglichen Wertes von den Gläubigerbanken zurückzukaufen, was praktisch einem Erlaß von ungefähr fünf Sechsteln der Schulden gleichkommt. Vergleicht man das damit, daß 1953 der unter den Kriegsfolgen leidenden Bundesrepublik nur gut die Hälfte der Schulden erlassen wurden, so scheint das eine generöse Geste der ausländischen Privatbanken zu sein, die der Nachahmung und Ausdehnung wert wäre.
Scheint aber nur. Um die Grenzen und die wirkliche Bedeutung dieses Verhandlungsergebnisses zu ermessen, bedarf es einiger zusätzlicher Informationen:

Nichts mehr zu holen

Erstens machen die Schulden Boliviens gegenüber den ausländischen Privatbanken überhaupt nur einen geringen Teil der Auslandsschuld des Landes aus. Nominell betrugen sie vor einem Jahr etwa 680 Millionen US-Dollar, während sich die Gesamtschuld bis heute auf 3,7 Milliarden US-Dollar beläuft. Die übrigen Schulden bestehen bei internationalen Finanzorganisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank oder der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) sowie bei anderen Staaten. Die Finanzorganisationen sind von ihren Statuten her gezwungen, auf die Durchsetzung von Zahlungsdisziplin – um der “Kreditfähigkeit” der Länder willen – zu drängen und erlassen deshalb grundsätzlich keine Schulden. Und die anderen Staaten kennen immer noch ärmere Länder, denen aus Gründen der “Gerechtigkeit” zuerst die Schulden erlassen werden müßten. Da das aber seine Zeit braucht, wird nie was draus. Kurz: Bolivien behält den größten Teil seiner Schulden.
Zweitens ändert sich nichts Entscheidendes – im Unterschied zu London 1953. In den letzten zehn Jahren hat Bolivien als Ergebnis seiner Auslandsschuld durchschnittlich jedes Jahr 250 Millionen US-Dollar netto an Zinsen und Kapitalerträgen ins Ausland transferiert. Da der Wert der Warenexporte des Landes in dieser Zeit zwischen 500 und 800 Millionen US-Dollar schwankte und für unbedingt erforderliche Einfuhren draufging, waren die Zinsen nur zu bezahlen, indem die Gläubiger die notwendigen Summen erneut zur Verfügung stellten. Mit anderen Worten: Es wurde nur noch die Fiktion aufrechterhalten, daß das Land zahlungsfähig und damit “kreditwürdig” sei. In Wirklichkeit sind die Schulden längst unbezahlbar.
Das ist nun drittens nichts Neues, und deshalb hätte eigentlich schon 1987, als die Verhandlungen zwischen Bolivien und den Privatbanken begonnen, mit der Einsicht gerechnet werden dürfen, daß da nichts mehr zu holen sei. Aber es hat noch ganze sechs Jahre gedauert, bis eine Einigung zustandekam. Insgesamt 131 Banken mußten ihren Segen zu dem Deal geben, wobei peinlich darauf zu achten war, daß keine besser behandelt wurde als die andere. Ein Teil der Schuldentitel wurde in dieser Zeit auch im Rahmen sogenannter “debt for nature swaps” zu niedrigen Kursen von internationalen Organisationen aufgekauft und für Zwecke des Naturschutzes in Bolivien eingesetzt.
Während die Bundesrepublik mit dem Londoner Abkommen von 1953 ihre Kreditfähigkeit wiedergewann und die deutschen Unterhändler mit dem Bankier Hermann Josef Abs an der Spitze darüber besonders stolz waren, ist die Abmachung Boliviens mit den ausländischen Privatbanken geradezu die Besiegelung der totalen Kreditunwürdigkeit des Landes. Schon 1987 erklärte der Botschafter des Landes in den USA: “Die Banken machen das Geschäft mit uns nur, weil wir ihnen zugesagt haben, auf lange, lange Jahre hinaus nicht mehr mit Kreditwünschen an sie heranzutreten.” In der Tat: Ein Land, das nur ein Sechstel seiner Schulden begleichen kann und danach immer noch hohe Schulden hat, ist kein seriöser Partner.
Für die zehn oder elf beteiligten deutschen Banken war der lange Zeitraum der Verhandlungen noch einmal ein besonderer Gewinn, weil sie die Kredite schon vor langer Zeit zu 80 bis 90 Prozent steuersparend abgeschrieben hatten, gleichwohl aber in der ganzen Zeit die Zinsen und jetzt noch einmal 16 Prozent der Gesamtschuld einstreichen konnten.

Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder

Zur Nachahmung taugt das Beispiel nicht, weil die Banken nicht auf Dauer zulassen können, daß die verschuldeten Länder ihre Schuldentitel selbst zu dem Preis zurückkaufen, der auf dem freien Markt dafür gezahlt wird. Denn dann bräuchten die Länder nur keine Zinsen mehr zu zahlen, und schon wären die Schulden nichts mehr wert. Dieser traurige Zustand ist gegenwärtig in Nicaragua, dessen Schuldentitel zu sechs Prozent ihres ursprünglichen Wertes gehandelt werden, beinahe erreicht.
Länder, die auf die zukünftige Zufuhr von privatem Kapital noch Wert legen, müssen deshalb darauf achten, daß ihre Schuldentitel auf dem sogenannten Sekundärmarkt zu einem möglichst hohen Prozentsatz gehandelt werden. So ist denn auch die chilenische Regierung ganz besonders stolz, daß die chilenischen Schuldenpapiere inzwischen zu 90 Prozent gehandelt werden. Kolumbien mit seinen Drogengeldern und Uruguay haben inzwischen über 75 Prozent erreicht, Mexiko, Costa Rica und Venezuela liegen bei über 60 Prozent, und Argentinien nähert sich inzwischen auch den 50 Prozent.
Würden diese Länder ihre Schulden zu diesen Prozentsätzen zurückkaufen wollen, dann wären sie sofort pleite. Sie werden also mit ihren hohen Schulden weiterleben müssen. Sobald sie aber trotz der schweren Zinsenlast wirtschaftliche Erfolge erreichen, verschwindet die Bereitschaft der Gläubigerbanken zu einem Schuldenerlaß völlig.
“Germanwatch” ist zuzustimmen: Ein Schuldenerlaß für die Länder Lateinamerikas und überhaupt der Dritten Welt nach dem Vorbild von London 1953 wäre nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch ein Zeichen ökonomischer Vernunft. Der Deal Boliviens mit den ausländischen Privatbanken aber ist nur ein winziges Tröpfchen auf einen glühenden Stein.

Die Stille – leer

Der Meister spielt und singt nicht mehr. Atahualpa Yupanqui starb am 23. Mai im Süden Frankreichs eines natürlichen Todes. Er wurde vor 84 Jahren in der Provinz Buenos Aires geboren. Reisen durch Argentinien, Bolivien und Peru inspirierten ihn zu mehr als 1.000 Liedern über Leben und Leute in der Pampa und den Anden (unter anderem Los Hermanos, Caminito del indio, Los ejes de mi carreta, Nostalgias tucumanas) Bereits vor vielen Jahren widmete ihm ein deutscher Gitarrist – Wolf Biermann – folgendes Gedicht:

Atahualpa Yupanqui

Der berühmte Linkshandspieler
spielt seine Gitarre. Und das
kannst Du von ihm lernen:
Löcher
ja in der Musik die Löcher
sind das Beste, sind das Schwerste
prallgefüllte Pausen bersten
zwischen Ton und Ton. So tiefe
Pausen traut sich nur der
Meister
Und in Argentinien, als sie Yupanqui gefangen hielten
die Faschisten, da zermalmten sie mit einer Schreibmaschine
seine rechte Hand ihm, die
zum Greifen

Jetzt, im Süden von Paris
spielt der Alte im Exil
wieder. Und mit neuer Technik
überspielt er die zerschlagnen
Finger
jetzt spielt er die Leere
voller noch die Pausen
bluten
ja, jetzt ist der stille Abgrund
zwischen Ton und Ton
vollendet

Der Krieg ohne Öffentlichkeit

Kolumbien: Die Mauer von Medellín

Hinter der Nationaluniversität beginnt das andere Me¬dellín, das der barrios populares: unvollendete Hütten ohne Strom und Wasserversorgung, eingeschlagene Fensterscheiben, aufgebockte Autos und die BewohnerInnen, meist arbeitslos oder unterbeschäftigt. Sie nennen die Trennung zwischen Reich und Arm, zwischen Kommerz und Slums die “Mauer von Medellín”.
Pablo Escóbar, Chef des Kartells von Medellín, hat hier in den barrios Straßen, Häuser und sogar einen Sportplatz gebaut und gibt den Leuten Arbeit im Drogengeschäft: “Wenn dir hier jemand eine Arbeit anbietet, wenn du z.B. etwas basuco (umgangssprachlich für pasta básica de cocaina = Vorprodukt von Kokain) verkaufst und damit deiner Familie überleben hilfst, dann fragst du nicht, ob das legal oder illegal, moralisch oder unmoralisch ist. Mann, das kannst du dir gar nicht leisten, sonst macht jemand anders den Job und du hörst noch Vorwürfe, daß du faul seist usw.. Außerdem, hat irgendjemand von Moral geredet, als Escóbar Kongreßabgeordneter war und die Kartelle die politischen Kampagnen der Liberalen und Konservativen finanziert haben?”
Die staatliche Antwort auf die Machtposition des Kartells im Stadtviertel ist rein repressiv. Zum einen werden die barrios zu illegal besetzten Zonen erklärt und so von der Versorgung abgeschnitten, zum anderen findet eine Militarisierung des Gebietes statt. So wurden vermehrt sog. Centros de Atención Inmediata, CAIs, errichtet, feste Polizeiposten zur Verbrechensverhütung und -bekämpfung. Ein Sportplatz wurde von der 4.Brigade des Heeres als Stützpunkt besetzt. Drei Blöcke entfernt vom CAI im barrio 12 de octubre fand vor etwa einem Jahr ein Massaker in der Kneipe Billar Acapulco statt. Drei schwarze Wagen fuhren vor, fünf bis sechs in Zivil gekleidete Männer stiegen aus und eröffneten das Feuer auf die Gäste. AnwohnerInnen beschuldigen das für den Drogenkrieg gebildete Elitekorps der Nationalpolizei der Tat, das damit wieder einmal eine “soziale Säuberung” durchgeführt habe. Auf die Frage nach Beweisen für die Verwicklung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte in solche Massaker entgegnet ein Sozialarbeiter: “Was nützt denn ein CAI, wenn drei Blöcke weiter ein Massaker stattfindet und die Polizisten, die die Schüsse und Schreie hören, nicht zu Hilfe kommen?” In einem Flugblatt der hier arbeitenden Organisationen werden zwischen Januar und August 1990 120 Tote in Medellín gezählt, die meisten in den barrios: “Welch ein -Widerspruch”, so das Flugblatt, “je mehr Polizei, Soldaten und Waffen, umso mehr Unsicherheit, Gewalt und Tote in Medellín.”
Die immer wieder reißerisch von den Massenmedien dargestellte unpolitische Bandenkriminalität haben die von den BewohnerInnen der barrios gebildeten Selbstverteidigungskomitees erfolgreicher uner Kontrolle, als die Polizei, zu der hier ohnehin niemand Vertrauen hat. Gegenüber der politischen Kriminalität der gekauften Killer fühlen sich die Menschen nur als Opfer der von oben inszenierten Gewalt. “Für die Menschen hier, die Armen der kolumbianischen Gesell¬schaft”, so eine Sozialarbeiterin, “ist dieser sog. Drogenkrieg der Regierung ein Krieg, der sie nichts angeht, in dem sie aber die meisten Opfer bringen.”
Es handelt sich um einen Krieg zwischen der traditio¬nellen kolumbianischen Oligarchie und dem Medellín-Kartell, das sich erlaubt hat, politische Teilhaber-Ansprüche zu stellen, deren Erfüllung einen Machtverlust der etablierten Eliten bedeuten würde. Alvaro Camacho Guizado, Drogensoziologe aus Cali, beschreibt das sich aus Angehörigen der Unterschicht rekrutierende Medellín -Kartell als “aufstrebende Bourgeoisie”, das der traditionellen Bourgeoisie und dem ihr entstammenden bzw. mit ihr verbundenen Cali-Kartell die politische und wirtschaftliche Macht streitig macht und deswegen bekämpft wird. So erklärt sich auch, daß polizeiliche Erfolge nur gegen das Medellín-Kartell zu verzeichnen sind; niemand spricht in diesem Krieg von den Kartellen von Cali, Bogotá oder der Küste.
Es heißt, es habe Verhandlungen auf höchster Ebene zwi¬schen Escó¬bar und der Regierung gegeben. Es mag dadurch in Medellín zeit¬weise ruhiger geworden sein. Es ist eine Ruhe für das Medellín der Privilegierten. In den barrios gehen die Exzesse des Elitekorps und der 4.Brigade weiter, es interessiert sich nur niemand mehr dafür.
Bolivien: Koka, was denn sonst?
Von Cochabamba, der drittgrößten Stadt Boliviens, aus sind es rund 200 km bis ins Herz des Chapare, der größten Kokaanbauregion des Landes, und zu dem aus einigen Häusern und Projekten des Fonds der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Drogenmißbrauchs (UNFDAC) bestehenden Dörfchen Chimoré.
In Isinuta, das etwa zwei Stunden nördlich von Chimoré liegt, findet die bolivianische Variante des US-Drogenkrieges statt. Offiziell spricht hier zwar niemand von Krieg, sondern von “integraler Entwicklung durch Substitution des Kokablattes” oder, so der Slogan der Koalitionsregierung Paz Zamora-Banzer, “Koka für Entwicklung”. Aber die Realität sieht anders aus: “Die Regierung”, so ein Bauer aus der Region, “nimmt uns auf den Arm. Seit drei Jahren sprechen sie von Substitution und versprechen uns Entwicklung. Wir warten vergeblich darauf.” Im Rahmen des “integralen Plans zur Entwicklung und Substitution” hat die Regierung pro zerstörtem Hektar Koka 2000 US$ bezahlt. Die campesinos haben auch Tausende von Hektar zerstört, aber Entwicklung in Form von rentablen Alternativprodukten blieb aus. “Statt Entwicklung”, so ein anderer Bauer, “findet Zerstörung statt.”
Bomben auf Straßen
Die Zerstörung läßt sich auf dem Weg nach Insinuta erkennen: große Schlaglöcher an den Wegrändern, zerstörte Häuser, herumliegende Gebäudeteile. Am 20.August des vergangenen Jahres hat UMOPAR, die bolivianische Landesdrogenpolizei, zusammen mit der US-amerikanischen Drogenbehörde Drug Enforcement Agency (DEA) zuletzt die von den Bauern und Bäuerinnen als Verbindung hergestellte Straße bombardiert, weil, so ihre Version, diese “als Piste von Drogenhändlern genutzt werden kann.” KennerInnen der Region behaupten, die wirklichen Pisten lägen versteckt in dichtem Dschungel, aber man müsse nun einmal der US-Öffentlichkeit gewisse Erfolge im Drogenkrieg vorweisen. Die von der DEA geleisteten Entschädigungen in Höhe von 200 US$ reichen kaum für neue Dächer, geschweige denn für neue Häuser.
Doch die Bombardierungen sind nur ein Element der von der DEA dirigierten Politik. Die von der Menschenrechtsversammlung von Cochabamba dokumentierten Menschenrechtsverletzungen reichen von direkter Körperverletzung bis zu willkürlichen Verhaftungen. Zwei Beispiele:
– Am 15.8.1990 wurde der Busfahrer Lucio López Claros von der Drogenpolizei ohne Haftbefehl verhaftet und mehrere Stunden verhört. Danach wurde sein Haus einschließlich ihm nicht gehörender Räume durchsucht, schließlich wurden Fingerabdrücke genommen und eine schriftliche Erklärung angefertigt.
– Am 26.7.1990 wurde Víctor Soria Galvarro von der Drogenpolizei festgenommen, danach wurde eine Haussuchung durchgeführt. Bei der Protokollaufnahme auf der Wache wurde ihm bedeutet, daß er für 5000 US$, die von seiner Schwester, einer Apothekerin, in ihrer Apotheke übergeben werden sollten, freigelassen würde. Falls er dieses “Angebot” bekannt werden ließe, würde er erneut festgenommen und ins Gefängnis geworfen.
In vielen dieser Fälle werden einfache Bauern und Bäuerinnen als schwächstes Glied in der Drogenkette Opfer der Korruption in Poli¬zei und Militär. Wer mit Dollars oder pasta básica zahlen kann, wird laufengelassen, wer nichts hat, wird dem Richter übergeben.
Die im Ansatz richtige Substitutionsstrategie leidet aber nicht nur an den oft willkürlichen Verboten durch die DEA und die UMO¬PAR, sondern vor allem unter dem Fehlen wirklicher Produktionsalternativen für die Bauern. “Wir haben”, so Evo Morales von einer der Bauernorganisationen, “den politischen Wil¬len zur Kokareduzierung bewiesen. Die Regierung hat uns jedoch keine wirklichen und praktikablen Lösungen angeboten. Wir sind zur Zeit einfach gezwungen, Koka anzupflanzen, um zu überleben.” So gibt es auf fast jedem Hof in der Region neben den anderen Produkten wie Mais, Reis, Zucker, Kakao, Kaffee etc. ein bis zwei Hektar Koka als eine Art “Überlebensversicherung”, da die Kokapflanze leichter anzubauen ist und einen weit höheren Verkaufspreis hat. Dabei handelt es sich um ein rein marktwirtschaftliches Verhalten.
Trotzdem spricht das “Subsekretariat zur alternativen Entwicklung”, das dem Landwirtschaftsministerium untersteht, vom Erfolg der Substitutionspolitik. “Wir haben”, meint Rechtsberaterin Nancy Romero, “die gesteckten Ziele bei weitem übertroffen, was die Reduzierung angeht.” Das ist zwar richtig, doch gleichzeitig ist die Gesamtanbaufläche ständig gestiegen, was Romero auf weitere illegale Anpflanzungen zurückführt. “Nur wenn wir den Bauern mittels technischer und ökonomischer Hilfe reale Alternativen bieten, werden sie die Substitution unterstützen.” Damit appelliert sie an die Mitverantwortung der Industrienationen, denn nur sie können für eine profitable weltweite Vermarktung der Alternativprodukte sorgen, etwa durch direktere Vermarktungsmechanismen.
Peru: Im Gefängnis San Jorge in Lima
Vom nationalen Strafvollzugsinstitut (INP) geht man am Justizpalast vorbei durch La Victoria, ein unfreundliches Armenviertel mitten im Zentrum von Lima, und gelangt nach etwa 15 Minuten zum Gefängnis San Jorge. Das Tor wird von einem Mitglied der Guardia Republicana widerwillig geöffnet, der Ausweis eingezogen und das Tor wieder geschlossen. Da hilft es auch nichts, daß man vor¬her den Gefängnisdirektor angerufen hat und dies der Guardia mit¬teilt: Seit den Gefängnismassakern von 1986 ist die Guardia alleine für die “innere und äußere Sicherheit” der Gefängnisse zuständig, eine vom zivilen INP und Fachkreisen als “krasse politische Fehlentcheidung” des Ex-Präsidenten García charakterisierte Situation. So bedarf es großer Überredungskunst, um überhaupt zum Chef der Gefängnispolizei zu gelangen, der wiederum die Erlaubnis zum Eintritt in den Innenbereich erteilen muß.
Im Innenbereich mit Polizeibegleitung (zu wessen Sicherheit?) und ohne Kamera und Aufnahmegerät (warum so viel Mißtrauen?) sieht man das typische Bild lateinamerikanischer Gefängnisse: Überfüllung (bis zu acht Personen in einer Zelle), katastrophale hygienische Bedingungen, fehlende Waschgelegenheiten und unzureichende Wasserversorgung, mangelhafte medizinische Versorgung und Gefangene, die zu 80% nicht einmal verurteilt sind und sich – teils auf Hilfe hoffend, teils deprimiert – über die Situation beklagen. “Wir haben alle das Recht, glücklich zu sein”, so ein Gefangener, der wegen “illegaler Ausübung der Medi¬zin” in Untersuchungshaft sitzt: “Der Coronel, der mich festgenommen hat, wollte 5000 US$. Weil ich nicht zahlen konnte, bin ich hier. Seit 40 Tagen habe ich keinen Richter gesehen.” Jeder und jede prangert hier die Korruption an, als ob es etwas ganz Selbstverständliches wäre: “Wenn Du Geld hast, regelst du hier alles, du hast eine bessere Zelle, Frauen, Drogen und du kommst auch früher raus.” Der Satz ist stereotyp, findet auf alle in Kolumbien, Peru und Bolivien besuchten Gefäng¬nisse Anwendung: Ob “El Modelo” in Bogotá, das Frauengefängnis in Medellín, “San Pedro” in La Paz oder “San Jorge” – das System krankt an Korruption, Willkür der Sicherheitsorgane, einer zu langsamen Justiz und der allgemeinen wirtschaftlichen Misere (in den Strafvollzug wird zuletzt Geld investiert, das brächte kaum Wählerstimmen).
Nie war es so leicht, an Drogen heranzukommen, wie im Gefängnis…
Und der Drogenkrieg? Der endet an den Toren der kolumbianischen, peruanischen oder bolivianischen Gefängnisse. In keinem der Länder existiert ein Rehabilitationsprogramm für Drogenabhängige im Strafvollzug, nur in Kolumbien wird zur Zeit ein Entwurf diskutiert. In der Praxis werden die Gefangenen wahllos auf die Zellen verteilt. Die aufgrund der Drogengesetze Festgenommenen werden nicht von den übrigen Gefangenen getrennt, geschweige denn beson¬ders behandelt. Das Ergebnis ist erhöhter Drogenkonsum in den Ge¬fängnissen auch durch Mitgefangene, die vorher keine Schwierigkeiten mit Drogen hatten. Die wenigen PsychologInnen sind völlig überfordert. “Ich kann”, so eine von ihnen, “vielleicht sechs bis acht Patienten am Tag sehen, aber das sind nicht nur Leute, die Probleme mit Drogen haben. Es gibt überhaupt keine Kontrolle. Wenn der Gefangene nicht selbst auf sich aufmerksam macht, wissen wir überhaupt nicht, ob er ein und welches Problem er hat.” Außerdem gibt es überall Drogen: “Ich bekomme”, so ein Gefangener, “hier jeden Tag meine Dosis pasta básica. Du brauchst nur etwas Geld und gute Beziehungen zur Guardia. Hier ist der Konsum viel leichter als draußen.”
Die Frage, wie denn die Droge ins Gefängnis gelangt, wird mit vielsagenden Gesten und Augenzwinkern beantwortet. Es gibt nicht viele Möglichkeiten: BesucherInnen werden in der Regel sehr genau kontrolliert – außer in “San Pedro” in La Paz -, das zivile Personal hat wenig direkten Kontakt mit den Gefangenen, aber die Guardia…Da gibt es jedenfalls genügend Indizien: kaum zum Leben reichendes Gehalt und Verzehn- oder Verzwanzigfachung mit geringem Risiko, niedrige Schulbildung, direkter Kontakt mit den Gefangenen. Im übrigen beschuldigt jeder die Guardia.
Weiter ist interessant zu sehen, wie die soziale Zusam¬mensetzung der Gefange¬nen ist. Nach offiziellen Statistiken verfügt die Mehrzahl über keine oder nur geringe Schulbildung, fast alle stammen aus den Armenvierteln der großen Städte, sie sind diejenigen, die der Polizei ihre Freiheit nicht bezahlen können. Das gilt auch für die aufgrund von Drogendelikten Festgenommenen, was einen Rechtsanwalt beim Gefängnisbesuch in Medellín zu der Bemerkung veranlaßte: “Siehst du, hier wird die Armut bestraft, die Tatsache, daß du kein Geld zur Bestechung hast….deswegen wirst du nie einen größeren Dealer im Gefängnis treffen.
Von denen werden, so ist zu ergänzen, allerdings viele an die USA ausgeliefert und einige, jedenfalls in Kolumbien, ohne Verfahren liquidiert. Tatsache ist jedoch, daß nur ein einziger wirklich “Großer” sitzt, und zwar Roberto Suárez, ehemaliger Kokainkönig Boliviens, in La Paz. Er genießt jedoch eine Sonderbehandlung, lebt in einem eigens für ihn eingerichteten Kellergeschoß und empfängt alle alle BesucherInnen, einschließlich JournalistInnen, sofern er will (bei mir wollte er nicht). Im übrigen, so wird erzählt, hat er sich freiwillig der Polizei gestellt, da er auf der Todesliste des Medellín-Kartells stand (sein Sohn war schon liquidiert worden). Als die Polizei schwerbewaffnet sein Haus betrat, soll er, eine Zigarre rauchend und ein Glas Wein trinkend, sie mit den Worten empfangen haben: “Meine Herren, ich habe Sie etwas früher erwartet.”

Bomben und Proteste gegen den fernen Krieg und die nahen Yankees

Einige hundert Menschen demonstrierten in Santiago de Chile vor dem Sitz des größten chilenischen Rüstungsproduzenten CARDOEN. CARDOEN exportierte seit 1982 Waffen an den Irak, unter anderem eine Sorte C-Bomben, “Erstickungsbomben”, die ein Pulver versprühen, das den Sauerstoff in der Luft bindet. Anzahl und Preis der gelieferten Bomben sind nicht bekannt. 1986 halfen Techniker von CARDOEN beim Bau einer Bombenfabrik in Bagdad. Die Rü­stungsverkäufe dauerten nach offiziellen Angaben bis zum UN-Ultimatum gegen den Irak vom August vergangenen Jahres an. CARDOEN war unter der Militär­diktatur Pinochets unter dessen persönlicher Protegierung entstanden. Auch zur neuen Regierung Chiles dürften die Beziehungen blendend sein: Der Besitzer ist mit einer Nichte des christdemokratischen Präsidenten Aylwin verheiratet. CARDOEN versucht nun, den Ausfall der Lieferungen an den Irak zu ersetzen; es erging ein Angebot an Saudi-Arabien zur Lieferung von 30.000 Bomben.
Eine Guerilla-Gruppe “Frente Revolucionario Anti-Imperialista” hat verkündet, daß US-Einrichtungen in Chile angegriffen werden sollen. Es gab bereits An­schläge auf einen Mormonen-Tempel und auf Filialen der US-amerikanischen “Security Pacific”- und “Republic National”-Banken. Die “Patriotische Front Ma­nuel Rodriguez” (FPMR) schickte eine Raketenattrappe und Flugblätter in die Residenz des israelischen Botschafters in Santiago.
Auch die brasilianischen Rüstungskonzerne “Avibras Aeroespecial” und EN­GESA, die bisher den Irak mit einer ganzen Palette von Rüstungsgütern beliefer­ten, wollen nun den Handel mit Saudi-Arabien aufnehmen. Ein Manager be­gründete die Unbedenklichkeit der Lieferungen in den Irak in der Vergangenheit damit, daß “Deutschland und Frankreich die chemischen Einrichtungen” stellten, dann könne ja wohl gegen die Lieferung der Trägersysteme nichts einzuwenden sein.
Der Vertreter der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Bolivien warb für Unterstützung für den Irak durch Demonstrationen und “andere Kampfformen”. Die Guerilla-Gruppe “Nationales Befreiungsheer” bezeichnete in einem Kommuniqué alle US-Einrichtungen in Bolivien als anschlagsrelevante Ziele.
In Ecuador gab es Bombenanschläge gegen die US-amerikanische und die fran­zösische Botschaft. Andererseits besetzten 12 Mitglieder der Gruppe “Alfaro Vive Carajo” (AVC) kurzzeitig die französische Botschaft und forderten eine Ver­handlungslösung.
Im von den USA teilbesetzten und kontrollierten Panama übernahm das “Volksheer für die Nationale Befreiung” (EPLN) die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf die US-Botschaft und kündigte weitere Anschläge an. Der Marionetten-Präsident Endara hatte bereits im November kurzzeitig die Durch­fahrt aller Schiffe aus oder nach Irak durch den Panama-Kanal verboten.
In Venezuela verübte eine “Internationalistische Brigade” einen Brandanschlag auf einen Mormonen-Tempel in Barquisimeto. Die Mormonen wurden als US-Spione bezeichnet. Die Menschenrechtsorganisation “Fundalatin” forderte den venzolanischen Kongreß auf, für die Dauer des Krieges alle Öllieferungen an die Länder der westlichen Allianz am Golf einzustellen.
Nach Meinung des kubanischen Präsidenten Fidel Castro ist derjenige für den Krieg verantwortlich, der zuerst schießt. Der Krieg bedeute “das Scheitern der UNO und der Politiker”. Die beteiligten Parteien hätten nicht genügend Ver­ständnis aufgebracht und der Irak habe ethische, historische, religiöse und ara­bisch-nationalistische Argumente benutzt, als eine realistische Vernunft erfor­derlich war. Kuba hat zur Versorgung der Zivilbevölkerung eine Ärztebrigade in den Irak entsandt.
(Quellen: ANN, PONAL, LA Weekly, Monitor-Dienst)

Manifestationen eines Kinos in der Krise

In diesem Jahr ist das Festival dem Fernsehen gewidmet und wird damit dem hohen Stellenwert gerecht, den TV-Produktionen im audiovisuellen Bereich ein­genommen haben. Gleichzeitig deutet die Würdigung des lateinamerikanischen Fernsehens aber auf die Krise des lateinamerikanischen Kinos hin. In einer Pres­sekonferenz werden wir auch schon gleich zu Anfang der Festspiele darüber in­formiert, in welchem Kontext die aufgeführten Filme zu sehen sind: Die Wirt­schaftskrise in den lateinamerikanischen Ländern, die sich in hoher Auslandsver­schuldung, Rückgang des Bruttosozialprodukts, fallenden Löhnen und immen­sen Inflationsraten äußert, hat auch vor dem Kino nicht haltgemacht. In Brasilien wurde aufgrund von Sparmaßnahmen über Nacht die Filmförderung ausgesetzt und das Filminstitut “Embrafilme” aufgelöst. Der Entzug der staatlichen Mittel führte dazu, daß 1990 statt den durchschnittlich über 50 langen Spielfilmen nur noch ein einziger gedreht wurde. Das kleinere Filmland Ecuador hat es in den letzten fünf Jahren gerade mal auf einen Film gebracht. Und in Argentinien, so Cipe Fridman, die Produzentin von “Flop” kann man nur noch als Verrückter Filme machen. Das argentinische Filminstitut – immerhin noch nicht aufgelöst wie das brasilianische – hat dieses Jahr nicht die vom Finanzministerium zuge­sagten Mittel erhalten. Die argentinischen Kinos sind wie überall auf dem Sub­kontinent von US-amerikanischen Filmen überschwemmt. Produktionskosten, die zwischen einer halben und eineinhalb Millionen US$ liegen, können nicht al­leine durch Zuschauererlöse gedeckt werden. Wer geht schon bei einem monatli­chen Einkommen zwischen 20 und 50 US$ in einen Film, für den er ungefähr einen Dollar Eintritt zahlen soll?
In noch folgenden Pressekonferenzen und Seminaren wurde dann auch nach Lö­sungen, wie das lateinamerikanische Kino überleben kann, gesucht und Ansätze vorgestellt. Zum einen sind da die Koproduktionen des spanischen Fernsehens. Dessen finanzielle Beteiligung – in den letzten vier Jahren an über 100 Projekten – machte angesichts der schlechten finanziellen Lage lateinamerikanischer Produ­zentInnen und Filminstitute oft erst die Herstellung von Kino- Fernseh- und Vi­deofilmen möglich. Beispiele hierfür sind die auch schon in Deutschland gezeig­ten “Ultimas imagenes del naufragio ” (Letzte Bilder des Schiffbruchs), “La nación clandestina” (Die heimliche Nation) und “Un señor muy viejo con unas alas enormes” (Ein sehr alter Herr mit gewaltigen Flügeln) sowie “Sandino”, auf den ich später noch eingehen werde. Zum andern existiert zwischen den Filmbehör­den verschiedener lateinamerikanischer Länder ein Abkommen über einen ge­meinsamen Filmmarkt, womit Filme aus den beteiligten Ländern die gleichen Vergünstigungen erhalten wie die eigenen Filme. Das “Abkommen zur latein­amerikanischen Integration im Filmwesen”, das im November 1989 in Caracas von Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Kuba, Ecuador, Mexiko, Nicaragua, Pa­nama, Peru, Venezuela, der Dominikanischen Republik und Bolivien verabschie­det wurde, soll die Vermarktung von Kino- Ferseh- und Videofilmen in den je­weils anderen lateinamerikanischen Ländern erleichtern und damit sowohl zur kulturellen Integration als auch zur Verteidigung gegen die kulturelle Überfrem­dung seitens der US-amerikanischen Filme beitragen. Ansonsten gab es eine Menge Appelle, das bestehende Konkurrenzverhältnis zwischen Kino, Fernsehen und Video in den lateinamerikanischen Ländern in ein Miteinander umzuwan­deln.
Nichtsdestotrotz gab es in den folgenden Tagen eine Menge lateinamerikanisches Kino zu sehen. Manchmal drängte sich dabei jedoch die Frage auf, was denn das “Neue” an diesen Filmen sei. Und ein kubanischer Mitarbeiter des Festivals ge­steht, daß die Auswahl der lateinamerikanischen Filme durch die Kommission doch recht beliebig gewesen sei. So mußten wir uns bei den zwar technisch per­fekt gemachten, aber inhaltlich und dramaturgisch schwachen venezuelanischen Filmen “Cuchillos de fuego” (Feuermesser) und “Con el corazón en la mano” (Mit dem Herzen in der Hand) langweilen, den derben Witz der argentinischen Fami­lienkomödie “Cien veces no debo” (100 mal soll ich nicht) ertragen und uns über das peinliche Portrait der kolumbianischen Gewerkschaftsführerin Maria Cano ärgern.
Die größte Enttäuschung stellte wohl ein mit berühmten Schauspielern realisier­ter und eine berühmte Person der lateinamerikanischen Geschichte dar­stellender Film eines berühmten Regisseurs dar. Die Rede ist von “Sandino” des Chilenen Miguel Littín (mit Kris Kristofferson und Angela Molina) über den gleichnami­gen Freiheitskämpfer Nicaraguas. Mit viel Spannung in Kuba erwar­tet, ent­puppte sich das Werk dann allerdings als oberflächliche, unpolitische Großpro­duktion im Stile Hollywoods, bestehend aus Liebe, Intrige und Schieße­reien. Böse Zungen behaupten, das Beste an dem Film sei, daß er Sandino zum Thema habe. Und der ehemalige sandinistische Innenminister Tomás Borge wollte erst gar keinen Kommentar zu dem Produkt Littíns abgeben.Aber noch einmal zu­rück zu dem Eröffnungsfilm “Caidos del cielo” (Vom Himmel Gefal­lene): In dem schon auf den Festivals von Montreal und Orleans ausgezeichneten Film erzählt der Regisseur Lombardi simultan drei tragisch absurde Geschichten. Da ist zum einen ein altes Ehepaar, das alle seine Wertgegenstände und sogar sein Haus verkauft, um den Preis für ein Mausoleum aufzubringen, eine im Slum lebende alte blinde Frau, die ihre Enkel schikaniert und schließlich als Futter für ein zu mästendes Schwein endet und ein mißgestalteter Sprecher eines Radio­programms unter dem Motto “Du bist dein Schicksal”, dem es im wirklichen Le­ben nicht gelingt, eine Selbstmörderin vom Sprung in die Tiefe abzuhalten.
Auch nicht gerade ein optimistisches Bild der lateinamerikanischen Realitäten vermittelt am nächsten Tag “Después de la tormenta” (Nach dem Sturm) des Ar­gentiniers Tristán Bauer. Ein Film, der auch für das Forum des jungen Films im Rahmen der Berliner Filmfestspiele ausgewählt wurde. Protagonist ist ein Mann, der im Zuge der Unternehmenszusammenbrüche in Argentinien seinen Arbeits­platz verliert und damit gleichzeitig seine Stellung als Familienoberhaupt infrage gestellt sieht. Die Komposition schöner, melancholisch stimmender Bilder und nicht zuletzt der Einsatz des Hauptdarstellers Lorenzo Quintero erinnern oft an “Ultimas imagenes del naufragio” (Letzte Bilder eines Schiffbruchs) und “Hombre mirando al sudeste” (Der Mann, der nach Südosten schaut), was die kubanische Zeitung Granma veranlaßte Bauers Film ironisch mit “El hombre mirando el naufragio despues de la tormenta” (Der Mann, der den Schiffbruch nach dem Sturm betrachtet) zu betiteln. Inhaltlich und dramaturgisch vermag er jedoch nicht so zu überzeugen wie seine Vorbilder. Besser gefallen haben mir zwei an­dere argentinische Produktionen: “Flop” von Eduardo Mignona, die (wahre) Ge­schichte eines Varietekünstlers im Argentinien der 40er Jahre, mit den Mitteln des Theaters spielend, witzig und traurig zugleich. Und “Yo, la peor de todas” (Ich, die schlimmste von allen) von Maria Luisa Bemberg. Die argentinische Re­gisseurin, die auch in den vergangenen Jahren mit ihren Filmen große Erfolge auf dem kubanischen Festival feiern konnte – dieses Jahr ist ihr Werk der absolute Favorit des Publikums und der Presse – widmete sich auch dieses Mal einem Frauenthema. Nach dem Roman von Octavio Paz stellte sie wichtige Situationen im Leben der Nonne Juana Inés de la Cruz dar, einer der bedeutendsten latein­amerikanischen Schriftstellerinnen im 17. Jahrhundert. Da diese sich nicht in Mann und Kindern selbstverwirklichen wollte und ihr als Frau der Weg in die Universität versperrt blieb, wählte sie das Kloster, um dort zu lesen, zu schreiben und zu forschen.
Zwischen den Filmen mal eine Pause. Mit einem guagua, so heißen die Busse in Kuba, angeblich weil sie die Geräusche quengelnder Kleinkinder wiedergeben, geht es in einen Vorort von La Habana, eine Einladung zu einem trago, einem Schluck Rum, annehmend. Doch auch hier werden wir nicht von Filmen ver­schont. Das Oberhaupt der Familie, Doña Josefina, sitzt mit diversen Freunden, Bekannten und Nachbarn vor dem Fernseher und verfolgt gebannt die brasiliani­sche Fernsehserie “Roque Santeiro”. Zwischen Begrüßung, Fragen, wie mir denn Kuba gefalle und dem Ausschenken eines Glases Rum, diskutieren die Anwe­senden eifrig die neueste Missetat des Filmbösewichts. Antonio erklärt mir, daß seine Mutter keine der täglich zur besten Sendezeit ausgestrahlten Folgen aus­lasse und in den Unternehmen sogar ganze Betriebsversammlungen verschoben werden, damit die compañeros bei ihrer Lieblingstelenovela am Ball bleiben können.
Wieder zurück im dunklen Kinosaal der Innenstadt sehen wir uns den kubani­schen Film “Mujer transparente” (Durchsichtige Frau) an. Anders als die anderen von Kuba für den Wettbewerb ausgewählten Produkte, “Hello Hemingway”, ein nett gemachter Film, aber auch nicht mehr, der nach nicht ganz nachvollziehba­ren Kriterien den ersten Preis gewann und “Maria Antonia”, die beide in den 50er Jahren, also vor der Revolution spielen und es damit umgehen, sich mit der ge­genwärtigen Situation in Kuba auseinanderzusetzen, sind die sechs Kurzepiso­den von “Mujer transparente”, Portraits von sechs Frauen, in dem Kuba von heute angesiedelt. Besonders beeindruckend ist die Episode “Laura”. Eine junge Frau, besagte Laura, wartet auf ein Treffen mit ihrer ehemaligen Schulfreundin Ana, die vor zehn Jahren mit 100.000 anderen unzufriedenen KubanerInnen die Insel verlassen hat und nun, als Touristin nach Kuba zurückgekehrt, in einem teuren Dollar-Hotel abgestiegen ist. Der Film läßt die ZuschauerInnen an den Gedanken Lauras über die Beweggründe von Ana und die gegenwärtige Situa­tion in Kuba sowie an ihrer Wut über die Behandlung als Bürgerin zweiter Klasse gegenüber den devisenbringenden TouristInnen teilhaben. Die Stimmung im Kino ist aufgeheizt. Die Bilder auf der Leinwand treffen mit der Realität zusam­men: Gegen Dollars, deren Besitz den KubanerInnen streng verboten ist, kann man hier (fast) alles kaufen. Die normalen KubanerInnen haben dagegen schon seit Monaten keine Butter mehr gesehen und selbst das Grundnahrungsmittel Bohnen ist nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Dollars sichern auch den Zugang zu den Touristenhotels, während die Kubanerinnen ohne Einla­dungskarte draußen bleiben müssen. Im Kino wird dauernd Beifall geklatscht, Bravorufe ertönen, und auch bei der Abschlußveranstaltung – Laura gewinnt den ersten Preis in der Kategorie Kurzfilm – gibt es hier den meisten Applaus und die Regisseurin muß mehrere Male aufs Podium zurückkehren. Fidel Castro ist die­ses Mal nicht zur Preisverleihung erschienen, um eine seiner berühmten Reden zu halten. Die trägt er dann zwei Tage später bei einem Kongreß über Ersatzteile vor.
Und bei den rhythmischen, Optimismus verbreitenden Klängen der brasiliani­schen Band Morais Moraira – alles tanzt inzwischen, obwohl die Preise für die langen Spielfilme noch nicht vergeben sind – fragen wir uns wie es mit Kuba und dem lateinamerikanischen Kino weitergehen wird.

Bush besucht die “vertikale Hemisphäre”

Als Präsident Kennedy vor knapp 30 Jahren unter dem Eindruck der kubanischen Revolution die “Allianz für den Fortschritt” als Plan für ein großes gemeinsames Reformunternehmen der USA und Lateinamerikas aus der Taufe hob, galten als Voraussetzung einer grundlegenden Besserung noch soziale Gerechtigkeit, eine gründliche Agrarreform, Besteuerung des Luxus und des Reichtums, Kontrolle der Profite aus ausländischen Direktinvestitionen, staatlich geförderte Industrialisierung. Heute fliegt Kennedys später Nachfolger George Bush von einem Land Südamerikas in das nächste, um seine Präsidentenkollegen dazu zu beglückwünschen, daß sie “Reformen” durchgeführt haben, die im Namen von Demokratie und Marktwirtschaft mit den Illusionen von sozialer Gerechtigkeit und staatlicher Entwicklungspolitik gründlich aufgeräumt haben.
Die ganze erste Dezemberwoche war Bush unterwegs, in seinem neuen Regierungsflugzeug Air Force One jederzeit für die militärischen Planungen am Persischen Golf aufnahmebereit. Ziel waren die relativ reicheren und politisch wichtigeren Länder im Süden: Brasilien, Uruguay, Argentinien, Chile und Venezuela. Ausgespart wurden Länder, in denen wie in Bolivien, Peru, Kolumbien und Panama Drogenproduktion und Drogenhandel den Zorn der Führung des Hauptkonsumlandes von Drogen – nämlich der USA – erregen und wo deshalb diese Führung nicht gerade gern gesehen wird.

Die neue Morgenröte

Gefeiert wurde bei den Ansprachen vor den Parlamenten, den Treffen mit den Präsidentenkollegen Collor, Lacalle, Menem, Aylwin und Pérez sowie den Pressekonferenzen vor allem der Sieg der Marktwirtschaft, der nun – so Bush vor dem Parlament in Brasilia – die Möglichkeit “einer neuen Morgenröte für die Neue Welt” in Gestalt einer gigantischen Freihandelszone von Kanada bis Feuerland eröffne, einer “vertikalen Hemisphäre”, in der sich mehr als zwanzig marktwirtschaftlich orientierte Demokratien zusammenschließen könnten. Daß der Norden bei diesem Vertikalismus das Sagen hätte, ist gerade auch den brasilianischen Ökonomen klar, denen die Versuche einer eigenen Entwicklung von Mikroelektronik durch die erzwungene Öffnung ihres Marktes für US-Computer gerade erst ausgetrieben wurden.
Die Freihandelszone soll dem durch gewaltige Handelsbilanzdefizite angeschlagenen Imperium neue Absatzmärkte erschließen, Konkurrenzvorteile vor Japan, Südostasien und Westeuropa eröffnen und überhaupt ein Gegengewicht gegenüber der Europäischen Gemeinschaft begründen. Solange sich diese “Iniciativa para las Américas” darauf beschränkt, durch Abbau von Zollschranken und anderen Behinderungen den völlig freien Handel mit Waren und Dienstleistungen auf dem ganzen Kontinent zu organisieren, den freien Verkauf der Ware Arbeitskraft, das heißt: die freizügige Arbeitsmigration in die USA aber verhindert, so lange wird diese Art von Integration angesichts der relativen Marktmacht der “Partnerländer” und des herrschenden Produktivitätsgefälles nur im Sinne einer Verschärfung der Unterentwicklung Lateinamerikas wirken. Die in diesen Tagen verkündeten Änderungen der Einwanderungsbestimmungen der USA lassen aber nicht darauf schließen, daß solche Freizügigkeit innerhalb ganz Amerikas geplant sei.

Ohne Spendierhosen

Daß Präsident Bush seine Gastgeber zu kaufen versucht hätte, läßt sich nicht behaupten. Versprochen hat er ihnen zunächst gar nichts. Erst nach der Reise verlautete, daß die USA vielleicht zur Verbesserung der Absatzchancen für US-Produkte auf bis zu sieben der zwölf Milliarden US-Dollar verzichten könnten, mit denen die lateinamerikanischen Länder bei der US-Regierung verschuldet sind. Das wären gerade anderthalb Prozent der gesamten, ohnehin unbezahlbaren Außenschuld Lateinamerikas. Und dann wollen die USA so großzügig sein und 100 Millionen ( nicht Milliarden, Millionen! ) US-Dollar in einen multilateralen Investitionsfonds einzahlen, zu dem die europäischen Staaten noch das Doppelte beitragen sollen. Diese Summe entspricht einem Viertel eines Promille der lateinamerikanischen Auslandsschuld, oder anders: Sie entspricht der Summe, die in den letzten Jahren jeweils alle drei Tage netto aus Brasilien an die ausländischen Gläubiger geflossen ist. Das Imperium ist wahrlich bescheiden geworden.
Die gastgebenden Präsidenten gebärdeten sich wie Musterschüler. Argentiniens Menem konnte sogar mit einem zur rechten Zeit in Szene gesetzten und siegreich überstandenen Putschversuch rechtsradikaler Militärs sein Image als Vorkämpfer der Demokratie polieren, was alle Pläne für eine Demonstration der linken Opposition gegen den Bush-Besuch über den Haufen warf.
Der Chef der angeschlagenen Weltmacht konnte sich auf seiner ganzen Reise, sehen wir von ein paar Bombendetonationen in Buenos Aires und Santiago ab, über den freundlichen Empfang freuen, obwohl mindestens der eine Teil seiner frohen Botschaft, nämlich das neoliberale Programm für Privatisierung und ungehemmte Marktwirtschaft, in Brasilien und Uruguay, in Argentinien und Venezuela die schwere Krise der achtziger Jahre nicht behoben, sondern im Gegenteil noch verschärft hat. Einzig in Chile funktioniert die Marktwirtschaft, wenn auch nicht sozial und ökologisch orientiert, wie das heute gefordert wird, und schon gar nicht im Dienste der Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn sie funktioniert, dann ist das nicht das Ergebnis der Demokratie, die immer als Zwillingsschwester der Marktwirtschaft erscheint, sondern Resultat einer langjährigen und brutalen Militärdiktatur. Der Ex-Diktator General Pinochet, heute noch immer Oberbefehlshaber des Heeres in Chile, ließ es sich denn auch nicht nehmen, zur Begrüßung des Präsidenten der USA persönlich zu erscheinen und auf seine Verdienste für die Freiheit des Kapitals hinzuweisen.
Was George Bush, dem Propheten von Demokratie und Marktwirtschaft, einzig zu seinem Glück noch fehlt, benannte er auf der letzten Station seiner Reise in Caracas: Kuba, “der einzige und einsame Winkel des Totalitarismus auf dem amerikanischen Kontinent”, werde sich bald seines kommunistischen Regimes entledigen ( und damit wieder den reichen US-Amerikanern als Ferienparadies und Spielhölle zur Verfügung stehen ). Mag sein, daß er Recht behält und der Wind in diese Richtung bläst, zumal eine große Bewegung zugunsten sozialer Reformen wie vor 30 Jahren von Kuba nicht mehr ausgeht. Der Glaube aber, daß die Massen der Bevölkerung in Lateinamerika nun für immer beschlossen hätten, auf Ettikettenschwindler wie Menem in Argentinien hereinzufallen und die Mittel der Demokratie nur für die Wahl einer unterentwickelten Marktwirtschaft einzusetzen, wäre mindestens so naiv wie der Glaube an die Naturgesetzlichkeit der Weltrevolution.
Die Zeiten ändern sich. Nichts bleibt, wie es ist. Die Geschichte ist noch nicht am Ende.

Che und sein unbekannter Fotograf.

Alberto Korda, Kubaner, 62 Jahre alt, mit über 35 Berufsjahren als Fotojournalist, ist der Schöpfer des Bildes. Zunächst hatte er sich sein Geld als Mode- und Wer­befotograf verdient. Bekannt wurde er in seiner Heimat später als der offizielle Fotograf Fidel Castros in der ersten Revolutionsjahren. Doch nur wenige in Kuba wissen, daß auch dieses Abbild Che Guevaras von ihm ist. Es entstand zufällig im Jahre 1960. Sicher sind viele Fotos des berühmten Guerilleros bekanntgewor­den, Ché mit der Zigarre, Ché von “schönen Frauen umgeben” und das schockie­rende Foto nach seiner Ermordung in Bolivien. Aber keines ist so wie dieses. Standfestigkeit drückt es aus und Zuversicht, Kampfbereitschaft, aber zugleich ist es doch nicht das Bildnis eines martialischen Kämpfers.
Während Korda überzeugt war, daß ihm hier etwas Außergewöhnliches gelun­gen war, lehnte die kubanische Presse die Veröffentlichung des Fotos ab. So ver­schwand es für mehrere Jahre in der Schublade.
Wenige Monate vor Che Guevaras Tod in Bolivien wurde das Negativ erneut abgezogen. Der Mailänder Verleger Gian Giacomo Feltrinelli hatte den Mitstrei­ter Guevaras, Régis Debray, in bolivianischer Gefangenschaft interviewt. Danach war er nach Havanna weitergereist, um Material über Che Guevara zu sammeln. Durch die Vermittlung eines bedeutenden Mitglieds der kubanischen Führung, Haydée Santamaría, lernte er die Arbeiten Kordas kennen und wollte das bis dahin unbekannt gebliebene Foto erstehen. Als er den Preis erfragte, lehnte Korda eine Bezahlung ab: “Sie sind doch ein Freund von der Genossin Santama­ría” äußerte er.
Feltrinelli nahm das Geschenk gerne an. Nach dem Tod Che Guevaras am 8.Oktober 1967 begann er, die ganze Welt mit einem ein Meter auf 70 Zentimeter großen Poster zu überschwemmen, das die politische Vorstellungskraft von unzähligen Jugendlichen in der ganzen Welt beflügelte. Innerhalb von drei Monaten verkaufte Feltrinelli über eine Million davon. Für fünf Dollar das Stück. Zusätzlich verdiente er mit Che’s bolivianischem Tagebuch, da es Kordas Foto auf der Titelseite trug. Von all dem Geld hat Alberto Korda nicht einen Pfennig gesehen. “Er hat mich nie wieder gefragt, mir nie etwas bezahlt, mich nie wieder konsultiert,” stellt der Kubaner lapidar fest.
Zunächst einmal hat diese Tatsache nichts ungewöhnliches. Kuba ließ sich grundsätzlich keine Autorenrechte bezahlen und bezahlte auch keine. Kultur sollte ein universelles Gut sein und Korda stimmte mit dieser Auffassung über­ein. Einige Jahre später jedoch revidierte Kuba diese Position und trotzdem blieb Korda ohne Bezahlung. “Heute denke ich manchmal, daß ich die Autorenrechte genießen könnte, wenn ich das Foto bei einer Presseagentur der kapitalistischen Welt untergebracht hätte,” beklagt Korda, jedoch ohne Ressentiment. “Ich bin glücklich, ein Werk geschaffen zu haben, das noch 100 Jahre nach meinem Tod Augen betrachten werden.”

Quelle: Imprensa – Jornalismo e comunicaçâo, Sâo Paulo, No.16 Dezember 1988

Fujimori: Der Mythos zerplatzt

6.000 Verhaftungen und mindestens 15 Tote weist die Bilanz der ersten Woche nach dem 8.August aus. Schon vor der Verkündung des Wirtschaftsprogramms war das Land in Ungewißheit über die zu erwartenden Reissteigerungen praktisch stillgelegt. HändlerInnen hielten die Waren zurück, oder verkauften nur zu astronomisch hohen Schwarzmarktpreisen, während die Polizei dafür eingesetzt wurde, gehortete Waren demonstrativ zum offiziellen Preis zwangszuverkaufen. Kaum war das Ausmaß der von Fujimori geplanten Anpassungsmaßahmen bekannt, entlud sich die Entrüstung der Bevölkerung in Demonstrationen und Plünderungen. Einen Tag vor der Vorstellung des Programms hatte der Präsident gerade noch rechtzeitig den Ausnahmezustand für Lima und neun weitere Departements verlängert, so daß Militär und Polizei nahezu ungehindert von gesetzlichen Beschränkungen einschreiten konnten.
Die Radikalität der Maßnahmen Fujimoris dürfte vor allem das Ergebnis seiner vor kurzem in Japan und den USA geführten Gespräche sowohl mit Regierungsstellen als auch mit Vertretern von IWF und Weltbank sein. Um die Kredit-ürdigkeit Perus wiederherzustellen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich nach den aus Washington gestellten Bedingungen zu richten. Die völlige Ausplünderung der Devisenreserven mangels anderer Geldquellen und die tiefste wirtschaftliche Krise der neueren peruanischen Geschichte lassen ihm da keine andere Möglichkeit. Obwohl er die Wahl gegen Mario Vargas Llosa gerade wegen seiner Ablehnung eines Schockprogramms zur “Gesundung” der Wirtschaft gewonnen hatte, hält sich Fujimori an die von den Washingtoner Institutionen etablierten Spielregeln: Der Wechselkurs des Inti wurde freigegeben. Ab sofort soll das freie Spiel der Marktkräfte den Wert des Inti gegenüber dem Dollar regulieren. Die Beschränkungen auf Importe wurden weitgehend aufgehoben. Grundsätzlich gilt wie 1985 in Bolivien, 1989 in Brasilien, und in so vielen anderen Ländern der Peripherie, daß freie importe die nationalen Produzenten der internationalen Konkurrenz aussetzen und somit effektivieren sollen. Es sei denn, die nationale Produktion stirbt vorher eines schnellen Todes. Die Erfahrungen mit der Durchführung von Strukturanpassungsprogrammen in vielen Ländern zeigen, daß die Gefahr einer Rezession bis hin zur Existenzbedrohung der nationalen Produktion außerordentlich groß ist. Genauso oft ist dies heraus-gestellt und kritisiert worden, aber nichtsdestotrotz wird das universal gültige IWF-Sanierungsrezept bisher nicht modifiziert.
Der für die Menschen in Peru am unmittelbarsten spürbare Teil des Maßnahmenkataloges besteht in den Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel und Benzin. Für Zucker, Milch, Brot und Nudeln stiegen die Preise zwischen 200 und 300%. Am schwersten wiegt die Benzinpreissteigerung um das Dreißigfache(!). Jede Verteuerung des Benzins bedeutet höhere Transportkosten und schlägt somit wiederum auf fast alle anderen Preise durch. Zur sozialen Abfederung erhöhte Fujimori den Mindestlohn auf umgerechnet 50 US$.Fast gleichzeitig wurde der Warenkorb des Mindestnotwendigen amtlich mit 270 US$ im Monat angegeben: Die Kapitulation vor der Armut, statistisch fixiert.

Der Präsident auf der Suche nach Verbündeten

Fujimori wurde gewählt, weil er den Ausweg aus der Wirtschaftskrise ohne Schockprogramm versprach. Nun führt er genau dieses durch und muß sich um politische Unterstützung bemühen. Entgegen verbreiteter Spekulationen und Unterstellungen im Wahlkampf hat Fujirnori die APRA konsequent von den wichtigen Positionen seiner Regierung ferngehalten. Die APRA ihrerseits erregt sich über den Wahlbetrug und darüber, daß sich das Wirtschaftsprogramm kaum von den Vorschlägen Vargas Llosas unterscheidet. Dies kann allerdings kaum darüber hinwegtäuschen, daß die Ex-Regierungspartei zunächst einmal mit ihrer eigenen Krise beschäftigt ist und außerdem wohl eine Einladung zum Mitregieren nicht ausgeschlagen hätte. Der verschmähte Bräutigam ist beleidigt.
Programmatisch steht Fujimori inzwischen Vargas Llosas Vorschlägen am nächsten, ohne jedoch auf die Unterstützung der Rechten bauen zu können, nachdem er ihr in der Wahl gerade erst den sicher geglaubten Sieg abgenommen hat. Vargas Llosa hat sich nach Europa zurückgezogen. Sein “Movimiento Libertad”, in-zwischen in “Liberale Partei” umbenannt, soll nach dem Verständnis der Parteiführer um Alvaro Vargas Llosa und Enrique Ghersi die reine Lehre der totalen Marktwirtschaft in Opposition zur Regierung weitertragen. Ihr Diskurs beruft sich auf Modernität und Effektivität. Die traditionellen Konservativen sind für sie die eigentlichen Schuldigen an der Wahlniederlage, da sie zu sehr der “alten” Klientelwirtschaft und Korruption verhaftet seien. Stattdessen soll wiederum Vargas Llosa diese neue Rechte 1995 in den Wahlkampf führen. Trotz der inhaltlichen Nähe zu Fujimori können sie ihn von rechts durch einen zumindest verbal noch radikaleren marktwirtschaftlichen Diskurs attackieren, ohne für die Folgen der Anpassungsmaßnahmen jetzt politisch verantwortlich zu sein. Nur müßten sie es schaffen, bei einem Scheitern Fujimoris das Volk für ein, gegenwärtig nicht gerade populäres, noch radikaleres marktwirtschaftliches “Rettungsprojekt” zu gewinnen.

Das Kabinett: Alle dürfen mal

Abgesehen von der eindeutigen Ablehnung der Ex-Regierungspartei und der (zumindest bisherigen) Opposition der Neuen Rechten zeigt Fujimoris Kabinettsliste eine eklektische Mischung von Inhalten und Personen:
Starker Mann im Kabinett ist Juan Carlos Hurtado Miller, in Personalunion Ministerpräsident und Wirtschaftsminister. Er kommt aus der Acción Popular(AP) des konservativen Ex-Präsidenten Belaunde, eine der im Wahlkampf zum Rechtsbündnis FREDEMO zusammengeschlossenen Parteien zur Unterstützung der Kandidatur Mario Vargas Llosas. Hurtado hätte die AP wohl gerne in eine Koalition mit Fujimoris “Cambio 90 geführt. Trotz des Bruchs der FREDEMO konnte er die AP aber nicht dazu bewegen, und so mußte er aus der Partei aus-treten, um das Regierungsamt antreten zu können. ihm blieb die undankbare Aufgabe überlassen, für den Wirtschaftsplan der ersten Tage zusammen mit Fujimori verantwortlich zu zeichnen.
Drei Ministerien gingen an linke PolitikerInnen : Fernando Sanchez Albaneyra als Minister für Energiewirtschaft und Carlos Amat y León für Landwirtschaft kommen von der “Izquierda Socialista”(IS), Erziehungsministerin Gloria Helfer von der “Izquierda Unida”(IU) . Die politische Linie der beiden zerstrittenen Bruchstücke der einstmals starken IU ist noch nicht auszumachen. Einerseits befinden sich die drei MinisterInnen im Kabinett, andererseits stehen die Parteiführungen, ganz zu schweigen von der Basis, in klarer Opposition gegen die Schockpolitik.

Machtgrundlage Militär: Priorität für dasautoritäre Modell

Zwei wichtige Positionen werden von Militärs besetzt: Innenminister wurde General Adolfo Alvarado, ein aktiver Offizier, während das Verteidigungsministerium von einem General im Ruhestand, Jorge Torres Aciego, übernommen wurde. Torres war Berater des reformistischen Militärregimes Velasco Alvarado gewesen. Neben der Suche nach einer Mehrheit in Abgeordnetenhaus und Senat baut Fujimori offensichtlich auf die Streitkräfte als Machtbasis. Direkt nach Amtsantritt nahm er Umbesetzungen an der Spitze des Militärs vor. Marineoberbefehlshaber Admiral Alfonso Panizo mußte gehen, ebenso wie Luftwaffengeneral Germán Vucetich. Solidantätsadressen an die abgesetzten Offiziere zeigen, daß die Entscheidungen im Militär nicht unumstritten sind. Die argentinische “Página12 berichtet sogar von offener Rebellion in der Marine gegen die Degradierungen. Aber Fujimori hat sich in der ersten Machtprobe durchgesetzt. Dazu der FREDEMO-Senator Raúl Ferrero: “Fujimori scheint ein autoritäres Herrschaftsmodell mit der Unterstützung der Streitkräfte anzustreben.” Zunächst einmal hat Fujimori seine Kandidaten in Führungspositionen untergebracht, aber eine weitere Machtprobe steht ihm bevor. Spätestens im November stehen die Beförderungen bei den Streitkräften an, die vom Senat ratifiziert werden müssen. Es ist denkbar, daß die unter Fujimori Zukurzgekommenen versuchen werden, direkt mit den großen Fraktionen im Senat zu verhandeln. Fujimori selbst verfügt dort nur über 23% der Stimmen -nicht genug, um sich ohne politischen Partner bei den Streitkräften den Rücken freizuhalten. Womit er wiederum vor dem Problem der Partnersuche steht …
Während Fujimori am Heranziehen zusätzlicher Stützen seiner Macht arbeitet, bröckeln schon die Pfeiler, auf die er sich verlassen zu können glaubte. Wichtige Mitarbeiter seiner eigenen Partei kündigten ihm bereits die Mitarbeit auf. Darunter ist Santiago Roca, der als Wirtschaftsberater Fujimoris im Wahlkampf gegen die Schockstrategie Vargas Llosas ein Konzept der graduellen Anpassung setzte und vom Sinneswandel Fujimoris genauso kalt erwischt wurde wie die Öffentlichkeit.

Zunehmende Militarisierung der Auseinandersetzungen

Der Verlauf des ersten Monats nach der Verkündung des Wirtschaftsprogramms bestätigt die Befürchtungen über die zunehmende Militarisierung der politischen Auseinandersetzung. Für den 16. August riefen die beiden großen Gewerkschaftsdachverbände, die kommunistische CGTP (Confederacion General de Trabajadores del Perú) und die apristische CTP (Confederacion de los Trabajadores del Perú) zu einem nationalen Protesttag auf. Versuchte Demonstrationen wurden von Polizei und Militär aufgelöst. Von Gewerkschaftsseite wurde von 30 Verletzten und über 200 Verhafteten gesprochen. Eine Streikwelle angefangen von den Bankangestellten bis zu den Sozialversicherungen legt immer wieder Teile des Landes lahm. Für den 21/22. erklärte die CGTP den Generalstreik, ebenso wie die CTP für den 24.August. Die Berichte über dessen Verlauf sind scheint weitgehend befolgt worden zu sein.
Ebenfalls für den 2l.und 22.August rief Sendero Luminoso zu einem “Paro Armado”, einem bewaffneten Streik, auf. Sowohl Sendero als auch MRTA haben seit Anfang August wieder durch ganze Serien von Anschlägen auf sich aufmerksam gemacht. So plazierte Sendero z.B. eine Autobombe direkt hinter dem Präsidentenpalast. Die Meldungen von Juli über die tiefe Krise Senderos scheinen etwas verfrüht gewesen zu sein. Trotzdem war der 21.August offenbar kein voller Erfolg für die Senderistas. Der Streik verlief -unter dem Druck der Repression-relativ ruhig.

Allein gegen fast alle

Die Frage für Fujimori ist, ob er das Strukturanpassungsprogramm gegen die entschiedene Opposition der meisten politischen Kräfte, ohne Mehrheit im Parlament, diskreditiert in der öffentlichen Meinung und gestützt fast nur auf bestimmte Kreise der Streitkräfte und einige Abgeordnete durchsetzen kann. In Bolivien 1985 waren die Maßnahmen kaum weniger einschneidend, aber die Volksbewegung befand sich in einer tiefen Krise, und in der Bevölkerung gab es eine ausgeprägte “Da müssen wir durch” -Stimmung. Die Proteste der Opfer -der Bevölkerung der Minengebiete z.B. -wurden in der öffentlichen Meinung schlicht nicht zur Kenntnis genommen, noch weniger auf politischer Ebene. Zwar ist inzwischen eine leichte Stabilisierung zu beobachten, einige Preise wurden wieder etwas herabgesetzt, weil die Nachfrage fast auf Null gesunken war. Trotzdem wird in Peru eine höhere Opferbereitschaft der Bevölkerung für den wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung nicht so leicht zu erreichen sein. Ohne ein Konzept zur Beendigung des Krieges wird kein peruanischer Präsident eine breite Unterstützung im Volk bekommen. In den “Sectores Populares”, der Masse der Bevölkerung, sind Sympathien für Sendero nur sehr begrenzt vorhanden. Eine Zusammenarbeit mit den Organisationen der Volksbewegung, ohne die Sendero nicht zu bekämpfen ist, ist aber unter den Prämissen von wirtschaftlichem Schockprogramm und Militarisierung der politischen Auseinandersetzung nicht vorstellbar. So scheint Fujimori schließlich auf dem Weg in die gleiche Sackgasse wie seine Vorgänger zu sein. Er wählt Repression und erklärt damit nicht nur Sendero, sondern auch gleich Gewerkschaften und Volksorganisationen zu seinen Gegnern. Bis jetzt ist er konsequent in der Anwendung seiner Mittel: für die Woche vor dem 18.9. werden allein aus Lima 25.000 vorläufige Verhaftungen gemeldet. 4.000 der Betroffenen wurden bis jetzt nicht wieder frei-gelassen. Als Legitimation dient der “Kampf gegen die Subversion”.
Wie sagte Herr Alberto Fupmori so schön, als er sich zum ersten mal nach Amts-antritt wieder in der Öffentlichkeit zeigte: “Alles, was heute scheinbar nicht vorteilhaft für das Volk ist, ist es im Grunde genommen doch.” Na also!

Ein (zu) langer Marsch für Territorium und Würde

Mehr als eine “heroische Geste”

Nach 32 Tagen Fußmarsch haben rund 800 Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen Boliviens in der Nacht vom 17. zum 18. September La Paz erreicht. Der lange und beschwerliche Weg von über 650 km von Trinidad aus führte Kinder, Frauen und Männer aus den Wäldern und Ebenen des Beni im Nordosten Boliviens über die Höhen der Anden bis zum Regierungssitz La Paz. Unter dem Motto “Für Territorium und Würde” erreichten die – zu oft vergessenen – Völker der Chimanes, Yuracarés, Mojeños, Sirionó u.a., ein regelrechtes “Erwachen des nationalen Bewußtseins”. Plötzlich scheint sich Bolivien seiner Tieflandbevölkerung bewußt zu werden.
Im ganzen Land gab es in den letzten Tagen und Wochen eine Welle der Solidarität, die die Menge von anfänglich 350 im Laufe des Marsches auf über 750 Menschen anwachsen ließ. Aymaras und Quechuas des Hochlandes schlossen sich dem Marsch an. Solidarische Gruppen begleiteten die Marschierenden, und es wurde für medizinische Betreuung gesorgt. Besonders für die Überwindung des Passes über die Anden vor La Paz, der bis auf eine Höhe von über 4500 Metern ansteigt, war warme Kleidung aus Sammlungen wichtig. Unter den fest entschlossenen DemonstrantInnen befand sich eine große Zahl alter Menschen, schwangerer Frauen und Kleinkinder, die fast alle bis zum Schluß durchhielten.
Während der 32 Tage ihres Marsches erfuhren sie an den Orten, durch die der Weg führte, immer wieder größte Anteilnahme. Sie wurden untergebracht und verpflegt. Die Gewerkschaftsverbände COB und CSUTCB, studentische Gruppen, Ärzteorganisationen und diverse religiöse Gruppen unterstützten die Marschierenden. Von allen Seiten also Zustimmung und Ansporn, selbst die Regierung Paz Zamora ließ gleich zu Anfang verlauten, sie werde alles versuchen, um auf die Forderungen der indianischen Völker einzugehen und für ihre Probleme Lösungen zu finden.

Eine “ökologische Pause”

Präsident Jaime Paz Zamora traf sich gar in Yolosa (Provinz Nor Yungas) mit den Sprechern der Marschierenden. Offiziellen Verlautbarungen zufolge sind sie im Dialog zu “vorläufigen Ergebnissen” gelangt. Aber wirklich ernstzunehmende Zusagen, die Lösungen der von den mehr als 30 ethnischen Gruppen aus dem Beni aufgeworfenen Problemen garantieren würden, gibt es noch nicht. Wohl inspiriert durch das weltweite Wirken der Öko-Bewegung erklärte Paz Zamora im Kongreß schleunigst eine “ökologische Pause” von fünf Jahren.
Im Juli kündigten die Indigena-Organisationen ihren Marsch an. Ca. 10.000 Indigenas laufen Gefahr, ihr Land zu verlieren. Expandierende Viehfarmen, profitsüchtige Holzfirmen und tausende von Coca-anbauenden Familien und neuen Siedlern bedrohen die Grundlage ihrer Lebensform und damit ihrer Identität. Sie gaben der Regierung bis Anfang August Zeit, ihre Organisationen als legitime Vertretung anzuerkennen und ihren Forderungen nachzukommen und drohten mit Demonstrationen und bewaffneten Aufständen. Auf dem zweiten Treffen der “Einheit der indigenen Völker für Territorium und Würde” Ende Juli wurde der Forderungskatalog erstellt, der Ausgangspunkt des Marsches war.

Bedrängte Völker

Drei Territorien werden schon seit 1988 von den BewohnerInnen des Beni gefordert: Der “Bosque de Chimanes, “El Ibiato” und der Nationalpark “Isiboró-Sécure”. Die Probleme sind im immer wieder die gleichen.
Im “Wald der Chimanes” leben etwa 6.000 Menschen, die nicht nur dem Volk der Chimanes angehören, sondern auch anderen Ethnien, so z.B. den Trinitarios, Ignacianos, Yucarés und Movimas. 1978 wurde ein Großteil der Region, 1,2 Mio. ha, zur “Reserva de inmovilización forestal” (eine Art Waldschutzgebiet) erklärt. Dies sollte den dort lebenden Gruppen eine relative Sicherheit und Aufrechterhaltung ihrer Lebensweise erlauben. Der Dachverband der indigenen Völker des Beni (CPIB) berichtete, daß die größten Probleme anfingen, als die Hälfte der Region zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigegeben wurde. Sofort drangen viele Holzunternehmen in das Gebiet ein, um die Edelhölzer auszubeuten. Wege und Straßen wurden angelegt und Sägewerke gebaut. Mit den Straßen kamen die SiedlerInnen und beschleunigten die unkontrollierte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Waldes. Die Abfälle der Sägewerke verunreinigen die Gewässer. Die Gesetzgebung bezüglich der Ausbeutung des Waldes hat bestenfalls symbolischen Wert. Innerhalb von vier Jahren wurde von sieben Firmen über die Hälfte des Mahagoni-Bestandes abgeholzt. Inzwischen fordern die Firmen von der Regierung schon Nutzungsverträge über 10-20 Jahre statt der jährlich zu erneuernden Genehmigungen.
Vor einem Jahr schlug eine Kommission die Landzuweisung an die Chimanes am Rand des von den Holzfirmen genutzten Waldes vor. Für die Chimanes ein völlig unannehmbarer Vorschlag, denn, so die CPIB, es fehlen die notwendigen Gebiete für Feldbau, Fischfang, Jagd- und Sammelwirtschaft, die unentbehrlich für das Überleben der BewohnerInnen der Region sind. Die Chimanes fordern, das Gebiet als “indianisches Territorium” auszuweisen. Dies impliziert, daß die Holzfirmen das Gebiet verlassen müßten, um eine selbstbestimmte Nutzung des Waldes durch dessen BewohnerInnen zu ermöglichen. Auch die Sirionó im “Ibiato”, die sich schon in bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Viehzüchtern befanden, und die ca. 700 Familien im Nationalpark Isiboró-Sécure, die vom Massenansturm der SiedlerInnen aus dem Hochland bedroht werden, kämpfen für das alleinige Nutzungsrecht auf ihrem Land. Sie wehren sich nicht prinzipiell gegen die Kolonisierung, aber wollen in Verhandlungen mit den Organisationen der “Colonos” Grenzen der Kolonisierungsgebiete und Regelungen über den Landverkauf festlegen. Paz Zamoras “ökologische Pause” soll dem Zweck dienen, “den unbarmherzig ausgebeuteten Waldressourcen eine Erholung zu ermöglichen und das Überleben der Waldbewohner zu sichern.” Nur, wer setzt dies im bolivianischen Oriente durch? Eine der BeraterInnen des Präsidenten, Carmen Pereira, ist selbst wichtigste Aktionärin eines der großen Edelholzunternehmen – ein Schlaglicht auf die Macht der Firmen. Es verwundert nicht, daß die Territorialentscheidungen umstritten sind, denn es geht, wie inzwischen alle Beteiligten zugeben, um politische Entscheidungen über Millioneninvestitionen und -gewinne.

Lama-Opfer, Menschenkette und Kirchenglocken

Die Begrüßung der Marschierenden auf der Paßhöhe durch Hunderte von Aymaras und Quechuas war schlicht ergreifend. Das ganze Land konnte auf dem Bildschirm verfolgen, wie gefeiert und musiziert wurde. Größtes Ereignis für die Kameras war schließlich die Opferung eines Lamas, dessen Blut aus der durchschnittenen Kehle der Mutter Erde dargebracht wurde. Eine Menschenkette aus StudentInnen, ArbeiterInnen, LehrerInnen und anderen BürgerInnen aus La Paz umgab die Menschenmenge, um sie sicher in die Stadt zu begleiten. Unter Glockengeläut der Kathedrale warteten nun die VertreterInnen der indigenen Völker auf der Plaza Murillo auf das erste Treffen mit der Regierung. Ein erster Vorschlag der Regierung, die Holzfirmen sollten sich innerhalb von elf Monaten nach Ablauf (!) ihrer Konzessionen aus dem Gebiet der Chimanes zurückziehen, wurde von den Indigenas natürlich abgelehnt, weil dadurch das Tempo der rücksichtslosen Ausbeutung der Ressourcen nur beschleunigt würde.
Am 20. September kam es zu ersten Ergebnissen: Im Bosque de Chimanes sollen 160.00 – 170.000 ha Land den Indigenas zugewiesen werden. Die drei Holzfirmen, die in diesem Gebiet arbeiten, haben nur noch eine Frist bis Ende Oktober diesen Jahres. Auch im Ibiato sollen über 50.000 ha den BewohnerInnen zurückgegeben werden. Für den Nationalpark Isiboró-Sécure liegen noch keine genauen Zahlen vor. Für die Indigenas ist dies allerdings erst ein Zwischenergebnis. Teilzugeständnisse reichen ihnen nicht mehr. Vorerst bleiben sie in La Paz.

Kasten:

Der Marsch in der bolivianischen Presse

“Der Marsch ist eine entschiedene Aufforderung an den Staat, an das nationale Bewußtsein, um uns daran zu erinnern, daß dort in den amazonischen Wäldern andere tausende Bolivianer leben, deren Bürgerrechte bis heute nicht berücksichtigt wurden – gleichzeitig ist er eine Anklage gegen die brutalen und unabänderlichen ökologischen Schäden, die durch die unersättliche Gier der Ausbeuter von Wald, Wildtieren und anderen natürlichen Reichtümern verursacht wurden. Und endlich warnen uns die indianischen Völker; wenn es uns nicht gelingt, diese Region zu integrieren, wird die nationale Souveränität weiterhin von Plünderungen und von fremden Interessen bedroht werden.”
(Los Tiempos, Cochabamba, 16.9.1990)

Professionalität statt Politisierung

Die Präsidentschaft Perus ist gegenwärtig wohl eines der denkbar undankbarsten politischen Ämter überhaupt. Alberto Fujimori übernimmt von seinem Vorgän­ger Alan García ein Land, das sich in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Ge­schichte befindet. Allein im Mai lag die Inflation bei 32,8%. Die jährliche Inflati­onsrate erreicht 3000%. Nachdem García zu Anfang seiner Regierungszeit auf Konfrontationskurs zu IWF und Weltbank gegangen war, ist die Kreditwürdig­keit des Landes auf den Nullpunkt gesunken. Währungsreserven sind fast nicht mehr vorhanden. Neben einer Strategie gegen die Wirtschaftskrise muß der neue Präsident außerdem eine Politik zum Umgang mit Sendero Luminoso entwic­keln.

Gegen die Arroganz der weißen Oberschicht

Erste Wahlanalysen zeigen, daß Fujimori seinen Sieg zu einem großen Teil der Radikalität seines Gegenkandidaten zu verdanken hat. Mario Vargas Llosa hatte in seinem Wahlkampf Schockmaßnahmen angekündigt. Die Wirtschaftskrise sollte mit einem Programm à la Collor beigelegt werden, und gegen Sendero stand der totale Krieg im Programm des Schriftstellers. Gegenüber dem super-neoliberalen Vargas Llosa konnte Fujimori sich als Kandidat der Mitte profilie­ren, der den Menschen einen Ausweg mit geringeren Opfern versprach. Die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen wurde nie von ihm bestritten, aber Fujimoris Diskurs war moderater: nicht alle Staatsbetriebe sollten privatisiert werden. Die Reallöhne sollten nicht weiter sinken. Ein “mittlerer Weg” der Anpassung an die ökonomischen Notwendigkeiten sei mög­lich. Darüberhinaus zeigt das Wahlergebnis aber auch die wachsende Polarisie­rung in der peruanischen Bevölkerung. Vargas Llosa war der Kandidat der städ­tischen weißen Oberschicht, für den die Welt der Mestizen und der indianischen Bevölkerung Perus völlig fremd ist. Die Wahl wurde so auch zu einer Protest­wahl der Nicht-Weißen und damit vor allem der sozial Benachteiligten gegen die Arroganz der hauptstädtischen Oberschicht. Auch wenn Fujimori als Sohn von japanischen Einwanderern und Professor an einer Landwirt­schafts­uni­ver­si­tät in Lima nicht viel mehr mit ihnen gemeinsam hat, blieb doch die Tatsache des Nicht-Weißseins, die ihn für sehr viele Menschen zum kleineren Übel machte. Nicht zufällig hat Vargas Llosa die Wahl vor allem auf dem Land verloren, nur in den Städten und vor allem in Lima konnte er rela­tiv besser abschneiden.

Wo bleibt Fujimoris Programm?

Durch sein Programm hat Fujimori kaum die Wahl gewinnen können, denn die­ses zeichnet sich durch Nebulosität aus. Schwerpunkt seiner Wirtschaftspolitik, soweit sie bisher bekannt ist, bildet die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit Perus. Das Land soll wieder Teil des internationalen Finanzsystems werden. Das heißt nichts anderes, als daß eine Übereinkunft mit den Washingtoner Weltwirt­schaftswächtern in IWF und Weltbank gefunden werden muß, um ein Finanzie­rungsmodell für die peruanischen Auslandsschulden in Höhe von rund 20 Mrd. US-$ zu finden. Darauf aufbauend braucht Fujimori den guten Willen potentiel­ler Geldgeber für neue Kredite. Für die geplante “Unterstützergruppe” sind – welche Überraschung – die USA, Japan und die EG als Mitglieder vorgesehen. Noch vor der für den 28. Juli vorgesehenen Übergabe der Präsidentschaft von García, versuchte Fujimori in den vergangenen Wochen bei einer Reise in die USA und nach Japan, die Perspektiven für eine Wiederaufnahme von Kredit­zahlungen an Peru auszuloten. Der Plan zur Stabilisierung der peruanischen Wirtschaft, den er den IWF und Weltbank-Managern vorstellte, sieht u.a. eine 300%ige Erhöhung der Staatseinkünfte aus Steuern, Gebühren für öffentliche Leistungen und Zolleinnahmen vor. Außerdem soll eine neue Währung einge­führt werden mit einem einheitlichen Umtauschkurs. Etwa 250 Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Die zur Sicherung grundlegender öffentlicher Lei­stungen nötigen Staatsbetriebe sollen von der Privatisierung ausgenommen wer­den, allerdings sollen die Preise dieser Leistungen solange steigen, bis die Be­triebe rentabel arbeiten. Fujimori will damit einen ersten Überbrückungskredit erreichen, um die akkumulierten Zahlungsrückstände bei multilateralen Geldge­bern zu begleichen, die etwa bei 1,5 Mrd. US-$ liegen. Er braucht das IWF/Weltbank-Gütesiegel, ohne das er die wichtigsten Industrieländer nicht zum Engagement in einer wie auch immer gearteten Unterstützungsgruppe wird bewegen können. Bisher halten sich die anvisierten Geldgeber allerdings bedeckt. Nachdem in Peru viel über die besonderen Beziehungen Fujimoris zu Japan spe­kuliert worden war, wurde dort eilig klargestellt, daß ein japanischstämmiger peruanischer Präsident noch keinen Anlaß für ein verstärktes finanzielles Enga­gement Japans darstelle.
Es wird vorläufig Fujimoris Geheimnis bleiben, wie er die Bedingungen der Washingtoner Institutionen mit dem Anspruch vereinbaren will, die Schulden­zahlungen an der realen Zahlungsfähigkeit Perus zu orientieren und keine rezes­sive Tendenz zuzulassen, die seinen Plan zur Schaffung beständigen Wirt­schaftswachstums beeinträchtigen könnte. So jedenfalls beschreibt sein Berater Santiago Roca, der als kommender Wirtschaftsminister gehandelt wird, die Leit­linien der zukünftigen Politik. Die Vermutung liegt nahe, daß das “bolivianische Modell” beim Design der wirtschaftspolitischen Strategie Pate steht. In einer ähnlichen durch Hyperinflation und drohendem Zusammenbruch der Wirtschaft gekennzeichneten Situation hatte seit 1985 die Regierung Paz Estenssoro durch ein radikales Liberalisierungsprogramm eine relative Stabilisierung der bolivia­nischen Wirtschaft erreicht. In Bolivien war dies allerdings mit erheblichen so­zialen Kosten verbunden. Massenentlassungen und die Stabilisierung der Preise auf einem hohen Niveau waren die für die BolivianerInnen schmerzhaft spürba­ren Folgen. Fujimori ist mit dem Versprechen angetreten, gerade diese sozialen Folgen in Grenzen zu halten, die von seinem Gegenspieler Vargas Llosa als un­vermeidlich vorausgesetzt worden waren. Wird ein Mittelweg unter den Kondi­tionen von IWF und Weltbank möglich sein?

Der Präsident ohne Mehrheit

Ein weiteres Problem für Fujimori wird sein, sich die notwendigen Mehrheiten für seine Politik im Parlament zu beschaffen. Seine “Partei” Cambio 90, eigentlich mehr ein eigens für seine Kandidatur gegründeter Wahlverein, ist hinter der FREDEMO Vargas Llosas und der bisherigen Regierungspartei APRA nur die drittstärkste politische Kraft. Er wird Koalitionspartner suchen müssen.
Nach seinem Wahlerfolg proklamierte er eine “Regierung der nationalen Einheit”, eine aus anderen lateinamerikanischen Ländern nicht unbekannte Forderung von gerade gewählten Präsidenten, denen die notwendige parlamentarische Mehrheit fehlt. Fujimori wird möglicherweise vom Zerfall der FREDEMO profitieren. Das “Movimiento Libertad” Vargas Llosas hat das Bündnis bereits aufgekündigt und will als “Liberale Partei” zur selbstständigen politischen Kraft in enger Allianz mit den Unternehmerverbänden werden. Diese ihrerseits verhalten sich abwar­tend. Unternehmerpräsident Jorge Camet: “Wir müssen erst einmal Fujimoris Regierungsprogramm kennenlernen”. Von den bis jetzt in der FREDEMO organi­sierten traditionellen, konservativen Parteien macht die AP (Alianza Popular) Fujimori bereits Avancen. Auch die APRA, die den Sieg Fujimoris als “Niederlage der Rechten und Ablehnung monetaristischer Wirtschaftsstrategien” feierte, würde gerne einen Teil ihrer Macht über ein Bündnis mit Cambio 90 be­halten. Hier aber bewegt sich Fujimori auf Glatteis, denn im Wahlkampf war ei­ner der beherrschenden Vorwürfe gegen ihn, versteckter Aprist zu sein. Ange­sichts der Diskreditierung der APRA in der öffentlichen Meinung nach dem Scheitern ihres Präsidenten García könnte er ein Zusammengehen mit der ge­scheiterten Ex-Regierungspartei nur schwer rechtfertigen.
Sogar der Führer der Guerillabewegung MRTA, Victor Polay, bot Fujimori aus dem Gefängnis einen Waffenstillstand an, um, verknüpft mit Bedingungen, einer anderen Politik eine Chance zu geben. Auf die Reaktion Fujimoris darf man ge­spannt sein, denn Polay ist vor kurzem zusammen mit mindestens 40 Militanten des MRTA aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Lima ausgebrochen und kann wieder aus dem Untergrund politisch aktiv werden, wenn er nicht wieder aufge­griffen wird.
Wie immer ein zukünftiges parlamentarisches Bündnis aussehen mag, die soziale Basis der Macht Fujimoris besteht in den WählerInnen, die ein Ende des rapiden Verfalls der Reallöhne und eine allgemeine Stabilisierung erwarten. Diese Er­wartungen nicht zu enttäuschen, wird ihm schwerfallen.

Der Krieg wird ausgeblendet

Für die Auseinandersetzung mit Sendero Luminoso scheint Fujimori bislang nicht die Spur eines Konzeptes zu haben. Es ist nicht ersichtlich, daß er der unge­bremsten und doch in der Bekämpfung Senderos weitgehend erfolglosen Repres­sion durch das Militär ein anderes Konzept entgegenzusetzen hat, das den Ursa­chen für die Existenz und Stärke Senderos Rechnung tragen würde. Seine bishe­rigen Äußerungen lassen nicht darauf schließen. Befragt nach seiner Haltung zu den Streitkräften und nach der Gefahr eines Putsches antwortete er, die Vorstel­lung eines Putsches sei ein psychologischer Trick seiner Gegner im Wahlkampf gewesen, und: “Unsere Streitkräfte haben genügend Reife erlangt und sind die besten Verteidiger unserer Verfassung!” Bei Fortsetzung der vom Militär prakti­zierten Form der “Verteidigung der Verfassung” werden die Gründe für die Exi­stenz Sendero Luminosos und für die in bestimmten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Sympathien für Sendero nicht an Stichhaltigkeit verlieren.

Nur minimale Chancen auf Erfolg

Der Erfolg der Regierung Fujimori wird von Faktoren abhängen, die weitgehend außerhalb seiner politischen Entscheidungsmöglichkeiten liegen. Fujimori kann nur auf ein Einsehen der potentiellen Kreditgeber in die mehr als schwierige ökonomische Lage Perus hoffen, aber IWF, Weltbank und die führenden Indu­strieländer haben keinen Grund, Peru Sonderkonditionen einzuräumen, die über die in so vielen Ländern der Peripherie angewandten Strukturanpassungsmaß­nahmen mit allen sozialen Folgekosten hinausgehen. Die Hoffnung der Peruane­rInnen auf eine bessere wirtschaftliche Situation werden enttäuscht werden müs­sen, denn ohne ein Abwälzen der Kosten solcher Programme auf den Lebens­standard der Bevölkerung ist unter den gegebenen internationalen Rahmenbe­dingungen Stabilisierung nicht zu haben. Es ist eine offene Frage, in welcher Form sich der Protest der Bevölkerung äußern wird, ob es zu einem Anwachsen der Unterstützung für die verschiedenen Guerillas kommen wird, ob Gewerk­schaften und soziale Bewegungen zu einer neuen Stärke finden können, oder ob, wie in Bolivien, mangels politischer Alternative eine relative politische Stabilität erreicht werden kann. Da ein Ende des Krieges zwischen Militär und Guerillas nicht abzusehen ist, scheint Letzteres unwahrscheinlich. Eher zu erwarten ist vielmehr eine verschärfte Polarisierung, die das Militär tatsächlich zum Putsch bewegen könnte, sobald das Scheitern Fujmoris offensichtlich wird. Eine “Regierung der nationalen Einheit”, selbst wenn Fujimori ihre Formierung aus verschiedenen politischen Kräften gelingen sollte, wird eine Einheit nur auf Re­gierungsebene darstellen. Die gesellschaftlichen Konfliktlinien verlaufen anders, sie haben im Parteienspektrum schon lang keine adäquate Entsprechung mehr. Technokratisches Wirtschaftsmanagement à la Fujimori ohne Angehen der Pro­bleme extremer Ungleichheit und rassisch bedingter Unterdrückung wird in Peru nicht den Ausweg aus der Krise weisen können.

Amazonien

Die COICA ist ein Organ, das am 26. März 1984 in Lima von den nationalen indianischen Organisationen selbst gegründet wurde. Zur Zeit gehören ihr fünf nationale Organisationen (aus Peru, Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Brasilien) mit jeweils diversen Unterorganisationen an, die zusammen Bevölkerung von über 1 Millionen Menschen vertreten. Als ihre Funktionen gibt die COICA an:
-die Mitgliedsorganisationen vor verschiedenen zwischenstaatlichen Instanzen und Nicht-Regierungs-Organisationen auf nationaler Ebene zu vertreten;
-die territorialen Forderungen, die Selbstbestimmung und die Respektierung der Menschenrechte der indianischen Völker durchzusetzen;
-die Einheit und gegenseitige Zusammenarbeit zwischen allen indianischen Völkern zu stärken;
-die Erneuerung der kulturellen Werte und die integrale Entwicklung all ihrer Repräsentanten in jedem Land, zweisprachige interkulturelle Erziehungsprogramme und Gesundheitsarbeit in jedem Mitgliedsland bei gleichzeitiger Achtung seiner Autonomie und unter Wahrung seiner Sitten und Besonderheiten zu gewährleisten.
die COICA durch Einbeziehung oder den Anschluß weiterer indianischer Organisationen zu erweitern.

Indianisches Leben und Territorium als Strategie zur Verteidigung Amazoniens

1. Wir sind hier -indianische Völker und Umweltorganisationen -da wir ein Interesse gemein haben: den Respekt für die Welt, in der wir leben, und den Schutz dieser Welt, sodaß die gesamte Menschheit ein besseres Leben haben kann. Ein wesentlicher Punkt dieses Anliegens ist die Erhaltung des amazonischen Regenwalds. Wir indianischen Völker und unsere Territorien in Amazonien gehören uns gegenseitig, wir sind eins. Die Zerstörung eines Teiles von Amazonien betrifft alle anderen Teile.

2. Seit langer Zeit haben wir in dem Wald gelebt und ihn genutzt, ohne ihn zu zerstören. Wir haben ihn in einer ganzheitlichen und integralen Weise bewirtschaftet-und wir waren jahrhundertelang seine Verteidiger. Unsere Völker wurden geschwächt und als Resultat dessen ist auch der Schutz Amazoniens verringert worden. Heute sind wir erneut die wichtigsten Protagonisten der Verteidigung und des Schutzes Amazoniens.

3. Wir sind an einem Scheideweg angelangt. Werden wir verschwinden oder werden unsere Völker und der Wald überleben? Da der Wald für uns keine Ressource ist, ist er das Leben selbst. Er ist für uns der einzige Ort zum Leben. Die Abwanderung bedeutet, als Volk zu sterben, da der Amazonas das einzige Erbe ist, das wir unseren Kindern hinterlassen können. Diese Tatsache steht hinter unserer Energie und Entschiedenheit ohne Zaudern oder Umkehr.

4. Der Wald wurde von jenen ausgebeutet, die auf unmittelbaren Gewinn aus waren, der zur Überausbeutung der Ressourcen führt und uns die Möglichkeit einer Zukunft vernichtet. Im Gegensatz dazu denken wir indianischen Völker sowohl an uns wie an den Wald als eine Einheit.

5. In dem Maße wie die Zerstörung alarmierend wird, hat sich die Sorge um Amazonien ausschließlich auf die Natur konzentriert, ohne die Zerstörung der indianischen Völker in Betracht zu ziehen. Millionen Dollars wurden in Parks und in den Naturschutz investiert, wobei die Hauptgaranten die durch kurzfristige Interessen motivierten Regierungen waren.

6. In einigen Fällen haben leider Parks und andere Schutzmaßnahmen dazu gedient, uns Indianern weitere Grenzen aufzuerlegen. Sie engen uns ein und wir verlieren die Kontrolle über unsere Gebiete. Oftmals haben sich Parks nur als Reserven für eine zukünftige Ausbeutung von 01, Gold und Holz erwiesen. Parks sind keine Realität in dem Sinne wie Völker es sind. Parks sind nur ein Dekret, etwas, das sich jederzeit ändern kann, das abhängig ist und vergewaltigt werden kann.

7. Technische Kriterien für Parks und wissenschaftliche Interessen an ihnen stellen eine Schranke dar, die viel weniger effektiv ist als die Verteidigung, die ein Volk mit einer Projektion in die Zukunft ausübt. Aber gemeinsame Aktionen beider könnten effektive Resultate erzielen.

8. Daher ist es unser Anliegen, daß indianisches Territorium anerkannt und zurückgewonnen wird, durch welche legalen Mittel auch immer. Konzept und Richtlinie für die Bewirtschaftung der Territorien sollte die Kultur der indianischen Völker, die dort leben, sein. Wie es dem Recht aller Völker entspricht, sollten die Indianer die breitest mögliche Kontrolle haben über alle Ressourcen, die auf ihren Gebieten zu finden sind.

9. Das indianische Territorium als ein physischer Raum, eder in einer diversifizierten und integralesn Weise bewirtschaftet wird, ist Naturschutz im besten Sinne des Wortes. Es ist kein Schutz wie in einem Museum, dessen Resultate so enttäuschend waren.

10. Wir haben kein Lehrbuch, sondern vielmehr eine uralte Kultur.

14. Das Recht auf Territorien bedeutet für uns, eine direkte Vertretung als Volk -nicht nur als Bevölkerung -ausüben zu können, in welcher Diskussion auch immer, sei sie national oder international, politisch oder wissenschaftlich.

15. Wenn diese Kriterien in logischer und gerechter Weise angewandt werden, dann ist es klar, daß unsere Präsenz in Amazonien viel größer ist als die offizielle Politik zugibt, die uns spaltet und als Minderheiten, die im Aussterben begriffen sind, darstellt. Unsere Präsenz in Amazonien und unsere Fähigkeit, seine Zukunft zu bestimmen, wird anerkannt werden, wenn wir die notwendige ideologische Unterstützung erhalten.

16. Aufgrund aller oben genannter Gründe schlagen wir vor, daß die Umweltschützer der Welt sich mit den indianischen Völkern verbünden, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen.

Wir laden Euch ein, diesen Schritt hier und heute zu tun.

Iquitos, 9. Mai 1990

Die Abschlußdeklaration, die den Forderungen der COICA voll entspricht, wurde von 26 teilnehmenden und 14 beobachtenden Organisationen aus Amerika und Europa unterschrieben. Ein Folgetreffen im September 1990 in Washington D.C.wurde vereinbart.

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